INTERVIEW

Eva Urthaler  über KELLER

"Ich glaube, dass es für eine Frau leichter ist, eine Geschichte von zwei Jungen als von zwei Mädchen zu erzählen. Warum, ist schwer zu sagen. Was man zu gut kennt, löst vielleicht viel mehr Hemmungen aus und mag auch weniger spannend sein - genau kann ich es nicht sagen. Von den Grundgefühlen sind wir ja nicht verschieden, höchstens darin, wie wir sie ausdrücken, die Wünsche sind ja gleich." Eva Urthaler lässt in ihrem Spielfilmerstling Keller zwei 16-Jährige Liebe und Macht erkunden, internationale Premiere feiert der Film im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden in Locarno.

 

Sie haben sich ohne ohne filmspezifische Ausbildung ins Abenteuer Langfilm gestürzt. Damit man dafür Geld bekommt, bedurfte es zunächst sicher eines Produzenten und auch eines Buchs? Wie sieht die Vorgeschichte von Keller aus?

EVA URTHALER: Ich begann nach der Matura bei Franz Novotny als Produktionsassistentin zu arbeiten und habe nebenbei immer wieder Storyboards gezeichnet. Ich hörte dann auf, dort zu arbeiten, um etwas "Handfesteres" zu lernen, bin in den Grafikbereich gelangt und arbeitete beim News-Verlag. Der Kontakt zu Franz Novotny ist aber nie abgerissen und ich habe auch weiter Storyboards für ihn gezeichnet. Irgendwann erzählte ich mal von der Idee für dieses Buch und er sagte "Schreib es auf und mach es!". Ich begann zu schreiben und hörte von Step by Step, dem Drehbuchentwicklungsprogramm, wo ich dann auch eingereicht habe.

 

Wie sah die Arbeit im Rahmen von Step by Step konkret aus?

EVA URTHALER: Ich hatte schon eine erste Drehbuchfassung, was die Ausnahme darstellte, weil in der Regel nur Treatments angenommen werden. Sie fanden aber meinen Stoff interessant und ich wurde genommen. Bei Step by Step lernt man wirklich sehr viel Dramaturgisches - Basics wie Wendepunkte u.ä. und man lernt auch, sich sehr intensiv mit den Figuren auseinander zu setzen. Sie beginnen einfach im Laufe der Gespräche mit den anderen Autoren zu leben und bekommen eine Eigendynamik. Ich glaube nicht, dass ich das geschafft hätte, wenn ich allein im Kämmerlein gesessen wäre. Für mich war das sicher eine ideale Lösung, wir haben uns insgesamt drei Mal über ein Jahr verteilt für eine Woche getroffen. Wir haben daran weiter gearbeitet, sodass sich im Detail noch sehr viel geändert hat, die Grundstory ist jedoch gleich geblieben.
 

War in dieser Drehbuchphase schon klar, dass Sie auch Regie führen würden?

EVA URTHALER: Ich hatte das große Glück, dass Franz das Projekt für interessant hielt und mir vorschlug, ich solle doch Regie machen. So eine Chance bekommt man nie wieder, das ist mehr, als man sich erträumen kann - dass ein Produzent so risikofreudig ist und so viel Vertrauen hat, um zu sagen "Mach das!". Ich hatte ja nicht einmal auf einen Kurzfilm verweisen können. Und er stand immer hinter diesem Projekt.

 

Wie haben Sie sich aufs Regieführen vorbereitet?

EVA URTHALER: Ich bin in Bibliotheken gegangen und hab mir Bücher ausgeborgt, hab mir sehr viel im Selbststudium angelesen, habe bei Werbedrehs zugeschaut, auch wenn man es nicht wirklich vergleichen kann. Ich habe mich auch mit Michaela Rosen getroffen und mit ihr über Schauspielführung gesprochen. Ich hatte schon Bauchweh vor dem Drehstart, aber das war wirklich vor dem Drehen viel stärker. Die erste Szene war auch noch irgendwie aufregend, und dann war es wie weggeblasen. Man beginnt einfach zu schwimmen, wenn man mal hineingeworfen wird. Und ich hatte im Vorfeld mit den Schauspielern sehr viel geprobt, da ist dann ein großes Vertrauen da.

 

Die beiden Hauptdarsteller kommen aus Deutschland, die Hauptdarstellerin ist Italienerin. Wie verlief das Casting?

EVA URTHALER:  Ich habe selber sehr lange und sehr ausführlich gecastet. Die beiden Jungen in Berlin, ich hatte auch in Österreich geschaut, aber ich hab' mich gleich von Anfang an in sie verliebt. Auch für die weibliche Hauptdarstellerin habe ich sicherlich sechzig Schauspielerinnen gecastet, auch bei Elisabetta Rocchetti, die aus Italien kommt, war es Liebe auf den ersten Blick und ich konnte es mir gar nicht mehr anders vorstellen. Dann hatte ich das Glück, dass wir mehr als ein Monat lang proben konnten, das hat sehr geholfen, die Rollen waren völlig klar, jeder kannte den anderen in- und auswendig. Es bedurfte eigentlich nur noch des Startschusses, um loszulegen

 

Was gefiel dir an den beiden Jungen?

EVA URTHALER:  Ich hatte schon eine gewisse Vorstellung von ihnen, da ich alles immer sehr bildhaft vor mir habe. Das sind oft physische Züge, aber es kann auch sein, wie es bei Sergej der Fall war, da war es einfach seine Art, wie er sich beim Gespräch den Kakao bestellt hat, da wusste ich, er ist es. Beide hatten zuvor auch schon kleinere Rollen gespielt, aber es ist für beide die erste große Filmrolle. Sie hatten beide keine Schauspielausbildung, sind wirklich erst 16, Sergej geht noch zur Schule, Ludwig hatte sie abgebrochen. Bei Paul hatte ich zunächst jemanden, der schon viel mehr Filmerfahrung gemacht hatte und dann kam Ludwig Trepte herein: er hatte so ein Pochen unter der Haut, einen Willen, diese Rolle zu kriegen und zu spielen. Ich weiß nicht, wie andere Regisseure entscheiden, ich schaue halt, ob es etwas gibt, das mich an die Filmfigur erinnert - eine gewisse Sensibilität z.B., auch wenn die Typen ganz unterschiedlich sind. Georg Friedrich ist sehr spät zu uns gestoßen, weil er sehr viel arbeitet. Er ist für einen Regisseur ein richtiges Geschenk, großartig für die Zusammenarbeit und so voller Hingabe für jede Rolle.

 

Wie verlief die Arbeit am Set?

EVA URTHALER:  Ich bin von der Persönlichkeit her nicht jemand, der herumschreit, ich war sehr konkret und ich versuche so Regie zu führen, dass sich die Darsteller möglichst öffnen können. Ich bereite eher sehr lange vorher vor und habe eine sehr genaue Vorstellung davon, wie es ausschauen soll, versuche aber meine Schauspieler so zu führen, dass sie es dann selbst entdecken. Ich möchte, dass es entsteht.
 

Die Geschichte erhält durch ihre graue Farbigkeit und die Tatsache, dass es nur sehr wenige Figuren gibt, etwas von einer künstlichen Welt oder einer Traumwelt, in der weder Zeit noch Ort näher definiert sind?

EVA URTHALER: Wenn es so gesehen wird, dann geht auf, was ich eigentlich vermitteln wollte. Es ist kein realistischer Film, man weiß nicht genau, wo es spielt, wie lange diese Entführung dauert. Wäre es ein hundertprozentig realistischer Film, dann würde sehr vieles ganz anders verlaufen, dann wäre längst die Polizei da und es würde auch ganz anders ausgehen.

 

Wie lassen sich die beiden Hauptfiguren charakterisieren, wo liegen ihre Unterschiede, wo ihre Affinitäten?

EVA URTHALER: Was beiden gemein ist, ist die Tatsache, dass sie beide nach Anerkennung suchen. Der eine mehr nach "normaler" Anerkennung, der andere mehr nach Liebe. Sebastian ist jemand der sehr stark nach Liebe sucht und genau das Falsche unternimmt, um diese Liebe zu bekommen. Er kann nicht einfach sagen ?"ich liebe dich", "ich mag mit dir zusammen sein".

 

Entdeckt er seine Homosexualität erst, als er Paul kennenlernt?

EVA URTHALER: Ich glaube gar nicht, dass ihm das so als Homosexualität bewusst ist, es ist eher dieses Gefühl, zu jemandem gehören zu wollen. Er kann es nicht zugeben, weil er der Anführer sein möchte, zweitens weil es immer noch ein gesellschaftliches Tabu ist, sich zu jemandem desselben Geschlechts hingezogen zu fühlen. Das kennen viele Leute, dass sie sich zu jemandem hingezogen fühlen und dann genau das Falschestmögliche unternehmen, um die Zuwendung des anderen zu erlangen. Bei Paul ist es so, dass er das Gefühl hat, er braucht jemanden Starken neben sich und plötzlich kommt er drauf, dass er für sich selbst einstehen kann und er entdeckt auch die Macht.

 

Wie sehen Sie Sonjas Figur?

EVA URTHALER: Die Beziehung, in der sie lebt, ist schon sehr desolat. Man ist manchmal in solchen Beziehungen drinnen, weil man sich nicht so konkret mit sich selbst beschäftigen muss und weil man auch gerne leidet. Die Art und Weise, wie sie in dieser Gefangenschaft reagiert, auch wenn sie Mittel benutzt, die nicht jeder benutzen würde, führt auch vor Augen, dass sie im Laufe dieser Erfahrung entdeckt, dass sie diese Beziehung nicht braucht und für sich alleine auftreten kann.

 

Interessant ist an Keller, dass sich eine junge Regisseurin in einem ersten Film über Adoleszenz und sexuelles Erwachen mit zwei Jungen auseinandersetzt.

EVA URTHALER:  Ich glaube, dass es für eine Frau leichter ist, eine Geschichte von zwei Jungen zu erzählen. Warum, ist schwer zu sagen. Ich hab mal ein Interview mit einer Theaterautorin gelesen, die sagte, dass sie immer für männliche Hauptrollen schreibt und dass es für sie leichter ist, weil ihr Frauen zu nahe sind. Ich hab das für mich noch nicht ganz entschlüsselt, aber es macht irgendwie Sinn. Was man zu gut kennt, löst vielleicht viel mehr Hemmungen aus und mag auch weniger spannend sein - genau kann ich es nicht sagen. Von den Grundgefühlen sind wir ja nicht verschieden, höchstens darin, wie wir sie ausdrücken, die Wünsche sind ja gleich.

 

Wie verlief die Arbeit mit dem Kameramann?

EVA URTHALER:  Der Kameramann Alfio Contini kam aus Italien, er ist 77. Die Arbeit mit ihm ist sehr gut gelaufen. Er sprach weder Deutsch noch Englisch und wir haben mit einer Dolmetscherin gearbeitet. Für mich war es sehr gut, mit jemandem zu arbeiten, der schon sehr erfahren ist und nicht mehr den Zwang verspürt, sich profilieren zu müssen. Er ist ein Altmeister, der die Ruhe weg hat. Er hat mich gefragt "Was willst du", ich hab es ihm gezeigt und er war wunderbar unterstützend. Ich glaube, mit jemandem Jüngeren wäre es mit mir, wo ich auch noch keine Erfahrung hatte, vielleicht nicht gut gegangen. Ich habe auch Storyboards gezeichnet, meistens aber nicht wirklich verwendet. Ich hatte einen Lageplan als Aufsicht mit den Kamerawinkeln. Vieles ist aber erst am Set entstanden.


Wie sah das Konzept für Musik und Sounddesign aus?

EVA URTHALER:  Ich bin kein musikalischer Mensch und für mich war es der Teil, den ich immer vor mir her und auf später verschoben habe. Es war für mich sehr früh klar, dass Gerhard Potuznik die Musik machen würde - er hat u.a. mit Tex Rubinowitz das Label Mäuse & Angelika Köhlermann und auch viel mit Hans Platzgumer, von dem auch ein Song im Film vorkommt, gemacht. Wenn man den Dreh beendet und in den Schnitt geht, dann nimmt man noch die Atmosphäre vom Set mit, die Stimmung vom Team wirkt noch nach und alles hat noch ein bisschen Theatercharakter. Als ich den Schneideraum betrat, hab ich zunächst mal einen Schock bekommen, weil das ganze Gefühl dahingeschwunden war. Im Laufe des Schneidens kommt das dann langsam wieder und das Sounddesign hat mir letztendlich einen Riesenspaß gemacht, weil da plötzlich Elemente dazukommen, die noch nie da waren und der Film so einen Rundum-Charakter erhalten hat. Ich wollte elektronische minimalistische Musik, keine fetten Streicher. Ich habe ihm Beispiele von Filmen gebracht, wo ich die Musik sehr mochte. Ich finde es aber sehr schwierig, über Musik zu sprechen. Ich kann das einfach nicht.

 

Sie kommen von der Grafik, arbeiten als Art-Directorin, was fasziniert Sie am filmischen Erzählen, was möchten Sie auf die Leinwand bringen?

EVA URTHALER:  Alles was mit Beziehungen zwischen Menschen zu tun hat. Mich interessiert weniger das Soziale, sondern vielmehr, wie reagieren Menschen in bestimmten Situationen worauf?

 

Für Keller bedeutet das?

EVA URTHALER:  Das Thema in Keller ist nicht nur, wie man mit Liebe oder der ungelebten Liebe umgeht, sondern auch mit Gewalt, mit Bedrohung, mit Sexualität, erwachender Sexualität, Macht.

 

Worum wird es im nächsten Projekt gehen?

EVA URTHALER:  Es ist immer sehr schwierig, das Thema zu benennen. Es ist wieder eine Geschichte mit sehr wenigen Figuren, und es wird eine Art Verwirrspiel sein, mehr möchte ich dazu noch nicht sagen.

 

Was bedeutet diese Einladung nach Locarno nun für Sie?

EVA URTHALER: Mit einem Film scheint es mir so ähnlich zu sein wie mit einem Kind, einerseits findet man es toll, dass es zu laufen beginnt und gleichzeitig bekommt man Angst, dass es weglaufen oder in eine eigene Richtung laufen könnte. Ich habe große Angst vor der Festivalpremiere, ich glaube, ich muss dort auf die Bühne gehen. Ich mag das nicht, ich mache lieber meine Arbeit und möchte dann eigentlich gar nicht vorhanden sein. Der Gedanke an eine Premiere in einem solchen Rahmen, macht einem plötzlich bewusst, wie verwundbar man ist, mit dem, was man gemacht hat. Ich bin aber natürlich auch wahnsinnig stolz, dass ich eingeladen bin.

 

Interview: Karin Schiefer (2005)