INTERVIEW

Barbara Albert im Gespräch über BÖSE ZELLEN

«Böse Zellen ist eine Variation über die Angst vor dem Tod. Der Film hat etwas Abstraktes, aber das Abstrakte braucht konkrete Figuren und die wollte ich realistisch und greifbar mit einer Vitalität und intensiven Körperlichkeit machen. Es ist ein abstrakter Film, der sich sehr konkreter Figuren und Momente bedient und auch mit Alltäglichkeiten und Momentaufnahmen arbeitet. Diese Elemente wollte ich verwenden, verknüpfen und schauen, was das im Gesamten ergibt.»
 


Vor ziemlich genau einem Jahr führten wir zu Drehbeginn ein erstes Interview zum Projekt Böse Zellen, knappe 11 Monate später feiert der Film im Wettbewerb von Locarno seine internationale Premiere. Wenn Sie sich das Ergebnis anschauen, ist der Film das geworden, was Ihnen vor einem Jahr vorgeschwebt ist.

BARBARA ALBERT: Doch, habe sehr das Gefühl, dass Böse Zellen stark in die Richtung geht, was ich mit diesem Projekt machen und ausprobieren wollte.

 

In welche Richtung sollte dieser zweite Langfilm gehen?

BARBARA ALBERT:  Böse Zellen ist für mich eine Abhandlung eines Themas, das sich wieder in andere Themen aufgliedert. Im Fall von Böse Zellen ein Film über die Angst vor dem Sterben und dann gibt es Unterthemen. Atmosphärisch gesehen ist diese Variation über die Angst vor dem Tod für mich, soweit es meine Möglichkeiten betrifft, aufgegangen. Mein zweites Anliegen war der Versuch, sehr viele Figuren im Film zusammenzubringen. Und drittens war da das Bedürfnis von einer Realität zu erzählen, aber darüber hinaus auch von etwas, das darüber steht: eine Kombination aus totaler Realität und etwas, von dem man nicht weiß, ob es die Realität ist oder nicht. Schließlich ging es auch darum, sehr unterschiedliche Dinge zu mischen.

 

Wenn man versucht, eine Handlung zu erzählen, wird man sich in Böse Zellen schwer tun, nicht nur, weil sich hier ein Gefüge sehr mosaikhaft zusammensetzt, sondern weil der Film etwas ziemlich Abstraktes an sich hat.

BARBARA ALBERT: Abstrakt trifft sicherlich zu, das wollte ich auch. Aber das Abstrakte braucht konkrete Figuren, um an das Thema herangehen zu können. Die Figuren wollte ich ganz konkret, realistisch und greifbar machen, ich wollte in gewissen Momenten eine Vitalität und eine intensive Körperlichkeit und beides ist für mich da. Es ist ein abstrakter Film, der sich sehr konkreter Figuren und Momente bedient und auch mit Alltäglichkeiten und Momentaufnahmen arbeitet. Diese Elemente wollte ich verwenden und schauen, was ergibt das im Gesamten? Kann das aufgehen oder wird es nur ein Puzzle, das keinen Bogen hat? Was mich außerdem beschäftigte, war, eine Struktur zu bauen, wo es manchmal Sackgassen gibt, es manchmal nicht weiter geht und keine Lösung da ist. Einfach so, wie das Leben ist – eine vielschichtige Struktur von Figuren, Menschen und Personen. Manches führt an ein Ziel, manches nicht, aber man ist immer auf der Suche, logische Zusammenhänge zu finden, zu verknüpfen, nur manchmal funktioniert es einfach nicht.
 

Wie gehen Sie beim Schreiben an sein so puzzleartiges Drehbuch heran?

BARBARA ALBERT: ch glaube, ich weiß von vornherein sehr gut, wohin es gehen soll, das gilt es dann aufzufüllen. Es ist eher so, dass ich mir sage, da hin will ich und welche Bilder finde ich dafür? Manchmal gibt es Bilder, die verirren sich hinein, ohne mit dem Thema zu tun zu haben, dann muss ich überprüfen, ob die trotzdem etwas dazu beitragen können. Die Kombination von Szenen und daraus etwas Neues entstehen lassen ist eine Schreibweise, die mir sehr entgegen kommt. Die Frage, was macht einen Film aus, der mich fasziniert oder warum entsteht aus der Neuordnung von Szenen etwas, das mich berührt, oder schockiert, kann ich mir immer noch nicht erklären. Und gerade deshalb, weil es noch immer etwas von einem Rätsel an sich hat, kann ich nichts anderes tun, als Kombinationen auszuprobieren, das mache ich von Anfang an so. Es würde mir viel schwerer allen, wenn ich jetzt eine Szene schreiben müsste mit zwei Personen, die einander gegenüber sitzen, wo es zu einem Wendepunkt oder einer Eskalation kommen soll und die sehr dialoglastig ist. Das Assoziative ist mir näher als das, was durch den Dialog erzählt wird.

 

Wie kommt beim Schreiben sozusagen der Stein ins Rollen?

BARBARA ALBERT: Ich sammle einerseits zu Themen von denen ich erzählen will, die in gewisser Weise abstrakt sind – z.B. Angst, oder Unendlichkeit oder Traurigkeit –  grundsätzliche Dinge. Auf der anderen Seite gibt es Figuren, die mich faszinieren und zu denen mir Szenen einfallen. Gespeist sind diese Szenen aus einer Mischung aus teils meinen Erinnerungen, teils Erinnerungen von anderen oder Beobachtungen. Böse Zellen ist nicht so autobiografisch wie Nordrand, weil nicht so viele Szenen vorkommen, die ich selber erlebt habe oder die mir so nahe waren. In der Schicht darunter ist es aber schon ein Film, der sehr viel mit mir und meinem Erleben zu tun hat. Ich verwehre mich auch grundsätzlich immer ein bisschen gegen das Nacherzählen von Handlungen, weil ich das ganz selten kann, eine Geschichte so auf den wesentlichen Punkt zu komprimieren. Mir ist wichtig, wie die Geschichte erzählt wird, welcher Figur ich in welchen Momenten nahe bin, welche Momente es gibt, die die Atmosphäre eines Films ausmachen. Das Medium Film ist für mich nicht etwas, wo mich der Plot, sondern, wo mich die Atmosphären und die Emotionen besonders interessieren. Deshalb, finde ich, kann man Film auch nicht nacherzählen.

 

Die Figuren sind eigentlich alle - teilweise äußerlich sichtbar, teilweise innerlich – versehrt, verwundet, von Unfällen gezeichnet. Die Verletztheit ist ein allgegenwärtiges Thema?

BARBARA ALBERT:  Stimmt. Ich wollte da aber keine Freak-Show veranstalten, es sind ganz normale Figuren, die aus dem Leben genommen sind. Es war mir schon ein Anliegen zu sagen, dass es einfach keine heile Welt gibt, dass jeder seine Verletzungen hat. Es ist eine Versinnbildlichung dessen, dass wir alle aus Verletzungen bestehen, die uns ausmachen, ohne jetzt selbstmitleidig zu sein, ohne für die Figuren Mitleid auslösen zu wollen, auch wenn es ein paar Momente im Film gibt, wo ich mir schon denke, jetzt tun sie mir echt leid. Es wäre aber anmaßend zu sagen, da geht es mir besser, da steh ich drüber. Es ist nur wichtig, diesen Lebensumstand zu begreifen und zu hinterfragen.
 

Der Film mutet dem Zuschauer sehr viel Unbarmherzigkeit des Schicksals zu und vermittelt am Ende eher etwas von einer Schickalsergebenheit, nicht den erwarteten Hoffnungsschimmer.

BARBARA ALBERT:  Es ist eine Gratwanderung. Für mich ist es aber trotzdem etwas sehr Versöhnliches, indem ich sage, wir suchen die ganze Zeit, auch den Film über nach logischen Zusammenhängen, nach Schlussfolgerungen, nach Auflösungen, nach etwas, das wo hinführt. Am Schluss, und das ist natürlich fies, kann ich aber auch nur sagen – es ist, wie es ist, wie es ist. Das kann man als sehr hart empfinden und hat natürlich auch etwas Passives, es geht aber auch um ein bestimmtes Thema – das Todesthema. Wenn ich jetzt einen politischen Film machen würde, wo Leute für etwas kämpfen und ich sage am Ende das Schicksal ist aber so, dann wäre das falsch. Nur ist die kleine Yvonne in einer Situation, wo sie sich nicht einmal die Frage stellen kann, kann ich die Welt verändern oder nicht. Sie steht ganz schlicht und ohne eine Wertung in dieser Welt und ist damit konfrontiert, dass jemand stirbt, dass sie jemanden verliert. So einfach ist es letztlich wieder, trotz aller Konstrukte davor, trotz der Suche nach Zusammenhängen, nach dem Überlebenskampf, nicht einsam sein zu wollen, dem Kampf und der Sehnsucht einen Menschen zu haben, geht es darum zu akzeptieren, dass das Leben einfach ist, wie es ist.

 

Es gibt eine Vielzahl von Figuren, es spielen aber auch die Abwesenden eine große Rolle.

BARBARA ALBERT: Was ich unbedingt wollte, ist eine Figur – im Film ist es Manu –, die verschwindet, aber bis zum Schluss präsent ist. Kathrin Resetarits ist so präsent auf der Leinwand, dass das mit ihr funktioniert, sie bleibt einfach da. Das ist wie bei den Familienaufstellungen, viele wichtige Menschen sind nicht da, aber sie sind immer noch so wichtig, sie existieren, obwohl sie tot sind und haben auf lebende Menschen immer noch einen Einfluss.

 

Warum spielen rational nicht erklärbare Dinge wie Tisch rücken oder Familienaufstellungen eine Rolle?

BARBARA ALBERT: Weil sie sich auch mit dem Tod auseinander setzen, was ja das Thema meines Filmes ist. Und dann geht es natürlich auch um das Spiel mit verschiedenen Realitätsebenen – ist das jetzt die Realität des Films oder der Welt – Die Aufstellungen sind für mich auch die Versinnbildlichung eines Systems von Menschen, die miteinander zu tun haben und voneinander abhängig sind, in einem abstrakten. Hier kulminiert das Bild "hier werden Figuren in den Raum gestellt", im Film, im Leben, in dieser Therapieform. Diese Systeme gleich zu setzen hat mich interessiert.

 

Was symbolisieren die Fraktale?

BARBARA ALBERT:  Das hat für mich mit der Faszination der Nicht-Grenzen, der Unendlichkeit und damit wiederum mit dem Tod zu tun. Die Frage, gibt es ein Ende oder nicht und ich meine das nicht im religiösen Sinn hat mich immer schon fasziniert. Manche finden das großartig, manche finden das erschreckend, sich vorzustellen, was ist da nach dem Weltall. Die Fraktale kommen auch aus einer Spielerei mit der Chaosforschung, ich nahm dann Lukas, um ein Bild zu haben für den Zufall, dass irgendwo ein Schmetterling schlägt, anderswo ein Unwetter entsteht und deshalb der Unfall passiert. Das sind alles interessante Gedankenmodelle, auch wenn sie letztendlich keine Erklärung für die Welt liefern. Was ich auch wollte, war, verschiedene Systeme aneinander zu stellen – die Aufstellung, die Chaostheorie, Familiensysteme.
 

Wie sah das Casting für diese zahlreichen Figuren aus?

BARBARA ALBERT:  Das Casting war lange und aufwändig, weil wir sehr breit gesucht haben von Kindergärten und Schulen über Lokale und auf der Straße für die Laien, dann die Schauspieler über Agenturen, andere Filme, zum Teil auch in Deutschland. Ich caste immer sehr ausführlich, diesmal ging es vor allem auch darum, die Kombinationen auszuprobieren: wer passt jetzt wirklich zu wem, irgendwann hängte ich alle Fotos von der "Filmfamilie" auf und überlegte mir, ob sozusagen der Stammbaum stimmt.


Die bisherigen Filme und auchBöse Zellen zeigen in erster Linie Szenen aus dem Alltag. Diesmal mussten Sie als Regisseurin auch nach möglichst unaufwändigen Lösungen für den Dreh des Flugzeugabsturzes oder des Autounfalls suchen?

BARBARA ALBERT:  Das waren neue Herausforderungen, aber man geht dann in dem Augenblick, wenn es so weit ist, einfach damit um, wie man mit einer Sexszene umgeht. Natürlich ist es schwer, aber letztendlich birgt eine Absturzszene gar nicht so viele Möglichkeiten in sich. Man fragt sich aber einfach, was sind die Bilder, wie kann ich es reduziert erzählen, wie kann ich viel mit Ton arbeiten. Ich bin, glaube ich, an jede Szene ziemlich gleich heran gegangen. Die schwierigsten Szenen sind sehr oft die nahe liegenden, z.B. zwei Leute an der Bar oder sechs Leute an einem Tisch, da ist es schwierig, die richtigen Bilder zu finden.

 

Über emotionsträchtige Fernsehshows und riesige Gewinnspiele kommt zum zeitlosen Hauptthema auch aktuelle Gesellschaftskritik ins Spiel?

BARBARA ALBERT: Es ist ein Randthema. Ursprünglich war auch das Thema Schuld größer. In der Fernsehshow Verzeih mir geht man an die Öffentlichkeit, um jemanden um Verzeihung zu bitten. Ich will das nicht anprangern, ich will nur sagen, wir gehen mit dem Thema Schuld heute hier und jetzt so um, das hat mich frappiert: bevor man direkt zu jemanden geht und etwas zwischenmenschlich löst, nehme ich den Umweg über die Öffentlichkeit oder ein Medium, so als würde es dann auch größer werden. Mehr wert sein, leichter sein und das ist ein Phänomen, das ich schon erschreckend finde, dass alles, was über das Fernsehen kommt, mehr wert ist. Das gehört zum Stimmungsbild des Films sehr stark dazu.

 

Böse Zellen war der erste Film, den Sie selber auch als Produzentin mit getragen haben. Wie war diese Erfahrung?

BARBARA ALBERT:  Für mich war es insgesamt ein sehr schönes, intensives und gutes Arbeiten. Ich merkte auch, dass mir die Eigenverantwortlichkeit sehr entspricht. Ich war natürlich nicht in erster Linie Produzentin, das waren meine Kollegen von der coop99. Martin Gschlacht war ja auch Kameramann, wir hatten einfach sehr das Gefühl, dass wir im Prozess selber entscheiden, gleichzeitig gab es Regulative durch die anderen Kollegen von der coop99. Es ist für mich völlig in Ordnung, dass ich mich mit Fragen auseinander setze  wie – "was muss ich nächste Woche einsparen, wenn ich diese Woche Überstunden mache", für mich ist das ein Teil des kreativen Prozesses, mich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen, auch wenn ich die Regisseurin bin. Es ist ein Ansporn, selber verantwortlich zu sein und mich nicht für alles rechtfertigen zu müssen. Das war eine große Befreiung, wobei es aber auch ein großer Unterschied ist, ob man seinen ersten oder zweiten Film macht. Ich stehe in meiner Entwicklung woanders. Ich hab inzwischen viel gelernt, auch dank kleinerer Projekte, die ich nach Nordrand gemacht habe und es war im Team eine irrsinnig tolle Kombination von Leuten, wo ich mich total getragen gefühlt habe.
 

Der Film hat nun mit der Einladung in den Wettbewerb von Locarno ein eindrucksvolles internationales Echo geschafft. Was bedeutet das?

BARBARA ALBERT: Wenn man mit dem ersten Film in Venedig war und viel positives Echo gehabt habt, dann ist man verwöhnt. Aber diese gute Erfahrung hat mir das Gefühl gegeben, dass ich diesem Erfolg nicht mehr nacheifern muss, da ich es schon einmal erlebt hatte. Ich kann nun auch ohne das leben, auch wenn es sehr tolle Nebeneffekte hat. Ich merke aber bei Böse Zellen schon, dass das etwas in mir auslöst, wenn er akzeptiert oder nicht akzeptiert wird. Ich könnte nicht behaupten, dass ich davon völlig unabhängig wäre, auch deshalb, weil ich emotional noch sehr drinnen bin im Film. Womit ich sicher rechnen muss, ist, dass die Leute damit weniger werden anfangen können im Vergleich zu Nordrand. Es ist ein Film, mit sehr vielen Dingen drin, das war auch das Risiko, das ich einging. Es freut mich sogar, dass er eher unterschiedliche Reaktionen auslöst, weil das auch eine Auseinandersetzung mit etwas bedeutet. Dafür bin ich jetzt auch gewappnet, das wäre ich nach Nordrand nicht gewesen. Da war das Machen schon so anstrengend und umso wohler tat mir der Erfolg. Das brauche ich diesmal weniger, weil ich stärker weiß was ich will, auch wenn es ein Risiko ist

 

Gibt es schon Vorbereitungen für das nächste Projekt?

BARBARA ALBERT:  Ich fange langsam an, über den dritten Film nachzudenken, vielleicht kommen aber auch kleinere Projekte. Das hat sich schon zwischen Nordrand und Böse Zellen sehr bewährt. Zur Lage z.B. oder auch mit anderen Leuten zu arbeiten, war sehr lehrreich, da habe ich viel an Ängsten überwunden. Deshalb will ich mir wieder Zeit geben, um zu sehen, was das nächste sein kann. Es muss natürlich etwas Neues sein, es war Böse Zellen auch etwas ganz anderes als Nordrand. Es wird sicher nicht wieder um ein komplexes System aus vielen Figuren gehen, es muss dann etwas anderes geben, das mich herausfordert.

 

Interview: Karin Schiefer (2003)