INTERVIEW

Ulrich Seidl über IMPORT EXPORT

"Ich wollte einerseits, dass alles, was zufällig passiert, im Bild sein kann und gleichzeitig mit Schauspielern eine Handlung erzählen. Ich suche es, auf diesem Grat zwischen genauer Vorbereitung und dem Offenbleiben für das Unvorhersehbare zu wandern." Ulrich Seidl über die Dreharbeiten von Import/Export.

 

Es gibt immer eine Grundidee in Ihren Filmen, die mit einem narrativen Gerüst ausgestattet wird, das sich im Dreh nach und nach verdichtet. Was war die Grundidee, die am Anfang von Import Export stand?

ULRICH SEIDL: Zum einen wollte ich einen Film im Osten drehen. Ich habe seit langer Zeit persönlichen Bezug zu den Ländern Osteuropas: aufgrund meines Films Mit Verlust ist zu rechnen, der schon vor 14 Jahren an der Grenze zu Tschechien spielte. Aber auch aufgrund meines Lebensfilmprojektes Der Grasel, für das ich immer wieder nach Rumänien gereist bin, um dort nach Drehorten zu suchen. Im Zuge dieser Reisen verstärkte sich immer mehr der Wunsch, in einem osteuropäischen Land zu drehen. Die Grundidee war dann folgende: zwei junge Menschen sind arbeitslos, sie sind auf der Suche nach Arbeit und Sinn und sie bewegen sich. Die Frau, Olga, bewegt sich vom Osten in den Westen und der Mann vom Westen in den Osten. Olga, die in den Westen kommt, um hier als Putzfrau zu arbeiten und ihr Kind bei der Mutter zu Hause lässt. Was weiters als Thema im Zentrum stand, ist die Arbeitssuche. Es sollte um Arbeitslosigkeit gehen und um die Schwierigkeit, Arbeit zu finden. Darum, wie man Sinn im Leben und einen Wert in der Gesellschaft finden kann.

 

Für mich ist der Eindruck entstanden, dass Hundstage mehr von inneren Einsamkeiten erzählt, während Import/Export mehr auf gesellschaftspolitische Aspekte eingeht, mehr die blinden Flecken in der Gesellschaft aufspürt.

ULRICH SEIDL: Vielleicht deshalb, weil dieser Film weniger im privaten Räumen als vielmehr in öffentlichen Bereichen spielt, wie z.B. dem Geriatrischen Krankenhaus in Lainz, einem Spital in der Ukraine, einer Schule für Reinigungspersonal oder wie beim männlichen Hauptdarsteller Paul am Arbeitsamt, am Markt, in der U-Bahn.

 

Durch den Dreh in Lainz gewinnt auch das Thema Alter und wie geht die Gesellschaft damit um an Bedeutung?

ULRICH SEIDL: Stimmt. Laut Drehbuch war die Geriatrie aber vorerst nur eine von mehreren Stationen Olgas. Sie arbeitet zuerst in einer Familie, scheitert dort und kommt erst am Schluss ihres Weges in dieses Krankenhaus. Aber wie es eben oft bei meiner Arbeitsweise ist, bekommen Dinge in der Vorbereitung oder beim Drehen ein anderes Gewicht als ursprünglich geplant. Bei der Geriatrie war das sehr stark der Fall. Ich habe dort viel ausführlicher gedreht, Nebenfiguren eingefügt, die am Anfang nicht so geplant waren wie Maria Hofstätter als Krankenschwester oder Georg Friedrich als Pfleger. Ich habe entdeckt, dass ich hier einen Schauplatz habe, wo ich vieles sehr eindringlich erzählen kann mit den Patienten, welche die authentischsten Darsteller sind.

 

Wie sieht die Geschichte des männlichen Protagonisten Paul aus?

ULRICH SEIDL:  Paul ist 24, hängt arbeitslos herum und borgt sich immer wieder Geld aus. Wenn er nicht gerade an Jobcoachings des Arbeitsamtes teilnehmen muss. Sein Traumjob ist Security und er bekommt auch einen Job als solcher in einem Shopping Center, verliert ihn aber wieder. Er hat einen Stiefvater, ein Mittelding aus Vaterfigur und Freund. Der steht für eine andere Generation, er plädiert etwa dafür, dass Liebe und Sex nichts miteinander zu tun haben, während der junge Paul die treue Frau sucht, die er in Österreich aber nicht findet. In der Hoffnung, dass die Frauen im Osten treuer sind, ergreift er die Gelegenheit, mit dem Stiefvater hinüber zu fahren, um dort Spielautomaten zu befüllen. Sie zerstreiten sich aber und Paul landet schließlich bei einem Casting für einen Pornofilm in Bukarest.
 

Warum ist die Entscheidung für den Drehort im Osten für die Ukraine gefallen?

ULRICH SEIDL: Die Entscheidung ist aufgrund von Schauplätzen und aufgrund des Umstandes gefallen, dass die Ukraine noch weiter von Europa entfernt ist als Rumänien. Der soziale Bruch zu Mitteleuropa ist in der Ukraine deutlich und schmerzlich spürbar. Als ich vor zehn Jahren Rumänien besucht habe, war dort der Bruch sichtbar. Jetzt ist diese Grenze weiter in den Osten gerückt. Von den Vorarbeiten und den Recherchen her war Import/Export sicherlich mein aufwändigstes Projekt bisher. Wir haben sehr viel Zeit darauf verwendet, die Hauptdarsteller zu finden und in Österreich und der Ukraine an die 1 500 Menschen gecastet.

 

Wonach haben Sie bei dieser Suche nach der Hauptdarstellerin gesucht?

ULRICH SEIDL: Auch das war ein Weg des Lernens. Zunächst haben wir in Österreich nach einer Ukrainerin gesucht. Es hat sich aber bald heraus gestellt, dass die Ukrainerinnen, die hier leben, schon nach wenigen Monaten angepasst sind und dass ihr Neu-Sein im Westen nicht mehr so echt ist. Ich wollte aber eine Darstellerin, die noch nie im Westen war, die wirklich für den Film zum ersten Mal in den Westen kommt. Ich wollte, dass sie ihre Gefühle und Erfahrungen wirklich authentisch sind. Katja haben wird dann in einer südukrainischen Provinzstadt gefunden, sie konnte weder ein Wort Deutsch noch Englisch. Wir haben sie nach Kiew geholt und ihr dort einen Deutschlehrer zur Verfügung gestellt. Nach zwei Monaten kam sie dann nach Österreich, vier Wochen vor den Dreharbeiten. Sie kannte den großen Bogen der Geschichte, es gab aber kein detailliertes Drehbuch. Das war nicht immer einfach, weil ihrerseits ein großes Misstrauen bestand. Sie kannte aus den Medien Geschichten, dass sehr viele Mädchen als Prostituierte enden und hatte sicherlich auch oft den Verdacht, dass es hier nicht seriös ist. Da gab es viele Ängste, die es zu überwinden galt und die den Film erschwert haben.

 

Ist der Cast wie auch in Hundstage eine Mischung aus Profis und Nicht-Profis?

ULRICH SEIDL: Ja, die Hauptparts sind mit Nicht-Schauspielern besetzt, aber Pauls Vater etwa ist Schauspieler. Maria Hofstätter und Georg Friedrich sind wieder mit dabei. Dann spielen auch Petra Morzé und Herbert Fritsch mit, aber die Schauspieler sind eher im zweiten Rang. Und ach ja, dann ist auch Erich Finsches, der schon in Hundstage gespielt hat, wieder dabei und in der Komparserie Elfriede Bartel aus Jesus, du weißt.

 

Misstrauen bei der Hauptdarstellerin, Übervorsicht von Seiten der Institutionen bei den Drehgenehmigungen. Es klingt so, als wäre es sehr aufwändig gewesen, die Voraussetzungen für den Dreh zu schaffen.

ULRICH SEIDL:  Ich finde - und das habe ich nun zum ersten Mal als mein eigener Produzent kennen gelernt -, dass es sehr schwierig geworden ist, Drehgenehmigungen zu bekommen. Viele Institutionen reagieren zunächst mit Angst. Auch an Orten, wo man es gar nicht glauben würde. Zum Beispiel am Arbeitsamt, eine öffentliche Institution. Es scheint mir ein Zeichen für unsere Gesellschaft zu sein, dass jeder Betrieb, jede Institution, jeder Mensch vielleicht sogar, ein Image-Denken hat und dass Angst herrscht, etwas Falsches könnte kolportiert werden. Gerade in der Geriatrie, die ja bekanntlich mit einem schlechten Image zu kämpfen hat, habe ich immer wieder gesagt, das einzige Mittel, um das Image zu ändern, ist: aufzumachen, alles offen herzuzeigen, die Leute aufzufordern mitzumachen. Es ist völlig falsch, zuzumachen und zu mauern. Das erzeugt Misstrauen. Dort, wo jemand die Tür nicht aufmacht, bin ich sofort misstrauisch, denn da gibt es offensichtlich etwas zu verbergen.

 

Mit Drehsituationen, wie jener in der Geriatrie haben Sie sich sicherlich sehr unwägbaren, fragilen Momenten ausgesetzt. Haben Sie sich als Regisseur bei diesem Projekt in Dingen wie Eingehen auf die Befindlichkeit der Leute, spontanes Reagieren und Lösungen finden besonders herausgefordert gefühlt?

ULRICH SEIDL:  Ich bin von meinen früheren Filmen her gewohnt, spontan echte Dinge einfließen zu lassen und habe dabei meine eigene Arbeitsweise entwickelt. Ich wollte – das war mir ganz wichtig – auf einer Geriatrie in einem lebendigen Set arbeiten. Ich wollte einerseits, dass alles, was zufällig passiert, im Bild sein kann und gleichzeitig mit Schauspielern eine Handlung erzählen. Zuerst erschien es sehr unsicher, ob das funktionieren kann. Bis zum ersten Drehtag weiß man oft nicht, ob das wirklich klappt. Und wenn so ein Unterfangen nicht lange genug vorbereitet wurde, dann hat man auch verloren. Ich suche es, auf diesem Grat zu wandern, auf dem Grat zwischen genauer Vorbereitung und dem Offenbleiben für das Unvorhersehbare. Das habe ich im Übrigen mit beiden Darstellern so praktiziert, in der Öffentlichkeit - auf Märkten, in Zügen, in Spitälern. Mit Olga z.B. habe ich in einem ukrainischen Krankenhaus gedreht, ich habe sie als Krankenschwester eingesetzt, alles andere war, wenn man so will, dokumentarisch. Es gibt im Film z.B. eine Szene, wo ein Baby mit starker Bronchitis eine Infusion bekommt, eine Szene, die man nicht so leicht aushält, die aber auf dieser Kinderstation alltäglich ist. Ich habe auf solche Momente gewartet, und Katja ins Geschehen hineingefügt.
 

Es gibt diesmal zwei Kameraleute. War Ed Lachman jemand, mit dem Sie schon immer zusammenarbeiten wollten?

ULRICH SEIDL: Nein, das nicht. Ich habe Ed Lachman vor drei Jahren bei der Viennale kennen gelernt, wo er eine Personale hatte. Werner Herzog hatte ihn auf meine Filme aufmerksam gemacht, und er wollte mich kennen lernen. Er ist ein sehr neugieriger Mensch mit einem großen filmischen Wissen und war recht angetan von meiner Arbeit. Das war es dann auch fürs erste. Ein Jahr später haben wir uns bei der IDFA in Amsterdam getroffen, wo wiederum ich eine Personale hatte. Da fragte ich ihn ganz spontan, ob er nicht Lust hätte, meinen nächsten Film zu fotografieren und er hat sofort zugesagt, zu allen Bedingungen. Das heißt zu österreichischen Bedingungen, was das Honorar anbelangt, und zu meinen Bedingungen, dass es sehr wenig Technik geben würde, um Licht zu machen, was ja sein besonderes Talent ist. Ich wollte einen Spielfilm, aber mit dem Aufwand eines Dokumentarfilms. Ed Lachman hatte dann Wolfgang Thaler zu Seite, der schon Hundstage fotografiert hat. Thaler hat die Kamera geführt, Ed Lachman hat das Licht gemacht und ich glaube, dass sie sich gegenseitig befruchtet haben. Für mich war es eine tolle Erfahrung. Ich glaube auch, dass die Bilder, dass dieser Film anders ausschauen wird als meine bisherigen. Da ich über einen so langen Zeitraum drehe, war es für Ed natürlich nicht immer möglich, dabei zu sein. Während ich an einem Film gedreht habe, hat er zwei oder drei fotografiert, u.a. im letzten Sommer den Film von Robert Altman.

 

Es ist auch weniger zeitaufwändig, Kameramann zu sein als Regisseur und Produzent. Wie war rückblickend diese Erfahrung für Sie, gleichzeitig auch Ihr eigener Produzent zu sein?

ULRICH SEIDL:  Es war für mich grundsätzlich nicht schwieriger, der Druck allerdings war ein ungleich größerer. Ich hatte zum ersten Mal die Doppelbelastung der künstlerischen und finanziellen Verantwortung. Letztendlich war in Streitfällen aber immer der Regisseur in mir der Sieger. Ich bin sehr froh, dass ich den Schritt gemacht habe, selber zu produzieren, ich erspare mir dadurch vielerlei Probleme. Aber es ist kein Honiglecken. Bis jetzt investiere ich seit drei Jahren in die Firma und noch ist nichts hereingekommen. Es ist schließlich unser erster Film.

 

Wie sieht der Zeitplan bis zur Fertigstellung von Import/Export aus?

ULRICH SEIDL: Der Film ist zu 95 Prozent gedreht. Was noch fehlt, ist Pauls Schluss. Da geht es um das Pornocasting in Rumänien. Das Material wurde während des Drehs von meinem Cutter Christof Schertenleib parallel immer wieder bearbeitet. Und das war auch notwendig. Was das Material betrifft, so habe ich wieder meinen eigenen Rekord eingestellt. Ich denke, es gibt so achtzig Stunden Material.

 

Wie hoch war das Budget des Films?

ULRICH SEIDL: 2,1 Millionen Euro ist das Budget. Es ist kein großes Budget, die Finanzierung ist nicht ganz glatt vor sich gegangen. Wir hatten von einer Förderstelle zu wenig Geld bekommen, mussten neu kalkulieren und der Drehbeginn konnte nicht gehalten werden. Das Budget war sehr knapp, für die Dauer des Unternehmens ist es eigentlich ein kleines Wunder, dass wir durchgekommen sind, weil die Zeit und die Länge des Projekts einfach kosten.

 

Ist die Länge v.a. durch die äußeren Umstände entstanden – Verzögerung von Finanzierung und Drehgenehmigungen. Oder hat es auch damit zu tun, dass Sie Ihren Filmen auch Zeit geben, um zu wachsen und sich in der Drehphase noch zu entwickeln?

ULRICH SEIDL: ch sage grundsätzlich schon, ich drehe keinen Film in sechs Wochen. Ich brauche meine Zeit, um einen Film entwickeln zu können. Diese Zeit muss aber auch nicht gerade eineinhalb Jahre sein, die es jetzt geworden sind. Da spielen auch äußeren Umstände eine Rolle. Es sollte ein Winterfilm werden, und wir konnten im letzten Winter erst im Februar beginnen. Die zweite Vorgabe war, für die Drehs in Österreich, sollte kein Schnee im Bild sein. Letztes Jahr hat es aber in Wien sehr viel und sehr lange Schnee gegeben, gerade zum Zeitpunkt, als ich gedreht habe. Dann musste eine Sommerpause einlegt werden, um auf den nächsten Winter zu warten.

 

Interview: Karin Schiefer
2006