INTERVIEW

«Ich wollte zurückverfolgen, wo politischer Wandel seinen Ausgang nimmt.»

Als Student war Nathalie Borgers‘ Mann Abidin in den siebziger Jahren Teil der aufblühenden türkischen Demokratiebewegung und – auch ihrer Niederschlagung. Narben an seinem Körper sind bis heute Zeugen eines persönlichen und politischen Wendepunkts. Der Militärputsch 1980 zwang ihn zum Neubeginn in Wien, der von einem Schnitt mit der Vergangenheit und auch einer ungebrochenen Verbindung zeugt. Diesem Rätsel, das Abidin in sich birgt, versucht die Filmemacherin in NARBEN EINES PUTSCHES auf den Grund zu gehen, indem sie den Spuren eines gesellschaftlichen Aufbruchs und seinen mächtigen Gegenkräften nachgeht.
 
 
 
Sie beginnen den Film mit einem sehr nahen Close-up auf den Oberkörper Ihres Mannes. Die Kamera, die immer wieder nachschärfen muss, sucht nach Narben, die kaum sichtbar sind, aber die die Geschichte eines Mannes und auch eines ganzen Landes in sich bergen. Waren diese Narben ein Tabu und deshalb ein Grund, dass sie sich auf die Suche nach Erklärungen dafür gemacht haben?
 
NATHALIE BORGERS:
Tabu war es nicht. Abidin hat mir darüber erzählt, als wir uns kennen gelernt haben. Für sich persönlich hat er diese Ereignisse längst hinter sich gelassen und seinen Narben keine große Bedeutung mehr beigemessen. Und ich muss sagen, dass ich sehr froh war, einen Mann kennenzulernen, der ganz in der Gegenwart angekommen und mit seinem Leben glücklich war. Ich bin zehn Jahre jünger, in Belgien hatte ich als 16-Jährige von einem Militärputsch in der Türkei kaum etwas gehört. Unsere Beziehung haben wir jedenfalls nicht auf diesen politischen Erfahrungen aufgebaut. 2008/2010 war die Türkei in Aufruhr. Abidin hat damals schon gesagt, dass politischer Islam und Demokratie völlig unvereinbar seien. Nach und nach habe ich aus seinen Analysen geschlossen, dass er die politischen Verhältnisse in seinem Land aus einer langen Perspektive richtig eingeschätzt hat. Als wir uns während Corona ständig in derselben Wohnung aufgehalten haben, war er wie besessen davon, die türkischen Nachrichten zu verfolgen. In mir wuchs der der Gedanke, dass ich meinen Mann nicht wirklich kannte und ich begann nachzubohren: Woher kommen diese Narben? Was prägt seine Beziehung zur Türkei?
 
 
Hat die Kamera zwischen Ihnen das Erzählen erleichtert?
 
NATHALIE BORGERS:
Ich denke, Abidin hätte mir mit und ohne Kamera diesen Abschnitt seines Lebens erzählt. Für mich war es gut, eine Kamera zu haben. Das führt mich zurück zur ersten Einstellung: Ich hatte eine sehr kleine Kamera zu Hause und ich habe ihn an einem Morgen, wo es wenig Licht gab, gefilmt. Noch dazu hatte eine professionelle Kameraperson zuvor damit gearbeitet und alle automatischen Einstellungen ausgesetzt. Umso schwieriger war es für mich, die Kamera zu handhaben. Natürlich hätte sich diese Einstellung wiederholen lassen. Ich fand aber, dass dieser erste Take der ehrlichste Moment war. 
 
 
Ihr Mann Abidin kam im Jänner 1981 nach Wien. Können Sie uns zum Einstieg den politischen Hintergrund beschreiben, der ihn zwang, seine Heimat und seine Familie zu verlassen?
 
NATHALIE BORGERS:
Abidin ist 1954 geboren und hat in den frühen siebziger Jahren an der Middle-Eastern Technical University in Ankara zu studieren begonnen. Das war damals eine Hochburg von jungen Intellektuellen, für linke und demokratische Denkweisen. Man kann Parallelen zu den 1968-er Unruhen in Frankreich ziehen, dort hat die Protestbewegung viel in der Gesellschaft verändert. Die Türkei war allerdings ein deutlich weniger demokratisches Land. Abidins Universität war ein besonders aktiver Campus, wo man für Frieden, Demokratie, Arbeiterbewegung eingetreten ist, wo linke, kommunistische und revolutionäre Ideen vertreten wurden. Die Bewegung wurde immer stärker, aber ab 1975 begannen faschistische Milizen auf den Plan zu treten, um sie nach und nach zu demontieren. Unterstützt wurde dies von der rechtsextremen Partei, die in einer Koalition an die Macht gekommen war. Vertreter:innen der linken Bewegung wurden auf offener Straße erschossen, Menschen wurden erpresst, es ist auch zu größeren Bombenanschlägen gekommen, die man dann den Linken in die Schuhe geschoben hat. Abidin hat seine Schussverletzungen 1976 erlitten, bald nachdem die Milizbewegung begann, gegen die Linken vorzugehen. Teile der Bewegung haben sich dann auch bewaffnet und es hat sich eine Art Bürgerkrieg auf den Straßen entwickelt. Der Militärputsch hat dann erst 1980 stattgefunden, offiziell, um dem Bürgerkrieg ein Ende zu setzen. Zwischen 1975 und 1980 haben die Angriffe der Grauen Wölfe gegen die Linken aber bereits den Boden für den Militärputsch aufbereitet. Der IWF hatte schon in den Jahren davor, neoliberale Maßnahmen eingefordert, die von der linken Bewegung eine Zeitlang verhindert wurden.
 
 
Warum hat Abidin die Türkei verlassen?
 
NATHALIE BORGERS:
Nach dem Putsch vom 12. September 1980 hatte man als linker politischer Aktivist zwei Möglichkeiten: Entweder man blieb und endete im Gefängnis oder man floh. In gewisser Weise war Abidin enttäuscht, dass die Führung der linken Bewegung kein deutlicheres Zeichen des Widerstands gegen den Putsch gesetzt, sondern sofort aufgegeben hat. Abidin war klar, dass es für ihn, würde er erwischt werden, keine Gnade gab, auch wenn er gar nicht an vorderster Front tätig gewesen war. Dennoch hätten ihn Folter und Gefängnis erwartet. Er ist sofort untergetaucht, nur konnte man auf Dauer nicht erwarten, von Freunden und Familie versteckt zu werden. Es war klar, dass er weg musste. Einige Monate nach dem Putsch – es war gerade das Ende des Weihnachtsurlaubs – ist er mit einem Gastarbeiterbus nach Wien gekommen.
 
 
Wie bei einem Stein, der ins Wasser fällt, zeichnen Sie immer größer werdende Kreise nach: nach den Folgen der Schusswunden in einem Menschen, erzählt der Film auch von den Narben, die die politische Entwicklung in seiner Familie, im näheren Umfeld und in der Gesellschaft hinterlassen haben. Haben Sie damit gerechnet, dass Sie diese persönliche Geschichte in eine so weitreichende Auseinandersetzung mit der politischen Entwicklung der Türkei führen würde?
 
NATHALIE BORGERS:
Mir war der gesamtgesellschaftliche Kontext sehr wichtig, weil ich wollte, dass man versteht, dass damals der Grundstein für die heutige politische Situation gelegt wurde: Nämlich durch Neoliberalismus gepaart mit einem Militärregime, das die Religion ins Spiel gebracht hat und diese beiden Strömungen parallel hat groß werden lassen. Auf einer anderen Ebene hätte ich gerne mehr zu Abidins Geschichte herausgefunden, aber ich konnte viele seiner Familienmitglieder nicht einbeziehen, ohne sie in Gefahr zu bringen. Manche konnten gar nicht sprechen, manche wollten nur zu bestimmten Themen sprechen. Im Laufe der Zeit, in der ich den Film entwickelt habe, hat sich die Lage verkompliziert. Das einst sozialdemokratische Dorf steht heute total hinter der AKP, man kann nicht einfach hingehen und mit den Menschen Interviews führen. Zu manchen Orten wäre allein die Anreise zu gefährlich gewesen. Ich musste also das Spektrum meiner Gesprächspartner:innen ein bisschen breiter aufstellen und habe auch mit Menschen gesprochen, die Abidin nicht kennt.
 
 
Durch Ihre Ehe mit Abidin haben Sie gewiss viel Wissen über die politische Situation in der Türkei durch die türkische Community in Wien. Ist Ihnen dabei auch bewusst geworden, dass eine Diskrepanz zwischen diesem privaten Wissen und dem Wissen in der öffentlichen Wahrnehmung in Österreich, vielleicht im Westen ganz allgemein besteht?
 
NATHALIE BORGERS:
Es ist mir einmal mehr bewusst geworden, wie wenig wir über die Politik in anderen Ländern wissen. Mich eingeschlossen. Wir haben unsere bestimmte Denkweise und durch diese filtern wir alles. Das hält uns manchmal davon ab, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Die Geschichte der Türkei ist sehr kompliziert. Viele Menschen verstehen Umstände nicht. Selbst in unserem Team zeigte sich jemand richtig überrascht zu sehen, dass es Türken gibt, die eine moderne Weltanschauung haben oder Hemd und Pullover tragen. Ich wollte in NARBEN EINES PUTSCHES den Faden zurückverfolgen, wo politischer Wandel seinen Ausgang nimmt. Aber natürlich hatte ich durch Diskussionen mit Abidin und unseren türkischen Freunden ein anderes Wissen, tiefer und präziser über die Türkei als die Allgemeinheit hier. Einfach auch deshalb, weil ich immer wieder viele Fragen stellen musste.
 
 
In der Off-Erzählung sprechen Sie davon, dass Sie irgendwann an einem Punkt waren, wo klar war, dass Sie alleine eine Reise in die Türkei unternehmen mussten, um in Ihrer Suche voranzukommen? Was war dafür der Auslöser?
 
NATHALIE BORGERS:
Obwohl sich Abidin so sehr mit der aktuellen Politik in der Türkei beschäftigt, ist der Teil seiner Lebensgeschichte, der seine Flucht nach Österreich bedingt hat, für ihn abgehakt. Ich kannte mich sehr wenig aus, wollte aber nicht, dass sich mein Wissen allein über seine Perspektive nährt. Ich wollte nicht, dass er mein Guide ist. Es war auch für meine Gesprächspartner:innen etwas anderes, mit mir als mit ihm zu sprechen. Auch wenn sie wussten, dass ich seine Frau bin oder teilweise sogar deswegen. Sie waren gerührt, dass es mir ein persönliches Bedürfnis war, alten Freunden von ihm zuzuhören, um diese Geschichte zu verstehen, die nicht nur seine eigene, sondern die einer ganzen Generation ist.
 
 
Ihre Suche nach Quellen und Archivmaterial startet immer wieder von privaten Fotoboxen aus und umfasst sehr viel beeindruckendes Foto- und Filmmaterial. Im Nachspann liest man von sehr vielen Privatarchiven. Gab es wenig offizielles Material? Können Sie von der Recherche erzählen?
 
NATHALIE BORGERS:
Es gibt auch jede Menge offizielles Material, vor allem beim türkischen Radio und Fernsehen, allerdings war es unmöglich, die Rechte dafür zu bekommen und auch in deren Archiven zu recherchieren. Das TRT (Turkey Radio & Television) wollte einfach nicht mit mir zusammenarbeiten. Manches habe ich immerhin auf Youtube entdeckt. Ich musste mit Fernsehsendern aus Frankreich, Britannien, den USA, Belgien und Österreich arbeiten und ich habe letztlich ziemlich einzigartiges Material gefunden. Darüber hinaus hatten meine Protagonist:innen und auch Vereine Privatarchive.

 
Sie haben auch sehr bewegende Begegnungen mit Frauen, ihrer Schwägerin Kıvanç, Perihan, der Mutter von Cahit, einem Aktivisten, der acht Jahre im Gefängnis verbracht hat und Yeter 
Güneş, die als ganz junge Frau, der Todesstrafe entkommen ist. Was hat Sie dabei besonders beeindruckt?
 
NATHALIE BORGERS:
Die Frauen haben mich sehr beeindruckt. Meine Schwägerin Kıvanç und auch Yeter sind so alt wie ich, d.h. sie waren 16 zum Zeitpunkt des Putsches und Yeter war schon in den Jahren davor mit Herz und Feuer ein (wenn auch kleiner) Teil der Bewegung. Sie ist so jung für ihre Ideale eingetreten. Was mich bei den Frauen sehr beeindruckt hat, war ihre persönliche Überzeugung von sozialer Gerechtigkeit und vor allem auch von Gleichheit zwischen den Geschlechtern. In den Gesprächen mit meiner Schwägerin habe ich sehr schöne Dinge über meinen Mann erfahren. Er hat seine „kleine“ Schwester sehr geliebt und als Jüngste in der Familie sehr gefördert. Ob das nun der Ballettunterricht war, zu dem er sie gegen den Willen des Vaters gebracht hat oder die Bücher, die er ihr gegeben hat. Sie kennt jetzt noch Gedichte von Nâzım Hikmet auswendig, die er ihr vorgelesen hat. Es war rührend zu sehen, wie er sich um sie gekümmert hat und zu sehen, wie Frauen wie z.B. die Mutter von Cahit ihre Söhne unterstützt haben: sie teilte ihre politischen Ideen und hatte gleichzeitig Angst, dass ihre Söhne ihr Leben für einen politischen Kampf lassen könnten. Sie hat immer durchgehalten und hielt es für wichtig.
 
 
Man hört den Begriff Mamak-Mütter (Mamak war das Gefängnis der politischen Gefangenen), Parallelen zu den Militärdiktaturen in Argentinien und Chile werden wach. Welche Schlüsse haben Sie gezogen: Warum waren die politischen Vorgänge, die Diktatur eines General Kenan Evren in der Türkei so viel weniger im Scheinwerferlicht der westlichen Öffentlichkeit als die Diktaturen in Südamerika?
 
NATHALIE BORGERS:
Die Türkei war ein NATO-Land und es gab einen neoliberalen Wirtschaftskurs, der vom IWF eingefordert wurde. Mit welchen Mitteln die Türkei dies innenpolitisch durchsetzte, war dem Westen mehr oder minder egal. Lange genügte es, die Konflikte als rein innenpolitische Konflikte darzustellen, um die internationale Aufmerksamkeit abzulenken. Die Armee galt auch lange als Garant dafür, dass die religiöse Komponente aus der Politik rausgehalten wurde. Laizismus bedeutete im Westen bereits einen riesigen Schritt in Richtung Demokratie. Niemand hat gesehen, dass dieses Militärregime die Religion in der Verfassung verankert hat und jetzt einzig der sunnitische Islam die verpflichtende Religion ist.
 
 
Hatten Sie im Zuge Ihrer Arbeit das Gefühl, dass in dieser Generation der Aktivisten auch ein Wunsch nach Wiedergutmachung war oder zumindest die Geschichtsschreibung diesen Zeiten Tribut zollt?
 
NATHALIE BORGERS:
Diese Menschen, die so viel erlitten haben, geliebte Menschen verloren haben, jahrelang Gefängnis und Folter überlebt haben, haben auch die Erfahrung gemacht, dass sie mit allen oppositionellen Strömungen in einen Topf geworfen und als Terroristen abgestempelt wurden. Es gab mit großem zeitlichen Abstand einige Filme zum 12. September. Darin ging es aber nicht um das Leid der unzähligen Menschen, die nicht einmal politisch aktiv waren, sondern die mit der Bewegung nur sympathisiert haben und zu Opfern der Junta geworden sind. Die Menschen, die sich damals in den siebziger Jahren für eine demokratische Bewegung eingesetzt haben, sind aber nie für die positiven Aspekte ihres Engagements anerkannt worden. Abidin hat auf einer persönlichen Ebene damit abgeschlossen. Er möchte nicht in der Vergangenheit leben, aber das Kapitel ist auf einer breiteren Ebene nicht komplett abgeschlossen. Es wird nicht abgeschlossen sein, solange die Gegner der Demokratiebewegung an der Macht sind. Abidin hält den Neoliberalismus, gegen den er damals gekämpft hat, tatsächlich für ein Übel und tut das auch weiterhin. Dass ihnen soviel genommen wurde, dafür dass sie für ein humanistisches Ideal, das niemandem Böses will, gekämpft haben, das ist eine riesige Wunde. Daher versuchen die Vereine, die Erinnerung an die Opfer dieses Kampfes wachzuhalten mit Ausstellungen, Dokumentationen oder Gedächtnisfeiern, die auch in Deutschland stattfinden. Solidarität untereinander ist nach wie vor besonders wichtig, auch wenn sie heute weit verstreut leben. Sie denken so solidarisch, so wenig individuell, dass es sogar schwierig war, mit ihnen zu drehen. Ich habe immer wieder nach persönlichen Erfahrungen gefragt und sie haben immer in Wir-Formulierungen geantwortet!
 
 
SCARS OF A PUTSCH spannt einen Bogen zu Ihrer letzten Arbeit The Remains – nach der Odyssee und unterstreicht, wie sehr Sie die Bedeutung der Erinnerungsarbeit beschäftigt. Was führt Sie als Künstlerin immer wieder in die Thematik des Erinnerns?
 
NATHALIE BORGERS:
So habe ich es bewusst nie gesehen. Aber in der Tat, es wird mich auch in meiner nächsten Arbeit ein Thema der Vergangenheit beschäftigen. Ich glaube, wenn die Vergangenheit nicht bearbeitet wird, dann geht es an die Nachkommen weiter. Krankheiten, psychische Beschwerden existieren auch deshalb, weil etwas nicht an- oder ausgesprochen, nicht bearbeitet wurde und deshalb tiefe Wunden bleiben. Je mehr man sie zur Seite schiebt, umso stärker kommen sie an anderer Stelle zurück.
Was mich beschäftigt, sind die traumatischen Erfahrungen der Menschen und die Frage, was sie damit machen. In The Remains – Nach der Odyssee und NARBEN EINES PUTSCHES gibt es klare politische Ursachen für die gewaltsamen Erfahrungen, die die Menschen in meinen Filmen gemacht haben. In The Remains geht es nicht direkt um das Assad-Regime in Syrien, sondern um das Schicksal der geflüchteten Menschen, die im Mittelmeer ertrinken als direkte Konsequenz. Diese Menschen sind ein Spielball der Politik, sie zählen für die politischen Entscheidungsträger rein gar nichts, aber sie müssen damit leben und die nächsten Generationen auch.
 
 
Ihre Filme sind ein Beitrag zur Traumaaufarbeitung. Viel grundsätzlicher aber geben Sie Ereignissen und Menschen Sichtbarkeit und Existenz. Es ist eine Arbeit gegen das Verschwinden.
 
NATHALIE BORGERS:
Menschen, die meine Filme sehen, können ein Gespür für Erfahrungen von Menschen entwickeln, die sie nicht kennen. Und vielleicht kennen sie jemanden wie eine Person aus dem Film. Meine Filme erfüllen zwei Anliegen:  für die Zuschauer:innen, dass sie Verständnis für die Erfahrungen anderer Menschen und den Kontext, indem diese stattgefunden haben, entwickeln; für meine Protagonist:innen, dass ihre traumatischen Erfahrungen nicht in Vergessenheit geraten. Das liegt mir am Herzen, gleichzeitig geschieht es sehr unbewusst, dass ich mich immer wieder in einer ähnlichen Grundthematik bewege. Mein nächstes Projekt ist ein Spielfilm, in dem es um meine eigene Familiengeschichte und deren Verwicklung in Belgiens Kolonialzeit geht. Einmal mehr stehen die Konsequenzen der Politik auf das individuelle Schicksal im Zentrum. In diesem Projekt wird es um das Schicksal von Frauen gehen. Das ist noch ein toter Winkel in der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte.
 
 
Interview: Karin Schiefer | AUSTRIAN FILMS
Jänner 2025
 
 
 
 
 


«Dass ihnen soviel genommen wurde, dafür dass sie für ein humanistisches Ideal, das niemandem Böses will, gekämpft haben, das ist eine riesige Wunde.»