INTERVIEW

«Man kann nicht alle Biografien in ein Gesetz packen.»

Die Filmemacherin Olga Kosanović ist in Österreich geboren und hat immer hier gelebt. Außerhalb Österreichs war sie in den Ferien und – wie viele junge Europäer:innen – fürs Studium. Zwei Monate zuviel errechneten die Behörden, als sie ihren Antrag auf österreichische Staatsbürgerschaft stellte. Völlig unerwartet machte sie die Erfahrung, im Land, wo sie seit jeher zu Hause ist, nicht dazuzugehören. Ihr Langfilmdebüt NOCH LANGE KEINE LIPIZZANER dokumentiert humorvoll den bürokratischen Prozess der Einbürgerung und reflektiert Faktisches und Fiktionales, wenn es ums Festlegen von Zugehörigkeit geht.
 
 
 
NOCH LANGE KEINE LIPIZZANER ist Ihr erster Langfilm, nicht jedoch Ihre erste filmische Arbeit über die Hürden der österreichischen Bürokratie oder die Frage der Zugehörigkeit. Sie sind 1995 – im Jahr des EU-Beitritts Österreichs – in Österreich geboren und aufgewachsen; welche gesetzliche Lage führt dazu, dass Sie sich drei Jahrzehnte später auf einen langwierigen Prozess um die österreichische Staatsbürgerschaft begeben müssen?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Ich bin in Österreich geboren, die serbische Staatsbürgerschaft habe ich von meinen Eltern geerbt. Meine Mutter hat sich mit viel Engagement um den Status des Daueraufenthalts bemüht. Alle fünf Jahre müssen wir diese Karte verlängern, damit bin ich aufgewachsen. Die Staatsbürgerschaft für alle vier Familienmitglieder auf einmal zu beantragen, war schon allein aus finanziellen Gründen vom Tisch, außerdem ist es für meine Mutter keine Option, die serbische Staatsbürgerschaft aufzugeben. Doppelstaatsbürgerschaften sind ja in Österreich nicht erlaubt. Früher habe ich das nie so richtig verstanden, warum man an seiner ursprünglichen Staatsbürgerschaft hängt. Das hat sich nach diesem Filmprojekt und vielen Gesprächen zum Thema Zugehörigkeit geändert. Ich kann es jetzt nachvollziehen.
 
 
Zu welchem Zeitpunkt Ihres Bemühens um die österreichische Staatsbürgerschaft ist Ihre persönliche Geschichte Stoff für einen Film geworden?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Die österreichische NGO SOS Mitmensch hat eine Kampagne initiiert, die Hier Geboren hieß: Sie sollte Erleichterung beim Erwerb der Staatsbürgerschaft für Menschen bringen, die in Österreich geboren wurden. Als ich davon erfuhr, habe ich versucht, die Kampagne zu unterstützen, indem ich in einem kurzen Video erzählt habe, was mir widerfahren war, denn ich hatte im ersten Anlauf, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen, völlig unerwartet eine Absage erfahren. Das Video ist online kurzzeitig viral gegangen, mein Handy hat mehrere Tage durchgehend geklingelt, alle wollten mich in ihre Sendungen einladen, mehrere Zeitungen schrieben darüber und da gab es u.a. einen Artikel in der linksliberalen Tageszeitung Der Standard, wo ich dann auch das Leserforum gelesen habe. Ich war erstaunt, wie viele Kommentare es dazu gegeben hat und wie sehr sich die Geister schieden. Einer der Kommentare war der titelgebende „Lipizzaner-Kommentar“, der mich aufgewühlt und interessiert hat. Ich wusste noch nicht wie, aber ich hatte ein starkes Gefühl, dass man das behandeln musste. Es ging weniger um mein Einzelschicksal als vielmehr um die Frage, warum offenkundig so viele Menschen gleich so eine starke Meinung zum Thema Staatsbürgerschaft haben.
 
 
Können Sie kurz die Etappen und den Zeitrahmen des Einbürgerungsprozesses umreißen?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Ich durchlaufe gerade zum zweiten Mal diesen Prozess. Es beginnt mit einer verpflichtenden Erstinformationsveranstaltung. Dann kann man beginnen, die Liste an erforderlichen Dokumenten abzuarbeiten. Empfohlen wird, dass man sich, wenn die Liste halbwegs vollständig ist, für einen Termin anmeldet. Die Wartefrist dafür beträgt mindestens ein Jahr. Das ist nur der Termin, zu dem man alle Unterlagen zur Prüfung abgibt. Dann geht der eigentliche Prozess der Behördenarbeit erst los. Nach einigen Monaten kommt meistens nochmal eine Liste an Dokumenten die fehlen, die man dann nachreicht und dann wartet man wieder. Ich warte gerade seit sieben Monaten und weiß nicht, wo ich stehe. Vom Gesetz her müsste die Behörde den Antrag in sechs Monaten erledigen – positiv wie negativ. Faktum ist, dass dies in Wien nicht machbar ist. Wer nicht wie ich hier geboren ist und hier maturiert hat, braucht außerdem zusätzlich einen Deutsch-Nachweis und eine Einbürgerungsprüfung. Das ist in Summe alles kostspielig und zeitaufwändig.
 
 
Wieviele Menschen leben ohne österreichische Staatsbürgerschaft in Wien /in Österreich? Mit welchen Konsequenzen für die Wahlberechtigung?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Mit Herbst 2024 waren es österreichweit 19,2 % der Menschen mit gemeldetem Wohnsitz, die keine Staatsbürgerschaft hatten und somit auch nicht wahlberechtigt sind. In Wien sind es rund 35% der gemeldeten Einwohnerinnen, die nicht wahlberechtigt sind, Tendenz steigend. Das ist mehr als ein Drittel. Die Expert:innen, mit denen ich Interviews geführt habe, sagen, das sei ein Jetztstand. Schaut man sich die Kurve der letzten zwanzig Jahre an, dann hat sich der Zahl der nicht wahlberechtigten Menschen mehr als verdoppelt. Was heißt das für die nächsten zwanzig Jahre?
 
 
Hat erst die Tatsache, dass Sie der österreichische Gesetzgeber nicht als Österreicherin betrachtet, obwohl Sie abgesehen von den Auslandssemestern als europäische Studierende ihr Leben hier geführt haben, bei Ihnen eine Reflexion über Wir-Gefühl und Anders-Sein in Gang gebracht?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Ich habe eine schöne und behütete Kindheit in Wien verbracht. Ich hatte nie das Gefühl, nicht dazu zu gehören, abgesehen von den wenigen Momenten, wo man an einer Grenze steht und der eigene Reisepass eine andere Farbe hat als der der besten Freunde. Ich bin mit der Einstellung zum Amt gegangen, „Jetzt hol ich mir das, was ich eigentlich ohnehin schon seit dreißig Jahren lebe“. Als die Sachbearbeiterin zu mir sagte, „Wir müssen erstmal schauen, ob Sie überhaupt integrierbar sind“, da war ich ziemlich vor den Kopf gestoßen. Aus heutiger Sicht bin ich sehr naiv hineingegangen, weil ich wirklich gedacht hatte, dass es nur ein (aufgrund der vielen geforderten Dokumente) mühsamer Formalakt sein würde. Erst dann hat die Reflexion eingesetzt und die erschreckende Erkenntnis, dass ich an einem Ort aufgewachsen bin, wo es ein Wir und ein Die Anderen gibt und ich plötzlich nicht zum Wir gehörte.
 
 
Sie haben ein sehr erfinderisches Filmkonzept aus fiktionalen und dokumentarischen Elementen: Bleiben wir zunächst bei den fiktionalen – Sie haben sich Spiele, sogar ein Fernsehspiel aus einer scheinbar frühen TV-Ära einfallen lassen. Warum gilt dem Spiel- und Zufallsprinzip ein erster filmischer Akzent?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Immer wenn ich erzählt hatte, dass ich an einem Film über die Staatsbürgerschaft arbeitete, gab es meist ein Schnaufen mit Assoziationen wie – trockenes Thema, unfilmisch, fad, bürokratisch. Ich stand also vor der Herausforderung, wie ich dieses wirklich trockene Thema so zugänglich wie möglich aufbereiten konnte, möglichst so, dass es die Zuschauer:innen von einem ins andere führt und sie am Ball bleiben. Wichtig war mir außerdem auch, dass das Gefühl „Mich betrifft das doch eh nicht“ bei den Zusehenden aus dem Weg geräumt wird. Ich bin bei Menschen mit österreichischem Pass auf sehr viel Unwissenheit gestoßen und diese unterschiedlichen Levels an Wissenstand galt es auch möglichst zu verbinden. Es war ein Versuch, viele Informationen zu vereinen, jemanden an der Hand zu nehmen. Daher kommt immer wieder auch das Spielbrett ins Bild, das wir dramaturgisch genutzt haben, um die verschiedenen Stationen und Geschehnisse bei einem Staatsbürgerschaftsantrag spielerisch zu visualisieren.
 
 
Geht es nicht auch um Willkür und Zufälligkeit?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Absolut. Daher gibt es z.B. auch die Sequenz mit der TV-Show, in der das Glücksrad gedreht wird: Es zeigt die Spielregeln, die ein System aufstellt, und denen man gnadenlos unterliegt, auch wenn man sie als unfair empfindet. Die Faktoren der willkürlichen Spielregeln und des Zufalls machen das Ganze für mich noch absurder. Worauf beruht das Gefühl bei den Menschen, es als rechtmäßig zu empfinden, dass einem die Staatsbürgerschaft zusteht oder nicht? Im größeren Zusammenhang betrachtet, ist es eine Lotterie, bei der man gewinnt oder eben auch nicht. Umso interessanter ist es, dass ein Staat versucht, sich einzuhegen und ein Narrativ zu schaffen, das die Zugehörigkeit zu diesem Staat zu etwas Großem und Besonderem macht, das wir nicht so leicht teilen können. Den Ausflug ins Wir-Gefühl zu untersuchen, wie es auf staatlicher Ebene funktioniert, hat mich sehr interessiert. Gerade weil es eben eigentlich eine Zufallsgemeinschaft ist.
 
 
Robert Menasse sagt im Interview: Heimat ist ein Menschenrecht, Nation ist eine Fiktion. Reflektiert die formale Mischung aus fiktionalen und dokumentarischen Elementen im Film auch die hybride Natur des Themas, dass Staatsbürgerschaft etwas beinhart Reales, in ihren Zuschreibungen aber etwas höchst Undefinierbares und sehr emotional Motiviertes ist?
 
OLGA KOSANOVIĆ
: Ja das ist schön gesagt. Es ist noch dazu ein ausgedachtes Prinzip, auf dem alle ihre Realität aufbauen. Es ist spannend, das aufzubrechen und mal etwas anderes Ausgedachtes dazu in Verbindung zu bringen. Diese Fiktion ist eine permanente Realität, die irgendwann unseren Alltag bestimmt. Ich finde das Zitat von Robert Menasse toll, weil Heimat ein Begriff ist, der so oft anders verwendet und politisch zerrissen wird. Heimat ist ein Gefühl, das jeder haben will, was man gut nachvollziehen kann. Aber es hat nichts mit der Nation zu tun, die nur so tut, als wäre sie der heimatstiftende Ort. Wir haben auch die Leute dazu befragt und niemand hat Heimat mit einem Land gleichgesetzt. Es hat immer mit Menschen oder Orten zu tun, die eine persönliche Bedeutung für die jeweiligen Personen haben.
 
 
Der titelgebende, kränkende Satz aus dem Internetforum lautet: Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner; er hat Sie auch veranlasst, dem angeblich österreichischen Nationalsymbol der Lipizzaner nachzugehen. Mit welchen Ergebnissen?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
... dass sie gar nicht so österreichisch sind, wie sie hochgehalten werden. Es ist ein sehr traditionelles, weit verbreitetes Symbol, selbst meine serbische Großmutter hat sofort gewusst, dass dies die berühmten österreichischen Pferde seien. Auch hier fand ich interessant, die Fiktion dahinter aufzubrechen. Der Film versucht ja auch diesen Kommentar aus dem Forum zu dekonstruieren. Er interessiert mich aber auch, denn er erklärt die Fiktion, an die so viele Menschen glauben – Wir sind Lipizzaner, die sind Katzen. Für mich war es darüber hinaus auch wichtig, dass die Dinge eine gewisse Leichtigkeit bewahren. Ich kann diesen Kommentar als reine Kränkung wahrnehmen – Es ist rassistisch und unterirdisch unmenschlich, was da gesagt wurde. Oder aber, ich nehme den Satz, mit Humor bewaffnet, auseinander und verfasse eine Antwort.
 
 
Dokumentarisch erfassen Sie die Etappen des Einbürgerungsprozesses mit den Informationsveranstaltungen und den Kriterien. Was haben Sie dabei erlebt, was Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Es war uns sehr wichtig, dass der Film neben seinen fiktionalen Elementen auch die dokumentarische Härte der Realität widerspiegelt. Daher gibt es auch ganz klassische dokumentarische Momente. Ein gutes Beispiel sind die Erstinformationsveranstaltungen für den Einbürgerungsprozess. Das Tolle für uns als Filmteam war die Möglichkeit, all diese vielen Gesichter und unterschiedlichsten Menschen zu sehen, gleichzeitig die Fülle, wie viele Interessierte es gibt, die gerne aus verschiedenen Motiven die Staatsbürgerschaft hätten. Als ich das zweite Mal selbst als Antragstellerin hinmusste, war ich verblüfft, ein „Wir-Gefühl“ wahrzunehmen, das uns alle, die wir dasaßen und dasselbe wollten, vereint hat. Nach dieser einstündigen Veranstaltung besteht die Möglichkeit, individuelle Fragen zu stellen. Und das Interessante war: Niemand ist gegangen. Jede:r hatte eine Frage. Jeder Fall ist so unterschiedlich. Das zeigt auch die Komplexität, dass man nicht alle Biografien in ein Gesetz packen kann. Denn dann passiert zum Beispiel das, was bei mir passiert ist – Dass man aufgrund eines Auslandsstudiums den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft verliert. Das kann ja gar nicht im Interesse des Gesetzgebers sein.
 
 
Ein wichtiger Teil sind Expert:innengespräche, die von Seiten Soziologie, Politikwissenschaft, Diplomatie und Psychologie einen wissenschaftlichen Blick auf die Thematik werden. Hier stehen sachliche, kaum in die öffentliche Diskussion eingebrachte Aspekte einer von der Politik nur auf emotionaler Ebene geführten Debatte entgegen? Wie entstand Ihr Spektrum an Gesprächspartner:innen?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Ursprünglich handelte es sich um Gespräche, die für mich als Recherchegespräche stattgefunden haben. Ich wollte diesem Projekt eine fundierte wissenschaftliche Basis geben, auf die ich mich berufen kann, falls man mich mit dem Vorwurf konfrontiert, es basiere alles nur auf der Kränkung einer jungen Frau, die sich unfair behandelt sieht. Ich habe die ersten Gespräche mitgefilmt und sie haben sich als so aufschlussreich erwiesen, dass wir fanden, diese prägnant formulierten Sichtweisen sollten Teil des Films werden. Leider haben nicht alle Gesprächspartner:innen in den Film Eingang gefunden und es sind natürlich nur Bruchteile der Gespräche zu sehen, aber sie bilden wichtige Themenbausteine.
 
 
Daneben sprechen Sie in einem abstrakten Setting aus einfärbigen Hintergründen quer durch Generationen und Ethnien mit einem Sample aus Menschen, die die Gesellschaft in ihrer Diversität abbilden. Vielleicht „typische“ und „untypische“ Österreicherinnen? Was war Ihnen bei diesen Gesprächen wichtig?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Wir haben diese Gesprächssettings immer die „Volksbefragung“ genannt. In der Recherche haben wir mit Straßeninterviews begonnen, einfach Leute aufgehalten und befragt. Formal gefiel mir das letztlich nicht so gut, weil mir die Konzentriertheit gefehlt hat. Wir wollten damit abseits der Expert:innen-Statements so etwas wie die „ehrliche Meinung“ abbilden und dafür in einem konzentrierten Setting ein Gespräch stattfinden lassen.
Wir haben Menschen eingeladen, von denen ich wusste, dass ihr Verfahren gerade am Laufen war oder sie bereits abgelehnt worden waren, andererseits haben wir auch einfach auf der Straße Menschen angehalten und gefragt, ob sie 15 Minuten Zeit hätten. Sehr viele waren bereit dazu. Und dann sind wir aber auch noch gezielt an Orte gegangen, wo Leute verkehren, die nicht unserer Bubble entsprechen. Es war mit allen ein tolles Gespräch. Ich habe versucht, so ergebnisoffen wie möglich zu bleiben. Ich wollte, dass man eine Vielfalt und vor allem auch die vermeintlich „andere“ Meinung welche auch immer das sein mag. Es ist mir wichtig, einander zuzuhören, spüren kann, aufeinander zuzugehen. Das bleibt hoffentlich als Fazit über, was die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger als die Wachstumsschmerzen des Wir bezeichnet. Die Vielfalt muss einander begegnen und einander zuhören. Das haben wir in den Interviews versucht.
 
 
Scheinbar einfache Fragen, lassen sich plötzlich nicht so einfach beantworten.
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Es kann schwierig sein, eine Meinung, die man leichthin vertritt, plötzlich vor einer Kamera näher zu erklären. Ich wollte niemanden „aufblatteln“. Meine Haltung war viel mehr zu sagen: „Interessant. Kannst du das näher erklären?“ Plötzlich wird bewusst, dass an Behauptungen emotionalisierte Dinge hängen, die sich vielleicht nicht immer rational begründen lassen. Dass die Menschen emotional sind, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Dass dies aber gezielt ausgenutzt und aufgebauscht wird, darin liegt ein Problem. Das Thema erzeugt einen Knalleffekt, weil es emotionalisiert. Keine Partei im gesamten Spektrum fasst dieses Thema rational an.
 
 
Sie thematisieren auch die Doppelstaatsbürgerschaft und den Umstand, dass man in Österreich die ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufgeben muss. Wie schwierig das ist, wird Ihnen am Ende selbst bewusst. Macht dieser Schritt erst bewusst, wie sehr viele Menschen heutzutage ihre Identität eigentlich nur in multiplen Zugehörigkeiten definieren können?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
Es war ein interessanter Prozess für mich. Früher hätte ich, vor die Entscheidung gestellt, gesagt: Es ist mir egal, mit Serbien verbindet mich viel weniger als mit Österreich. Rückblickend denke ich, ich hätte es gar nicht gewagt zu sagen, die serbische Staatsbürgerschaft sei mir wichtig. Ich hätte gefürchtet, dass es meine Glaubwürdigkeit, meine Zugehörigkeit zu Österreich schwächen würde. Es war wahrscheinlich auch ein Schutzmechanismus, um zu vermeiden, mixed signals auszusenden, um das Gegenüber nicht zu überfordern. Und das liegt eben daran, dass in der Debatte über Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit stets nur Raum für ein Entweder/Oder ist. Aber rein faktisch funktioniert unsere Gesellschaft anders und ist schon längst viel pluralistischer, als es die Diskussion zulassen möchte. Judith Kohlenberger sagt, Das Zulassen von doppelter Staatsbürgerschaft wäre ein Zeichen der Akzeptanz von Vielfalt, wie sie schon lange herrscht. Ich spreche fließend Serbisch, meine Familie kommt von dort. Warum muss ich das negieren, um das andere zu beweisen? Die Doppelstaatsbürgerschaft wäre das einzig Richtige für mich. Wenn ich mich entscheiden muss, ist die österreichische naheliegender. Daher werde ich irgendwann die serbische zurückgeben.
Jugendliche, mit denen ich jetzt gesprochen habe, sagen mit 18 mit einer Selbstverständlichkeit, dass sie sowohl das Eine als auch das Andere sind. Sie vermitteln das Gefühl, dass Integration nicht bedeutet, man müsse alles, was früher da war, möglichst unsichtbar machen. Das war eher meine Strategie, wenn ich zurückdenke.
 
 
So oft hört man von Menschen, dass sie sich am Ende da und dort nicht zugehörig fühlen. Kann das Ziel nur in mehrfachen Zugehörigkeiten liegen?
 
OLGA KOSANOVIĆ:
So sehe ich das. Das geht aber nur, wenn die aufnehmende Gesellschaft Österreich sagt: Da, wo du herkommst, das ist ein Teil von dir, und trotzdem gehörst du auch zu uns. Politisch sind wir leider ewig weit davon entfernt. Aber die Jugendlichen scheinen da heute schon viel cooler und selbstbewusster damit umzugehen, das ist eine gute Entwicklung und stimmt mich ein bisschen optimistisch.

 
Interview: Karin Schiefer
Jänner 2025
 
 
 




«Worauf beruht das Gefühl bei den Menschen, es als rechtmäßig zu empfinden, dass einem die Staatsbürgerschaft zusteht oder nicht?»