INTERVIEW

«Der rote Faden, der sich durch Justins Geschichten zieht, ist Missbrauch.»

Ein Auslandssemester an der Columbia University legte den Grundstein zur kreativen Freundschaft zwischen Justin P. Lange (Regie) und Florian Krügel (Produktion), ihr 16-minütiger Abschlussfilm jenen für ein gemeinsames Langfilmdebüt, das jüngst beim Tribeca Festival seine Weltpremiere gefeiert hat. The Dark versucht in ruhigen, durchkomponierten Bildern von Klemens Hufnagl zwischen Suspense und Empathie, Zombiehorror und Drama einen ungewohnten Grat zwischen den Genres zu beschreiten.
 

 
Vor dem Kurzfilm THE DARK hat Justin P. Lange auch schon einen weiteren Kurzfilm gedreht, Vater Paul, der in einem österreichischen Dorf spielt. Woher rührt sein Österreichbezug?
 
FLORIAN KRÜGEL: Vater Paul spielt zwar in einem österreichischen Dorf, ist aber eine universelle Geschichte. Ich habe Justin P. Lange während meines Studienaufenthalts an der Columbia University, wo ich Produktion und Drehbuch studiert habe, kennen gelernt. Justin hat etwas Eigenbrötlerisches, so wie ich, in dieser Hinsicht haben wir uns sehr gut verstanden. Der Österreichbezug lief also primär über mich, dann auch über Klemens Hufnagl, der die Kamera gemacht hat und auch der Ko-Regisseur von THE DARK ist.
 
 
The Dark wurde in Kanada in englischer Sprache gedreht, die Kernpositionen umfassen einen amerikanischen Regisseur und Autor sowie Kamera, Ko-Regie aus Österreich. Wie ist es zu dieser transatlantischen Zusammenarbeit gekommen?
 
FLORIAN KRÜGEL: Vater Paul ist ein klassisches Drama, in dem ein Priester in eine Gemeinschaft kommt und feststellt, dass sein Vorgänger Missbrauch verübt hat. Der rote Faden, der sich thematisch durch Justins Geschichten zieht, ist Missbrauch. Das Umschwenken vom klassischen Drama ins Horrorgenre geht auf sein Studium zurück, wo ihn einer seiner Professoren dazu angestachelt hat, sich aus seiner Komfortzone zu bewegen. In einer ersten Übung, das ein vielleicht ein 3-Minüter war, hat er schon Genre-Elemente aufgegriffen und dann Lust bekommen, seine Erkundung auf einen Kurzfilm auszuweiten. Unser Kurzfilm THE DARK, der 16 Minuten lang war, hat uns mit all den Festivalerfolgen und der positiven Rezeption ermutigt, uns an eine lange Form heranzuwagen. Ich war noch Student an der Filmakademie, als wir das Projekt dort pitchten; die Reaktionen sind damals eher gemischt ausgefallen, was auch damit zu tun hatte, dass Justin Amerikaner war und wir unentschieden, ob wir es in Europa oder Übersee verwirklichen sollten. Eine Weile sah es nach einem europäischen Projekt aus, Klemens Hufnagl kam wie schon beim Kurzfilm für die Kamera an Bord und hat an der deutschen Drehbuchfassung mitgearbeitet. Es sind dann einige Jahre verstrichen, bis wir in die Einreichung gingen. Da wir vom FFW keine Zusage erhielten, mussten wir uns punkto Dreh eine Alternative einfallen lassen. Über Justins Kontakt zu Robert Eggers, den Regisseur von The Witch, kamen wir auf Kanada, wo es gute Fördersysteme gab.
 
 
Welche Schlüsse habt ihr aus dem Kurzfilm gezogen? Worin sollte sich die lange Fassung vertiefen bzw. weiterentwickeln? Worin sollte sie auf alle Fälle anders sein?
 
FLORIAN KRÜGEL: Ein Kurzfilm hinterlässt immer das Gefühl, nicht genug Zeit für die Backstory der Figuren zu haben. Wir hatten oft das Feedback bekommen, dass man sie sich in der kurzen Zeit nicht erschließen könne. Die Langversion gab uns nun die Möglichkeit, den Figurenbogen gut zu bauen und deren emotionale Entwicklung gut nachzuvollziehen. Das grundlegende Set-up, dass zwei Missbrauchsopfer in dieser dunklen Welt zusammenfinden und wieder ein Grundvertrauen entwickeln können – das ist geblieben.
 
 
Von welcher Dunkelheit erzählt THE DARK?
 
FLORIAN KRÜGEL: THE DARK erzählt die Dunkelheit der Welt rundherum. Es ging uns um eine klassische Umkehr, dass das Böse nicht im vermeintlichen Monster, sondern in der Welt rundherum liegt.
 
 
THE DARK hat zwei jugendliche ProtagonistInnen, die von Erwachsenen schwer misshandelt wurden und somit eine starke psychologische Komponente, die nicht unbedingt dem Horrorgenre eigen ist. In einem Statement erzählt Justin davon, dass Horrorfilm keineswegs sein bevorzugtes Genre gewesen sei, im Gegenteil – dass er es aber im Studium entdeckt habe. War auch ein Wunsch bei ihm vorhanden, das Genre  in manchen Aspekten neu zu denken?
 
FLORIAN KRÜGEL: Wie jeder Regisseur will auch Justin sein Publikum berühren. Mit den Werkzeugen, die der Horrorfilm zur Verfügung stellt, geht das einfacher. Wenn die Zuschauer zunächst geschockt sind, sind sie daraufhin auch empfänglicher für etwas Sensibles. Mit einer emotionalen Achterbahn ist es einfacher, beim Publikum ein Miterleben zu bewirken. Es war uns dennoch wichtig, die Komplexität unserer Figuren nicht aus den Augen zu verlieren.
 
 
THE DARK hat eine sehr ausgefeilte und anspruchsvolle Bildsprache und  einen eher langsamen Rhythmus. Warum wurden diese ästhetischen Entscheidungen getroffen?
 
FLORIAN KRÜGEL: Justin und Klemens kennen einander nun schon lange und verstehen sich sehr gut. Grundsätzlich hat die Zusammenarbeit zunächst zwischen Klemens und mir an der Filmakademie begonnen. Ich schätze an ihm, dass er eine große Ruhe ausstrahlt, wir arbeiten alle drei gerne mit ruhigen Menschen. Zur menschlichen Ebene kam dann ein künstlerischen Einvernehmen dazu. An der Columbia University wurde großer Wert auf die emotionale Wirkung der Bildabfolge gelegt und die Studierenden sehr gezielt geschult. Justin hat eine starke visuelle Vorstellung, die sich mit Klemens’ Sichtweise gut ergänzt. Beide waren sich dabei einig, dass es bei den Szenen keine sehr hohe Auflösung gibt, um dann im Schnitt maximale Wirkung zu erzielen, sondern bei beiden von ihnen stand die Bildkomposition im Vordergrund und damit auch der langsamere Rhythmus im Schnitt.
 
 
Auch für Sie war THE DARK der erste Langfilm, den Sie als ausführender Produzent verantwortet haben: eine europäischen Produktion mit kanadischer Serviceproduktion und ein Genrefilm mit technischen Implikationen. Wo standen Sie vor den größten Herausforderungen?
 
FLORIAN KRÜGEL: Als ausführender Produzent habe ich keine finanzielle Letztverantwortung, aber die finanzielle und vor allem die gesamte kreative Übersicht. Alles war eine Herausforderung. Über die Finanzierung hinaus war eines vom Schwierigsten, eine Darstellerin für Mina zu finden. Wir hatten zunächst im deutschsprachigen Raum gecastet, da der primäre Plan war, in Österreich zu drehen und dann erst in den USA oder Kanada. Hier die richtige Kandidatin zu finden, war kreativ für mich die größte Aufgabe. Die Drehvorbereitungen war hier schon am Anlaufen, bevor wir dann doch entscheiden mussten, aus finanziellen Gründen nach Kanada abzuwandern. Als kreativer Input aus Österreich blieben dann Kamera, Oberbeleuchter, Schnitt und die beiden Darsteller Karl Markovics und Margarethe Tiesel.
 
 
Welche Faktoren haben die Suche nach den beiden Hauptdarstellern für die Rollen von Mina und Alex bestimmt?
 
FLORIAN KRÜGEL: Wir suchten nach jemandem, der noch eine kindliche Statur hatte und sehr jung aussah, um die Unschuld dieser Figuren zu erzählen. Gleichzeitig brauchte es aber jemanden, der erfahren genug war, um diese Vorgeschichte verkörpern zu können, d.h. eine Kombination aus Älter-Sein, Spielerfahrung Haben und dennoch Kindlich-Ausschauen. Bei Nadja Alexander, die Anfang 20 ist und seit ihrer Kindheit schauspielt, hat das sehr gut funktioniert. Toby war beim Drehen 14 und gerade an der Kippe zur Pubertät, was immer riskant ist. Wir hatten Glück, kurz nach dem Dreh ist seine Stimme gebrochen. Da wir ja zunächst deutschsprachig gecastet haben, bevor es in den USA und Kanada weiterging, haben wir gewiss an die 100 Kandidatinnen für Mina gesehen. Justin hatte sehr klare Vorstellungen und hat bei Mina auch großen Wert darauf gelegt, dass diese Schauspielerin glaubhaft ein Monster spielen konnte. Zur Unschuld zurückzukehren und das Brutale zurückzunehmen, war seiner Meinung nach der einfachere Weg.
 
 
Wie erwies sich die Erfahrung, mit einer kanadischen Produktionsfirma in Kanada zu drehen?
 
FLORIAN KRÜGEL: First Love Film ist eine sehr junge, kleine Produktionsfirma, die viele Kurzfilme, aber erst einen Langfilm vor THE DARK gedreht hatten. Das Spannende und Neue für uns war, dass sehr viele US-amerikanische Produktionen in Kanada drehen. Wir standen als kleine, in diesem Fall auch noch europäische Firma in direkter Konkurrenz zu großen amerikanischen Produktionen. Loyalität ist dort kein Faktor. Am besten bedient wird der, der am meisten bezahlt. Für uns hieß das, dass in den kleineren Positionen wie z.B. beim Licht die Teams jederzeit wechseln konnten. Das konnte sehr anstrengend sein, auch auf kommunikativer Ebene war das über eine rein sprachliche Ebene hinaus problematisch. Ähnliches galt fürs Equipment, mit dem zunächst die großen Produktionen ausgestattet wurden, ehe wir zum Zug kamen.
 
 
Wann kam der Weltvertrieb XYZ ins Projekt?
 
FLORIAN KRÜGEL: Sie sind kein klassischer Weltvertrieb, sondern fokussieren ihre Strategie auf einen weltweiten Deal für die VOD-Rechte und das amerikanische Territorium. Für die europäischen Territorien wird es noch einen internationalen Sales Agent dazu geben
 
 
Ein wesentlicher Aspekt ist bei den beiden ProtagonistInnen die Maske, die sich seit dem Kurzfilm deutlich weiterentwickelt hat. Welche Ansprüche wurden an die Maske gestellt, wer realisierte sie?
 
FLORIAN KRÜGEL: Der grundlegende Unterschied zwischen einem Studentenfilm und einer Langfilmproduktion ist ganz banal die Geldfrage. Wir haben sehr viel recherchiert, wie realistische Wunden ausschauen und haben davon ausgehend überlegt, wieviel man dem Publikum zumuten kann und wieviel man vom Gesicht intakt lassen kann, um die Figur noch als sympathisch erleben zu können.
Es durfte nicht zu wenig sein, um den Schrecken der Tat nicht zu verlieren. In Kanada haben wir von drei Firmen Konzepte erhalten, die beide Extreme von viel zu wenig bis viel zu viel enthielten. Wir haben uns dann in der Mitte eingependelt. Zwei Wochen vor Dreh wurden die Abgüsse für die komplette Gesichtsmaske abgenommen. Selbst damit begannen die Vorbereitungen in der Maske für Nadja täglich zwei Stunden vor Drehbeginn.
 
 
Musik wird praktisch zur Gänze ausgespart, wenn, ist sie nur sparsam und sehr elegisch-melancholisch eingesetzt. Jedenfalls wird niemals der Nervenkitzel durch die Musik verstärkt? Welche Überlegungen gab es zur Musik?
 
FLORIAN KRÜGEL: Es gibt ein Stück klassische Musik, das Josef im Auto hört und das Summen von Alex erklärt und Minas Flashback auslöst. Hier ging es um eine Verbindung zwischen den beiden. Wir haben, da ja die Grenzen zwischen Musik und Sounddesign immer fließender werden, auch einiges an Soundscapes ausprobiert. Es war immer zuviel und passte nicht zu unserem minimalistischem Ansatz. Das Dröhnen, das zu Beginn Minas Bedrohlichkeit ausdrücken soll, ist die einzige dramaturgische Soundelement, das zugelassen wurde.
 
 
Der Film hatte Ende April seine Weltpremiere beim Tribeca Filmfestival in NY; was bedeutete es für das Team, an einem so renommierten Festival zu starten?
 
FLORIAN KRÜGEL: Wir waren natürlich unheimlich angespannt vor der Weltpremiere. Wir hatten insgesamt vier Vorstellungen in der Mitternachtsschiene, wobei bei der ersten natürlich viele Freunde im Saal waren. Was wir aber bei den weiteren Vorstellungen feststellen konnten, war, dass das Publikum zunehmend mehr mitging und den emotionalen Bogen des Films mitlebte. Das hat uns sehr gefreut. Die Publikumsreaktionen bei den Q&As waren sehr positiv, die Presse hat die Verbindung von Drama und Horror kritischer gesehen.  
 
 
Wird Justin P. Lange weiterhin an diesen Grenzen des Genrekinos arbeiten?
 
FLORIAN KRÜGEL: Allzu viel kann ich da noch nicht verraten. Das nächste Projekt, das ich mit ihm entwickle, wird wieder in englischer Sprache gedreht werden. Formal wird es sich stärker dem klassischen Horrorfilm annähern.


 
Interview: Karin Schiefer
Mai 2018