INTERVIEW

«Man schaut zuviel weg.»

Pittu, ein traditionsreiches Spiel, bei dem es gilt, einen wackeligen Turm aus sieben Steinen zu zerstören und schnell wieder aufzubauen, steht für die seltenen, aber unbeschwerten Begegnungen zwischen Happy und seiner neunjährigen Tochter. Das alte indische Spiel steht aber auch für seine Lebenssituation als Asylwerber in Wien. Denn er weiß auch nach zehn Jahren in Österreich nie, ob das heute Aufgebaute, morgen nicht schon wieder einstürzen kann. In HAPPY wirft Sandeep Kumar einen Blick auf die unsichtbaren Existenzen einer Stadt, in der das Leben so einfach scheint.
 
 
Ihr Spielfilm HAPPY fokussiert auf einen indischen Migranten, der seit Jahren ohne legalen Status in Österreich lebt, entsprechend schlechte Möglichkeiten hat, einer Arbeit nachzugehen und in ständiger Angst lebt, abgeschoben zu werden. War es Ihnen ein Anliegen, ein Einzelschicksal einer Bevölkerungsgruppe in den Fokus zu setzen, die eher nicht im Zentrum der Asyldebatte steht?
 
SANDEEP KUMAR:
Als ich selbst vor fast 22 Jahren nach Österreich gekommen bin, sind mir die indischen Zeitungskolporteure, aufgefallen. Sie gehörten zum Straßenbild von Wien wie die rote Straßenbahn. Ich habe über die Jahre mit vielen von ihnen gesprochen. Meine erste Idee war, einen Dokumentarfilm über sie zu machen, weil sie in dieser Gesellschaft unsichtbar sind. Man geht an ihnen einfach vorbei, als wären sie eine Maschine, die immer dasteht und funktioniert. In HAPPY stößt der Wunsch dieser Leute auf ein besseres Leben in einem anderen Land auf die strengen Asylgesetze. Ich wollte die Emotionen der Menschen in den Vordergrund stellen, denn ein Mensch hat dieselben Emotionen gegenüber den eigenen Kindern, den Menschen, die man liebt, unabhängig von seinem sozialen Status. Mich hat die Frage beschäftigt, was ist der Unterschied zwischen mir, der ein Stück Papier besitzt, das mir erlaubt, hier legal zu leben und den Menschen, die für 1€ die Stunde sieben Tage die Woche arbeiten und weder legalen Status noch Krankenversicherung haben. Sie bleiben Menschen auf der Flucht. Ich bin dann durch meinen Fokus auf die emotionale Ebene von der Dokumentarfilmidee abgekommen. Die eigentliche Geschichte steckt im Einzelschicksal. Wenn man den Mikrokosmos versteht, dann hat auch die Debatte darüber eine andere Qualität, als wenn man auf der Ebene der Gesetze diskutiert. HAPPY versucht über diesen indischen Mikrokosmos nachzuschauen, wie es den Menschen tatsächlich geht. Wir leben in einer der reichsten Städte der Welt und diese Leute können sich nicht einmal einen Kaffee in einem Wiener Kaffeehaus leisten, obwohl sie rund um die Uhr für uns unterwegs sind. Die zwei Jahre, in denen ich am Drehbuch geschrieben habe, wollte ich in kein Wiener Kaffeehaus gehen, weil ich die Situation nachfühlen wollte.
 
 
Sie tauchen in vielen Facetten in die Lebensrealitäten der indischen Community in Wien: Prekäre Lebensverhältnisse, Zusammenhalt, aber auch fehlende Solidarität … Welche Aspekte wollten Sie in den Vordergrund rücken?  Wie sehr geht es Ihnen auch um einen humorvollen Blick?
 
SANDEEP KUMAR:
Mein Film ist ein Einblick in einen gewissen Teil der Community. Es gibt mehrere große Gruppen: Da sind die Menschen aus Punjab, die Restaurants eröffnet und sich etabliert haben. Die größte Community ist die der Sikh; eine weitere kommt aus Südindien, das sind in erster Linie die Krankenpfleger:innen, die in den sechziger und siebziger Jahren gekommen sind, als es keine Öffnung nach Osteuropa gab. Und dann gibt es noch die Leute, die im diplomatischen Bereich für die UN tätig sind. Sie bleiben meist nur für drei Jahre hier. Im Film geht es um jene Menschen, die der untersten Schicht angehören, die auch von der wohlhabenden indischen Community zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden. Tief drinnen ist ihnen bewusst, dass viele von ihnen nie einen legalen Status erlangen werden. Da, wo sich die Leute in einer Sackgasse befinden, schauen die besser gestellten Mitglieder der Community weg. Was bleibt, ist die Hoffnung. Einer von 1000 Menschen schafft es möglicherweise und diese eine Person ist ein Vorbild für alle anderen. Es ist ein Film für ein österreichisches oder europäisches Publikum, gleichzeitig aber auch für Indien, weil er deutlich macht, dass das, was den auswanderungswilligen Menschen versprochen wird, nichts mit der Realität zu tun hat. Die Gründe für eine Flucht mögen politisch, sozial oder kulturell sein. Die Menschen verkaufen ihren gesamten Besitz und können dann nicht mehr zurück, weil sie alle ihre Ressourcen verbraucht haben. Sie sind Opfer, die von den Schleppern ausgenutzt werden. Es war ein Versuch, wertfrei von beiden Seiten zu zeigen, wie es diesen Menschen geht. Humor ist auch in sehr ernsthaften Momenten dabei. Die Situation der Menschen ist so unvorstellbar hoffnungslos, dass sich oft auch Momente ergeben, die zum Lachen sind.
 
 
Wie sehr ist der Filmtitel in seiner Doppeldeutigkeit als Name und als Glücksbegriff zu verstehen?
 
SANDEEP KUMAR:
Ich denke im Film an die Szene mit Dana (sie ist Rumänin) und den beiden Männern, die bei ihr in der Wohnung landen, ein junger Araber und Happy. Es ist ein roter Faden im Film, dass jeder ein bisschen etwas hat, was der andere nicht hat. Ob nun der Asylbeamte, Dana, Happy … wir sind alle in einem Netz verstrickt, wo jedem von uns etwas fehlt. Einer meiner Gedanken war der, über einen Mikrokosmos ein globales Thema anzusprechen, warum der Mensch nie richtig glücklich sein kann, weil immer etwas fehlt. Ich konnte jahrelang nicht verstehen, warum die Wiener und Wienerinnen so unzufrieden sind, obwohl sie in einer reichen Stadt leben. Der Titel meines Films bezieht sich auf die Hauptfigur, aber auch auf die Frage, Was ist eigentlich Glück? Man kann sich am Ende fragen: Wer war richtig glücklich in dem Film? Man kommt aus dem Kino und sagt sich: Eigentlich sollte ich glücklich sein. Ich habe alles, was Happy nicht hat, was wir aber als selbstverständlich erachten.
 
 
Es gibt einen Prolog, der auf Happys traumatisierende Flucht verweist. Im Verlauf der Erzählung kommt diese Erfahrung mehrmals in ihm hoch. Wie wichtig war es Ihnen, Flucht nicht nur als Faktum in den Raum zu stellen, sondern auch die psychischen Nachwirkungen, mit denen Asylwerber hier ankommen, spürbar zu machen?
 
SANDEEP KUMAR:
In der Recherche ist mir aufgefallen, dass die Menschen die Frage nach der Flucht nicht beantworten wollten. Wenn man in acht Stunden von Indien nach Wien fliegen kann, ist es kaum vorstellbar, dass die Menschen oft Wochen, Monate, Jahre unterwegs sind. Für die Schlepper sind diese Leute nur interessant, solange sie Geld bringen. Sobald sie zur Gefahr werden, werden sie im Stich gelassen. Es sind Menschenleben, die für niemanden zählen, weder für das Herkunftsland, noch für das Land, das sie aufnehmen soll. 50 Tote Geflüchtete machen einen Tag Schlagzeilen, dann sind sie vergessen. Was Happy erlebt hat, ist so schlimm, dass er es im Gegensatz zu Ranjeet nicht schafft, sich hier etwas aufzubauen, weil zu viele emotionale Gewichte an ihm hängen, die einen Neuanfang verhindern. Happy ist ein emotionaler Mensch, er wollte nie eine Scheinehe eingehen, die ihn hätte retten können. Beim Termin bei der Asylbehörde wird nach Fakten nicht nach emotionalen Hintergründen gefragt. Happy steht stellvertretend für all die Leute im Asylverfahren, die aus einem Teufelskreis nicht heraus kommen.
 
 
Die eigentliche Eröffnungsszene ist eine lange Einstellung auf Happy bei einem Behördentermin, wo Sie ohne Gegenschuss den Dialog zwischen dem Beamten und Happy filmen. Was hat Sie bewogen, diese Szenen nur aus dieser Perspektive zu filmen?
 
SANDEEP KUMAR:
Ich wollte, dass das Publikum von Beginn an bei Happy ist und sich in seine Lage versetzt. Es ist das Gesicht, mit dem man sich in den kommenden 110 Minuten konfrontieren muss. Ich wollte nicht, dass die Leute wegschauen können. Draußen kann man wegschauen. Man schaut zuviel weg. Ein Mensch geht zu einem Termin und wird in eine Sackgasse gestellt, die nun sein Schicksal darstellt. Das wollte ich in real time zeigen. Seine Lage ist ausweglos. Das sollen die Menschen einmal nachempfinden.
 
 
Der Hauptdarsteller ist Sahidur Rahaman, ein aus Indien stammender Schauspieler, der für seine Rolle in HAPPY Deutsch gelernt hat. Warum wollten Sie mit einem Schauspieler arbeiten, der Deutsch erst für seine Rolle lernen musste. Wie kam es zum Casting?  Wie hat er sich auf die Rolle vorbereitet?
 
SANDEEP KUMAR:
Da muss ich ein bisschen ausholen. Die erste Fassung von HAPPY ist 2012 entstanden. Der Film sollte schließlich im Jahr 2017 gedreht werden, aber es hat dann mit der Förderung nicht geklappt. Daher habe ich einen anderen Film gedreht und bin dann auf das Drehbuch von HAPPY zurückgekommen. Ich hielt diesen Film für meine soziale Verpflichtung als Filmemacher. Wer soll die Hauptfigur spielen?, war eine große Frage. Wir haben Monate nach einem Schauspieler im deutschsprachigen Raum gesucht, der bereits Deutsch konnte. Wenn es sprachlich gepasst hat, war es oft nicht so überzeugend in schauspielerischer Hinsicht. Es war ein Dilemma: Schauspiel oder Sprache. Happy ist praktisch in jedem Frame, Vieles hing von der Hauptfigur ab. Schweren Herzens haben wir eine riskante Entscheidung getroffen und begonnen, mit einer Casting-Directorin in Mumbai zu suchen und sind auf Sahidur Rahaman gestoßen, der die National School of Drama, die beste staatliche Schauspielschule absolviert hat. Er hat das Drehbuch gelesen und war sofort bereit. Wir waren von seinen Casting-Videos auch überzeugt. Das Fragezeichen war Deutsch. Wir fanden in Mumbai eine Lehrerin, die ihm einen Crash-Kurs geben konnte. Wir konnten ihm keine angemessene Gage anbieten, wollten aber acht Monate seiner Zeit in Anspruch nehmen. Er hat trotzdem gleich zugestimmt. Außerdem, ist es ist nicht einfach, jemanden aus Indien nach Europa zu holen. Das Visum kam erst eine Woche vor Drehstart. Als unser erstes persönliches Treffen stattfand, war immer noch offen, ob er so spricht, wie wir das wollten. Wir wollten kein Hochdeutsch vom Goethe-Institut, daher wir haben ihm hier mit einem Sprachtrainer das eigentlich „schlechte“ Deutsch, das man auf der Straße lernt, beigebracht. Ich wollte, dass er richtig kommuniziert und nicht die Dialoge nur phonetisch auswendig lernt. Zusätzlich hat e auch Zeit mit einigen Zeitungskolporteuren verbracht.
 
 
Verschärft wird Happys Kampf ums Bleiberecht und das finanzielle Überleben durch die Tatsache, dass er eine neunjährige Tochter hat: Maya. Auch sie hat kein einfaches Schicksal, hat sehr klein ihre Mutter verloren, einen Vater, der ihr nicht das Leben bieten kann, wie es die meisten ihrer Mitschülerinnen haben. Welche Fragen haben Sie in der Erzählung dieser Vater-Tochter-Beziehung beschäftigt.
 
SANDEEP KUMAR:
Ich habe lange überlegt, ob ich Vater/Sohn oder Vater/Tochter mache. Die Antwort war dann schnell klar. Ich habe selbst einen Sohn, ich wollte immer auch eine Tochter haben, weil das eine ganz besondere Beziehung ist. Die Tochter schaut immer zum Vater hinauf, er ist der erste Held für sie. Hier ist allerdings ein Vater, der materiell im Vergleich zu den Schulfreundinnen nichts bieten kann. Happy fühlt sich dennoch verpflichtet, als Vaterfigur dazusein und ihr zumindest bis zur möglichen Abschiebung etwas zu bieten. Die Zeit, um eine Beziehung mit ihr aufzubauen, ist möglicherweise sehr kurz. Der Abschiebe-Bescheid ist wie ein Krebsbefund. Man könnte morgen kaltblütig mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und direkt zum Flughafen gebracht werden. Oder es könnte noch Monate oder Jahre dauern, bis die Papiere für den Rücktransport fertig sind. Dazu kommen fünf Jahre Einreiseverbot nach der Abschiebung. Das alles bestimmt Happys inneren Kampf.
 
 
Eine wichtige Rolle im Verhältnis zwischen Tochter und Vater ist das indische Pittu-Spiel. Können Sie kurz erzählen, worum es dabei geht? Welche Bedeutung hat es für die beiden? Hat der wackelige Turm, der wieder in eine stabile Position gebracht werden muss, eine symbolische Bedeutung.
 
SANDEEP KUMAR:
Das Spiel ist das Einzige, worauf Happy sehr stolz ist, weil er es ihr vermittelt hat. Es ist ein Spiel, das in Nordindien Pittu heißt, über 5000 Jahre alt ist, es wird in verschiedenen Teilen Indiens und in Nepal gespielt. Es gibt zwei Teams, ein Team wirft den Ball auf den Turm, dasselbe Team muss die Steine wieder aufeinandertürmen, während die anderen den Ball holen und versuchen, die Person, die den Turm aufbaut, zu treffen. Hier ist auch die metaphorische Bedeutung sichtbar, dass wir, wenn das Schicksal das Leben durcheinanderbringt, nicht ewig Zeit haben, um wieder alles zurechtzurücken.Auch wenn man 85 ist, wird das Schicksal noch zuschlagen und man muss diesen wackeligen Turm wieder ins Gleichgewicht bringen. Bis man stirbt. Man steht täglich auf, baut das Leben auf und dann kommt das Schicksal und bricht das Ganze. Das gilt nicht nur für Happy. Man kann jede andere Figur im Film nehmen, alle haben ihre Sorgen und Dinge, die nicht nach Wunsch verlaufen. Who’s happy? Maya hat fast nichts, was die Freundinnen haben, aber mit dem Spiel teilen Happy und Maya etwas, das die Freundinnen nicht mit ihren Vätern teilen. An das Spiel mit dem Vater wird sie sich immer erinnern.
 
 
Was auch seine instabile Situation reflektiert, ist der Umstand, dass Happy ständig unterwegs ist. Am Fahrrad, am Mofa, zu Fuß durch die Stadt laufend. Durch seine Zustelltätigkeit haben Sie an vielen Orten in Wien gedreht. Was haben so viele Locations für die Dreharbeiten bedeutet?
 
SANDEEP KUMAR:
Die Location-Suche war ein langer Prozess, den ich zu einem gewissen Grad selbst erledigt habe. Ich wollte keine markanten Orte wie den Stephansplatz oder Prater, aber die Essenz der Stadt im Hintergrund spürbar machen. Während des Schreibens bin ich durch die Bezirke in meiner Nähe gegangen und habe nach und nach schon Locations festgelegt. Ich habe auch Zeit mit den Zeitungskolporteuren in ihren Zimmern und Wohnungen verbracht, um ein Gespür dafür zu bekommen, wohin sie gehen, wie sie am Wiener Leben teilnehmen. Ein Mikrokosmos in einer Parallelwelt. Wenn man in der Nacht am Wochenende unterwegs ist, wenn die Wochenendzeitungen ausgehängt werden, dann trifft man nur auf Menschen vom indischen Subkontinent, die systematisch Straße für Straße Wien abfahren. Sie gehören zu Wien mehr, als es den Einheimischen hier bewusst ist. Es war ein schwieriger Dreh mit vielen Außendrehs, die uns wetterabhängig gemacht haben, und einem Hauptdarsteller, der sich sehr auf die Sprache konzentrieren musste, damit sie nicht auswendig gelernt klingt. Wir hatten ein Kind dabei, was bedeutet, dass viele Auflagen einzuhalten waren … es gab viele Elemente, die es miteinander zu verknüpfen galt. Das Team hat an den Film geglaubt und trotz des geringen Budgets aus Menschlichkeit und Überzeugung mitgemacht.
 
 
Happy erfüllt Maya einen großen Wunsch, nämlich mit dem Zug in die Tiroler Berge zu fahren. Die Reise erfolgt in einer älteren Zuggarnitur mit Holzbänken. Was hat Sie veranlasst, die Reise der beiden aus der Zeit fallen zu lassen und ihr die Dimension eines Traums zu verleihen?
 
SANDEEP KUMAR:
Happy hat viel aufs Spiel gesetzt, um Maya diese Fahrt zu ermöglichen. Ich wollte, dass diese Reise fast wie ein Traum aussieht. Beide leben in einer Illusion, sie erleben eine schöne Seite des Lebens als Kontrast zum Rest des Films. Wir haben in der Zillertaler Bahn gedreht und blicken auch auf ein „Tiroler Wunder“ zurück. Der Wetterbericht für die Drehtage war Sturm und Regen. Es war schon alles gebucht und … wir hatten an den drei Drehtagen Sonnenwetter; als wir abgebaut haben, hat es zu regnen begonnen. Also auch für uns war der Dreh eine Art von Traum.
 
 
Eine wesentliche Figur ist die des Asylbeamten Paschner, der durch eine persönliche Begegnung mit Happy eine zusätzliche Facette erhält. Was war Ihnen bei der Gestaltung dieser Figur wichtig?
 
SANDEEP KUMAR:
Die Szene zwischen Happy und Paschner gegen Ende des Films bewegt mich immer sehr. Es ist so ungewöhnlich, dass zwei Männer in diesem kleinen Zimmer (fast eine Art Container ist) stehen, dass es ein eindeutiges Machtgefälle zwischen beiden gibt und doch sitzen sie in einem Boot. Man sieht es nur selten im Kino, dass Männer in der Lage sind, Emotionen zu zeigen, wenn sie über ihre eigenen Töchter reden. Es war aus Platzgründen eine große Herausforderung, diese Szene zu drehen. Beide Schauspieler haben da eine beeindruckende Leistung vollbracht. Emotionen wurden zugelassen, doch wie die Sache ausgeht, bleibt offen. Wichtig war mir, durch diese Konfrontation zu zeigen, dass kein Mensch eindimensional ist, wie wir ihn oft einstufen. Es war mir ein Anliegen, beide Perspektiven wertfrei zu zeigen.
 
 
Musik ist ein präsentes dramaturgisches Mittel? Welche Anforderungen hatten Sie an den Score?
 
SANDEEP KUMAR:
Ich habe für den Score mit Wolf Maximilian Liebich zusammengearbeitet, weil er eine so feine Art hat, die Dinge zu verstehen. Auf keinen Fall wollte ich indische Musik und sie sollte dort, wo sie zum Einsatz kommt, sehr subtil den Moment unterstreichen. In der Szene, wo Happy in der brütenden Hitze durch die Straßen rennt, werden seine Hilflosigkeit, Nervosität und Unruhe auch auf der Ebene der Musik spürbar. Ich wollte beim Score mit einer Person aus Österreich zusammenarbeiten, weil mir wichtig war, dass es zu diesem Geschehen eine Innen- und eine Außensicht zugleich gibt.
 
 
Am Ende scheinen die beiden der Realität für einen kurzen Moment zu entwischen. Die Aussicht ist nicht rosig und doch positiv im Augenblick. Was geben Sie Ihren Zuseher:innen als Denkanstoß mit?
 
SANDEEP KUMAR:
Ich mag Filme, die einen Anlass liefern, dass man sich nachher darüber austauscht. Man soll Fragen stellen: Wie ist es mit Happy weitergegangen? Wie mit Maya? Warum muss ein Mensch so ein Leben führen? Jeder Mensch, der auf die Welt kommt, möchte ein erfülltes Leben führen. Warum ist es so vielen Menschen um uns herum nicht möglich. Diese Diskussion muss weitergehen. Selbstkritisch in sich hineinschauen. Sollen wir nicht mit dem, was wir bereits haben, glücklich sein? Wie viele Menschen haben nicht einmal Kontakt zu ihren Eltern oder Kindern? Können nicht ohne Angst in Freiheit leben? Das sind die Themen, die ich mir wünsche, dass sie die Menschen nach dem Film beschäftigen.

Interview: Karin Schiefer
Oktober 2024


«Ich hielt diesen Film für meine soziale Verpflichtung als Filmemacher.»