Müllfreie Zonen gibt es auf diesem Planeten nicht mehr. Dies macht Nikolaus Geyrhalter in MATTER OUT OF PLACE ebenso klar wie die Tatsache, dass der Müll trotz größter Bemühungen, ihn zum Verschwinden zu bringen, nicht aus der Welt
zu schaffen ist.
Der Filmtitel MATTER OUT OF PLACE bezieht sich auf eine Definition. Was versteht man unter diesem Begriff?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Wir haben diesen Begriff von Burning Man, einem Festival in der Wüste von Nevada, wo wir auch gedreht haben, übernommen.
Dort wird alles, was nach dem Festival übrigbleibt – das muss nicht nur Müll sein, sondern meint alles, was nicht „native
to the environment“ ist und vorher nicht da war – als matter out of place bezeichnet. Alles, was vom Menschen kommt, gehört
dort nicht hin und muss wieder weg. Dafür steht das so genannte mooping, das penible Saubermachen nach dem Event, das Teil
der DNA von Burning Man ist und mit dem auch der Film endet. Matter out of place ist auch ein in der Outdoor-Szene gebräuchlicher
Begriff. Wenn man irgendwo in der Natur sein Zelt aufschlägt, dann ist alles, was man hinterlässt bzw. vorher nicht da war
matter out of place. Ich halte es für eine schöne Umschreibung, die weitergedacht ist – über den konkreten Müll-Begriff hinaus
– für alles, das ohne uns nicht da gewesen oder verändert worden wäre. Wir Menschen haben sehr, sehr viel matter out of place
geschaffen.
Hat sich MATTER OUT OF PLACE in unmittelbarer Konsequenz auf Ihren letzten Film ERDE ergeben, als Antwort auf die Betrachtungen
zum Eingriff des Menschen in die Grundmaterie des Planeten? Matter out of place als das vom Menschen produzierte Material,
das seine massiven Spuren über den gesamten Planeten zieht?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Ich sehe meine Filme weder in einem Ablauf noch in einer Logik. Wenn es so interpretiert wird, ist es für mich in Ordnung,
aber gleichzeitig auch bedeutungslos. Ich interpretiere meine Filme nicht gerne. Themen kommen und gehen. Manche bleiben.
Müll ist eigentlich ein naheliegendes Thema, das permanent auf der Hand liegt. Man muss immer wieder hinschauen, weil es nach
wie vor keine gute Lösung gibt.
In einer der ersten Sequenzen frisst sich ein Bagger in eine unbebaute Wiese. Man denkt an ERDE und vermutet zunächst den
Beginn eines Bauvorhabens, ehe sich herausstellt, dass hier nicht Erdreich, sondern der Inhalt einer über Jahrzehnte zugeschütteten
Mülldeponie ausgehoben wird. Wie ergab es sich, dass Sie hier mit der Filmkamera dabei sein konnten?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Manche Themen ziehen sich weiter. In Solothurn, wo wir diese Sequenz gedreht haben, gab es für die Sanierung der ehemaligen
Mülldeponie mehrere Probe-Baggerungen, die letzte davon haben wir gedreht. Aus heutiger Sicht ist es unumgänglich diese Müllhalde
aus den siebziger Jahren zu sanieren. Aber wie werden kommende Generationen die Deponien oder Verfahren beurteilen, die gegenwärtig
Stand der Technik sind? Wenn ich etwas mit diesem Film und vor allem diesem Dreh gelernt habe, dann: Müll ist nie wirklich
verschwunden. Selbst wenn er verbrannt wird, bleibt ein Schlackehaufen übrig, der irgendwo deponiert und vielleicht von nächsten
Generationen wieder ausgegraben wird. Es ist ja nicht nur so, dass Abfallstoffe nicht sachgemäß entsorgt wurden, man kann
mit immer effizienteren Technologien auch noch Wertstoffe herausfiltern. In alten Deponien ruhen nicht nur Umweltgefahren,
sondern es gibt dort auch Potenzial zum Recyclen.
Hat Sie Ihre Recherche auch mit der Geschichte des Umgangs mit Müll konfrontiert?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Der Müll ist ein Symbol dafür, wie sich die Menschheit entwickelt,
nämlich viel langsamer als es der technologische Fortschritt
verlangen würde.
Mit ganz vielem, was heute möglich und alltäglich ist, können wir noch nicht umgehen.
Den Abfall aus dem
Fenster zu werfen und zu warten, bis er verrottet ist, funktioniert auf einmal nicht mehr. Aber viel weiter sind wir noch
nicht. Dass jedes Stückchen Müll, das wir aktuell verursachen, möglichst sinnvoll entsorgt werden muss, das müssen wir erst
verinnerlichen. Diesen Evolutionsschritt haben wir noch nicht gemacht.
Die erste Einstellung zeigt entlegene, einsame Natur, kein Mensch weit und breit, dennoch ist der Stausee voller Plastikmüll.
Wie sehr hat diese Arbeit auch bewusst gemacht, dass es bis in die verlassensten Ecken der Erde vor dem Müll kein Entrinnen
gibt?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Diese Anfangssequenz zeigt ein Auffangbecken vor einem Kraftwerk, das natürlich regelmäßig ausgeräumt wird. Man sieht, dass
selbst in Gegenden, wo wenig Menschen sind, sich viel Müll sammelt. Inzwischen wissen wir alle, dass sehr viel Plastikmüll
in Gewässern und früher oder später im Meer landet.
Wie haben Sie Ihre Drehorte ausgewählt?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Bei diesem Film spielt der Zufall in der Auswahl der Drehorte keine unwesentliche Rolle, da wir immer wieder von Corona aufgehalten
worden sind. Es gab Themenschwerpunkte, die wir verwirklichen wollten, aber die Orte der Umsetzung haben sich während des
Drehs verändert. Wir haben vor dem ersten Lockdown zu drehen begonnen und hatten viele Pläne, die sich aufgrund der pandemiebedingten
Reise- und Einreisevorschriften nicht haben einhalten lassen; so sind wir, um bestimmte Themen abdecken zu können, auf andere
Länder ausgewichen, die wir ursprünglich nicht auf der Liste hatten. Ein Beispiel ist die große Mülldeponie in Nepal, über
die ich jetzt sehr froh bin. Bei der Recherche im Internet stößt man immer wieder auf dieselben Orte, an denen schon jemand
fotografiert oder gedreht hat. Das ist praktisch, weil man ungefähr weiß, was einen dort erwartet. Von der Deponie in Nepal
wussten wir nur, dass es sie gibt und dass es uns gelungen war, in einer Hochphase von Corona mit einem Berufsvisum dort einzureisen
und arbeiten zu können. Dieser Ort hat uns dann reich beschenkt. Wir haben vieles entdeckt, weil wir nicht auf bekannte Orte
zurückgreifen konnten und selber neue Orte finden mussten.
Stand die Größe der Deponie im Vordergrund oder viel mehr der Umgang mit dem Müll?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Es ging um beides: Natürlich um unterschiedliche Handhabungen von Müll, aber auch um die Verzweiflung der Menschen, damit
umzugehen. Dass eine riesige archaische Mülldeponie vorkommen musste, stand ebenso fest wie eine moderne Müllverbrennungsanlage.
Dazwischen gibt es viele andere Aspekte und wir haben uns erlaubt, diese im Film ziemlich frei zu verästeln. Filme, die das
Thema Müll sachlich und argumentativ behandeln, gibt es bereits. Dass das nicht unser Vorhaben sein konnte, war ohnehin klar.
Wenn man sich da auf ein Suchen und Finden einlässt, kann viel mehr entstehen. Über diesen Ansatz sind wir immer wieder bei
Menschen gelandet, die freiwillige Initiativen setzen, auch wenn ihre Arbeit unterm Strich nicht mal ein Tropfen auf dem heißen
Stein ist. Diese Sisyphus-Arbeit zu würdigen war von Anfang an ein Thema in der Recherche. In der Zeit, wo mühevoll versucht
wird, vereinzelte Flaschen am Strand einzusammeln, wird andernorts ein Vielfaches an Plastikflaschen verbraucht und weggeworfen.
In Nepal beobachten Sie einen Müllsammler, der mit einer Fahrrad-Rikscha unterwegs ist und dokumentieren in der Folge über
die Sammelstelle, den Abtransport per LKW und die beschwerliche Fahrt zu dieser riesigen Deponie die enorme und wachsende
Dimension des Umgangs mit dem Müll. Konnten Sie sich an einem Drehort wie Nepal auch die Zeit zur Beobachtung nehmen, um diese
Logistik zu erfassen?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Es war Zeit, aber wie immer nicht wahnsinnig viel. Der Dreh war sehr gut vorbereitet, wir kannten die Aufnahmeleitung in
Nepal gut, weil wir schon für einen anderen Film zusammengearbeitet haben. Wir hatten vorab Bilder der Deponie bekommen und
der Rikschafahrer stand bereits fest, der überraschende Part dieses Drehs waren die Regenfälle, die so heftig waren, dass
die Deponie kaum zu befahren war. Diese Bilder lenken den Film auf eines seiner Kernthemen, nämlich die ungemeine Mühsal,
die für Mensch und Maschine in der Beseitigung des Mülls steckt.
Einen interessanten Kontrast stellt der hochgelegene Schiort in der Schweiz dar, wo die Logistik so durchdacht scheint, dass
es sogar Gondeln gibt, die Müll-LKWs transportieren? Welches Konzept wird dort verwirklicht?
NIKOLAUS GEYRHALTER: In diesen Schweizer Schiort muss alles mit der Gondel rauf- und wieder runtergebracht werden, deshalb muss auch der Müllwagen
per Gondel transportiert werden. Diesen Ort so sauber zu halten, wie er ist, ist nicht unaufwändig. Besonders in touristischen
Gegenden geschieht die Müllentsorgung gerne dezent im Hintergrund, auch weil es oft gerade die Touristen sind, die den Müll
verursachen. Man hat dort ein System entwickelt, das für diese spezielle Anforderung funktioniert. Im Bild vom Müllwagen,
der an der Gondel hängt, stecken viel Absurdität und Poesie. Und wieder wird uns klar: Der Müll verschwindet nicht von alleine,
sondern geht oft unerwartete Wege.
Daran schließt sich unmittelbar die pittoreske Resort-Siedlung auf den Malediven, wo Sauberkeit und Müllfreiheit mit einer
beinah obsessiven Akribie betrieben werden. Wie sehr ist Müllfreiheit ein Privileg der Wohlhabenden?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Einen müllfreien Raum gibt es eigentlich nicht mehr, außer man kümmert sich ständig darum. Man wird auf der Welt kaum mehr
Orte finden, die nicht in irgendeiner Form mit Müll belastet sind. Egal ob man in Österreich durch den Wald spaziert oder
irgendwo im Meer schwimmt – wenn man genau hinschaut, ist inzwischen überall Müll zu finden. An unserem Beispiel der Malediven
wird klar, wie sehr es dort um die Erhaltung einer Kulisse geht, die inzwischen eine Illusion geworden ist. Dieses völlig
cleane Bild der Insel ist ein Geschäftsmodell, daher wird auch jeden Tag sauber gemacht. Wie es auf einer tropischen Insel
ausschaut, auf der sich kein Resort befindet, zeigt der Film ja auch. Die mit Abstand höchste Insel der Malediven ist inzwischen
die Müllinsel. Wenn der Meeresspiegel steigt, wird von den Malediven im schlimmsten Fall nur der Müllberg übrigbleiben.
Mit der Gruppe, die in Albanien den Strand reinigt und auch den Tauchern in Griechenland sieht man Initiativen, wo Bürger:innen
freiwillig die Müllbeseitigung in die Hand nehmen. Ist es auch ein Thema des Films zu zeigen, wie sehr es die private Eigeninitiative
braucht, weil die öffentliche Hand allein das Müllaufkommen nicht bewältigt.
NIKOLAUS GEYRHALTER: Die Frage, wer das Müllproblem lösen soll, verhandeln wir nicht. Aber es liegt in unserer aller gemeinsamen Verantwortung.
Dass Müll in großen Mengen und überall anzutreffen ist, ist Tatsache. Dass er sich im Ozean ansammelt, weiß man auch. Uns
ging es darum, über diese Teilhabe eine Awareness zu schaffen. Freiwillige Initiativen gibt es viele, sie funktionieren mehr
oder weniger professionell, auf alle Fälle mit Enthusiasmus. Der Ozean ist der Ort, wo sich am unauffälligsten der Müll sammelt,
daher haben wir lange an diesen Unterwasseraufnahmen gearbeitet. Auch hier arbeiten Freiwillige, die so gut es möglich ist
versuchen, den Meeresgrund zu säubern. Denn viel von dem Plastik, das in der Natur landet, findet früher oder später seinen
Weg über die Flüsse ins Meer. Dort sinkt es dann ab und ist erst mal nicht mehr zu sehen, deshalb waren für den Film die Aufnahmen
vom Meeresgrund so wichtig.
Lange Einstellungen bestimmen seit jeher Ihre Filme. In manchen Fällen scheinen sie in der subjektiven Wahrnehmung länger
als sonst: Verweist diese Länge der Einstellungen auch auf die Dauer, die zeitliche Unbegrenztheit, mit der uns das Thema
Müll konfrontiert?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Es gibt ein paar ungewöhnlich lange Einstellungen, weil sich beim Drehen herausgestellt hat, dass sie sich ständig weiterentwickeln
und damit eine Dynamik entsteht, die wir nicht kürzen wollten. Dort haben wir uns entschieden, sie in voller Länge auszuspielen,
weil sie als Plansequenz eine Reihe von Überraschungen in sich bergen. Und natürlich auch, weil die Müllbewältigung ein ewiger
Prozess ist... Man muss es auch einmal aushalten, sich ein paar Minuten mit so einem Bild auseinanderzusetzen.
Aber abgesehen davon ist der Schnittrhythmus ähnlich wie bei meinen anderen Filmen. Meine Art Bilder zu drehen, gibt ja einen
ruhigen Atem schon vor.
Der Film zeigt auch auf sehr physische Weise, welch anstrengende und gefährliche Arbeit hinter der Müllbewältigungung steckt.
NIKOLAUS GEYRHALTER: Es gibt viele Dinge, die wir gerne ausblenden.
Selbst in unseren Breiten steckt sehr viel Handarbeit in der Müllverarbeitung. Wenn wir in Wien etwas in den gelben Plastikcontainer
werfen, wird das per LKW nach Graz gebracht und dort teilweise händisch wieder aussortiert. Man kann sich nicht vorstellen,
wie viele LKW-Fahrer es gibt, die Müll transportieren, und denen, wenn sie den Sattelschlepper hinten öffnen, der Müll entgegenkippt.
Oder welche Logistik es braucht, bis der Müll verbrannt oder sortiert oder sonstwie verarbeitet ist. Wir schmeißen unseren
Mist im besten Fall in die getrennten Mülltonnen und glauben, das war es. In Wirklichkeit fängt damit eine unvorstellbare
Maschinerie erst an, die auch einen massiven CO2-Fußabdruck hinterlässt. Auch Recyclingprozesse brauchen immense Energie.
Vermeiden ist immer die beste Lösung.
Über wie viele Jahre haben sich die Dreharbeiten erstreckt?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Es müssen wohl vier Jahre gewesen sein, über die hinweg ich immer wieder gefilmt habe. In den beiden Coronajahren ist wenig
gegangen und es ist auch nicht klar, ob manche Orte, auf die wir coronabedingt verzichten mussten, zwei Jahre später noch
aufgegangen wären. Manches ist in der Zwischenzeit auch saniert worden, z.B. hatten wir in Indonesien stark verschmutzte Flüsse
drehen wollen, die es so nun nicht mehr gibt. Das ist auch gut so. Im Dokumentarfilm steht man immer wieder vor der Tatsache,
dass alles in steter Veränderung ist und man oft Dinge recherchiert, die sich, bis wir für den Dreh fertig sind, verändert
haben.
Heißt das, dass Sie auch Verbesserungen wahrgenommen haben?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Ich glaube, das Thema Müll bewegt sich in einer ständigen Spirale, wo sich auf der einen Seite etwas verbessert, während
sich auf der anderen etwas verschlechtert und das Problem wieder von vorne beginnt. Eine saubere Umwelt und Mülltrennung sind
dort ein Anliegen, wo und solange man es sich leisten kann. Es brauchen nur ein paar Krisen daherzukommen und die Menschen
haben andere Sorgen. Die korrekte Entsorgung einer Plastikflasche wird schnell zum Luxusproblem. Insofern ist die saubere
Schweiz, die sie ja tatsächlich ist, kein Zufall.
Sie haben eingangs das Burning Man Festival in der Wüste von Nevada erwähnt. Mit eindrucksvollen, manchmal geradezu surreal
anmutenden Bildern davon endet MATTER OUT OF PLACE. Wie kam es, dass dieser Event Teil des Films wurde?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Es gehört zum Ethos des Festivals, dass eine vollkommen saubere Wüste hinterlassen wird und aufgrund behördlicher Auflagen
auch hinterlassen werden muss. Interessanterweise haben wir unseren Dreh dort begonnen, ein Glück, denn Burning Man hat wegen
Corona seither nicht mehr stattgefunden. Ich glaube, Sie werden niemanden finden, der genau beschreiben kann, was Burning
Man wirklich ist. Ich würde es eher als Event denn als Festival bezeichnen. Es ist die Zusammenkunft sehr vieler Menschen
in der Wüste, am Ende wird die von einem Künstler gestaltete Skulptur eines Mannes rituell verbrannt. Wer teilnimmt, muss
alles für den persönlichen Bedarf mitbringen, nett zu anderen Menschen sein, bei Bedarf aushelfen und darf keinen Mist hinterlassen.
Express yourself ist Motto, jede/r darf sich als Künstler:in fühlen und eine art installation hinstellen und wieder abbauen.
So ökologisch das Aufräumen danach sein mag, so energieintensiv ist das Event selbst, weil große Objekte hingebracht und innerhalb
kürzester Zeit auf- und abgebaut werden. Abgesehen von Generatoren und Klimaanlagen, die fast überall ständig laufen und fast
80.000 Menschen versorgen. Das ist eine gar nicht so kleine Stadt, die hier temporär aus dem Nichts entsteht und ebenso wieder
verschwindet. Burning Man steht für ein alternatives Amerika, wo eine Stimmung von Yes, we can mitschwingt. Es ist kein Geld
im Umlauf, weil man nichts kaufen kann, es gibt keinen Handyempfang und keine Autos. Fahrrad ist das einzige Fortbewegungsmittel.
Eine Woche lang ist man auf sich selbst und die anderen angewiesen. „Leave no trace“ ist wirklich Motto, die Leute halten
sich daran. Es ist sehr erstaunlich, wie sauber die Wüste am Ende übergeben wird.
Eine Situation, die für den Dreh gewiss eine Herausforderung war?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Für den Dreh hat es bedeutet, dass wir die zehn Tage autark in einem Wohnmobil gelebt haben. Das größte Thema war aufgrund
der häufigen Sandstürme der Staub. Dem musste man sich aussetzen, das hat aber auch die Besonderheit dieser Location ausgemacht.
Der Staubnebel war es auch der viele surrealen Bilder noch unterstützt hat. Es ist irgendwie ein Trip, dem man sich nicht
entziehen kann, auch wenn wir sehr wahrscheinlich die einzigen vier Menschen auf dem Festival waren, die nicht auf Drogen
waren. Es macht aber auch keinen Unterschied in der Wahrnehmung. Selbst wenn man als Filmemacher versucht, Abstand zu wahren
und alles als Kulisse zu sehen, kann man nicht ganz verhindern Teil des Ganzen zu werden. Ich bin Burning Man anfangs sehr
kritisch gegenübergestanden und sehe das immer noch so. Aber es ist auf seine Weise ein ziemlich besonderes Erlebnis, das
ich nicht missen möchte.
Hat es, da es der erste Drehort war, eine Idee von Utopie dem Film vorangestellt? Einen möglichen Lösungsansatz?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Ach das Wort Utopie
Lösungsansatz ist es auf keinen Fall. Es ist vielleicht eine Wunschvorstellung, wie die Welt sein könnte
und danach weiß man, dass sie trotzdem anders ist. Es bietet ja keine Lösung, sondern vielmehr einen Escape-Room, wo man wirklich
einmal woanders ist.
Hat Sie die Arbeit an diesem Film pessimistischer gemacht?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Nein. Ich versuche realistisch zu sein. Pessimismus ist auch keine Lösung. Wenn man sich einem Thema stellt, dann muss man
es aushalten. Man weiß aufgrund der Recherche auch ungefähr, was auf einen zukommt. Die Dreharbeiten haben keine großen Überraschungen
gebracht. Der Film ist im Wesentlichen so geworden, wie es die Recherche vermuten ließ. Es gibt überall Müll. Und es gibt
Gott sei Dank Menschen, die an einer Verbesserung arbeiten, es ist aber ziemlich hoffnungslos. Das ist die Kurzfassung. Das
allein reicht aber nicht aus, um mich zur Verzweiflung zu bringen. Es ist etwas, woran man weiterarbeiten, sich selber an
der Nase nehmen muss. Ich bin auch kein Vorbild. Die Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Wenn man nicht einen großen Teil
seiner Lebensenergie darauf verwenden will, müllfrei zu leben, dann ist das gar nicht so einfach.
Das völlig Absurde ist jetzt, wenn wir im kommenden Winter vielleicht zu wenig Gas haben, dass wir über den Müll froh sein
werden, den man in Müllverbrennungsanlagen in ein bisschen Energie umwandeln kann.
Interview: Karin Schiefer
Juli 2022