INTERVIEW

Michael Hanke  über CACHÉ

«Es geht natürlich nicht um die Frage, hat sich der Bub schuldhaft verhalten oder nicht, es geht darum, wie gehe ich mit der Tatsache um, dass ich durch mein Handeln jemandem Schaden zugefügt habe.Wir werden alle permanent schuldig, willentlich oder unwillentlich. Die Schuldproblematik ist sehr komplex. Meistens lässt sich die Schuld nicht so eindeutig definieren. Trotzdem muss man damit leben und mit den Folgen umgehen.» Michael Haneke präsentierte seine achte Arbeit beim Festival von Cannes. Caché mit Daniel Auteuil und Juliette Binoche in den Hauptrollen und holte den Preis für die Beste Regie sowie den Fipresci-Preis und den Prix oecuménique.

 

Wolfzeit und Klavierspielerin sind Projekte, die eine sehr lange Entstehungsgeschichte hinter sich haben. Bei Caché scheint es sehr viel schneller gegangen zu sein.

MICHAEL HANEKE: Wolfzeit war ein aufwändiger Film und entsprechend schwierig war es, die Finanzierung zustande zu bringen. Dank des Erfolges von Klavierspielerin konnten wir die nötigen Gelder finden. Ich hatte gerade an Caché geschrieben, als der 11. September passierte und damals sagte ich mir, wenn wir jetzt nicht mit Wolfzeit darauf reagieren, wann dann? Daraufhin habe ich Caché zwar fertig geschrieben, dann aber ad acta gelegt und zuerst Wolfzeit gemacht. Caché war ursprünglich als rein französischer Film geplant, als Folge der Probleme mit Canal+ kam dann die Finanzierung doch nicht so wie geplant zustande, Margaret Menegoz von Les Films du Losange hat ihn dann als internationale Koproduktion angelegt und das funktionierte auch. Genau genommen hätte ich Caché aber schon ein Jahr früher drehen sollen.

 

Der 11. September als Anhaltspunkt ist ja auch in Caché nicht ganz von der Hand zu weisen. Die schwelende Angst vor einer Bedrohung, die sich nicht festmachen lässt, ist ja auch hier ein Thema?

MICHAEL HANEKE: Der 11. September war eine konkrete Sache, Caché hat nicht unbedingt etwas mit einem zeitaktuellen Anlass zu tun. Es ist ein Film über die Frage vom Umgang mit Schuld. Das ist ein Thema, das immer aktuell oder unaktuell ist, je nachdem, wie man es sehen möchte. Wolfzeit war ja auch keine unmittelbare Reaktion darauf, ich hatte es vor ungefähr zehn Jahren geschrieben, zu einem Zeitpunkt also, wo vom 11. September noch keine Rede war, nur hat der Stoff durch dieses Ereignis so eine neue Aktualität bekommen. Dass sich Gewissheiten von heute auf morgen ändern können, dass etwas Unvorhergesehenes schwelende Dinge auslöst, davon lebt ja ein Großteil des Kinos, vor allem Filme, die Thrillerelemente benutzen.

 

Das Thema Algerienkrieg spielt, wenn auch nur ganz kurz angesprochen, eine wesentliche Rolle im Konflikt von Caché. Ging es dabei um eine Anspielung an einen wunden und verschwiegenen Punkt in der französischen Geschichte?

MICHAEL HANEKE: Ich möchte nicht allzu sehr das Augenmerk auf diesen Punkt lenken, weil ich nicht möchte, dass der Film in Cannes in erster Linie unter diesem Aspekt rezipiert wird. Es ist ja nur ein Teilaspekt, der einen äußeren Rahmen liefert. In der Vorbereitungsphase für Caché habe ich in einer Dokumentation auf arte von diesem Gemetzel erfahren, das 1961 in Paris stattgefunden hat, bei dem ungefähr 200 Araber erschossen oder in die Seine geworfen wurden und über das seit immerhin 40 Jahren nie gesprochen wurde. Da habe ich es aufgegriffen, weil es auf eine schreckliche Weise gut passt. Man könnte eine ähnliche Geschichte in jedem Land finden, wenn auch mit einem anderen Datum versehen. Es gibt immer eine kollektive Schuld, die man mit einem Einzelschicksal in Verbindung bringen kann und so möchte ich auch, dass man den Film versteht.
 

Das zentrale Thema von Caché ist also der Umgang mit Schuld. Kann man bei einem Sechsjährigen von Schuld sprechen?

MICHAEL HANEKE: Es geht natürlich nicht um die Frage, hat sich der Bub schuldhaft verhalten oder nicht, es geht darum, wie gehech mit der Tatsache um, dass ich durch mein Handeln jemandem Schaden zugefügt habe. Wir werden alle permanent schuldig, willentlich oder unwillentlich. In Code Inconnu gibt es diese erste Szene, wo der Schwarzafrikaner für die rumänische Bettlerin Partei ergreift, was dazu führt, dass er ins Gefängnis kommt und sie ausgewiesen wird. Ist er nun schuldig oder nicht? Die Schuldproblematik ist sehr komplex. Es ist ja nicht so, dass ich absichtlich etwas Böses mache und dann bin ich eindeutig schuldig. Meistens lässt sich die Schuld nicht so eindeutig definieren. Trotzdem muss man damit leben und mit den Folgen umgehen.

 

Caché bewegt sich dabei sehr im Bereich des Vergessens und Verdrängens?

MICHAEL HANEKE: Ja, damit leben wir alle. So wie Georges am Schluss zwei Schlaftabletten nimmt und sich die Decke über den Kopf zieht, so agieren wir z.B. auch mit unserer Kollektivschuld gegenüber der Dritten Welt. Wir haben schlimmstenfalls ein wenig moralisches Bauchweh, dann spenden wir etwas, damit glauben wir, unsere Schuldigkeit getan zu haben und davon redet dieser Film.

 

Georges zieht zwar die Vorhänge zu und die Decke über seinen Kopf, es ist aber auch ein Moment, wo er in sich kehrt?

MICHAEL HANEKE: Das weiß ich nicht. Das darf jeder Zuschauer für sich selber entscheiden. Der Film ist sehr offen, auch im Hinblick darauf, was jetzt weiter passiert. Man kann ihn, wie alle meine Filme, auf verschiedenste Weisen interpretieren, ich versuche jedenfalls in allen meinen Arbeiten, die Fortsetzung des Films für den Kopf des Zuschauers offen zu lassen und möchte auch, dass er sich fragt, wie würde das denn weitergehen.

 

 Wer sich einen Thriller ansieht, möchte am Ende auch die Lösung erfahren. Sie verweigern diese Auflösung.

MICHAEL HANEKE: Das ist ja der Grund, weshalb der Genrefilm so erfolgreich ist: er darf den Zuschauer zwei Stunden durchbeuteln, wird ihn dann aber wieder beruhigt entlassen. Für diesen Pakt bezahlt der Zuschauer auch. Angesichts der Welt, wie sie ist, finde ich das ein bisschen unverantwortlich. So wird nur das Zerstreuungsbedürfnis bedient, man könnte aber mehr daraus machen und indem man diese Beruhigung verweigert, bleibt der Stachel im Kopf des Zuschauers. Das ist jedenfalls meine Absicht, die hinter allen meinen Filmen steht. Für die Erzählung selbst benutze ich jedoch ganz klassische Genremittel.

 

Ein Element, das ebenfalls in Ihren Filmen wiederkehrt, ist die Reflexion über das Medium Film. In Caché entsteht eine besondere Spannung, indem Sie die voyeuristische Kamera und die erzählende Kamera ineinander greifen lassen.

MICHAEL HANEKE: Es ist mir ein Anliegen, dem Zuschauer die Fragwürdigkeit der Realitätsbehauptung im Kino vor Augen zu führen. Wir wissen als Zuschauer im Kino, dass nichts Wirklichkeit ist. Es macht aber einen Unterschied, etwas zu wissen oder etwas zu empfinden. Deswegen ist diese Form von Selbstreflexion unabdingbar. In der Literatur würde heute kein ernstzunehmender Autor mehr behaupten, er gibt die Wirklichkeit wieder, er wird immer seine Mittel im Werk reflektieren. Das sollte das Kino auch tun, wenn es sich als Kunstform versteht. Wenn ich nur eine Zerstreuungsmaschinerie bedienen will, dann ist es legitim, das alles wegzulassen. Das ist allerdings eine andere Art von Kino, die ohnehin zu 90 Prozent gemacht wird.

 

Wie ist der Wechsel zwischen diesen beiden Kameraebenen rein technisch gelöst worden?

MICHAEL HANEKE: Wir haben alles auf High Definition gedreht. Das war sehr mühsam für mich, da es das erste Mal war, dass ich auf Video gedreht habe und diese Kameras technisch noch nicht wirklich ausgereift sind. Das Handling einer Videokamera ist einfach unpräziser als das einer Filmkamera. Die Postproduktion war sehr aufwändig und langwierig, ich habe noch nie einen Film so oft gesehen, wie diesen hier, es hat immer wieder neue Korrekturen gegeben, auch den Ton betreffend. Ich habe geschworen, die nächsten zehn Jahre nicht auf Video zu drehen. Man sollte jedoch nie nie sagen, denn die Zukunft des Kinos wird leider im Video liegen, vielleicht ist bis dahin dann die Technik ausgereifter, es hat sich ja in den letzten Jahren schon unheimlich viel getan.

 

Welche Teile des Films wurden in Wien gedreht?

MICHAEL HANEKE: Alle Innenräume im Haus von Georges und in der HLM-Wohnung von Majid, die Außenaufnahmen wurden in Frankreich gedreht. Den Treppeneingang des Hauses und auch die Straße, auf die einmal hinausgeschaut wird, wurden in Wien nachgebaut, damit der Übergang wirklich fließend ist. Wenn man den Film anschaut, wird niemand auf die Idee kommen, dass der Dreh gesplittet war, es geht sehr fließend ineinander über. Das war mit einem großen Aufwand verbunden, Christoph Kanter hat das mit sehr viel Können und Enthusiasmus großartig umgesetzt. Zeitmäßig war es relativ gleich verteilt, wahrscheinlich ein bisschen länger in Wien als in Paris, da die großen Spielszenen alle Innenszenen waren.
 

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Daniel Auteuil?

MICHAEL HANEKE: Wir hatten uns vor längerer Zeit bei einem Treffen über eine gemeinsame Freundin gegenseitig beteuert, dass wir gerne etwas miteinander machen möchten. Daraufhin habe ich das Buch von Caché mit ihm als Hauptfigur im Hinterkopf geschrieben, ähnlich wie für Juliette Binoche für Code Inconnu. Ich habe mich sehr gefreut, dass Juliette Binoche auch in Caché bereit war, diese Rolle zu übernehmen, obwohl es nicht die absolute Hauptrolle war.

 

Was fasziniert Sie an Daniel Auteuil als Schauspieler?

MICHAEL HANEKE: Er ist ein grandioser Schauspieler, sicherlich der interessanteste französische Schauspieler in diesem Alter. Er hat etwas und deshalb habe ich diese Rolle für ihn geschrieben er ist ein Schauspieler, der sich sehr zurücknimmt. Er ist jemand, der immer ein Restgeheimnis bewahrt und nicht immer alles bis zum äußersten ausspielt, was leider sehr oft vorkommt. Egal in welcher Rolle, es bleibt bei ihm immer etwas Unwägbares zurück, etwas, das man nicht wirklich entschlüsseln kann. Das macht seine Faszination aufs Publikum aus und im Fall von Georges deckt sich das auch mit der Figur, der ist jemand, der in sich verschlossen ist und nicht nach außen lässt, was wirklich passiert. Das wiederum tut der Geschichte sehr gut.

 

Mit den übrigen Schauspielern haben Sie bereits früher schon zusammengearbeitet?

MICHAEL HANEKE: Maurice Bénichou, den ich für einen absolut genialen Schauspieler halte, hat schon in Code Inconnu und in Wolfzeit mit mir gedreht, und der Darsteller des Sohns von Majid war derjenige, der in Code Inconnu Juliette Binoche in der Metro ins Gesicht gespuckt hat. Es sind immer die gleichen Leute, das habe ich auch im deutschsprachigen Raum so gemacht, wo ich immer wieder mit Susanne Lothar, Ulrich Mühe oder Udo Samel gearbeitet habe. Nur bei den Kindern geht es kaum, ein zweites Mal mit ihnen zu arbeiten, die wachsen zu schnell.

 

Das Kind heißt erstmals nicht Benjamin, sondern Pierrot?

MICHAEL HANEKE: Er heißt Pierrot, weil sich damit eine Namensgleichheit mit dem potentiellen Liebhaber, Pierre, ergibt. Es ist ja so, dass der Sohn seine Mutter verdächtigt, mit Pierre ein Verhältnis zu haben. Durch den gleichen Namen wird eine zusätzliche Verdachtspiste eingezogen, wo man nicht so genau weiß, warum er diesen Namen hat. Grundsätzlich sind Namen bei mir belanglos, meine Figuren heißen immer gleich, weil ich mir nicht jedes Mal den Kopf darüber zerbrechen will. Sprechende Namen im Kino finde ich albern, das kann man in der Literaur machen. Im Film, der ja immer so tut, als wäre es Realität, sind Namen Zufall.

 

In welcher Sprache verfassen Sie das Drehbuch?

MICHAEL HANEKE:  Ich schreibe auf Deutsch und habe seit Code Inconnu den gleichen Übersetzer, der das Buch ins Französische übersetzt. Wenn seine Fassung fertig ist, setzen wir uns zusammen und gehen das Wort für Wort durch. Ich verstehe sehr gut, was er übersetzt hat, könnte es aber selber nicht mit dieser Präzision formulieren.

 

Es gab in den letzten Tagen eine leichte Unklarheit, ob Caché nun ein französischer oder ein österreichischer Film ist?

MICHAEL HANEKE:  Es gab eine große Aufregung – Haneke startet für Frankreich – das hat das Festival so nie gesagt. Normalerweise dürfen immer drei französische Filme im Wettbewerb laufen. Dieses Jahr gab es neben meinem Film, der französischsprachig ist, nur zwei Filme von französischen Regisseuren, daraufhin schrieb die französische Presse, es gibt drei französische Filme und es genügt eine Agenturmeldung, damit etwas vielfach und weltweit nachgeschrieben wird. Die Problematik, die da entstanden ist, ist eine Geburt der internationalen Pressesituation. Natürlich ist der Film eine internationale Koproduktion, Frankreich und Österreich sind gleichberechtigt. Deutschland und Italien sind nur sehr marginal beteiligt. Der Film läuft als österreichischer und französischer Film, es ist ein französischsprachiger Film, der in Frankreich spielt.

 

Arbeiten Sie bereits am nächsten Projekt?

MICHAEL HANEKE:  Zuerst werde ich im Winter Don Giovanni in Paris inszenieren – meine erste Operninszenierung – , was dementsprechend arbeitsintensiv ist. Wie es im Hinblick auf den nächsten Film weitergeht, wird vom Erfolg von Caché abhängen. Es gibt zwei Projekte – für eines gibt es schon ein Drehbuch, das wäre ein drei- bis vierstündiger Film, der nur machbar ist, wenn Caché ein großer Erfolg wird. Das wäre ein deutschsprachiger Film, der sich aber sicherlich auch nur als Koproduktion realisieren lässt, die zweite Option ist ein kleiner französischsprachiger Film, den ich noch nicht geschrieben habe, für den ich eine Idee habe, die aber noch zu unausgegoren ist, um darüber zu sprechen.


Interview: Karin Schiefer
May 2005