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DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI von Hans Weingartner

 

Was Jan und Peter vereint, sind 15 Jahre Freundschaft und eine gemeinsame Wohnung in Berlin. Was sie beinahe entzweit, ist ihre Liebe zu Jule. Was aber letztlich alle drei unerschütterlich verbindet, ist ihr brennendes Verlangen nach politischem Aktionismus. Rebellion ist schwierig geworden, in Zeiten, wo Che Guevara am T-Shirt und lange Haare nicht mehr genügen, um das Establishment gegen sich aufzubringen. Denn damit haben die heute Etablierten vor mehr als dreißig Jahren selber versucht, ihren Widerwillen gegen Gesetz und Moral zu demonstrieren und inzwischen längst ihre Ideale und auch sich selbst verraten.

"Ich wollte mehrfach politisch aktiv werden und bin mehrfach daran gescheitert. Ich war Punk, als Punk schon vorbei war, ich war Hausbesetzer, als es damit schon zu Ende ging", kommentiert der Regisseur selbst sein Schicksal des für die Sternstunden des Aufbegehrens zu spät Geborenen. Revolutionäre Zelle In die fetten Jahre sind vorbei entwirft er mit Jan, Jule und Peter eine revolutionäre Zelle, die als Initialzündung für eine ganze Bewegung dienen könnte, sollten die Presseberichte über ihre Aktionen Gesinnungsgenossen zur Nachahmung anregen. Zur Urlaubszeit dringen sie in die gesicherten Villen in Berlins noblen Wohnstraßen ein, bringen Unordnung ins wohlsortierte Interieur der Bonzen – ohne etwas von den angehäuften Werten zu stehlen, jedoch um ihnen ein wenig von der Gewissheit zu rauben, in der sich die saturierten Wohlstandsbürger aufgehoben fühlen. Mitten im Chaos hinterlassen sie eine schriftliche Botschaft – "die fetten Jahre sind vorbei", gezeichnet die Erziehungsberechtigten. Ein Missgeschick bei einem ihrer "pädagogisch motivierten" Villenbesuche zwingt das Trio in eine emotionale Zerreißprobe und in die ausführliche Konfrontation mit einem ihrer "Opfer", das 1968 auch noch an das Gute in der Welt geglaubt hatte.

Risikobereitschaft zugunsten maximaler Unabhängigkeit war auch die Devise bei Finanzierung und Produktion von Die fetten Jahre sind vorbei, die Weingartner mit seiner eigenen deutschen Produktionsfirma y3 film und der Wiener coop99 realisierte. Digitale Handkamera und der Verzicht auf künstliches Licht bestimmen wie auch schon in Weingartners erstem Langspielfilm Das weiße Rauschen der 2001 mit dem Max Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde, die ästhetische Handschrift. Daniel Brühl, Deutschlands Schauspiel-Entdeckung aus Weingartners Erstling, spielt den verbissenen Idealisten und findigen Anarchisten Jan, der im quasi Einzelkampf für eine gerechtere Welt nicht nur Berlins Luxusvillen im Visier hat: mit seinen Komplizen – Jule (Julia Jentsch) und Peter (Stipe Erceg) – bereitet er sich schon auf den nächsten Coup vor: ein gezielter Eingriff bei Europas Fernsehsatelliten könnte für einige Minuten am ganzen Kontinent für schwarze Bildschirme sorgen. Für beinahe globale Präsenz auf den Kinoleinwänden von Die fetten Jahre sind vorbei ist jedenfalls gesorgt: Die Low-Budget Produktion ist wenige Wochen nach Cannes weltweit verkauft.

Karin Schiefer (2004)