Mit der großen Freiheit war es Mitte März für alle vorbei. Die Wiener FreibeuterFilm hat es allerdings doppelt getroffen.
21 der geplanten 32 Drehtage von Sebastian Meises zweitem Spielfilm Große Freiheit mit Georg Friedrich und Franz Rogowski in den Hauptrollen waren absolviert, als es zum öffentlichen Stillstand kam. Ende Juni
war die FreibeuterFilm nun eine der ersten Produktionsfirmen, die die Dreharbeiten wieder aufgenommen und zum Abschluss gebracht
hat. Ein Gespräch mit Sabine Moser und Oliver Neumann über ihre aktuellen Spielfilmprojekte Große Freiheit und Stefan Ruzowitzkys Hinterland und das neue Produzieren in Zonen und auf Zoom.
Wir führen dieses Gespräch am 14. Juli, dem letzten Drehtag von Sebastian Meises Große Freiheit . Was stand heute noch am Drehplan?
OLIVER NEUMANN: Gestern hatte Georg Friedrich, der Viktor spielt, seinen Dreh abgeschlossen und heute hatten wir die letzten Szenen mit Franz
Rogowski in der Rolle von Hans Hoffmann in der Näherei des Gefängnisses. Die Umsetzung des Zonenkonzeptes hat sehr gut funktioniert.
Alle Teammitglieder haben sich sehr diszipliniert verhalten, so haben z.B. die Mitglieder der Zone 1 in Selbstquarantäne sogar
ihr Abendessen vor die Tür ihrer Appartments geliefert bekommen, und haben ihre Wohnungen außer für die Dreharbeiten nicht
verlassen. Gestern hat man schon gemerkt, dass die Anspannung langsam abnimmt.
Mit welchen Gefühlen können Sie diesen letzten Drehtag beenden?
SABINE MOSER: Mit sehr gemischten Gefühlen. Ich wäre sehr gerne heute in Deutschland dabei, was unter Coronabedingungen mit meiner kleiner
Tochter aber nicht möglich ist. Es ist ein befreiendes, fast unwirkliches Gefühl, dass diese Odyssee zu einem so guten Ende
gefunden hat. Der Abbruch im März ist nach zwei Drittel der Dreharbeiten und in einer anderen Jahreszeit erfolgt. Was ich
an Mustern gesehen habe, hat mich sehr begeistert, die Dreharbeiten haben mit der Wiederaufnahme wirklich toll Fahrt aufgenommen.
OLIVER NEUMANN: Ich mache drei Kreuze. Wir haben angesichts der Umstände sehr viel Glück gehabt, dass wir unsere zwei großen Spielfilmprojekte
– Hinterland von Stefan Ruzowitzky und Große Freiheit weiterführen konnten.
Gehen wir kurz zurück in Tage vor dem Lockdown. Mit welchem Drehstatus musste abgebrochen werden? Mit welchen Überlegungen,
Zweifeln und rechtlicher Unsicherheit haben Sie den Dreh abgebrochen?
OLIVER NEUMANN: Es war Freitag, der 13. März. Wir hatten ursprünglich geplant, eine Drehpause zu machen, damit unser Hauptdarsteller Franz
Rogowski für einen Zeitsprung in der Geschichte hätte abnehmen können. An besagtem Freitag beschlossen wir aber, doch keine
Pause zu machen und lieber gleich weiterzudrehen. Am selben Tag wurde noch die Einstellung des Flugverkehrs angekündigt, dann
ging es Schlag auf Schlag und als am Sonntag die Österreicher*innen aufgerufen wurden, ins Land zurückzukehren, war die Situation
atmosphärisch nicht mehr zu halten, auch wenn es kein explizites Verbot von Dreharbeiten gab. Am Montag haben wir uns noch
kurz mit den Förderern abgesprochen und dann haben wir abgebrochen.
SABINE MOSER: Wir haben nach 21 von geplanten 32 Drehtagen abgebrochen. Mit den abbruchbedingten Wiederholungen und dem Umschreiben, damit
alle Drehs am Hauptmotiv stattfinden konnten und ein Motivwechsel vermieden wurde, sind es nun 34 Drehtage geworden. Eine
Woche vor Abbruch habe ich begonnen, eine dunkle Wolke auf uns zukommen zu sehen und es ist immer düsterer geworden. In Deutschland
haben sich Maßnahmen und das gesellschaftliche Mindset grundsätzlich eine Woche später verändert als in Österreich und so
schien mir das Bedrohungsszenario am Drehort in Magdeburg noch weit entfernt. Ich hatte sogar am Sonntag noch das Gefühl,
dass es durchaus denkbar war, noch so viel wie möglich weiterzudrehen. Die Vermutung, dass wir nicht alle Drehtage schaffen
würden, war schon konkret, aber ich dachte, dass wir noch vorankommen würden. Mit Sonntagabend haben sich die Ereignisse dann
überschlagen, die Berufsverbände sind auf uns zugekommen und wir mussten auch als Arbeitgeber die Arbeitssicherheit des Teams
in dieser unsicheren Zeit gewährleisten. Als es hieß, dass nur systemrelevante Arbeit aufrechterhalten werden sollte, war
alles klar. Nach Rücksprache mit den Förderern haben Oliver Neumann, Benny Drechsel und ich am Drehort gemeinsam die Entscheidung
getroffen, dass der Dreh nicht fortgeführt werden konnte. Dann ging die Rückabwicklung sehr schnell, ich bin am nächsten Tag
mit Sebastian Meise schon wieder in Wien gesessen, alle sind zurück in ihre Heimathäfen. Es war ein sehr eigenartiges Gefühl.
GROSSE FREIHEIT spielt großteils im Gefängnis. Handelt es sich um einen Dreh im Studio oder an einer echten Location?
SABINE MOSER: Es handelt sich um eine echte Location. Unser Hauptmotiv ist ein sehr großes leerstehendes Gefängnis in Magdeburg, wo wir
einen großen Teil des Films mit seinen verschiedenen Zeitebenen haben drehen können. Wir hatten noch fünf Drehtage in Österreich
für die Szenen außerhalb des Gefängnisses und ein paar Drehtage in Berlin für das Loch-Motiv. Da die Handlung zwischen 1945
und Anfang der siebziger Jahre spielt, hatten wir ein sehr aufwändiges Aging für den Alterungsprozess der Hauptdarsteller,
das auf großartige Weise in Zusammenarbeit von Roman Braunhofer, Heiko Schmidt und Kerstin Gaecklein umgesetzt wurde. Ebenso
eine große Herausforderung war natürlich das Szenenbild, auch hier eine großartige Arbeit unseres Szenenbildners Michael Randel
und dessen Team. Sie hatten ja die Herausforderung, an derselben Location drei unterschiedliche Zeitebenen herzustellen, dementsprechend
diffizil war die Planung, und durch den corona-bedingten Abbruch hat sich das noch einmal zugespitzt. Es war bereits in der
Vorproduktion klar, dass wir die jeweiligen Zeitblöcke in sich geschlossen drehen. Wir haben mit den sechziger Jahren – dem
Hauptblock – begonnen und konnten diesen vor Abbruch praktisch zur Gänze abschließen. Der Abbruch ist am zweiten Tag der Szenen
aus den fünfziger Jahren erfolgt. Deshalb konnten wir die nachzudrehenden Szenen in einem sehr überschaubaren Rahmen halten.
Andere Produktionen mit komplett achronologischer Drehplanung, vielen Motiven und Anschlüssen, die zu berücksichtigen waren,
hat es da gewiss viel härter getroffen als uns.
Wie konntet ihr in der Zeit des Lockdowns agieren und wann begann sich konkret die Wiederaufnahme abzuzeichnen?
OLIVER NEUMANN: Es war immer ein gewisses Grundvertrauen vorhanden, dass Große Freiheit nicht so kurz vor Ende am Weg liegen bleiben würde. Es gab einen Austausch mit den Förderern und die Aussicht auf eine konsensuale
Lösung. Der Abbruch war schmerzlich, aber nicht mit der Nervosität verbunden, dass die Fertigstellung des Filmes in ernster
Gefahr ist, auch wenn die konkrete Lösung zu Beginn des Lockdowns noch unvorstellbar war. In der nächsten Etappe waren wir
dann mal zu Stillstand und Abwarten gezwungen.
SABINE MOSER: Die Zeit des Stillstands war in vielerlei Hinsicht sehr herausfordernd, nicht nur für uns. Der Regisseur, Sebastian Meise,
wurde ja so richtig aus dem Dreh herausgerissen. Er hat viel Zeit im Schneideraum und auch mit seinem Koautor Thomas Reider
verbracht. Ihre Filme entstehen in einer extrem engen Zusammenarbeit, Thomas ist als Autor und enger kreativer Partner am
Set immer präsent. Sie haben in dieser Zeit versucht, sich mit den unsicheren äußeren Bedingungen wie z.B. dem Umgang mit
Komparsenszenen, dem geplanten Umzug nach Berlin, der dann nicht mehr stattgefunden hat, auseinanderzusetzen und das Bestmögliche
herauszuholen. Sebastian hat sehr viel Energie und Standkraft bewiesen. Die Neuvorbereitung des Drehs hat uns auch auf der
Produktionsseite vor sehr große Herausforderungen gestellt. Es hat sich als großer Vorteil erwiesen, dass wir mit Lena Krins
die Gesamtproduktionsleitung, auch für den Dreh in Deutschland, hausintern durchführen konnten. So konnten wir von Beginn
an gemeinsam mit ihr die Situation beobachten, wir mussten ja sowohl Österreich als auch Deutschland im Auge behalten. Wir
haben uns zum Ziel gesetzt, dass wir bei den ersten sein müssen, die wieder drehen, sobald die Wiederaufnahme möglich war.
Eine große Frage war, wie geht man mit den Mehrkosten um, wie hält man sie in bewältigbarem Rahmen, ohne dass man konkrete
Einschätzungen tätigen konnte. Dazu kam das Damoklesschwert eines erneuten Lockdowns bzw. einer Infektion im Team. Das hat
uns viele Nerven gekostet, bis dann erfreulicherweise die Regelung bezüglich der Ausfallshaftung da war, zuerst in Österreich,
dann in Deutschland. Lena hat sich sehr früh wie immer mit Herz und Energie eine Orientierung verschafft, unter welchen Parametern
Dreharbeiten voraussichtlich wieder möglich sind. Es gab ja lange keine konkreten Handlungsvorschriften, sondern man musste
sich das selbst aus den verschiedensten Empfehlungen zusammenpflücken. So haben wir es geschafft, sehr früh dran zu sein und
konnten Ende Juni den Dreh wieder aufnehmen. Schön war, dass 85% des Teams bei der Wiederaufnahme dabei war. Wir hatten die
Befürchtung, dass es mit der Möglichkeit wieder zu drehen, einen Run auf Teammitglieder geben würde und wir es absolut verstanden
hätten, dass sich jemand eher für ein Projekt mit sechs oder sieben Drehwochen entscheidet als für eines, wo es noch zwölf
Drehtage gab. Der Umgang mit begonnenen und bevorstehenden Projekten, war ja für alle großes Neuland. Es war phantastisch,
dass wir so sehr auf die Unterstützung unseres Teams hatten bauen können. Auch von Seiten der Schauspieler war voller Support
da. Sie haben uns nie wegen anderer Engagements unter Zeitdruck gesetzt. Es stand für alle fest, dass man zunächst einmal
Große Freiheit gut und erfolgreich fertigbringen möchte.
Was heißt es für eine österreichische Produktionsfirma, die in Deutschland dreht. Welche Regelungen sind dann gültig?
OLIVER NEUMANN: Grundsätzlich gelten die Bedingungen der Region, in der gedreht wird.
SABINE MOSER: Das drei-Zonen-Modell ist das österreichische Modell. Es gibt aber vergleichbare Konzepte in Deutschland. Es gibt zum einen
die Vorschriften der Länder, die grundsätzliche Dinge wie Mindestabstand oder Maskenpflicht regeln und dann gibt es in Deutschland
die für den Filmbereich zuständige Berufsgenossenschaft, die BG-ETEM, die sehr detaillierte Handlungsempfehlungen auf Basis
des Corona-Arbeitsschutzstandards des BM für Arbeit und Soziales veröffentlicht hat, die zwar keinen gesetzlichen Status,
aber einen starken Aufforderungscharakter haben. Lena Krins hat das Konvolut der BG-ETEM mit dem österreichischen Drei-Zonen-Modell
zusammengebracht. Es war ein Glücksfall, dass wir mit dem Gefängnis ein großes Hauptmotiv hatten, wo wir relativ einfach unterschiedliche
Eingänge einrichten und die drei Zonen sehr gut voneinander trennen konnten. Außerdem ist es ein leerstehendes, gut durchlüftetes
Gebäude.
Eine wesentliche Frage betraf die Schauspieler, die natürlich vor der Kamera weder den Mindestabstand einhalten noch eine
Maske tragen konnten. Dafür gibt es im Rahmen der BG-ETEM-Papiers sehr klare Vorgaben: eine zweimalige PCR-Testung vor Drehbeginn.
Fünf Tage vor Drehbeginn musste am Drehort eine quarantäneähnliche Situation für die Hauptdarsteller und Regie hergestellt
werden, das war sozusagen eine Art erweiterter Knast. Unter Einhaltung dieser Vorgaben ist es dann erlaubt, dass sich die
Schauspieler ohne Maske näherkommen und auch in körperlichen Kontakt treten.
Habt ihr solche Regelungen als gravierende Einschränkung erlebt?
OLIVER NEUMANN: Ich halte es für sehr einschränkend. Die Abläufe am Set werden langsamer und behäbiger, Motive wechseln wird anstrengender
und die Gesamtsituation wirkt sich atmosphärisch aus. Es gehört zu anstrengenden Dreharbeiten einfach mal dazu, dass man sich
umarmt. Mit den Masken zieht ja auch eine gewisse Form von Anonymität ein, man kann ja die Mimik der Menschen gar nicht mehr
lesen. Es ist definitiv keine optimale Situation. Ich bin sehr froh, dass bei uns im kommenden Herbst keine großen Dreharbeiten
anstehen.
Wie sieht nun der verschobene Zeitplan für Große Freiheit aus?
OLIVER NEUMANN: Die Zwangspause des Lockdowns wurde bereits genutzt – Sebastian Meise und Joana Scrinzi haben schon sehr intensiv am Schnitt
gearbeitet. Das wichtigste wird jetzt sein, dass Sebastian mal loslassen kann, er hatte ja noch keine Möglichkeit durchzuschnaufen
und sich zu sagen „das ist jetzt mal geschafft“ nach dieser großen Anspannung. Wie bei allen unseren Filmen, halten wir es
für wichtig, dem Regisseur Zeit zu geben, dass er bei sich ankommen kann; wir üben da keinen zeitlichen Druck aus. Was wir
bisher an Mustern gesehen haben, macht uns sehr froh und zuversichtlich, aber grundsätzlich ist es zu früh, jetzt von der
Fertigstellung zu reden, jetzt liegt einmal die Phase des Schnitts vor uns.
Große Freiheit ist nicht das einzige Spielfilmprojekt, das in der Produktionsphase in den Corona-Lockdown geraten ist. In welchem Status
befindet sich Stefan Ruzowitzkys Hinterland?
OLIVER NEUMANN: Hinterland ist ein Film, der komplett im Blue-Screen gedreht wurde. Die Hälfte davon in Luxemburg, die andere im Rosenhügel-Studio in
Wien. Die stilistische Idee ist, mit modernen Mitteln ein expressionistisches Setting à la Das Cabinet des Dr. Caligari entstehen
zu lassen. Es werden alle Hintergründe aus Fotos zusammengesetzt und in einem großen VFX-Studio animiert. Ein kaisertreuer
Soldat zieht in den Ersten Weltkrieg und als er sieben Jahre später aus der russischen Kriegsgefangenschaft heimkehrt, ist
von seinen Werten – Gott, Kaiser und Vaterland – nichts mehr vorhanden. Alles ist schief und krumm und diese Wahrnehmung des
Protagonisten versuchen wir auch stilistisch zu erzählen. Wir haben den Film Ende November abgedreht, obwohl es Überlegungen
gegeben hatte, mit dem Dreh erst im Frühjahr zu beginnen. Was für ein Glück, dass verschiedene Faktoren dazu geführt haben,
dass wir Hinterland im vergangenen Herbst gedreht haben.
Wie weit ist nun die aufwändige Phase der Postproduktion fortgeschritten?
OLIVER NEUMANN: Wir haben immer damit gerechnet, dass die Phase visuellen Effekte an die sechs Monate dauern würden, die anderen Schritte
wie Mischung und Tonschnitt sind ja dann viel nicht so zeitaufwendig. Für die digitale Ausstattung arbeiten wir mit einem
Partner in Belgien, dem Benuts Studio zusammen. Belgien war sehr schwer von Corona betroffen, entsprechend gab es auch dort
einen Lockdown. Aus heutiger Sicht verzögert sich alles um drei Monate, wir gehen jetzt von Dezember statt September aus.
Das ist eine verschmerzbare Verschiebung. Im Fall von Hinterland bedeutete der Lockdown ja im Gegensatz zu Große Freiheit auch nicht den vollkommenen Stillstand der Arbeiten. Es musste aber in der Digitalen Ausstattung auf Homeoffice umgestellt
werden.
Wie kann man sich konkret diese Arbeitsphase über Homeoffice vorstellen?
OLIVER NEUMANN: Alle zwei Wochen bekommen wir von Benuts eine Shotgun-Playlist, in der sie uns die Schüsse präsentieren, an denen sie gerade
arbeiten. Zwei Tage später gibt es dann ein Zoom-Meeting mit Stefan Ruzowitzky, dem Kameramann Benedict Neuenfels, Oleg Prodeus,
dem digitalen Artdirector, der die Hintergründe entwirft, und mir sowie dem Team in Belgien. Da werden dann die Einstellungen
diskutiert. Es ist ganz gewiss nicht dasselbe wie persönlich dort zu sein. Unlängst haben wir in München einen großen Farbkorrekturtest
gemacht und konnten endlich Bilder auf der großen Leinwand sehen. Es ist dennoch eine effektive Methode, die Meetings über
Zoom abzuhalten.
Was hat die coronabedingte Unterbrechung für die nachfolgenden Projekte bedeutet? Wie sehr verschiebt sich nun alles nach
hinten?
OLIVER NEUMANN: Was neue Produktionen betrifft, sind wir relativ glimpflich davongekommen. Wir hatten ein Projekt in Planung, das im außer-europäischen
Ausland gedreht hätte werden sollen, da wurde im März rasch klar, dass wir schwer darauf hinarbeiten können. Es wird wohl
eher eine Phase der Entwicklung kommen und die nächsten Dreharbeiten nicht vor 2021.
SABINE MOSER: Wir wissen noch nicht, wie die Situation punkto Kino und Festivals im nächsten Jahr aussehen wird. Wir können jetzt mal tief
durchatmen, soweit es unsere Dreharbeiten betrifft. Aber bei der Auswertung hat uns Corona sehr hart getroffen: Johanna Moders
Waren einmal Revoluzzer stand im März kurz vor Kinostart, als sich abzeichnete, dass wir den Start abbrechen müssen, weil die Kinos schließen werden.
OLIVER NEUMANN: Das war wirklich eine große Enttäuschung und ein Rückschlag. Der Kinostart war sehr sorgfältig und liebevoll vorbereitet und
wäre zehn Tage nach Lockdown ins Kino gekommen. Wir starten mit dem Team vom Filmladen den Film nun Ende August.
Habt ihr das Gefühl, dass dieser massive Einschnitt langfristig eure Arbeit verändern wird, umso mehr als die Bedrohung durch
das Virus nicht vom Tisch ist.
SABINE MOSER: Ich denke, das muss man auf verschiedenen Ebenen betrachten. Auf der konkreten Produktionsebene habe ich das Gefühl, dass
wir dank der hervorragenden Arbeit von Lena Krins nun Erfahrungswerte und Parameter haben, die man gegebenenfalls adaptieren
muss. Längere Dreharbeiten und Hygienemaßnahmen wirken sich natürlich budgetär aus, aber wir haben jetzt ein Modell, an dem
man sich orientieren kann. Und es gibt die Ausfallshaftung hoffentlich bis zu dem Moment, wo Corona nicht mehr als Pandemie
deklariert ist und die reguläre Ausfallshaftung wieder wirksam werden kann. Eine große Herausforderung wird sich auf einer
zweiten Ebene, nämlich der kreativen stellen. Damit meine ich die Arbeit vor der Kamera. Und wohin es auf der Ebene der Verwertung
gehen wird, lässt sich im Augenblick, wo sich die Kinos in einer äußerst schwierigen Situation befinden, gar nicht vorhersagen.
Ich glaube, da liegt momentan der größte Unsicherheitsfaktor. Es geht ja nicht nur darum, wie Kinosäle wenigstens teilweise
wieder genutzt werden können, sondern auch um die Menschen. Wie lange wird es dauern, dass Menschen wieder auf engem Raum
gemeinsam in einem Saal sitzen wollen, um ein Kinoerlebnis zu genießen?
OLIVER NEUMANN: Es scheint mir etwas zu früh, mir die Frage zu stellen, ob wir für den Rest unseres Berufslebens unter diesen verschärften
Bedingungen arbeiten werden. Es bleibt zu hoffen, dass wir bald wieder zu einer wirklichen Normalität zurückkehren können.
Interview: Karin Schiefer
Juli 2020