Ruth Mader entwirft in Life Guidance die Zukunft als Abbild der Gegenwart, wo sich unmerklich und effizient die Schrauben eines Überwachungssystems weiterdrehen.
Ein Gespräch über die Dreharbeiten mit der Regisseurin, Hauptdarsteller Fritz Karl und Produzentin Gabriele Kranzelbinder.
RUTH MADER (Regie)
«Gemeinsam mit meinem Ko-Autor Martin Leidenfrost haben wir herausdestilliert, was uns an der fröhlichen, kapitalistischen
Welt stört, die uns auch noch vorschreibt, wie wir uns zu benehmen haben.»
Wir kennen Sie als scharfe Beobachterin gesellschaftlicher Verhältnisse, deren Beobachtungen sich immer am Grat zwischen Realität
und Fiktion bewegen. Was hat Sie nun veranlasst, für Ihren neuen Film Life Guidance eine (leicht) dystopische Welt zu entwerfen?
RUTH MADER: Diese in der Zukunft liegende Welt, die sich nur ganz wenig von unserer Gegenwart unterscheidet, ist eine Konsequenz aus einem
langen Nachdenkprozess mit meinem Ko-Autor Martin Leidenfrost. Wir haben uns lange Stunden darüber unterhalten, was für ein
Unbehagen wir in unserer aktuellen Gesellschaft wahrnehmen, ohne den genauen Grund dafür eruieren zu können. Es hat eine Weile
gedauert, bis wir es herausdestilliert hatten, was uns an der fröhlichen, kapitalistischen, transparenten Welt störte, die
uns auch noch vorschreibt, wie wir uns zu benehmen vor haben. Das versuchten wir in eine gute Fiktion zu gießen.
Im Titel Life Guidance schwingt vor allem das wachsende Streben nach der Selbstoptimierung des einzelnen mit. Worin liegen für Sie in den aktuellen
gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen die beunruhigendsten Momente?
RUTH MADER: Was mich am stärksten beunruhigt ist, dass einem vorgegeben wird, wie man zu denken hat. Gewisse Dinge darf man nicht mehr
aussprechen oder es werden dafür immer neue Formulierungen gefunden. Auf den Punkt gebracht, würde ich sagen, es stört mich
das politisch Korrekte. Dass wir über unser Telefon und unsere Bankomatkarte völlig durchschaubar sind, setzen wir unserer
Fiktion voraus. Die Daten sind preisgegeben und die Mitarbeiter der Agentur Life Guidance können jederzeit bei jedem zu Hause auftauchen und ihn oder sie psychologisch bestens geschult optimieren.
Wie ließ sich beim Schreiben diese Balance zwischen der Gegenwart und einer leichten Zukunft, die kaum sichtbar sein sollte,
halten?
RUTH MADER: Es war ein langer Schreibprozess über zwei Jahre hinweg. Man entwickelt beim Schreiben ein Gefühl für diese Gratwanderung
zwischen Realität und leichter Zukunftsvision.
Es kommen in der Geschichte drei Generationen vor: Alexander, der Protagonist, sein Vater und sein Sohn. Wofür stehen diese
jeweiligen Generationen?
RUTH MADER: Der Vater steht für eine alte Welt, er kommt mit dem gegenwärtigen System nicht zurecht, da er aber in einem Pflegeheim lebt,
kann er nichts mehr dagegen unternehmen. Alexander ist ein Repräsentant der Leistungsträgergesellschaft, funktioniert darin,
spürt aber, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Das Kind hat das neue Credo bereits komplett verinnerlicht. Als er eines
Tages seinen Vater weinen sieht, sagt er zu ihm: Papa, das ist nicht optimal. Mit diesem Moment wird die Geschichte
losgetreten.
Wie sahen ihrerseits die Vorgaben an Departments wie Szenenbild aus?
RUTH MADER: Wir wussten, dass wir mit einem hohen Maß an Abstraktion arbeiten mussten, und gleichzeitig musste unsere jetzige Welt noch
gut erkennbar sein. Ein gutes Vorbild für das Szenenbild war Clockwork Orange. Nicht wegen des Retro-Looks, sondern weil es eine so zeitlose gesellschaftliche Science Fiction ist. Alles wird darin sehr
reduziert, aber dennoch deutlich erzählt. Alexanders Haus in Life Guidance lehnt sich sehr stark an die klassische Moderne an, die Schlafburgen haben wir im Karl Seitz-Hof angesiedelt, der wiederum
an die sozialistischen Utopien des frühen 20. Jahrhunderts anspielt. Im Kostüm ging es darin, die obere Mittelschicht von
den Working Poor der Unterschicht zu unterscheiden und den Klassenunterschied auf den ersten Blick spürbar zu machen. In den
Schlafburgen gehen die Menschen in bunt zusammengestoppelter Kleidung umher. Es arbeiten mit Tanja Hausner sowie Renate Martin
und Andreas Donhauser exzellente Leute für Kostüm und Szenenbild. Für sie hieß es, einige Sachen nachzuempfinden, viel zu
adaptieren und zu erkennen, wie existierende Dinge einsetzbar sind. Sie bewegten sich durch Wien und standen vor der Frage
Aus welchen Ecken filme ich wie, damit es nach einem tollen Film ausschaut, der in der Zukunft spielt?
Das ist gar nicht so leicht. Wir haben deshalb auch schon im April mit der Motivsuche begonnen.
Arbeiten Sie zum ersten Mal mit Christine A. Maier zusammen?
RUTH MADER: Uns verbindet eine Freundschaft, die in unsere Studienzeiten an der Filmakademie zurückreicht. Wir haben damals schon ein
Projekt an der Filmakademie gemeinsam gemacht einen Experimentalfilm mit Rückprojektionen, in den wir viel Arbeit und
Tüftelei gesteckt haben, der aber nie fertig geworden ist. Die Kamera für Life Guidance bedeutet weniger Tüftelei als viel mehr akribische Vorbereitung, weil wir das beide für sehr wichtig halten. Und dennoch
stoßen wir beim Dreh auf Herausforderungen, mit denen wir nicht gerechnet haben und die sich erst jetzt beim Dreh erweisen,
wie z.B. bei den Autofahrten, weil die ganz modernen Autos Scheiben haben, durch die man nicht mehr durchkommt. Künstlerisch
wird es eine sehr schöne Arbeit. Bilder und Licht sind sehr passend für die Geschichte und einfach sehr schön.
FRITZ KARL (Hauptdarsteller)
«Alexanders Verfehlung ist ein Moment, wo ihm aus Weltschmerz oder Melancholie eine Träne herunterrinnt. Kein
großes Ding, aber es löst etwas Großes aus.»
Life Guidance bewegt sich in einer Welt, die unserer Gegenwart sehr ähnlich ist und dennoch schon in einer Zukunft liegt. Sie spielen die
Hauptfigur Alexander, der sich erfolgreich in dieser Gesellschaft positioniert hat, dem aber doch einiges beginnt, unheimlich
zu werden? Was hat Ihre Figur an Gegenwärtigem, was an Irrealem?
FRITZ KARL: Beim Lesen des Drehbuchs von Life Guidance sagte ich mir oft, Moment mal, das gibt es doch schon. Viele Dinge kommen uns schon bekannt vor, für den Filmwurden sie etwas
radikaler ausgeformt. Beim Dreh ist es mir manchmal so ergangen, dass ich die Statisten nicht mehr von den realen Personen
auseinanderkennen konnte, d.h. Realität und Fiktion quasi deckungsgleich waren. Das spricht natürlich für die Departments
vom Szenenbild und vom Kostüm, wenn sich so ein Eindruck einstellt. Alexander ist eine Identifikationsfigur, die durch den
gesamten Film führt. Er gehört den Finanzdienstleistern also der Oberschicht an, nicht aber der herrschenden Schicht.
Wir befinden uns in keiner Diktatur, es herrscht nach außen hin ein demokratisches System. Alexander ist in den Fängen eines
Turbo-Kapitalismus, wo es Gewinner gibt, die arbeiten und Verlierer, die in Schlafburgen mit Medikamenten und Musik ruhig
gestellt werden. Die Oberschicht handelt nur noch am Finanzsektor und hat mit dem realen Leben und Arbeits- und Produktionsprozessen
nichts mehr zu tun. Ganz oben ist eine herrschende Schicht, die zu den erfolgreichen Menschen sagen kann: Ihr wolltet
doch alles so: das diätische Essen, den organisierten Sport in der Freizeit. Warum beschwert ihr euch jetzt? Alexander
ist einer der wenigen, der etwas in Frage zu stellen beginnt und auch nur deshalb, weil plötzlich eine Agentur in seinem Leben
auftaucht, die dann einschreitet, wenn die Menschen nicht mehr optimal funktionieren, um sie wieder auf die optimale Spur
zu bringen.
Hatte er bis dahin das Gefühl, in Freiheit zu leben?
FRITZ KARL: Bis dahin hat er das Gefühl, in Freiheit zu leben und kommt jetzt erst drauf, dass er eigentlich nie wirklich frei war.
Das Perfide an seiner Geschichte ist es, dass es für ihn nicht nachvollziehbar ist, welch ein Vergehen er begangen hat, das
ganz subtil seinen Abstieg in Gang zu setzen scheint.
FRITZ KARL: Es ist keinerlei äußerer Verfall erkennbar. Er geht weiterhin arbeiten, aber er wird überwacht. Er ist nicht völlig desperat,
doch werden ganz subtil Kräfte wirksam und sind daher umso treffender und effizienter. Der Moment der Verfehlung
ist ein Moment, wo ihm aus Weltschmerz oder Melancholie eine Träne herunterrinnt. Das Kind sieht das, sagt sich Das
ist nicht optimal und zeigt ihn an. Kein großes Ding, aber es löst etwas Großes aus. Das erinnert an Zeiten der Diktatur,
wo Eltern vor den eigenen Kindern Angst haben mussten, dass sie in der Schule oder in den Verbänden ausplauderten, was zu
Hause gesagt wurde.
Ruth Mader gilt als eine Regisseurin, die sehr genau arbeitet und sehr genaue Vorstellungen hat. Wie bereitet sie die Schauspieler
auf den Dreh vor?
FRITZ KARL: Ich weiß schon sehr lange, dass ich diese Rolle spielen würde und habe Ruth immer wieder getroffen, um mich mit ihr über
das Buch zu unterhalten. Vor dem Dreh gab es noch eine Probenphase. Ich finde die Arbeit mit ihr sehr, sehr spannend, weil
ich selten auf einen Regisseur oder eine Regisseurin getroffen bin, die so genau und bedingungslos ihren Weg verfolgt. Da
muss man sich als Schauspieler sagen: Okay, du bist der Kapitän. Ich bin bei dir an Bord. Wohin geht die Reise? Ich
bin dabei. Diese Entscheidung muss man bei jedem Film fällen, aber in Life Guidance ist alles besonders minutiös geplant und das macht die Qualität dieser Arbeit aus. Von dieser Sorte RegisseurInnen gibt es
nicht viele, Ruth Mader gehört da dazu. Es ist für mich eine unglaubliche Entdeckung und es macht ganz großen Spaß, auch wenn
es nicht gerade unanstrengend ist.
GABRIELE KRANZELBINDER (Produktion)
«Der kleine Kniff, die Handlung des Films in eine Zukunft zu verlegen, die unserer Gegenwart zum Verwechseln ähnlich ist,
macht das Ganze viel bedrohlicher.»
Sie begleiten Ruth Mader als Produzentin schon seit Struggle. Ihr letzter gemeinsamer Film war What Is Love. In ihrem neuen Projekt Life Guidance geht Ruth Mader, die in ihrem filmischen Blick immer sehr stark der Realität verbunden ist, in eine dystopische Welt. Wie
sehen Sie in künstlerischer Hinsicht diesen Schritt ins leicht Irreale?
GABRIELE KRANZELBINDER: Ruth und ich arbeiten in der Tat seit 14 Jahren zusammen. Ich halte das für keinen überraschenden Schritt. Es gibt auch in
Ruths anderen Arbeiten einen düsteren, auf alle Fälle kritischen Blick auf die Gesellschaft. Life Guidance tut nichts anderes. Der kleine Kniff, die Handlung des Films in eine Zukunft zu verlegen, die unserer Gegenwart zum Verwechseln
ähnlich ist, macht das Ganze viel bedrohlicher und führt es gut mit dem Thriller-Genre zusammen. Ich halte diesen Schritt
für eine absolut logische Konsequenz.
In aktuellen Filmprojekten taucht vermehrt die Auseinandersetzung mit einer sich ausbreitenden Überwachungsgesellschaft, einer
zerbröckelnden Mittelschicht u.ä auf, die über dystopische Verhältnisse abgehandelt wird. Liegt diese Thematik Ihrer Meinung
nach in der Luft?
GABRIELE KRANZELBINDER: Es ist ein Thema, das immer wieder beschäftigt. Wir sind ja nicht die ersten. Aber es hat gewiss auch etwas mit der gegenwärtigen
Situation zu tun, in der technologische Fortschritte einen immer tieferen und umfassenderen Einblick ins Privatleben ermöglichen
und gleichzeitig Unmengen an Menschen sich freiwillig selbst exponieren. Man lässt hineinschauen und umgekehrt kann auch ungefragter
Weise hineingeschaut werden. Parallel zum rasenden Voranschreitenden der technischen Möglichkeiten wird eine zunehmende Angst
bei den Menschen ortbar, die leider rechtspopulistischen Parteien vielerorts einen wachsenden Zulauf ermöglicht. Und ich glaube,
dass diese Dynamik dazu führt, dass es zu einer stärkeren Auseinandersetzung damit über dystopische Zukunftsvisionen kommt.
Man nimmt die Beunruhigung nicht nur wahr, wenn man auf der Straße geht und Wahlplakate mit Angst schürenden Slogans findet,
man spürt es auch am Umgang der Menschen miteinander. Der Ton hat sich verschärft. Es ist ein bisschen rauer geworden.
Stoßen solche Themen bei Fördergremien auf besonders offene Ohren?
GABRIELE KRANZELBINDER: Nein, das halte ich für Zufall, dass ähnliche Themen in einem kurzen zeitlichen Abstand finanziert worden sind. Ich glaube,
es handelt sich um eine Thematik, die immer interessant ist. Es kommt auf das Projekt und die künstlerische Handschrift an.
Ruth Mader ist eine starke Vertreterin des AutorInnenfilms mit einem hohen künstlerischen Anspruch. Es war für mich ein sehr
schöner Moment, als am ersten Drehtag die erste Klappe fiel und ich auf dem Monitor die erste Einstellung mitverfolgte. Denn
es war für mich auf diesen einen, ersten Blick klar: Das wird ein Film von Ruth Mader. Sie hat einfach eine ganz
klare Handschrift.
Wie würden Sie diese Handschrift charakterisieren?
GABRIELE KRANZELBINDER: Sie ist sowohl in der Inszenierung der Figuren und der Arbeit mit den Schauspielern sehr präzise als auch in der Inszenierung
der Räume. Es herrscht große Klarheit, daher ist es auch möglich, ganz feine Nuancen einfließen zu lassen, die dann vielmehr
auf einer unbewussten Ebene einwirken.
Da in Life Guidance nur eine ganz leichte Nuance unsere Gegenwart von der filmischen Zukunft trennt. standen die verschiedenen Departments gewiss
vor einer großen Herausforderung, um diese so subtil wie möglich zu vermitteln.
GABRIELE KRANZELBINDER: Für die Set-Designer Renate Martin und Andreas Donhauser war von Beginn an klar, dass wir kein Budget hatten, um hier einen
opulenten Science-Fiction-Film zu gestalten. Es ging also in erster Linie darum, Motive zu finden, wo die utopischen Ideen
hineinpassten. Die leichte Verschiebung und Irritation konnte dadurch entstehen, bestehende Motive aus ihrem Kontext rauszunehmen.
Dasselbe galt für die Kostüme, die keineswegs futuristisch sind. Es sind ganz normale Anzüge, die man überall kaufen kann,
in der Kombination mit gewissen Details, entsteht ein anderes Bild. Was die Architektur betrifft, hielten wir nach einer Architektur
Ausschau, die aus einem jetzigen Standpunkt in die Zukunft blickt. Das sieht man ja auch hier beim heutigen Dreh im
57. Stock am DC-Tower, wo die Protagonisten Alexander und Anna mit einem befreundeten Ehepaar in ein Restaurant essen gehen,
wo man zu Tische liegt und mit delikaten Häppchen gefüttert wird. Es ist eine Szene, die eher am Beginn des Films spielt und
die sehr gut in die Struktur der Gesellschaft in Life Guidance einführt.
Interview: Karin Schiefer
Oktober 2016