INTERVIEW

«Dieser Tag hat alles verändert.»

Als die Taliban am 15. August 2021 die Macht ergriffen, hatte Afghanistan eine repräsentative Vertretung an der Wiener Ringstraße und in Manizha Bakhtiari eine engagierte Botschafterin. So uneindeutig von diesem Tag an deren Funktion war, so klar war ihre kritische Haltung gegenüber den neuen Machthabern. Beeindruckt von ihrem Mut wollte Natalie Halla die Wochen des Übergangs begleiten. Entstanden ist in DIE LETZTE BOTSCHAFTERIN eine Langzeitdoku, denn dreieinhalb Jahre später hält ihre Protagonistin an ihrem Status fest und nutzt ihn, um angesichts der erschütternden Situation der Frauen in ihrem Land an die Welt zu appellieren.
 
 
Sie widmen Ihren Dokumentarfilm DIE LETZTE BOTSCHAFTERIN Manizha Bakhtari, die ein halbes Jahr vor der Machtübernahme der Taliban zur Botschafterin Afghanistans in Österreich ernannt wurde. Wer ist Ihre Protagonistin? Was hat sich seit August 2021, was den Status der Botschaft Afghanistans in Wien betrifft, getan?
 
NATALIE HALLA:
Bevor Manizha Bakhtari Botschafterin in Wien geworden ist, war sie mehrere Jahre lang Botschafterin in den nordischen Staaten und zuvor als Journalistin tätig. Ich hatte sie bereits vor der Machtübernahme der Taliban am Schirm, weil sie wenige Wochen davor ins österreichische Innenministerium einberufen wurde, nachdem sie öffentlich darauf aufmerksam gemacht hat, wie gefährlich gerade die Abschiebung für afghanische Flüchtlinge sei. Ich dachte mir, „mutige Frau“. Meine nächste Wahrnehmung war dann das ZiB2-Interview mit Armin Wolf nach der Machtergreifung der Taliban, von dem auch ein Ausschnitt im Film zu sehen ist. Dieses Gespräch hat mich berührt. Es sagt alles über ihre Persönlichkeit und ihren Mut aus. Intuitiv dachte ich mir, dass es wohl ein Ding der Unmöglichkeit sei, in dieser politischen Situation im diplomatischen Kontext, der von vielen undurchschaubaren Barrieren geprägt ist, einen Film zu machen. Es war aber ein spontaner Wunsch. Ich habe sie nach diesem TV-Interview kontaktiert und sie gebeten sie bis zum Ende ihres Mandats filmisch begleiten zu dürfen. Jetzt, beinahe vier Jahre später, ist sie immer noch Botschafterin. Von den Taliban wurde sie zwar abberufen, doch das Taliban Regime ist international nicht anerkannt. So macht sie weiter. Damit haben wir beide nicht gerechnet.
 
 
Wie ist es Ihnen gelungen, sie zum Einstieg ins Projekt zu bewegen?
 
NATALIE HALLA:
Ich hab sie auf ganz offiziellem Weg per Mail kontaktiert und meinen Wunsch deponiert. Sie hat mir sehr diplomatisch und höflich abgesagt. Da sie ein liebenswürdiger und offener Mensch ist, hat sie mich aber in die Botschaft eingeladen. Und dieser Besuch war die Gelegenheit, wo ich sie zum Film überreden konnte. Ich habe ihr versichert, jederzeit abzubrechen, wenn dies ihr Wunsch war. Der Mensch stand für mich immer im Vordergrund. Ich habe ihr bis zur Fertigstellung, auch über einzelne Szenen, ein absolutes Veto-Recht eingeräumt. Das war natürlich ein gewagter Deal. Umso aufregender war für mich die finale Sichtung mit ihr. Als sie dann den Film begeistert abgenommen hat, habe ich vor Erleichterung geweint.
 
 
Was hat sich im Herbst 2021 bezüglich des Status der afghanischen Botschaft in Wien getan?
 
NATALIE HALLA:
Manizha Bakhtari hat sich von Beginn an offen kritisch gegenüber den Taliban geäußert und sich damit in die Frontlinie gebracht. Sie war von Beginn an auf der Abschussliste. Es gab weder Geld für die Botschaft noch direkten Kontakt zu den Taliban und es gab noch eine überschaubare Menge an Blanko-Reisepässen, die irgendwann zu Ende waren. Sie mussten aus den repräsentativen Räumlichkeiten an der Wiener Ringstraße ausziehen, weil es nicht mehr bezahlbar war. Ich habe eigentlich von Beginn an ein sinkendes Schiff begleitet, was sich nicht nur auf die Botschaft, sondern auf ein ganzes Land bezieht.
 
 
Manizha Bakhtari hat als ausgebildete Journalistin auch an der Universität in Kabul unterrichtet. Was hat sie bewogen, in den diplomatischen Dienst ihres Landes zu treten?
 
NATALIE HALLA:
Sie ist und war schon immer eine Frauenrechtlerin und sehr engagierte Feministin, was angesichts ihrer Herkunft besonders bemerkenswert ist. Sie war zuvor im Außenministerium tätig und hat das Angebot der Diplomatie als Chance gesehen, als starke Frau ihr Land vertreten und so auch mehr bewegen zu können. Sie hat alle ihre beruflichen Positionen als Plattform genützt, um für die Rechte der Frauen und Mädchen in Afghanistan einzustehen. Das hat sich nie geändert. Die Situation war ja auch vor den Taliban alles andere als perfekt, jetzt ist es nur viel schlimmer.
 
 
Eine Botschafterin ist eine öffentliche, aber auch private Person zugleich, umso mehr als sie als einzelne Protagonistin Ihnen gegenübersteht. Die Kamera ist ihr oft sehr nahe, dennoch behält sie trotz all der schwierigen und emotionalen Herausforderungen ihre Aura als Botschafterin? Wie ist Ihnen gemeinsam mit Kamerafrau Judith Benedikt die Gratwanderung gelungen?
 
NATALIE HALLA:
Ich glaube, das hat sie selber geschafft. Ich hätte mir gewünscht, ihr filmisch noch näher zu kommen. Privat ist mir das ja gelungen. Diese Aura einer Botschafterin zu durchbrechen, war nicht immer möglich. Das war sicherlich einer der Knackpunkte in der Arbeit. Wir wollten natürlich, dass die Zuschauer:innen ihr auch als Mensch nahekommen und wir nicht an dieser Fassade der Botschafterin hängen bleiben. Aber ich denke im Endresultat ist uns diese Gratwanderung geglückt.
 
 
Der Film hatte als Arbeitstitel Tagebuch einer Botschafterin. Für das Narrativ und den Schnitt ist eingangs Birgit Foerster genannt. Welche Rolle spielten sie im Laufe des Drehprozesses, der ein work in progress gewesen sein muss?
 
NATALIE HALLA:
Birgit Foerster hat eine ganz wichtige Rolle gespielt, am Ende des Montageprozesses waren wir dann mit Jordan Bryon zu dritt. Birgit hat den Film eineinhalb Jahre durch den gesamten Schnittprozess begleitet. Ihr ist es gelungen, in den Film und in die Seele der Botschafterin einzutauchen. Wir sind gemeinsam durch Höhen und Tiefen gegangen, ich habe noch nie einen so schwierigen Film gemacht. Man sieht es dem Film jetzt nicht an, weil viele Szenen jetzt punktgenau dort sind, wo sie hingehören. Das war aber nicht immer der Fall. Ich habe einen Menschen portraitiert, dessen Beruf weder ästhetische noch spektakuläre Bilder generiert. Es geht im Film um eine Person, die redet. Wie stellt man es an, dies emotional ergreifend zu gestalten und eine Spannung zu halten? Wie schwierig das ist, war mir am Anfang meiner Reise nicht bewusst.
 
 
Ein strukturierendes Element ist die der Zählung der Tage. Welcher Stichtag ist mit dem Tag Null angesetzt und warum?
 
NATALIE HALLA:
Tag Null ist der Tag der Machtübernahme der Taliban, also der 15. August 2021. Diese Idee der Zählung habe ich von der Botschafterin übernommen. Sie hat mit diesem Datum die Tage zu zählen begonnen, an denen die Mädchen nicht mehr zur Schule gehen durften. Sie zählt auch jetzt noch mit. Ich habe es als guten roten Faden empfunden. Am Ende stehen wir bei 1200 Tagen. Das ist eine ungeheuerliche Zahl. Mit diesem Tag Null gibt es ein Davor und ein Danach in der afghanischen Gesellschaft, dieser Tag hat alles verändert.
 
 
Manizha Bakhtari spricht meistens Englisch. Die Passagen mit ihrer Off-Stimme spricht sie auf Farsi. Warum hat sie sich dafür entschieden?
 
NATALIE HALLA:
Das ist auch dem Wunsch, ihr möglichst nahe zu kommen, geschuldet. Wenn sie Englisch sprach, war sie automatisch mehr in der Botschafterinnen-Rolle; auf Farsi war sie mehr Manizha. Wir hatten das Glück, dass Jordan Bryan Farsi spricht und es hatte den doppelten Vorteil, dass er außerdem das Interview mit ihr führen konnte, zu einem Zeitpunkt, wo wir beide uns schon fast zu nahe waren. Er konnte auf eine andere Art und Weise in die Tiefe graben. Und es war auch Manizhas Wunsch, dieses Gespräch auf Farsi zu führen. Jordan ist ein australischer Filmemacher, der einige Jahre in Afghanistan gelebt hatte und den wir im Laufe des Projekts kennengelernt haben. Er war eine perfekte Erweiterung unseres Teams.
 
 
Die politische Situation in Afghanistan lässt es zurzeit nicht zu, dass man ins Land fährt und die aktuelle Lebenssituation dokumentiert. Wie ist es Ihnen gelungen, Bilder aus Afghanistan zu bekommen? Welche Erwägungen, Quellen und Möglichkeiten gab es, an Bilder heranzukommen?
 
NATALIE HALLA:
So sehr ich gerne nach Afghanistan reisen möchte, es hätte keinen Sinn gemacht. Ohne Menschen in Gefahr zu bringen, hätte ich gar nichts für diesen Film drehen können. Wir haben auf alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zurückgegriffen. Man sieht ja auch, dass es ein Potpourri an Materialien gibt. Wir haben über ein Mädchen aus dem Daughters-Projekt, mit der wir ständig in Kontakt waren, Handymaterial und somit Bilder der aktuellen Gefühlslage bekommen. Es gibt Bilder aus Sozialen Medien, ein paar Aufnahmen von Getty-Images, vor Ort waren zwei Kameraleute, die eher generelle Aufnahmen beisteuern konnten, die dann aber kaum zum Einsatz kamen, weil sich unser Narrativ geändert hat. Und wir haben auf qualitativ hochwertig gedrehtes Material von Jordan Bryon zurückgreifen können.
 
 
Unheimlich ist das Eröffnungsbild, das offensichtlich auf einem Markt aufgenommen wurde. Unterschiedlich bekleidete Kleiderpuppen hängen an einer Stange, die Köpfe der Puppen sind in Plastiksäcke eingepackt. Wie ist dieses Bild zu verstehen?
 
NATALIE HALLA:
Es ist eine Einstellung, die auf einem ganz normalen Markt in Kabul aufgenommen worden ist. Es hat mich so schockiert und ist gleichzeitig ein Symbolbild, das ich nicht umsonst als Eröffnung gewählt habe. Es reiht sich in die Bilder aus der Stadt ein, die man später im Film sieht, wo die Augen und Münder von Frauen auf großen Werbeplakaten wie ausradiert sind. Das entspricht der Ideologie der Taliban – die Auslöschung des halben Teils der Gesellschaft.
 
 
Gerne würde ich noch auf die Handybilder des Mädchens Zakhia zurückkommen, die Teil des von Manizha initiierten und bereits erwähnten Daughters-Programms ist. Welche Idee steht hinter diesem Programm?
 
NATALIE HALLA:
Die Idee zu den Handybildern ging auf meine Suche zurück, wie ich die aktuelle Realität aus Afghanistan abbilden könnte. Ich wusste, dass die Botschafterin zwei Mädchen durch dieses Programm betreut und habe den Vorschlag gemacht, dass wir über die Mädchen zu selbstverständlich anonymisierten Bildern kommen können. Eine Familie war bereit mitzumachen und wir haben versucht, regelmäßig Handyvideos zu bekommen. Wir haben sie ein bisschen instruiert, um brauchbare Bilder zu bekommen, prinzipiell sind es lauter spontane Aufnahmen.
Das Daughters-Programm ist im Laufe des Films als Reaktion auf das Bildungsverbot für Mädchen entstanden. Es wurde von Manizha und einigen Diaspora-Frauen ins Leben gerufen, um trotz dieses Ohnmachtsgefühls, dass da gerade die Zukunft der Mädchen an die Wand gefahren wird, konkrete Handlungen zu setzen. Es sind jetzt schon unwiederbringlich verlorene Jahre. Das Daughters-Programm ist eine von vielen Initiativen, die entstanden sind, um den Mädchen dort zu helfen. Ich würde mich sehr freuen, wenn als Nebeneffekt des Films, viele Menschen davon erfahren und dieses Programm unterstützen. Das gespendete Geld wird direkt an die Familien überwiesen, es geht nichts in Strukturkosten verloren. Ich halte es für eine schöne Idee, mit der man wirklich etwas bewirken kann.
 
 
Sie haben im Zuge der Dreharbeiten auch eine Reise nach Tadschikistan unternommen. Sind Sie damit einem Wunsch von Manizha Bakhtari nachgekommen, möglichst nahe an die Grenze zu Afghanistan zu gelangen?
 
NATALIE HALLA:
Die Reise war Manizhas Wunsch. Sie gehört der tadschikischen Minderheit in Afghanistan an. Tadschikistan ist kulturell Afghanistan sehr nahe. Dass wenigstens an die Grenze zu Afghanistan zu kommen und die Erde zu berühren, ein Wunsch war, wusste ich aus unseren Gesprächen. Es war ungewiss, ob wir es bis zur Grenze schaffen würden, aber es war auch für mich ein wichtiger Schritt, weil es vieles konkreter gemacht hat. Wie Manizha sich dann dort verhalten würde, war völlig offen und dadurch ist eine sehr bewegende Schlussszene entstanden. Sie ist einem eigenen Impuls folgend, weg vom Weg einige Schritte in diese Halbwüste gegangen. Es war ein Moment, der für uns alle sehr ergreifend war.
 
 
Manizha Bakhtari begibt sich durch ihre öffentlich geäußerte Haltung auch in Gefahr. Wie hat der Umgang mit der Gefahr Ihre und Manizhas Vorgehensweise bestimmt?  Waren Zweifel und Abwägen der Gefahr Gesprächsstoff zwischen Ihnen beiden?
 
NATALIE HALLA:
  Die Prämisse „nur niemanden in Gefahr zu bringen“, hatte ich die ganze Zeit im Hinterkopf. Manizha selbst ist eine so mutige Person, dass man, wenn man sie begleitet, selbst keine Angst hat. Sie strahlt keine Angst aus, auch wenn sie, objektiv gesehen total gefährdet ist. Wir haben im Schnitt immer vermieden, ihren Wohnort identifizierbar zu machen. Die Adresse der Botschaft ist allerdings bekannt. Wenn jemand ihr schaden will, braucht es nicht meinen Film dazu. Ich habe nicht das Gefühl, dass der Film eine Gefahrenquelle darstellt. Die Exilkonferenz im Kreisky-Forum war ein spezieller Fall. Wir haben alles gefilmt und von jedem:r Redner:in die Zustimmung eingeholt. Es gibt inzwischen aber von diesem Vienna Process eine Homepage, das ist alles nicht mehr ganz anonym. Als wir es gefilmt haben, hatte ich nicht daran geglaubt, dass das Material Einzug in den Film halten könnte. Aber die Dinge haben sich weiterentwickelt.
 
 
Was Sie in diesen Film auch einfließen lassen, ist der Aspekt, was es für Manizhas Familie heißt, dass sie sich einer größeren politischen Sache voll und ganz verschreibt. Interessanterweise ist es hier die Frau, die diesen entschlossenen Weg geht. Wie haben Sie das miterlebt?
 
NATALIE HALLA:
Natürlich ist sie eine Zerrissene. Es ist ihr bewusst, dass, auch wenn sie furchtlos ist, ihr Mann und ihre Kinder Angst um sie haben. Dieser Aspekt war mir sehr wichtig. Ich kenne das aus der eigenen Biografie. Ich habe auch drei Kinder und dieser Umstand schwingt im Hintergrund immer mit, wenn man Entscheidungen zum eigenen Lebensweg trifft. Manizha geht ihren Weg und ich hätte gewiss diesen Film auch nicht gemacht, wenn ich eine ganz ängstliche Mutter wäre. Den Zwiespalt oder dass man für eine Leidenschaft, für eine wichtige Causa etwas opfert und das auch die eigene Familie betreffen kann, ist eine Tatsache, die vor allem viele Frauen kennen. Statt eines Tagesbuchs ist der Film ja vielmehr ein Portrait geworden und dieser Aspekt ist ein Teil von ihr.
 
 
Sie haben in diesem Zusammenhang ja auch mit Manizhas Mann gesprochen.
 
NATALIE HALLA:
So wie Manizha das Klischee einer typischen afghanischen Frau bricht, so tut das auch ihr Mann. Das zeigt auch, dass es genug Leute abseits schablonenhafter Wahrnehmungen gibt, die wir nicht sehen. Wir hören und sehen oft nur eine Seite der Realität. Ich fand ihren Mann sehr sympathisch, intelligent und lustig. Ich habe ihn nicht sehr oft gesehen, das erste Mal leider beim Begräbnis von Manizhas Vater in den USA. Sie hat einen tollen Partner an ihrer Seite, obwohl es, wie wir aus dem Hochzeits-Video erfahren, eine arrangierte Heirat war. Sie hatten einander gar nicht gekannt. Glück gehabt und es ist schön zu sehen, dass die Beziehung an den äußeren Umständen und der Distanz noch nicht zerbrochen ist.
 
 
Sie haben eingangs erwähnt, dass Sie nicht damit gerechnet hatten, dass sie Manizha Bakhtari so lange begleiten würden. Eine schwierige Frage in einer Langzeitbeobachtung ist die nach dem richtigen Schlusspunkt. Wie hat sich das Ende der Dreharbeiten herauskristallisiert?
 
NATALIE HALLA:
Ein Schlusspunkt hat sich ganz natürlich aus budgetären Gründen ergeben. Ich hatte mit zwei Jahren gerechnet, es gab aber Verständnis seitens der Förderer, dass es mehr Zeit brauchen würde. Entsprechend mussten wir Deadlines verlängern. Irgendwann muss man einen Schlusspunkt setzen, umso mehr, als keine konkrete Entwicklung absehbar ist. Darauf zu warten, dass die Manizha als Botschafterin abdankt, weil die Taliban internationale Anerkennung als Regime erhalten haben, ist nicht absehbar und das war ja auch alles andere als mein Wunsch. Der Film hat ein offenes Ende. Die Taliban sind nach wie vor an der Macht, da hat sich nichts geändert, außer, dass es für die Menschen dort von Tag zu Tag schlimmer wird; an Manizhas Situation hat sich wenig geändert, außer, dass es von Tag zu Tag schwieriger wird. Wir haben uns einfach einen letzten Dreh gesetzt, um dann ganz in den Schnitt überzugehen. Es gibt im Film kein Ereignis, das ein Ende deutlich machen würde und doch haben wir ein starkes, wunderschönes Ende.
 
 
Welche möglichen Interpretation sehen Sie im Titel DIE LETZTE BOTSCHAFTERIN?
 
NATALIE HALLA:
Es hat zuvor schon nur zwei Botschafterinnen Afghanistans gegeben, Manizha Bakhtari ist die letzte Frau, die geblieben ist und ihren Status verteidigt. Sie ist praktisch die Diplomatin, die laut und offen ihre Haltung gegenüber den Taliban ausspricht. Ich finde, The Last Ambassador ist ein spannender Titel und ich habe ihn zum ersten Mal in einem Interview mit ihr in einem amerikanischen Medium gelesen. Ich fand ihn so treffend, dass ich anfragte, ob ich ihn als Filmtitel übernehmen könnte. Der Film ist dennoch auch eine Art von Tagebuch geblieben.
 
 
Wie sieht Ihr Letztstand punkto Zugang zur Schulbildung für Mädchen aus? Welche Konsequenzen hat das Urteil des EuGH, dass die Politik der Taliban für Frauen aus Afghanistan als ein Akt der Verfolgung gilt?
 
NATALIE HALLA:
Ich nehme an, das Urteil des EuGH wird etwas bewirken, ob es das kurzfristig tut, kann ich nicht einschätzen. Ob die Frauen in Afghanistan davon Kenntnis haben und es ihnen ein Fluchtmotiv bietet, kann ich auch nicht einschätzen. Für Frauen, die im Ausland leben, ist es gewiss ein Schutz. Die Situation für die Frauen im Land verschlechtert sich von Woche zu Woche, weil immer mehr Dekrete gegen Frauen erlassen werden. Eines der letzten besagt, dass Fenster von Räumen, die auf Orte ausgerichtet sind, an denen sich Frauen aufhalten, zugemauert werden müssen. Die Trennung der Geschlechter wird ins Unfassbare weitergetrieben. Öffentliche Schulen sind geschlossen und auch der Besuch privater Kurse wird immer schwieriger. Frauen dürfen praktisch keiner Arbeit mehr nachgehen, sie werden in Krankenhäusern nicht behandelt. Die Frauen gebären zu Hause, was die Säuglings- und Frauensterblichkeit in die Höhe treibt. Aber all das wird von der Weltöffentlichkeit hingenommen. Wirtschaftlich geht es dem Land schlecht, es sind ja ungebildete Landburschen an der Macht, die keine Erfahrung in politischer Führung mitbringen. Internationale Kooperationen und Wirtschaftsbeziehungen sind gekappt. NGOs ziehen sich auch aus Sicherheitsgründen zurück. Natürlich kann so ein Land nur den Bach runtergehen.
 
 
Kann man sagen, dass es kaum mehr berufstätige Afghaninnen gibt?
 
NATALIE HALLA:
Kaum mehr. Auf Volksschulniveau werden Mädchen von Frauen unterrichtet. Universitäten sind Frauen verboten, es werden also keine neuen Ärztinnen ausgebildet. Der Abbau ist progressiv vonstatten gegangen. Zunächst waren die Unis für junge Frauen noch offen, die Taliban haben ja versucht, der internationalen Presse ein veränderte Haltung Frauen gegenüber zu verkaufen. Diese erste Pressekonferenz der Taliban ist Teil des Films: Women are a key part of society…aber es war alles nur gelogen.


Interview: Karin Schiefer
March 2025


 
 
 
 




«Frauen dürfen praktisch keiner Arbeit mehr nachgehen, sie werden in Krankenhäusern nicht behandelt. Die Frauen gebären zu Hause, was die Säuglings- und Frauensterblichkeit in die Höhe treibt. Aber all das wird von der Weltöffentlichkeit hingenommen.»