INTERVIEW

Benjamin Heisenberg dreht DER RÄUBER

 

«Ich sehe ihn als Naturphänomen. Ich habe ihn nie psychologisch betrachtet oder als Konglomerat von Charaktermerkmalen sondern viel eher wie ein Tier. Deshalb habe ich mir vorgenommen den Räuber in Teilen wie eine Art von Tierfilm zu drehen, auch wenn er inszeniert und dramatisiert ist.» Inspiriert von Martin Prinz' Roman Der Räuber über den laufenden Bankräuber, der als Pumpgun-Ronnie in die österreichische Kriminalgeschichte eingegangenen ist, dreht Benjamin Heisenberg gerade seinen zweiten Spielfilm. Ein Gespräch mit dem Regisseur.

 

Johannes Rettenberger ist als Pumpgun-Ronnie in die österreichische Kriminalgeschichte eingegangen, vielen noch aus der Berichterstattung in Erinnerung. Er ist durch Martin Prinz zum Romanhelden geworden, durch Ihren neuen Spielfilm wird er auch noch zum Filmhelden. Worin liegt die Faszination an dieser Figur?
Benjamin Heisenberg: Grundsätzlich hege ich persönlich schon immer eine gewisse Faszination für Bankräuber, auch für den gewissen Robin-Hood-Effekt der da mitschwingt. Mein erster Kurzfilm auf s-vhs, den ich lange vor der Filmschule gemacht habe, handelt von einem Typen, der nach Hause kommt und nicht weiß, was er mit sich anfangen soll, in der Küche herumhängt, einen Pornofilm ansieht, dann wieder rausgeht und als er die Tür zumacht, ist eine Zeitungsanzeige von ihm zu sehen, auf der er einen Kapuzenpulli und eine schwarze Sonnenbrille trägt. Darunter steht: 13 Banken ausgeraubt, die Polizei sucht diesen Mann. Dieses Plakat gab es in München tatsächlich. Dieser Typ, hat mit dem Fahrrad Banken in Serie ausgeraubt. Irgendwann nach dem ungefähr 18. Überfall ist er dann gefasst worden, weil seine Freundin zu viel Geld ausgab. Ich fand dabei das Serienmäßige so interessant und die Schnelligkeit und Einfachheit der Aktion selbst: reingehen, die Bank ausrauben und ganz einfach mit dem Fahrrad abhauen.  Dann habe ich den Roman von Martin Prinz gelesen und war fasziniert von dieser ausgeprägten Form der Getriebenheit eines Mannes, der parallel intensiv einen Sport betreibt und den Bankraub mit der gleichen Intensität, auch wie einen Sport behandelt. Das war für mich eine faszinierende Mischung. Lustigerweise gab es im Roman einige Szenen die sehr meinem kleinen Kurzfilm ähnelten.  Was mich auch faszinierte, war die Tragik der langen Flucht am Ende der Geschichte, wenn das Gefühl entsteht, dass dieser Mann, sich aus seiner Natur heraus, wie ein aufgedrehter Kreisel immer weiter und weiter dreht, bis er doch fallen muss und alles zu einem Ende kommt. Dieses Ankommen, auch als unbewusster Wunsch des Räubers, war eines der Grundmotive für den Film. 

Haben Sie Johann Kastenberger über den Roman entdeckt oder sich noch aus den Medien an ihn erinnert?
Benjamin Heisenberg: Kastenberger war mir kein Begriff, bevor ich den Roman von Martin Prinz gelesen habe. Jetzt kürzlich habe ich gehört, dass die Idee der Präsidentenmasken in Point Break (Gefährliche Brandung) von Kathryn Bigelow, auf den Pumpgun-Ronnie zurückgeht, aber ich kannte ihn vor dem Projekt nicht.  Zu mir kam die Geschichte nachdem 2005 die Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion die Option an dem Roman gekauft hatte und anschließend jemanden suchte, der den Stoff verfilmen und auch das Drehbuch schreiben würde. Ich wurde gefragt, habe den Roman in einem Rutsch auf dem Flug von München nach Berlin, zur Berlinale gelesen und dann schnell und begeistert zugesagt. Mein Wunsch war es, das Buch gemeinsam mit Martin Prinz, dem Autor des Romans, zu schreiben und er war glücklicherweise auch daran interessiert.

Wie ist eigentlich Martin Prinz auf Johann Kastenberger als Romanhelden gekommen?
Benjamin Heisenberg: Er kannte ihn vom Laufen. Da er selbst sportlich sehr aktiv war und als Jugendlicher auch Marathon gelaufen ist, was er übrigens immer noch tut, kannte er Rettenberger von verschiedenen Wettbewerben. Dass der Pumpgun-Ronny und Johann Kastenberger ein und die selbe Person waren, war für ihn eine völlige Überraschung und er hat damals die Aufsehen erregende Flucht genau mitverfolgt. Später hat ihm der Bezug zum Laufen noch mal eine ganz eigene zusätzliche Ebene für den Roman und das Verständnis der Figur gebracht.

Beruht der Rest der Geschichte auf Tatsachen oder ist es zugunsten des filmischen Erzählens zu einer Fiktionalisierung des Stoffes gekommen.
Benjamin Heisenberg: Teils, teils. Es ist vieles im Film, was auf den realen Tatsachen beruht. Andererseits ist auch fiktionalisiert worden, weil die Wirklichkeit und auch die romanhafte Erzählung sich oft nicht für den Film eignete. Um den realen Menschen Kastenberger noch stärker zu erzählen, hätte man eine viel pathologischere Figur erzählen müssen. Ich fand die Liebesgeschichte, den Aspekt des Sportlichen und den Raub als Herausforderung, so interessant, dass es mir wichtiger war, gewisse Pathologien der Figur zugunsten einer durchlässigeren Lebendigkeit zu opfern.  Für das Drehbuch haben wir, als ersten Schritt, anhand des Romans die reine Handlung exzerpiert und versucht, daraus ein Treatment zu stricken. Daraus sind dann die Buchversionen entstanden. Im Schreiben sind wir aber weite Umwege gegangen um genau herauszufinden, was für einen Verhältnis zwischen Roman realer Geschichte und Film bestehen sollte. Eine Änderung, die sich so ergeben hat, ist die Liebesgeschichte zwischen dem Räuber und seiner Freundin Erika, die im Roman kaum vorkommt, im Film dagegen ein Kern des Dramas bildet.
 
Es ist wohl auch eine der Geschichten, die man, hätte man sie zur Gänze als Fiktion erfunden, eventuell als unglaubwürdig abgetan hätte.
Benjamin Heisenberg: Ich weiß nicht. Es ist durchaus eine Sache, die man sich auch ausdenken könnte. Point Break als Referenz ist gar nicht so weit entfernt, dort kommen Surfer als Extremsportler vor. Bei ihm geht es weniger um dieses Fun-Life wie bei Bigelow. Die Geschichte hätte durchaus auch als Fiktion entstehen können, aber das reale Leben hat in der Tat Aspekte und Verquickungen mitgebracht, die man sich nicht so leicht ausdenken würde.

Das Siegen-Wollen ist beim Laufen wie im Bankraub für Rettenberger ein Thema. Er hat einerseits diese positive Kraft des Sports in sich, andererseits treibt ihn ein Sog zur Selbstzerstörung. Er ist eine widersprüchliche und gleichzeitig auch kohärente Persönlichkeit.
Benjamin Heisenberg: Ja, da ist ein Widerspruch und wieder auch nicht. Der Sport ist bis zu einem gewissen Grad selbstquälerisch und man hat gleichzeitig darin Glücksmomente. Der Moment des Sieges ist zwar ein toller Moment, ich glaube aber, dass für einen Sportler der Moment des Glücks und der Befriedigung woanders liegen muss als im Sieg. Es geht um die Tätigkeit selbst, im Marathonlaufen auch um die Form der Fortbewegung. Marathon ist ja eine Form des Durchquerens von sehr viel Raum aus eigener Kraft. Profisportler laufen 150 Kilometer in der Woche, das sind mehrere Tausend Kilometer im Jahr. Die Gleichmäßigkeit und Schnelligkeit des Schrittes und die Natürlichkeit der Bewegung haben eine große Faszination.
Der Raub wiederum ist eine Form des Durchbrechens von gesellschaftlichen Grenzen. Die Vereinzelung, die ja auch im Marathon steckt, findet noch mal auf ganz andere Weise statt, weil man von einem Moment auf den anderen aus dem Wertegefüge der Gesellschaft kippt. Das ist Befreiung und Verbannung zugleich. Und für Rettenberger gilt: er raubt nicht des Geldes wegen, es ist ein Ausdruck seiner Natur.

Ist es die mentale Kraft die er sich durch das Marathon-Training erworben hat, die ihm die Kühnheit in seinen Aktionen verleiht?
Benjamin Heisenberg: Es Teil seines Charakters eine Situation zu suchen, die ihn an seine absolute Grenze führt. Darin hat er etwas von einer buddhistischen Ruhe und Akribie. Die Mischung ist positiv und faszinierend, andererseits total selbstzerstörerisch.  Wir haben Rettenberger in dieser ersten Drehphase so inszeniert, dass die Kraft des Charakters zu spüren ist, aber auch seine Brüchigkeit. Er wird ein Gegenüber sein, dem man ansieht, dass da innere Spannungen am Werk sind, die ihn treiben. Es geht nicht nur um das Austesten von etwas. Er leidet an sich selbst, auch wenn er den Reiz verspürt, sich so stark auf die Probe zu stellen, Schrecken zu verbreiten und Macht auszuüben. Das entwickelt eine sehr eigene Energie und auf das freue ich mich.  Durch die Liebesgeschichte, die der destruktiven Energie entgegensteht, wird man das Ende dieser Bewegung, als eine Erlösung empfinden. Die Bewegung wird einerseits als etwas Positives dargestellt, weil Rettenberger nie zum Stillstand kommt, es wird aber auch klar, dass es irgendwann einen Stillstand, in irgendeiner Form einen Ruhepunkt geben muss und dass der für diese Person endgültig ist.

Wie würden Sie die Figur des Rettenberger beschreiben?
Benjamin Heisenberg: Ich sehe ihn als Naturphänomen. Ich habe ihn nie psychologisch betrachtet oder als Konglomerat von Charaktermerkmalen sondern viel eher wie ein Tier. Deshalb habe ich mir vorgenommen den Räuber in Teilen wie eine Art von Tierfilm zu drehen, auch wenn er inszeniert und dramatisiert ist. Ein Tier, das mir bei Rettenberger immer einfiel, ist der Wolf. Ich kann Wölfen endlos zusehen, wenn sie durch die Gegend laufen. Sie haben so faszinierende Bewegungsabläufe und eine Art, sich im Gelände zu verhalten, zu jagen und eine Anmutung von ruheloser Härte und Kälte. Ich wollte, dass man in diesem Film spürt, wie da jemand in seiner Existenz gefangen ist und obwohl er es merkt, unfähig ist, etwas dagegen zu tun. Dann kommt die menschliche Regung der Liebe dazwischen, die ihm plötzlich bewusst wird und es bedeutet für ihn den größten Schmerz, zu erkennen, dass er nicht genug Mensch ist, um dem zu folgen. 

Vergleicht man Rettenberger mit der Hauptfigur von Schläfer, so haben sie auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun, es sind dennoch beides Figuren, die ein unergründliches Geheimnis in sich tragen und für die es letztlich keine Erlösung gibt.
Benjamin Heisenberg: Bei Schläfer sehe ich einen Menschen, dessen Grundsätze und das moralisches Gerüst, in dem er sich befindet, durcheinander geraten. Seine eigene Unsicherheit, in der Liebe, im Selbstbild und in der Politik geraten so in Unruhe, dass er am Ende im Grunde ratlos und alleine dasteht. Die Figur in Der Räuber ist grundsätzlich anders, weil Moral in dem Sinne keine Rolle spielt. Es geht eben weniger um Psychologie als um den Umgang der menschlichen Sozietät mit dieser seltsamen Naturform – Räuber, Läufer, Getriebener, Liebender. Obwohl es für beide Protagonisten traurig endet, empfinde ich das Ende des Räubers nicht so deprimierend wie bei Schläfer wo alles, an das man sich hätte halten können, abgefallen ist. Der Räuber kommt an das Ende seines Weges. Das ist schicksalhafter, unmenschlicher und dadurch, für mich, vielleicht erträglicher.
 
Tempo und Rhythmus waren in der filmischen Umsetzung des Stoffes sicherlich ein wesentliches Thema, wo es darum geht, Raserei und den Suspense, Beschleunigung und Verlangsamung einen Raum zu geben.
Benjamin Heisenberg:  In dieser Hinsicht ist der Film ganz anders als Schläfer, in dem es viele Plansequenzen gibt, und sehr viel aus einer beobachtenden Ruhe heraus gesehen wird. In Der Räuber ist die Bewegung das stärkste Element. Es gibt unheimlich viele Orte in diesem Film, weil dieser Mann sich so schnell weiterbewegt. Orte, die man wochenlang gesucht hat, verpuffen beim Drehen sozusagen innerhalb von zehn Sekunden, weil er sie nur durchquert. Da wir im Film die Mechanik seiner Art des Raubens erst mal erklären wollten, haben wir manches klassisch aufgelöst, woraus sich zusammen mit den vielen Orten für den Dreh ein unheimlich hoher Druck ergeben hat. Der Räuber ist ein Film, der viel stärker im Schnitt entstehen wird, als Schläfer. Da wird es vor allem um Identifikation, Suspense und Kinetik gehen.

Wie ist das physische Laufen im Film berücksichtigt?
Benjamin Heisenberg: Das Laufen ist ein durchgängiges Thema und tritt in den unterschiedlichsten Formen immer wieder auf. Wir zeigen Phasen die nicht nur ein Spitzenläufer, sondern auch der ambitionierte Hobbyläufer immer wieder durchmacht: Schuhe kaufen, Training auf dem Laufband, Training im Freien und eine Laktatmessung. Dann gibt es die Marathonwettkämpfe und das Laufen kommt natürlich in den verschiedenen Arten der Flucht im Film vor. Insofern ist es eine absolute Basis des Films.

Was hat Andreas Lust für diese Hauptrolle qualifiziert?
Benjamin Heisenberg: Andreas ist ein extrem konzentrierter und vielseitiger Schauspieler, der sehr viel für eine Rolle investiert. Er hat die Figur auf Anhieb sehr genau verstanden. Zudem haben wir gesehen, dass seine ganz eigene Disposition, seine Feinheit, Intelligenz und Gespanntheit für die Figur Rettenbergers unheimlich viel bringen würde.
Für den sportlichen Aspekt des Films haben wir beim Casting mit den Hauptkandidaten sehr ausgiebige Lauftests und Analysen gemacht. Andreas spielte davor in Revanche von Götz Spielmann schon einen Polizisten der läuft. Er hatte dadurch eine relativ gute Trainingsbasis und war von seinem läuferischen Potenzial und seiner Motorik schon sehr nahe an dem, was wir suchten.
In der Vorbereitung war die Aufgabe Rettenbergers Trainingszustand herzustellen eine sehr hohe Anforderung, auch weil wir wussten, dass wir im Rahmen des Wien-Marathons unter den Spitzenläufern drehen wollten. Andreas hat dafür mit Martin Prinz über 3 Monate hart trainiert, nicht nur um den Grad an Fitness zu erreichen, sondern vor allem auch, um einen Laufstil zu trainieren, der glaubwürdig für einen Profiläufer ist.

Welche Figur verkörpert Franziska Weisz?
Benjamin Heisenberg: Franziska spielt eine Frau, die in einem relativ bürgerlichen Leben steht. Sie arbeitet am Arbeitsamt, ist aber eigentlich höher qualifiziert, da sie ein Studium abgeschlossen hat. Sie hat aber auch ihre Mutter gepflegt und in dieser Zeit zu einer Mischung aus Distanz zum Leben und einem eigenen Selbstverständnis gefunden. Sie ist nicht jemand, die viele Fassaden mit sich herumträgt. So nuanciert, humorvoll und vital, wie sie Franziska spielt ist, sie ein besonders gutes Gegenüber für Rettenberger, der mit gesellschaftlicher Höflichkeit oder einer Art von Verbindlichkeit, die man in Gesellschaft an den Tag legt, nichts anfangen kann. Erika versteht es persönliche Sachen gerade heraus zu sagen, ohne dabei zu verletzen. Dennoch hat Sie eine Verletzlichkeit, ein inneres Geheimnis und einen Stolz den sie schützt. Auch das verbindet die beiden auf vielen Ebenen.
Als Charakter ist Erika auch interessant, weil ihre Lebensgeschichte, in meinen Augen, exemplarisch ist für Lebenswege wie sie ganz häufig vorkommen. Menschen schlagen einen Lebensweg ein, wollen Karriere machen, absolvieren eine Ausbildung, bis an einem Punkt plötzlich etwas passiert ? jemand aus dem Umfeld stirbt z.B. oder man hat selbst eine Lebenskrise und wird plötzlich in eine ganz andere Form des Lebens, Denkens und Fühlens geworfen. Vieles wird in diesen Momenten relativ. Es ist auf einmal nicht mehr wichtig, dass man auch noch ein Doktorat macht oder die Spitzenstellung kriegt. Man sucht sich vielleicht, wie Erika einen ganz normalen Job, in dem man sein Geld verdient, weil man andere Dinge im Leben stärker hervorholen will und muss.

Wieviel des Gesamtdrehs ist bereits abgeschlossen?
Benjamin Heisenberg: Es wird sich jetzt im Schnitt herausstellen, wo wir verdichten oder strecken und daraus wird sich der Plan für den zweiten Dreh im Herbst ergeben. Ich denke wir sind irgendwo zwischen der Hälfte und zwei Drittel.


Interview: Karin Schiefer
2008