Es ist vor allem das Prestige der Eliteschule, das in Ruth Maders in den achtziger Jahren angesiedelten Thriller SERVIAM – ICH WILL DIENEN betuchte Eltern veranlasst, ihre Töchter an eine katholische Internatsschule zu schicken. Eine tiefere Verbindung zu Gott
ist nicht nur ihnen, sondern auch so manchen Vertreterinnen des Ordens abhanden gekommen. Außer einer jungen Schwester. In
ihrer religiösen Verve lotst sie ein besonders sensibles Mädchen auf einen gefährlichen Weg zu Gott und verirrt sich mit ihr
in einem Labyrinth der Heilssuche, aus dem es nur Rettung von außen geben kann.
In neuen Film SERVIAM – ICH WILL DIENEN entsteht der dramaturgische Spannungsbogen zwischen einer spirituellen und einer sekulären
Ebene: erstere durch eine konfessionelle Internatsschule für Mädchen, die sekuläre interessanterweise über die vordigitalen
achtziger Jahre. Was hat Sie zu diesem Setting geführt?
RUTH MADER: Ich schreibe alle meine Drehbücher mit Martin Leidenfrost. Für dieses Projekt, das in einer katholischen Privatschule in
den achtziger Jahren spielt,
war es unser gemeinsamer Wunsch, einen Film über radikalen Glauben in einer sekulären Welt zu erzählen. Damit meinen wir eine
Welt, wo der Glaube zu bröckeln beginnt und auch in der katholischen Eliteschule nur noch Dekor ist.
Martin und ich, wir haben beide katholische Privatschulen besucht und die Atmosphären und Räume selbst erlebt, die wir auf
Film bannen wollten. Wir haben für unseren Film die Schule als Drehort bekommen, an der ich selbst Schülerin war und wir haben
unsere Handlung genau darauf hingeschrieben. Als erstes entstanden Figuren und Räume und so fanden wir zu unserem zentralen
Thema, dem radikalen Glauben in einer sich vom Glauben abwendenden oder ihm gegenüber gleichgültigen Gesellschaft. Wir haben
sehr viel recherchiert, mit Ordensleuten gesprochen und haben nach einem Vorbild für unsere Protagonistin, die Schwester gesucht,
die jemand ist, die aufrichtig glaubt. Das ist etwas, was gar nicht so einfach zu finden ist, selbst unter Ordensleuten begegnet
man Menschen, die nicht so tief innerlich glauben.
Was hat Sie veranlasst, in die achtziger Jahre zurückzugehen, wo auch heute die Gesellschaft extrem vom Materialismus geprägt
ist?
RUTH MADER: Es gab gewisse Voraussetzungen, die wir nur in dieser Zeit gegeben sahen. Damit unser Plot funktionieren konnte, brauchten
wir eine Epoche, in der es noch keine Handys gab. SERVIAM – ICH WILL DIENEN spielt außerdem in einem reinen Mädcheninternat.
Die getrennt geschlechtliche Erziehung war schon in meiner Oberstufenzeit Ende der achtziger Jahre gesetzlich nicht mehr zugelassen,
insofern musste der Film aus Gründen der Authentizität zu einer Zeit davor spielen.
Was verstehen Sie unter radikalem Glauben?
RUTH MADER: Für mich bedeutet es, dass man tatsächlich an die Inhalte der katholischen Lehre glaubt. Das man vom Sinn der Hölle, der
Auferstehung, des radikalen Leidens, dem Umstand, dass Gott sich in Christus hat töten lassen, nicht nur spricht, sondern
auch daran glaubt.
Mit dem lateinischen Titel SERVIAM – ICH WILL DIENEN verweisen auf das Motto der Schule, das von den Kindern auf T-Shirts
wachgehalten wird und das Sie vielleicht auch in Ihrer eigenen Schule erlebt haben. Hat Sie Ihre eigene Schulerfahrung auch
mit der Frage konfrontiert, was die Sprache der Religion in der Vorstellungswelt der Kinder auslöst? Wie haben Sie die Vermittlung
des Glaubens erlebt?
RUTH MADER: Ich habe eine echte Religionsvermittlung eigentlich eher vermisst. Bei uns war das recht einfach gestrickt. In SERVIAM –
ICH WILL DIENEN wollten wir von einer intellektuelleren Schwester erzählen, die es vermag, Glauben auch zu erklären. Etwas,
was ich damals gerne gehabt hätte. Ich wäre wahrscheinlich auch so ein Mädchen gewesen, das sich da hätte hineinfallen lassen.
Ich hatte in meiner Kindheit und Jugendzeit eine große Sehnsucht nach Glauben und habe auch geglaubt.
Der bestimmende Grundton des Films ist die Reduktion: in den Räumen, aber auch in den Dialogen und im Spiel der Schauspieler:innen:
das Fehlen an Emotion in den Beziehungen, das vielleicht auch von einer inneren Leere und dem damit verbunden Fehlen an Sinn
erzählt. Liegt hier eine Ihrer zentralen Beobachtungen?
RUTH MADER: Ich habe das Gefühl, dass ich das in allen meinen Filmen gemacht habe. Ich weiß aber nicht warum. Weil es mir richtig erscheint.
Anders würde es mir kitschig erscheinen.
Was könnte die Religion in der Gesellschaft bewegen?
RUTH MADER: Sie hat ja früher viel in der Gesellschaft bewegt. Jetzt leben wir in einer Zeit, in der man sich von der Religion abwendet.
Es muss ja die Frage nach dem Tod, nach dem Leid, nach dem Sinn erklärt werden. Auch die Frage nach Gemeinschaft.
Gemeinschaft wird in Ihrem Film nur in bestimmten Zusammenhängen gelebt: In der Außenwirkung (religiöse Rituale, Vorführungen
am Schulschluss), im Zusammenschluss gegen Außenseiterinnen, im Speisesaal. Gelebte Gemeinschaft sieht man nicht. Warum?
RUTH MADER: Wer in diesem Film besonders schlecht wegkommt, sind die Eltern. Wir wollen zeigen, dass sie ihre Kinder dort deponieren.
Es geht ihnen in keiner Weise um Glauben, sondern um das Prestige der Eliteschule. Interesse haben sie an ihren Kindern keines.
Dieses Fehlen an Bindung führt auch dazu, dass sich Martha so stark dieser Schwester zuwendet. Auch Sabine ist einsam, auch
die Schwester selbst ist einsam, weil sie in einem Orden ist, wo die Schulleiterin, Schwester Agnes, in keiner Weise für ihren
Glauben, sondern für den Fortbestand der Institution steht.
Zweifelt nicht auch die Schwester an ihrem Glauben?
RUTH MADER: Sie ist jemand, die sich bewusst ist, dass der Zweifel Teil des Glaubens ist. Sie ist überzeugt, dass auch der/die Zweifelnde
am Glauben Anteil hat. Man kann weder dem Zweifel noch dem Glauben zur Gänze entrinnen. Es bleibt immer die Unheimlichkeit,
dass es vielleicht doch wahr ist. Sie ist aus unserer Sicht zutiefst von ihrem Glauben überzeugt.
So sehr, dass sie ihre Schützlinge auch manipuliert?
RUTH MADER: Die manipulative Kraft der Religion ist ebenfalls ein Thema. Die Schwester manipuliert die Mädchen zweifellos, indem sie
Grenzen überschreitet, die sie nicht überschreiten sollte.
Erzählen Sie von einer Gesellschaft in der Krise, weil sie sich von der Religion abwendet oder ist die Religion in der Krise,
weil sie es nicht schafft, die Menschen mit seinen heutigen Bedürfnissen anzusprechen?
RUTH MADER: Es ist definitiv beides der Fall: auf der einen Seite sehe ich eine Gesellschaft, die total aufs Materielle fokussiert ist
und die einsam macht, auf der anderen Seite steht eine Kirche, die nur noch Dekor ist, für die bestenfalls Einzelpersonen
wie die Schwester kämpfen. Der Niedergang des Glaubens ist eine Tatsache, die Kirche ist seit langem auf dem Rückzug.
Einmal mehr prägt die Architektur sehr stark ihre Bildsprache: gerade Linien, nüchterne Räume, große Klarheit, starke Lichtkontraste,
ein dramaturgisches Spiel mit Oben und Unten. Welche Rolle spielte die Architektur dieses Schulhauses in der Entwicklung Ihrer
Bildsprache?
RUTH MADER: Architektur ist immer wichtig in meinen Filmen. Ein Raum hat immer ganz exakte Funktionen zu erfüllen. Jeder Kader muss stimmen.
Es darf nie falsch sein. Das Treppenhaus, der Speisesaal, die Kirche, die Schulräume – da gab es Verbindungen, die wir nie
hätten bauen können. Die besondere Klarheit der Bilder haben wir durch Umbauen, Farbgebung, Reduktion, Umfolieren etc. hergestellt.
Zur Zeit, als ich dort zur Schule gegangen bin, war die Architektur viel klassischer, stilisierter. Mir gefällt das Stilisierte
im Film. Ein Raum muss gestaltet sein, ein Raum darf nicht einfach abgefilmt werden. Das Production Design mit Renate Martin
und Andreas Donhauser war bereits in der Phase, als wir noch Motive gesucht haben, eingebunden und wir haben uns Schritt für
Schritt herangearbeitet. Das Reduzieren ist mir besonders wichtig, ein Bild darf nicht mit Requisiten oder Details vollgestellt
sein. Man muss sich konzentrieren können.
Ein sehr interessanter, aussagestarker Raum ist das symmetrisch angelegte Zimmer von Armo und Sabine, wo in wenigen Details
und Gesten dennoch die Asymmetrie in der Gesellschaft sichtbar werden. Wie entsteht so ein Bild?
RUTH MADER: Dieses Zimmer ist ein Studiobau, der meinem Zimmer von damals sehr stark nachempfunden ist. Beim Schreiben sammle ich Material,
vieles aus dem eigenen Erleben, das wird dann stilisiert und gestaltet bis hin zum kleinsten Detail, das sorgfältig ausgesucht
wird. In diesem Bild wird auch der Klassenunterschied zwischen Sabine und Armo gezeigt. Armo ist in der Institution nur geduldet,
sie kommt aus armen Verhältnissen, Sabine ist ein Kind der oberen Mittelschicht. Beim Auskleiden und Ankleiden für die Nacht
wird das große Gefälle spürbar und auch die erdrückende Einsamkeit der beiden Kinder.
Die Unfallstelle nach Armos Selbstmord zeigen Sie quasi wie ein Spielbrett, wo von oben die Menschen wie Spielfiguren betrachtet
werden. Warum dieses abstrakte, radikale Erzählen ohne jegliche Emotion und Dramatik?
RUTH MADER: Ich versuche auch expressiv zu sein und ein Bild zu erzeugen, das über den Bildinhalt hinausweist. Die arme Kinderleiche
ist völlig allein und verloren, rund um sie stehen nur die Menschen, die im Zuge dieses Geschehnisses eine Funktion erfüllen
Wie ist bei der Entstehung solcher Bilder die Wechselwirkung zwischen Martin Leidenfrost und Ihnen?
RUTH MADER: Wir schreiben die Bilder, die dann auf der Leinwand zu sehen sind, gemeinsam. Martin und ich arbeiten seit 30 Jahren zusammen,
reden viel über Inhalte, sammeln Bilder, das mach in erster Linie ich, der intellektuelle Kern kommt meist von Martin. Wir
schreiben Dialoge und spielen sie durch, korrigieren und adaptieren sie gemeinsam und entwickeln gemeinsam einen Plot. Dafür
haben wir ein System mit Kärtchen für jede Szene, die dann herumgeschoben werden. Über die Jahrzehnte haben wir unser System
verfeinert, es gibt jedenfalls keine getrennten Aufgaben.
Sie gehen in SERVIAM – ICH WILL DIENEN mit dem Licht sehr stark in die Kontraste, vor allem auch in die Dunkelheit. Wie haben
Sie dafür mit der Kamerafrau Christine A. Maier zusammengearbeitet?
RUTH MADER: Dass es einen Showdown im gleißenden Mittagslicht gibt, es im Gang des obersten Stocks immer dunkler wird, das sind Elemente,
die von Martin und mir bereits im Drehbuch festgelegt werden. An der Auflösung arbeite ich ganz alleine, das dauert manchmal
mehrere Monate, wo ich den gesamten Film storyboarde. Dann gehe ich mit der Kamerafrau jedes Bild durch und wir bringen Korrekturen
an. Die lichttechnische Umsetzung überlasse ich dann komplett Christine und dem Oberbeleuchter. Der Bildaufbau selbst, die
Schnitte, das sind eher meine Aufgabe.
Zentrale Figur ist die von Maria Dragus dargestellte Schwester. Wie würden Sie diese Figur beschreiben?
RUTH MADER: ich betrachte die Schwester als positive Figur, auch wenn sie Grenzen überschreitet. Das war uns sehr wichtig. Wir haben auch
versucht, eine Rochade zwischen Protagonistin und Antagonistin einzubringen. Zu Beginn des Films ist die Schwester die Protagonistin
und Sabine die Antagonistin, dieses Verhältnis kehrt sich zum Showdown des Films um. Eine wichtige Frage, die uns in der Besetzung
beschäftigt hat, war die, dass die Schauspielerin glaubwürdig vermitteln muss, dass sie tiefgläubig ist. Das ist gar nicht
so einfach. Maria Dragus macht das wunderbar, auch, weil sie selbst einen Bezug zum Glauben hat und natürlich ist sie eine
hervorragende Schauspielerin und hat das kraftvolle Gesicht, um einen Leading Character zu verkörpern.
Einen ganzen Schulbetrieb zu bespielen, wenn auch nur in wenigen Szenen, hat ein umfassendes Kindercasting vorausgesetzt.
Wie hat sich da die Suche nach den richtigen Gesichtern gestaltet?
RUTH MADER: Die beiden Casterinnen – Martina Poel für die Kinder, Marion Rossmann für die Erwachsenen – haben sehr gute Arbeit geleistet.
Das Kindercasting ist sehr rasch vonstatten gegangen. Wir haben mitten in der Pandemie gecastet, natürlich mit e-Casting.
Die Kinder haben uns Videos mit Szenen, die wir sie spielen ließen, geschickt, die sie teilweise selber aufgenommen haben.
Es war sehr schnell klar, wer dabei sein würde. Ich erinnere mich nur an einen physischen Casting-Tag mit vier favorisierten
Kindern für die Kinderhauptrollen, von denen drei dann auch mitgemacht haben. Davor haben wir uns natürlich 2/300 Kinder per
Video angeschaut. Man kann da sehr schnell für kleinere Rollen, Nebenrollen, Edelkomparserie zuordnen.
Wonach suchten Sie für die Rolle von Sabine?
RUTH MADER: Sie musste Disziplin vermitteln und ein sehr konzentriertes und ausdrucksstarkes Gesicht haben, was mir immer wichtig ist.
Das Gesicht eines/r Schauspieler:in muss sprechen. Leona Lindinger hat sich sowohl Klavierspielen als auch das Turnen für
die Rolle angeeignet. Sie hat sehr hart an dieser Rolle gearbeitet. Die Kinder waren alle sehr gut und haben ihre Rollen ausgefüllt.
Anna Elisabeth Berger, die Darstellerin von Armo, wiederum war eine sehr intuitive Darstellerin, die ohne Übung sehr viel
eingebracht hat. Mit ihr habe ich eher nicht geprobt, sondern sagte ihr, sie solle gefühlmäßig einfach tun, und es war unglaublich,
was sie noch dazu erfunden hat – sei es ein Zupfen am Rock oder eine spezielle Art zu gehen. Sophia Gómez Schreiber hat sich
die Gesänge selbst erarbeitet, sie singt ja ganz allein am Beginn des Films. Sie war auch phantastisch. Die Arbeit mit den
Kindern habe ich sehr positiv in Erinnerung, für mich ist es sehr lustig, für die Kinder war es ein großes Erlebnis.
Haben Sie mit den Kindern auch über Glauben gesprochen?
RUTH MADER: Ja, im Bezug auf ihre Rolle. Wir haben darüber gesprochen, ob sie selber glauben oder wie sie den Glauben herholen können,
wenn sie nicht gläubig waren.
Wie sehr hat die Entscheidung, animierte Elemente in den Film einzubinden, auch mit der kindlichen Vorstellungswelt zu religiösen
Themen tun? Ist es für Sie ein Text, der eine besondere Bedeutung hat?
RUTH MADER: Wir haben auch versucht, inspiriert durch die Offenbarung des Johannes, mit den animierten Sequenzen eine spirituelle Ebene
einzuziehen, die kindliche Vorstellungen z.B. vom Weltuntergang vermittelt. Die Apokalypse ist ein schöner, mystischer und
erlösender Text. Ein ganz besonderer Text der Bibel, der uns sehr bewegt hat und von dem wir fanden, dass er einmal auf die
Kinoleinwand gebracht werden sollte und Bilder wie ein Tier mit tausenden Augen, das durch die Weltzeiten fliegt, kann man
nur animiert darstellen. Alexander Dworsky hat das Animationsdesign gemacht, Benjamin Urbanek hat es umgesetzt. Ausgewählt
haben wir fünf Bilder: das Tier mit den vielen Flügeln und den tausend Augen, das Lamm Gottes, das geopfert wird, das fahle
Pferd, der Weltuntergang, Gott schafft eine neue Welt. und dazu haben wir die dazugehörigen Texte gefiltert. Die Bibel meiner
Kindheit war natürlich die Kinderbibel, sie ist ein Text, der mich sehr beschäftigt hat, auch noch in meiner Jugend. Dann
habe ich mich erst wieder für dieses Projekt mit bestimmten Texten auseinandergesetzt. Die Apokalypse ist ein sehr bildgewaltiger
Text, der für die filmische Arbeit sehr bereichernd war.
SERVIAM – ICH WILL DIENEN ist ja auch eine Geschichte der Transformation, der Wiedergutmachung, vor allem für Sabine und die
Schwester, die sich ihrer Mitschuld an Armos Tod bewusst sind.
RUTH MADER: Die Apokalypse endet damit, dass Gott alle erlöst und alles neu erschafft. Alle bekommen eine neue Chance und gehen in eine
neue Welt hinein: Sabine verlässt das Gebäude, die Schwester geht nach Afrika, wo sie eine neue Chance bekommt. Es endet positiv.
Warum haben Sie sich für das Genre des Thrillers entschieden, um diese Geschichte zu erzählen?
RUTH MADER: Ich mag dieses Genre besonders, ich liebe Spannung und gut erzählte Thriller. Das macht mir Lust, es selber zu machen. Die
biblischen Bilder, die Angst einflößen passen dazu.
Sie zeichnen nicht nur für Regie und Buch, sie haben den Film auch produziert. Vieles erscheint als würde es sehr stark intuitiv
geschehen. In Wirklichkeit steckt sehr viel Arbeit dahinter?
RUTH MADER: Ein Film von mir bedeutet immer auch harte, genaue Arbeit. Alleine die Arbeit an der Auflösung bedeutet monatelanges Sitzen,
die Räume fotografieren, abwägen, welche Perspektive zu wählen ist, wie die Reduktion funktionieren kann, die Materialien
der Böden, der Vorhänge etc. akribisch vorbereiten. Wenn dann zehn Vorhangstoffe vor mir liegen, dann weiß ich sofort, welcher
der richtige ist. Beim Produzieren sind immer die Konvolute an Einreichunterlagen zu bewältigen. Es war eine sehr schöne Zusammenarbeit
mit Dieter und Jakob Pochlatko, die auf einem sehr tiefen Vertrauen beruht hat und die mir eine große Freiheit eingeräumt
hat. Ich habe das Vertrauen auch eingelöst und das Budget nicht überzogen. Es wird sicher eine Fortsetzung dieser Zusammenarbeit
geben. Überhaupt ist dieser Film das Ergebnis von vielen Kooperationen, die seit sehr langer Zeit bestehen. Mit Martin Leidenfrost
sind es 30 Jahre, mit Niki Mossböck im Schnitt über 20 Jahre und Manfred Plessl hat schon für mehrere meiner Filme die Musik
komponiert. Mit Alexander Dwosrsky, der das Animationsdesign, das Titeldesign und die Plakate und Werbemittel meiner Filme
gestaltet verbinden mich über 20 Jahre Zusammenarbeit. Es sammeln sich die Menschen, mit denen man gut arbeitet und man macht
dann mit ihnen weiter.
Das Projekt selbst hat eine lange Geschichte und ist an einer ersten Finanzierung gescheitert. Haben Sie das Gefühl, dass
es sich verändert hat. Hätten Sie es im ersten Anlauf anders gemacht?
RUTH MADER: Ich wollte den Film schon vor 15 Jahren machen. Und ich habe mir selbst diese Frage gestellt. Wäre er damals von mir ausgehend
„frischer“ geworden. Ich habe heute das Gefühl, dass ich die Erfahrung der Filme dazwischen gebraucht habe, um so ein Volumen
stemmen zu können. Viele Komparsen, die Studiobauten, viele gesplittete Räume, wo man gut denken können, Drehpläne überprüfen
und produktionell alles im Griff haben muss. Damals wäre ich wahrscheinlich etwas „schlampiger geritten“, jetzt ist es ein
perfekter Ritt. Vielleicht wäre es vor 15 Jahren lebendiger gewesen. Oder rauer.
Es gibt selten Filme, die sich mit dem Thema des Glaubens auseinandersetzen. Wie sehr soll SERVIAM – ICH WILL DIENEN auch
ein Denkanstoß fürs Publikum und seinem Verhältnis zum Glauben oder zur Spiritualität sein?
RUTH MADER: Es geht mir um die Frage nach dem Glauben an sich – ob er nicht doch eine Rolle im Leben spielten könnte. So wie es die Schwester
beim Gebet mit den Kindern formuliert: Vielleicht gibt es Gott doch? Gott ist ja irgendwie unmodern geworden. Er könnte wieder
ein bisschen moderner sein.
Interview: Karin Schiefer
Juni 2022