INTERVIEW

«Es ist eine sehr melodramatische Erzählung, ...

 

..., die einen globalen Bogen unseres katastrophalen Untergangs beschreibt. Einen Untergang, der uns allen bevorsteht».  Peter Kerns satirisch-düstere Weltsicht DER LETZTE SOMMER DER REICHEN ist im Panorama Spezial der 65. Berlinale zu sehen.


In Ihren bisherigen Filmen haben Sie immer auf einen Ausschnitt in der Gesellschaft geschaut, in DER LETZTE SOMMER DER REICHEN werfen Sie einen viel globaleren Blick auf sie. Es ist ein düsterer und perfider Blick auf recht verkommene Zustände.
Peter Kern: Ich beschäftige mich schon seit zehn Jahren mit dieser Geschichte. Bis sie realisiert wurde, hat es gedauert, da hat sich lange niemand drüber getraut. Einmal mehr haben wir nur mit minimalen Mitteln gearbeitet, die uns letztlich das ÖFI bereitgestellt hat. Für so einen Film bräuchte man 2,5 Mio, wir hatten vielleicht ein Viertel davon. Das hat katastrophale Auswirkungen, weil alle ausgebeutet werden und ich mit meiner eigenen Kraft bis an die Grenzen ging. Tag und Nacht. Daher kommt wahrscheinlich auch meine Krankheit.

Was lieferte vor zehn Jahren schon den Anstoß, dieses Bild von der Gesellschaft zu zeichnen?
Peter Kern: Ich wollte eine Geschichte unter dem Motto „Ein Mann sucht seinen Mörder“ machen. Er sucht jemanden, der ihn umbringt, weil das Leben nicht mehr lebbar ist und er es selbst nicht schafft, sich umzubringen. Ein deutscher Journalist machte mich darauf aufmerksam, dass es diese Geschichte schon bei Aki Kaurismäki I Hired a Contract Killer gäbe. Meine Inspiration geht aber auf Jack Londons Das Mordbüro  zurück, das ich in meiner Jugend gelesen habe. Die Grundgeschichte hat sich in meinem Kopf immer weiter gesponnen. Irgendwann wurden zwei Frauen meine Hauptfiguren. Es ist aber keine Lesbengeschichte, sondern eine Liebesgeschichte. Ein Melodram über die Verzweiflung, dass Liebe nicht kaufbar ist, so wie es auch der Tod nicht ist.

Parallel zum Drehbuch von DER LETZTE SOMMER DER REICHEN sind in einem beispiellosen Output mehrere Spielfilme in den letzten Jahren entstanden. Vielleicht zuviele in dieser kurzen Zeit?
Peter Kern: Das Drehbuch-Schreiben machte vielleicht zehn Prozent meiner Gesamttätigkeit aus, ansonsten drehe ich immer wieder an neuen Werken. Das vergangene Jahr war das erste Jahr in meinem Leben, wo ich nichts gemacht habe, weil ich nichts machen konnte, weil keine Kraft mehr da war. Ich stand dem Tod näher als dem Leben. Es war mir alles gleichgültig. Burn-out, alles zusammen. Ich saß da und machte nichts mehr außer fernzusehen. Das Schlimmste, was einem Workoholic wie mir, der immer Geschichten erzählen und die Leute aufstacheln will, passieren kann. So ein Jahr möchte ich nicht noch einmal erleben. Ich bin noch immer nicht der Alte und im bewährten Fahrwasser, an zwei oder drei Projekten arbeitet. Ich bin noch immer ein bisschen gelähmt. Aber jetzt bereite ich mich mal auf die Berlinale vor.

Auch wenn das Grundschema von DER LETZTE SOMMER DER REICHEN schon in der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts zu finden ist, so haben Sie es dennoch in aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse transferiert. Haben sich Dinge, die sich bereits vor zehn Jahren abzeichneten, umso mehr nun potenziert?
Peter Kern: Potenziert und konkretisiert. Die Figur der Hanna von Stezewitz bringt das überspitzt auf den Punkt. Alle die Bösartigkeiten,  die Vergewaltigungen – dass sich eine Person das alles in einer Gesellschaft leisten kann, nur weil sie unglücklich ist. Ich will nicht zu viel erzählen. Ich bin nur überzeugt, dass man selbst Veränderung an sich vollbringen muss. Ich sehe da auch ein Problem in den vielen Aufmärschen, die es zur Zeit gibt. Ich halte das für einen Irrtum. Nur die Liebe kann diese Veränderung bewirken. Die Liebe und der Glaube. DER LETZTE SOMMER DER REICHEN ist eine sehr melodramatische Erzählung, die einen globalen Bogen unseres katastrophalen Untergangs beschreibt. Einen Untergang, der uns allen bevorsteht. Die Kultur hat versagt, unsere Politiker, die mit Kultur beauftragt sind, haben versagt. Es hat schon immer ein paar aufmüpfige Geister gegeben, aber im Grunde hat die Kultur insofern versagt, als sie nicht die gebührende Aufmerksamkeit der Politik hatte und entsprechend gefördert wurde. In den Medien sehe ich nur noch Promis, die sich alle ähnlich schauen, die gelangweilt präsentiert werden, damit wir vergessen, wie wir sein wollen. In der Kunst richten die Medien ihre Aufmerksamkeit auf Stars und Jubiläen, entdeckt wird niemand mehr.

In DER LETZTE SOMMER DER REICHEN haben die Reichen und die Medien das Sagen. Die Politik ist absent, abgesehen von einer etwas glücklosen Kulturpolitikerin.
Peter Kern: Die Politik ist kaufbar. Es gibt eine Szene, in der Hanna zu ihrem Sekretär sagt:  „Wieviele tausend Euro sind übrig geblieben? Die geben wir dann der FPÖ.“

Für die Hauptrolle, Hanna von Stezewitz, haben Sie eine renommierte französische Schauspielerin, Amira Casar, gewonnen. Warum ist sie Ihnen als Darstellerin der Hanna vorgeschwebt?
Peter Kern: Ich hab sie bei Werner Schroeter gesehen und hab sie vor zwei Jahren beim Filmfestival von Hof getroffen. Wir aßen zusammen, sie schwärmte so von meiner Arbeit und sagte, es sei ihr größter Wunsch, mit ihr zu arbeiten. Ich antwortete ihr: „Darling, the problem is your language. Wie willst du in einem deutschsprachigen Film arbeiten, ohne die Sprache zu können. Ich bin sehr heikel bei den Dialogen und verlange große Präzision.“ Da begann sie plötzlich, leicht mit mir Deutsch zu sprechen und kämpfte darum, mit mir zu arbeiten. Ich hab ihr dann diese Rolle angeboten unter der Voraussetzung, dass wir in Deutsch drehen. Mit der Sprache gelang mir dann auch ein Trick, der im Film zwei Ebenen entstehen ließ: Wenn sie Deutsch spricht, dann ist sie sehr autoritär, bestimmend und in einer Position der Überlegenheit. Die Sprache allein unterdrückt schon. Wenn sie frei ist oder schimpft, verfällt sie ins Englische. Sie hat für diese Rolle sehr hart gearbeitet.

Sie ist auch in außergewöhnlichen Kostümen zu sehen?
Peter Kern: Die Kostüme wurden uns von Chanel zur Verfügung gestellt. Das war eine tolle Sache. Ich finde, sie sind absolut richtig. Erstaunlich, was die alles mit Plastik anstellen können. Mir ist das weniger wichtig, aber für Amira war es sehr wichtig, dass Kostüme, Make-up und Frisur stimmen. Sie war früher Model ist dann in die Schauspielerei gewechselt. Die hat ein enormes Potential, was sie da in meinem Film leistet, das ist hohe Schauspielkunst. Auch die Darstellerin der Sarah ist eine große Entdeckung – Nicole Gerdon.  Sie ist eine deutsche Schauspielerin, die zum ersten Mal in einer so großen Rolle zu sehen ist. Die Besetzung stimmt sehr genau. Im Team glaubten alle sehr an das Projekt und haben alles gegeben. Ich suche Kinogesichter und keine Fernsehgesichter und diesen Unterschied hat man hier nicht kapiert. Und auch die Konsequenz nicht. Die Mittelmäßigkeit des Fernsehens macht einen Schauspieler auch kaputt. Was die Kamera in einem Fernsehspiel zeigt, hat nichts damit zu tun, was dann an Minimalisierung des Ausdrucks in höchster Form und höchster Klarheit auf der Kinoleinwand gezeigt wird.

Die Sprache der Dialoge ist geschliffen und durch alle sozialen Schichten hinweg gleich gehoben.
Peter Kern: Diejenigen, denen man hier sagt, „Die sollen zuerst mal Deutsch lernen“, sind ja eigentlich die Intelligentsija und man versucht sie ständig zu quälen. Die Asylpolitik ist ein einziger Wahnsinn. Ich sage da nur Gegenschnitt – Hypo oder Eurofighter. Jetzt ist man hysterisch gegenüber den Afrikanern, die von Spanien nach Europa kommen. Ich habe zu diesem Thema vor vier Jahren einen Film darüber gemacht – Glaube Liebe Tod. Denken Sie nur an Frontex, dass wir den Tod der Farbigen finanzieren, ist ein Skandal. Frontex sollte dazu da sein, ihnen zu helfen und nicht das Gegenteil – sie zurückschicken und ertrinken lassen.

Sie haben sich vor einigen Jahren in einem Interview als einen „traurigen Optimisten“ bezeichnet. Würden Sie das noch immer tun?
Peter Kern: Ich habe den Optimismus verloren, weil ich mit meinen Werken nichts erreicht habe. Ich habe bei einzelnen Personen auch international viel an Gefühlen ausgelöst. Nach einer Talkshow im Fernsehen gibt es Unmengen an Zuschriften und Mails von Leuten, die mit mir in Kontakt treten und über Freiheit diskutieren wollen. Ich hab das alles – dem Tode näher als dem Leben – als unwichtig empfunden. Die ganze Bürokratie, die täglichen Verbote, die ganze Widersprüchlichkeit und Verlogenheit, der man sich aussetzen muss. Ich wüsste nicht, wohin ich gehen kann, um frei zu leben. Selbst die Inseln sind schon verseucht durch bestimmte Figuren in der Politik.

Könnte die Kunst noch eine Insel sein?
Peter Kern: Die Kunst war immer ein Vorbereiter der Gesellschaft. Es zeugt von einer totalen Absenz von Kultur, dass da wie jüngst in Paris Menschen einfach abgemurkst werden. Wir fallen zurück in ein Mittelalter, das katastrophal ist. Wir stehen vor einer Rückentwicklung der Kultur, bedingt durch das Medium Fernsehen, durch Theater, die sich nichts mehr trauen... Es wäre Aufgabe des Staates, Kunst zu finanzieren. Kunst ist nicht kalkulierbar, sie muss immer einem Risiko und einem Scheitern ausgesetzt sein. Sie ist kein Wirtschaftsunternehmen. Wir Künstler werden aber von den Menschen, die an der Macht sind, als Wirtschaftsunternehmen berechnet. Ich bin mein ganzes Leben lang im Minus und versuche die Schulden des vorangegangenen Projekts zu kompensieren. Man wird brutal ausgenützt und hat leider den Ehrgeiz, über dieses Kunstmittel Film etwas zu verändern. Aber ich habe nichts verändert. Diese Gesellschaft hat sich sehr oft dem entzogen, was ich gemacht habe, weil sie es gar nicht zugelassen hat. Wir haben für DER LETZTE SOMMER DER REICHEN nicht einmal einen Verleiher in diesem Land.

Der Regisseur Daniel Hoesl ist als Darsteller mehrmals in Ihrem Film zu sehen. Ich sehe sein Auftreten auch als ein künstlerisches Augenzwinkern, insofern als euch ein subversives und antikapitalistisch motiviertes Filmemachen verbindet.
Peter Kern: Ich habe seinen ersten Film gesehen und ich halte das für mutig, was er macht.  Das ist vielleicht ein Hoffnungsaspekt in meinem Film – Daniel Hoesl, der da durch die Geschichte schwebt.

Es gibt ja auch den utopischen Moment im Film, wo die zwei Frauen vor den Altar schreiten und von einem Priester getraut werden.
Peter Kern: Das stimmt.

Zwei der Hauptfiguren sind Hanna und der Großvater. Mit dem Tod des Großvaters  geht eine Generation, die nicht weniger amoralisch war. Dazwischen fehlt die Generation der Eltern. Steht dieses Fehlen auch für das fehlende Handeln dieser Generation, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen anders zu steuern?
Peter Kern: Das war mir nicht bewusst. Der Tod der Eltern dient in der Geschichte dazu, die Figur der Hanna genauer zu zeichnen. Das muss der Zuschauer schon selbst sehen. Ich biete einen Stoff an, der Denklöcher übriglässt, wo man selbst interpretieren kann. Man muss nichts auflösen in meinen Filmen, sie sollen vielmehr das Hirn erweitern, um nachzudenken.

 

Interview: Karin Schiefer

Jänner 2015