"Auf Tankstellen, da stinkt es", meint einer, der davon nichts versteht. "Das riecht gut", sagt Tom und außerdem, Lisa mag
es auch. Kein Wunder, es ist ja auch der sehnlichste Wunsch der beiden, eine zu finden, mit der sie sich den Traum von der
beruflichen Selbständigkeit erfüllen können. Joe und Maria führen genau so eine Tankstelle, wie sie Tom und Lisa vorschwebt,
und machen ihren Job denkbar schlecht. Denn, was die beiden in Wirklichkeit wollen, ist die Rolläden dicht machen und abtauchen
in den behaglichen Kokon ihrer Zweisamkeit, ohne weiterhin von lästigen Kunden mit leeren Tanks oder Kanistern belästigt zu
werden. Zum Handkuss kommt Rosa. Sie hat einen Panne, muss dringend weiter und sitzt auf Joes Tankstelle fest, der keinerlei
Anstalten macht, ihr Auto wieder in Schwung zu bringen. Zum Glück ist Sam, ein Jugendfreund, bereit, ihr zu Hilfe zu eilen.
Drei Geschichten, drei Paare, deren Schicksale über eine Kette von Zufällen letztendlich aufeinander prallen, liefern den
Stoff für NOGO, dem ersten Spielfilm des bisher eher im Experimentalfilm tätigen Regie-Duos Sabine Hiebler und Gerhard Ertl. Die Tankstelle
- ein Couple-Tabernakel Für ihre erste Reise ins Erzähl-Kino lehnten sie sich an ihrem bevorzugten Genre, dem Roadmovie an,
das den narrativen Rahmen für die Freiheitsliebe ihrer Protagonisten liefert. Eine ziemlich herunter gekommene Tankstelle
im Nirgendwo wird zur Drehscheibe für drei grundverschiedene Geschichten von der Liebe: für die einen ist sie ein Refugium
vor dem Rest der Welt, für die anderen das Tor in die Unabhängigkeit, für die letzteren ein unfreiwilliger Stopp, der sie
zwingt innezuhalten und ihnen dafür die Gelegenheit zur Begegnung eröffnet. "Wir sehen die Tankstelle", so Sabine Hiebler,
"als eine Art Couple-Tabernakel. Sie bekommt beinahe etwas Sakrales, wenn man sich ansieht, welchen Stellenwert sie für alle
drei Paare einnimmt".
Die unkonventionellen Zweierkonstellationen der drei Episoden forderten eine entsprechend starke Besetzung ein, und den beiden
Regisseuren gelang es, ihre Traumbesetzung auf ihren Set zu engagieren. Meret Becker spielt Maria, die Tankwart Joe (Oliver
Korittke) ganz beiläufig zu seiner besseren Hälfte wählt. Sie schaffen sich in der eigenwilligen Gemütlichkeit der Tankstelle
eine Enklave, in der sie ihre Paranoia zu voller Blüte bringen, bis sie schließlich jedes Lebenszeichen der Außenwelt als
Bedrohung erleben. Lisa (Jasmin Tabatabai) und Tom (Jürgen Vogel) verkörpern das solide Langzeitpaar, das für den Ausstieg
in die Selbständigkeit spart, dafür schon eine Weile Joe's Tankstelle im Visier hat und plötzlich durch die Krankheit Lisas
auf eine Zerreißprobe gestellt wird. "Das dritte Paar", so die Regisseurin, "ist das Roadmovie-Paar, das auf Konventionen
pfeift und die Frage aufwirft, wie verhält man sich zu gesellschaftlichen Normen, die man nicht als die seinen betrachten
will". Mavie Hörbiger und Michael Ostrowski standen als Rosa und Sam vor der Kamera, die sich abseits der Regeln und nötigenfalls
auch auf Kosten anderer ihren Weg in die Freiheit bahnen. Dickköpfig und dünnhäutig Joe's Tankstelle ist zwar ein vager Kreuzungspunkt
der drei Geschichten, anders als in üblichen Episodenfilmen beginnen sich die Stränge nicht ineinander zu verweben, die Protagonisten
einander zu entdecken. Hier ziehen jeweils zwei Personen unbeirrbar in eine Richtung, ohne sich um einen Dialog mit der Umwelt
zu bemühen. "Unsere Figuren", so Gerhard Ertl, "sind starke Persönlichkeiten, die dünnhäutig und dickköpfig zugleich sind,
aber keine Charakterentwicklung durchmachen. Hier halten drei Paare stur an ihrem Lebensentwurf fest". Der Clash am Ende ist
unvermeidlich. Der Titel NOGO lässt sich einerseits als spielerischer, logohafter Begriff verstehen, der auf das Nowhere-Land rund um die Tankstelle anspielt,
als "no go" betrachtet, reflektiert er allerdings den statischen Lebensentwurf der drei Beziehungen. "Wir haben für jedes
der Paare", so der Regisseur, eine Couple-Dynamik herausgefiltert, denn Paare entwickeln mit der Zeit eine Eigendynamik".
Im Falle von NOGO führt sie paradoxerweise in den Stillstand. Die Dynamik des Zusammenwirkens zu zweit kennen Sabine Hiebler und Gerhard Ertl
sowohl im Privaten als auch in der kreativen Arbeit schon seit über zehn Jahren. Seit ihrem Studium an der Kunsthochschule
in Linz entstanden eine Reihe von Videos, Fotoarbeiten und experimentellen Kurzfilmen, die sich häufig mit der Gender-Problematik,
dem Thema Identität, der Opposition männlicher Blick - weiblicher Blick auseinandersetzten.
"Das Thema" erklären die Filmemacher, "bot sich an, weil es ein ständiges Thema ist, noch dazu, wenn man dieser Dynamik sehr
nahe ist". Arbeitsteilung oder Gewichtung in der Zuständigkeit gibt es in der Realisierung eines Filmprojektes keine zwischen
den beiden. "In unseren Geschichten", so Gerhard Ertl, "sind die männlichen und weiblichen Hauptfiguren gleich wichtig. Da
ist es natürlich ein großer Vorteil, unserer Zusammenarbeit, dass wir die jeweils weiblichen und männlichen Perspektiven einbringen
können". Ein kleiner Garten Eden Das Regiekonzept von NOGO lässt die Geschichte jedes Paares für sich wirken, drei mehr oder weniger tiefe Einblicke in Beziehungswelten sind linear
aneinander gereiht, auch wenn kurze Schnitte darauf hinweisen, dass alle drei Episoden gleichzeitig ablaufen, bis schließlich
der Zufall alle sechs Protagonisten in der Tankstelle zusammenführt und die Unversöhnlichkeit ihrer Lebenskonzepte den Showdown
heraufbeschwört. Schmucklos, wie das Ambiente, in dem die Duos leben, sind auch die Dialoge - lapidar und von herbem
Humor: Maria zu Joe: "Wollten Sie auch immer schon mal weg?" "Ich bin schon weg" antwortet Joe und gewinnt mit dieser
Antwort noch dazu Marias Herz. Oft sind es auch nicht die Worte, die die Replik liefern, sondern Bildzäsuren oder die für
den Film komponierten musikalischen Themen. Ein Tableau vivant, wo sich Maria und Joe nackt auf einer grünen Decke in embryonaler
Geborgenheit aneinander schmiegen, erzählt von ihrem kleinen Garten Eden oder der rasant unter dem Auto verschwindende Asphalt
verrät, wie rasch Tom und Lisa die Zeit davonrinnt. "Es war uns wichtig," erläutert Sabine Hiebler, "dem Film auch visuell
einen Rhythmus zu geben und eine Erzählebene nur mit Bildern einzuführen. Man kann in einer starren Einstellung sehr viel
erzählen, was in einem Dialog oder anderen Auflösungen weniger brächte". NOGO spielt in einer Atmosphäre der rhythmisierten
Reduktion, in der die Musik der Wiener Band der Sofa Surfers präzise Akzente setzt. Die Musiker entwickelten die Themen, bereits
auf der Basis des Drehbuchs, sodass sie bereits zu Drehbeginn zur Verfügung standen. "Uns gefiel deren Musik sofort sehr gut"
erinnert sich der Regisseur an die gute Zusammenarbeit mit den Musikern. Es gibt eine Affinität zu unserer Arbeit, die sind
wie wir irgendwo zwischen Brachial und Fragil."
Karin Schiefer (2002)