INTERVIEW

Berger erscheint fast als Thomas Bernhardsche Figur.

«Ich glaube Helmut Berger ist — trotz seiner Bemühungen, als Weltbürger zu gelten — im Grunde seines Herzens doch ein typischer Österreicher geblieben.» Andreas Horvath über seinen Versuch, ein Menschenbild des Schauspielers und einer unergründlichen Persönlichkeit zu zeichnen.



Der Lampenschirm von Helmut Bergers Nachttisch ist eine Weltkugel. Bringt das Abbild der großen Welt im Mikrokosmos eines einsamen Mannes, der sich in jungen Jahren durch die mondäne Welt bewegt hat, Ihren Ansatz auf den Punkt?
 
ANDREAS HORVATH: Natürlich entbehrt dieses Arrangement nicht einer gewissen Ironie. Dazu auch noch eine wandfüllende Fototapete mit Brigitte Bardot in Serie. Ich war bei Helmut Berger immer wieder an den alten Nachtportier aus Kieslowskis Film Night Porter’s Point of View erinnert, den ich 2005 porträtiert habe. Der saß vor einer wandfüllenden Tapete mit einer kitschigen Südseelandschaft, während er sich nach dem Kommunismus zurücksehnte.
 
 
Nach Barbara Wally haben Sie nun mit Helmut Berger eine weitere Salzburger Persönlichkeit porträtiert. Mit welchen Prämissen gehen Sie grundsätzlich an ein Portrait einer Einzelperson heran. Was reizt Sie daran?
 
ANDREAS HORVATH: Mich interessieren Widersprüchlichkeiten. Bei Barbara Wally war es die Tatsache, dass eine österreichische Feministin und Atheistin als Zweitfrau eines gläubigen Muslim in den Jemen geht. Bei Helmut Berger ist es der Umstand, dass sein heutiges Leben so konträr zum damaligen Jetset-Dasein zu verlaufen scheint.
 
 
Seine Haushälterin Viola bezeichnet Helmut Berger als zunehmend menschenscheu. Wie haben Sie es geschafft, Ihre Kamera in die vier Wände von Helmut Berger einzuführen?
 
ANDREAS HORVATH: Helmut Berger geht da, glaube ich, sehr intuitiv vor. Wenn man ihm aus irgendeinem Grund von vornherein unsympathisch ist, wird man wenig Chance haben, Eingang zu finden. Entscheidend war sicher auch, dass ich allein arbeite und wir uns so wirklich meist zu zweit gegenüber gesessen sind.
 
 
Was war Ihr Eindruck, als Sie ihn zum ersten Mal in seiner Wohnung aufsuchten?
 
ANDREAS HORVATH: Ludwig II, Die Verdammten oder Der Garten der Finzi Contini sehr sehr viel bedeutet. Aber auch die andere, dunklere Seite hat mich schon früh fasziniert: Der Exzess, seine Gleichgültigkeit gegenüber der öffentlichen Meinung. Mit 20 hatte ich Pläne, ein Fotobuch über Helmut Berger zu machen. Und so war es schon ein sehr erhebender Moment, als ich ihm das erste Mal in seiner Wohnung gegenüberstand. Gut, dieser Moment war nur der Beginn einer anderthalbjährigen Achterbahnfahrt. Aber ich war ja vorgewarnt.
 
 
Was kann man, wenn man sich vornimmt, eine schwierige Persönlichkeit wie Helmut Berger zu portraitieren, überhaupt im Vorfeld an inhaltlichen Linien festlegen?
War es eine Arbeit, bei der sie in erster Linie reagiert haben und wenig ihrem „Plan/Konzept“ folgen konnten?
 
ANDREAS HORVATH: Ja, es war ein ständiger Versuch, auszugleichen, zu beschwichtigen, Schadensbegrenzung zu betreiben. Die Pläne haben sich laufend geändert, ich war wochenlang auf Abruf bereit, und wenn ich dann einmal ein paar Tage in meinen eigenen Angelegenheiten unterwegs sein musste, war das ein großes Problem.  Aber ich habe beim Filmen meistens ohnehin nur einen sehr vagen Plan und lasse mich gern führen. Das erfordert zwar Geduld und Ausdauer, hat aber den Vorteil, dass man flexibler sein kann und eine Person nicht in ein fertiges Konzept hineinzwängen muss.
 
 
Wenn ich es richtig verstanden habe, hatten Sie nach St. Tropez eine Weiterfahrt nach Italien geplant. Es ist auch von Interviews die Rede, die endlich beginnen sollten ...
 
ANDREAS HORVATH: Es ist ja auch ein Film über das Filmemachen geworden. Über die Unmöglichkeit einer Person wirklich nahe zu kommen, bzw. die Frage, mit welchen Methoden man sich auf den Kern einer Person zubewegt. Ich halte Interviews nicht unbedingt für die beste Methode. Und auch die Verweigerungshaltung sagt ja schon viel über eine Person aus.  Wir sind dann übrigens tatsächlich noch nach Italien gefahren, aber irgendwie war die Luft raus. Die Gespräche, die er sowieso grundsätzlich mehr oder weniger verweigert hat, wurden immer mühsamer, und kurz vor Volterra, wo Berger das erste Mal Visconti begegnet ist, haben wir beide uns angeschaut und beschlossen, nach Hause zu fahren. Mittlerweile sehe ich seine Weigerung Interviews zu machen, sogar als ganz bewusste Entscheidung, den Film entscheidend zu beeinflussen und den Schwerpunkt im Film auf essentiellere oder elementarere Dinge zu lenken. Helmut Berger ist immer noch ein überaus sensibler und unglaublich intelligenter Mensch.
 
 
Es gibt eine ganze Menge Talk-Shows im deutschsprachigen Raum, wo Helmut Berger sehr offensichtlich aufgrund seines Provokations-Potenzials eingeladen wird, sehr direkt und spekulativ auf sein Sexualleben, seine Drogenerfahrungen, seine Tabubrüche angesprochen wird, die Häme gegenüber dem gefallenen Star genährt wird. Inwiefern wollten und konnten Sie dem in ihrer filmischen Annäherung gegensteuern.
 
ANDREAS HORVATH: Dem wollte ich gar nicht gegensteuern. Wie das in Talkshows abgehandelt wird, ist eine Frage für sich, aber Narzissmus, das Altern, die Vergänglichkeit, die Frage, ob und wie die Spuren unseres Lebens an uns sichtbar werden, das sind ja interessante Themen, die die Menschheit seit jeher beschäftigen — von der Antike bis heute: von Adonis, Narziss, Dorian Gray bis zu den austauschbar gewordenen Stars, die unser Zeitalter ständig neu produziert.  Man darf auch nicht vergessen, dass Helmut Berger immer schon mit seinen Tabubrüchen provoziert hat. Auch als er noch kein, wenn man so will, „gefallener Star“ war. Er hat immer schon mit größter Schonungslosigkeit seinen eigenen Körper ins Spiel gebracht. Ich glaube Helmut Berger ist — trotz seiner Bemühungen, als Weltbürger zu gelten — im Grunde seines Herzens doch ein typischer Österreicher geblieben. Die Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit, mit der er seinen Körper als Projektionsfläche einsetzt, erinnert mich an den Wiener Aktionismus, seine Hassliebe zu Österreich an Oskar Werner oder Helmut Qualtinger, seine endlosen Tiraden an Thomas Bernhard, seine outrierte, mit Fäkalanalogien geschmückte Ausdrucksart an Werner Schwab, usw.
 
 
Der einsame Mann, dem einst weder Frauen noch Männer widerstehen konnten, der nun vor ihrer Kamera und den Fotos all der Schönheiten der Filmwelt der sechziger und siebziger Jahre Sex mit sich allein betreibt ist nicht nur ein starkes Bild, auch Sie reizen hier Grenzen aus – wie Ihr Protagonist. Wie grenzen Sie sich gegenüber dem Vorwurf des Voyeurismus ab?
 
ANDREAS HORVATH: Ich sehe keine Notwendigkeit, mich abzugrenzen. Als Filmemacher bin ich immer ein Voyeur. Wenn ich an einen Exhibitionisten wie Helmut Berger gerate, fällt das nur stärker auf.
 
 
Der Titel lautet Helmut Berger, Actor: damit ist von vorneherein klar, dass wir es als Zuschauer mit jemandem zu tun haben, der uns im Unklaren darüber lassen wird, was sein wahres Ich ist und wo er in eine Rolle schlüpft. Hätten Sie sich mehr gewünscht, ihm als Menschen näher zu kommen? 
 
ANDREAS HORVATH: Nein, solche Gedanken habe ich nicht. Ich glaube es ist gelungen, dem Menschen Helmut Berger sehr nahe zu kommen.
 
 
Diese Wohnung ist heruntergekommen, bunt und verrückt zugleich. Sie stellen ihr Bilder eines verregneten Salzburg, einer trostlosen Wohnanlage und – sich langsam steigernd – eines immer unwirtlicher und zerklüfteter erscheinenden Gaisbergs bei Salzburg entgegen. Wie haben Sie zu diesen „Gegenbildern“ gefunden?
 
ANDREAS HORVATH:
Ich wollte Helmut Bergers Gedankenwelt visualisieren. In diesem Sinn ist der Film sehr subjektiv, fast expressionistisch angelegt. Ich dachte mir, dass die Verächtlichkeit mit der Helmut Berger über Salzburg spricht, vielleicht ihren Ursprung in unbewältigten Ängsten hat. Aus diesem Grund werden die Berge rund um Salzburg immer bedrohlicher. Die Alpen trennen ihn schließlich auch von seinem geliebten Italien und Südfrankreich. Auch in diesem Zusammenhang, in diesem Ausgeliefertsein der österreichischen Provinz, oder zumindest Sich-ausgeliefert-Fühlen, erscheint Berger fast als Thomas Bernhardsche Figur.
 
 
Die Bilder der Außenwelt sind sehr stark mit einer von Unruhe geprägten Musik verbunden. Wie und mit welchen Ansprüchen entstand die Musik zu diesem Film?
 
ANDREAS HORVATH: Ausgangspunkt war eine Kompositionsskizze Richard Wagners, die auch in Viscontis Ludwig II verwendet wird. Das Stück wird oft Elegie oder einfach nur Thema in As Dur genannt und existiert nur als Klavierfassung. Es entstand zur Zeit des Tristan, und nachdem Wagner es gegen Ende seines Lebens hervorgeholt und immer wieder gespielt hat, geht man davon aus, dass er es womöglich als Vorspiel zu seiner geplanten Oper mit buddhistischem Hintergrund, Die Sieger, verwenden wollte. Wagner konnte diese Oper jedoch nicht mehr in Angriff nehmen. Dieses Stück habe ich in verschiedenen Versionen arrangiert. Es gibt sogar eine Jazzversion. Der Bezug zu Ludwig II war mir wesentlich. In vielen Aspekten hat mich Helmut Berger an die Filmfigur Viscontis erinnert. Daneben gibt es noch andere Kompositionen, die Angstzustände und Paranoia – die dunkle und irrationale Seite der Person illustrieren und die allgegenwärtige Bergkulisse noch bedrohlicher klingen lassen.
 
 
Über die Musik hinaus spielt wie immer die Tonebene – gerade dadurch, dass auch viele Nachrichten auf dem Beantworter Einzug in den Film nehmen – eine wichtige Rolle.
 
ANDREAS HORVATH: Ähnlich wie viele berühmte Persönlichkeiten verwendet Berger das Telefon meist in der Nacht, um mit Menschen weltweit zu kommunizieren. Es war keine Seltenheit, dass er bis zu zehn Mal in der Nacht angerufen hat. Das ging bis in den Morgen. Mir wurde bald klar, dass das sehr intime und ehrliche Momente waren, in denen der wahre Helmut Berger durchschimmerte. Ich bin ihm oft stundenlang gegenüber gesessen, ohne dass er Wesentliches gesagt hat, aber dann war plötzlich viel Emotion und Ehrlichkeit in einen nächtlichen Anruf verpackt.
 
 
Lässt sich auch heute bei allen Schwierigkeiten, denen er sein Gegenüber ausliefert, auch seine Faszinationskraft spüren.
 
ANDREAS HORVATH:  Absolut. Er lügt und betrügt, er kann brutal und rücksichtslos sein, er versteckt sich hinter Masken und ist grundsätzlich ein Schauspieler — aber letztlich zwinkert einem durch all diese Rollen- und Versteckspiele immer wieder der Schelm zu, der das Spiel benützt, um mit uns zu kommunizieren. Ein ganz gewöhnlicher Mensch auf der Suche nach Aufmerksamkeit und menschlicher Nähe.
 
 
Interview: Karin Schiefer
August 2015
«In diesem Ausgeliefertsein der österreichischen Provinz, oder zumindest Sich-ausgeliefert-Fühlen, erscheint Berger fast als Thomas Bernhardsche Figur.»