Langfristige Perspektiven kennt Mamargade nicht. Das erlauben die Lebensbedingungen in seinem somalischen Dorf nicht, es entspricht
aber auch nicht seinem Wesen. Man hilft einander, wo es möglich ist, kämpft ums tägliche Auskommen. Als die Schule seines
Sohnes geschlossenen wird, muss er für dessen bessere Zukunft eine Entscheidung treffen. Mo Harawe findet in seinem Spielfilmdebüt
THE VILLAGE NEXT TO PARADISE einen sanften Ton, um von Familie und einem Miteinander zu erzählen, das in einem ungnädigen Umfeld das Überleben sichert.
Sie steigen in Ihren Film mit TV-Footage eines englischsprachigen Newsformats ein, das von einem Drohnenangriff in Somalia
berichtet. Gehen Sie hier bewusst von der anonymen medialen Wahrnehmung eines Landes ins „Close-up“ einer individuellen Geschichte?
MO HARAWE: Es sind TV-Nachrichten des britischen Senders Channel 4. Die
Idee war, zunächst die Wahrnehmung von der westlichen Perspektive
zu zeigen und die Zuschauer:innen eingangs in die Position zu bringen, was sie normalerweise über diese Region sehen. Gleichzeitig
geht es auch darum, dass die Ereignisse, wie in diesem Fall ein Drohnenangriff, wie eine Art von Entertainment dargestellt
wird und es nicht dem entspricht, wie es wirklich ist. Im Film sieht man, wie es dort wirklich ist, dass es sich um ganz normale
Menschen handelt, die ihre Alltagsprobleme haben, wie sie damit umgehen und wie diese Drohnenangriffe ihre Entscheidungen
im Alltag beeinflussen.
Welchen Bezug haben Sie selbst zu Somalia? Wie wichtig war es für Sie, den Film dort zu drehen?
MO HARAWE: Ich bin in Somalia geboren und aufgewachsen. In Somalia zu drehen, war sehr wichtig für mich und den Film hätte es ohne diese
Option nicht gegeben. Allein schon wegen der Leute, mit denen ich gearbeitet habe und die schon bei meinen zwei letzten Kurzfilmen
Will My Parents Come to See Me und Life on the Horn dabei waren.
Die Handlung des Films spielt an einem Ort, namens Paradise Village. Welche Gedanken kamen rund um den ambivalenten Namen
ins Spiel? Wie wichtig waren konkrete Ort für Sie als Inspirationsquelle fürs Drehbuch?
MO HARAWE: Der Titel THE VILLAGE NEXT TO PARADISE funktioniert für mich auf zwei Ebenen: Einerseits gibt es dieses am Meer gelegene
Dorf, wo es sehr schön ist, daher rührt auch der Gedanke „next to paradise“. Der Name des Dorfes ist kein echter Name. Es
gibt in Somalia wunderschöne Orte mit wilden und wunderschönen Stränden. Auf dieser Ebene sehe ich in der Tat einen Ort „next
to paradise“. Auf einer anderen Ebene steht dieser Name für Somalia, ein Land, das so ein großes Potenzial hat, es hat die
längste Küste Afrikas mit dem Indischen Ozean auf der einen und dem Golf von Aden auf der anderen Seite und weniger als 15
Millionen Einwohner. Trotzdem gibt es so viele Probleme diesem Land, die sowohl von Leuten dort als auch von äußeren Kräften
verursacht werden. Für mich ist Somalia auch ein Land „next to paradise“. Es gäbe das Potenzial für ein Paradies, aber aus
vielen Gründen wird es nicht erreicht. Den Ort selbst kannte ich zuvor nicht, er wurde vielmehr aus pragmatischen Gründen
zum Drehort, nicht weil er eine Inspirationsquelle war.
Sie haben eine sehr bewegende männliche Hauptfigur Mamargade, der ein empathischer, hilfsbereiter Mensch ist; seine Hilfsbereitschaft
wird ihm in seinem Leben immer wieder auch zum Verhängnis. Welche Überlegungen haben die Entwicklung Ihrer Hauptfigur und
Ihrer Figurenkonstellation bestimmt?
MO HARAWE: Ich wollte zunächst keinen Film mit allzu vielen Figuren entwerfen. Ich habe einfach zu schreiben begonnen. Die Grundidee
war die, Geschichten von unterschiedlichen Menschen in Somalia zu erzählen, die unterschiedliche Dinge machen. Wer diese Figuren
sind und wie sie sich entwickeln, kam alles von einem Bauchgefühl. Natürlich war mir von Beginn an klar, dass die Figuren
– auch wenn ich etwas erfinde –, sehr nahe an der Realität sein und dem entsprechen sollen, wie die Leute dort eben sind.
Was gar nicht in Frage kam, war, meine Figuren als Opfer darzustellen – was man mit Leuten, die Probleme haben, ja gerne macht.
Trotz der vielen Herausforderungen im Alltag, resignieren die Menschen, von denen ich erzähle, nicht, sondern sie finden Wege
und Lösungen, mit einer Situation umzugehen und nicht aufzugeben (was immer das auch heißen mag). Es gab also bestimmte Dinge,
die feststanden, ich hatte aber keine exakte Vorstellung, wohin es mich beim Schreiben tragen würde.
Was Mamargade z.B. von Araweelo, seiner Schwester, unterscheidet, besteht für mich darin, dass er nicht viel über die Konsequenzen
seines Handelns nachdenkt. Der Umstand, dass er nicht so weit vorausdenkt, macht ihn so menschlich. Er sagt nie Nein, das
ist gleichzeitig aber auch sein Problem. Alle Figuren haben ihre eigene Art und Weise zu handeln, das mag falsch oder richtig
sein. Eines verbindet sie – sie sind für die anderen da. Dieser Zusammenhalt, der Umstand, dass man niemanden alleine zurücklässt,
ist auch der Grund, warum die Leute in diesem Land überlebt haben.
Wer seinen Namen nennt, gibt stets auch den Namen des Clans an, der die Zugehörigkeit definiert. Die Familie im Film ist keine
Familie im klassischen Sinn, sondern sie ist aus den Lebensumständen und aus menschlich empathischem Verhalten zu einer geworden.
Ist Familie das Überthema dieses Films?
MO HARAWE: Es war nicht unbedingt die klassische Familie, die man im Kopf hat, wenn man das Wort Familie hört, die mich interessiert
hat. Es waren vielmehr die Eigenschaften einer Familie. Die Leute dort sind am Ende des Tages füreinander da. Es gibt dort
seit langem keine funktionierende Regierung, wo der Staat einen gewissen Schutz übernimmt. Der einzige Grund, weshalb man
so weit gekommen ist und überlebt hat, ist das Clansystem. Was eine Art Familie bedeutet. Ich habe jemandem, der das Land
gut kannte, mal erzählt, dass ich in Somalia zur Schule gegangen bin. Er meinte, das sei doch ein failed state, wo man unmöglich
zur Schule gehen kann. Dem kann ich nur entgegnen, genau deshalb kann man dort zur Schule gehen, weil dieses Clansystem die
dortige Form von Familie darstellt.
Mamargade investiert trotz seiner bescheidenen Lebenssituation in die Ausbildung seines Sohnes. Als er (der Totengräber) die
Tochter einer Frau bestattet, sagt diese: It doesn’t make sense to have children. Dem widerspricht der Film auf jeden Fall.
Erzählt der Film auch, wie wichtig es für eine Gesellschaft ist, an die Zukunft zu glauben?
MO HARAWE: Dieser Gedanke war nicht unbedingt meine Intention. Was ich betonen will, ist, dass man weiterkommt, indem man zusammenhält.
Um diese Frage nach dem Sinn des Schulbesuchs zu beantworten: Es war mir auch wichtig zu erzählen, dass die Leute optimistisch
sind. Sie müssen auf ihre Art und Weise einfach nur sein. Es gibt keinen anderen Weg als den, optimistisch zu sein. Ich glaube
nicht, dass sie bewusst eine Entscheidung treffen. Dieser Luxus ist nicht da, über eine mögliche bessere Zukunft nachzudenken.
Der Entscheidungshorizont ist jetzt gerade in diesem Moment und vielleicht morgen. Was Mamargade mit Sicherheit sagen kann:
Er will, dass Cigaal, das Kind, es besser haben soll. Er trifft ja die Entscheidung, Cigaal ins Internat zu schicken nicht
sofort, sondern er denkt darüber nach. Dann trifft er diese Frau, die ihre Tochter durch einen Drohnenangriff verloren hat
und diskutiert mit ihr. All das führt ihn zu seiner Entscheidung. Das ist für mich menschlich. Dass er nicht nur aus der Motivation,
seinem Kind durch Lernen und Studieren eine bessere Zukunft zu ebnen, sondern er braucht noch eine weitere Motivation, dass
er sein Kind dorthin schickt. Und es ist auch nicht so eindeutig für ihn, dass diese Entscheidung die beste ist. Er kann im
Moment der Entscheidung noch nicht wissen, ob er sich in einem Jahr die Schule noch immer leisten kann. Es geht hier nicht
um eine langfristige Perspektive, sondern um die Frage, was ist jetzt genau in diesem Moment gut, wichtig und besser. Es wird
klappen oder vielleicht auch nicht.
Was war Ihnen wichtig, über die weibliche Hauptfigur Araweelo zu erzählen?
MO HARAWE: Ich glaube nicht, dass ich darüber nachgedacht habe, ob die Figur weiblich oder männlich ist. Wichtig war mir, Figuren zu
haben, die aus unterschiedlichsten Ecken kommen und es hat sich ergeben, dass die Figur, die macht, was Araweelo macht, eine
Frau ist. Araweelo könnte auf gewisse Weise auch Mamargade sein. Ich habe, als ich schon mal eine komplette Drehbuchfassung
hatte, sogar darüber nachgedacht, sie zu tauschen. Manche Dinge hätten aber umgekehrt nicht funktioniert. Ich halte es für
sehr spannend, wenn man ein Treatment oder ein Buch schreibt, sich anzuschauen, was sich ergäbe, wenn man männliche und weibliche
Figuren tauscht und sich fragt, was authentischer oder unkonventioneller wäre. Für mich war eigentlich die weibliche Figur
Araweelo meine Hauptfigur. Man hat als Zuschauer:in während des ganzen Films den Eindruck, es gehe um ihn und am Ende findet
man heraus, es ging eigentlich um sie. Weil sie die einzige Person ist, die alles erreicht, was sie wollte und die auch mehr
Verantwortung übernimmt. Was sie am Anfang sucht, ist eigentlich schon da, nur sieht sie es nicht. Sie sucht es anderswo und
durch Zufall realisiert sie, dass sie eigentlich die ganze Zeit etwas hatte, wonach sie suchte; es mussten aber zuerst schlimme
Dinge passieren, dass sie draufkommt. Das war mir beim Schreiben stets bewusst.
Was erzählt THE VILLAGE NEXT TO PARADISE auch über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern? Es scheint im Kontext der Geschichte
keine ausgeprägte Hierarchie zu geben?
MO HARAWE: So pauschal kann man das nicht sagen. Die Hierarchien gibt es. Für mich war es klar, dass meine Figur so sein sollte, weil
ich auch solche Leute in meinem Umfeld in Somalia kenne. Es ist keine Ausnahme, dass eine Frau ein Ziel vor Augen hat und
das alleine durchzieht. Jede Frau gehört in Somalia auch einem Clan an. Diese Zugehörigkeit gilt für Männer ebenso, somit
hat die Frau eine Familie, die auch ein Schutz für sie ist – innerhalb und außerhalb des Clans, was mehr Möglichkeiten und
Freiraum schafft, aber natürlich auch mehr Verantwortung.
Bei allem Realismus gibt es auch phantasievolle Momente, ich denke an die eine kurze Traumsequenz im Film, aber auch an Cigaals
Maske, die er als Kopfbedeckung trägt, als schwebe ein guter Geist über ihm? Welche Gedanken gab es zu diesen Momenten?
MO HARAWE: Diese Momente haben mit der Situation zu tun, in der sich die Figuren gerade befinden. Zur Traumsequenz kommt es, nachdem
Mamargade die Khatblätter gekaut hat, um sein schlechtes Gewissen gegenüber seinem Kind zu vergessen. Im Traum sehen wir sein
Kind, das auf ihn wütend ist und er selbst steht vor einem Gericht. Diese Szene entsteht aus Mamargades Gedanken oder Unbewusstem,
meine Idee war aber auch, die Leichtigkeit, die diese Menschen trotz der schwierigen Umstände haben, spürbar zu machen. Ich
wollte zeigen, dass sie manche Dinge nicht so ernst nehmen. Der Film soll auch eine Leichtigkeit haben. Mir geht es um Menschlichkeit
und das Mensch-Sein. Die Leute haben Probleme, haben aber trotzdem Spaß, erzählen Witze, lügen, spielen, liegen am Strand.
Die Leute haben viele Schichten, sie erzählen Geschichten, sie träumen.
Es gibt eine schöne Passage, wo öffentlich Gericht gehalten wird, es geht um einen Diebstahl, dann um eine Scheidung. Am Ende
kommt das Gefängnis ins Spiel. Schuld, Strafe und Gerechtigkeit verweist auch auf Ihren letzten Kurzfilm. Ist das ein Thema,
das Sie immer wieder beschäftigt?
MO HARAWE: Themen sind nie mein Ziel. Ich habe nur Figuren und ihnen folge ich. Es mag unbewusst sein, dass ich manche Dinge zu Themen
mache. Es fällt mir schwer, über Themen in meinen Filmen zu reden, auch ich finde es schön finde, wenn die Leute sie sehen.
Es ist gewiss so, dass nicht alle meine Figuren im Film am Ende Gerechtigkeit erfahren.
Wie haben sich die Dreharbeiten in Somalia gestaltet?
MO HARAWE: Es war von Beginn an klar, dass der Film eine längere Drehzeit brauchen würde als normalerweise kalkuliert wird. Wir wollten
ein lokales Team, gleichzeitig wussten wir, was für eine Herausforderung das bedeutete, weil es in Somalia keine Filminfrastruktur
und kaum Leute mit Film-Know-how gibt. Es gab ein paar Leute, die durch meine Kurzfilme eine kleine Set-Erfahrung hatten.
Mit ihnen wollte ich unbedingt wieder zusammenarbeiten. Ich bin der Meinung, dass viele Positionen am Filmset erlernt werden
können, wenn die Zeit vorhanden ist, man Geduld hat und die Leute motiviert sind. Positionen, die ein technisches Know-how
voraussetzen, haben wir aus der Region besetzt. Kamera und Licht hatten wir aus Ägypten, Ton aus Kenya und Uganda. Meine beiden
Production Manager waren schon erfahren, viele andere Leute waren zum ersten Mal auf einem Set. Zum Glück waren die Leute
dort, wo wir gedreht haben, sehr hilfreich, wenn wir Locations oder Genehmigungen brauchten.
Was bedeutete längere Drehzeit?
MO HARAWE: Wir hatten keine lange Vorbereitungszeit. Wir sind nicht den klassischen Ablauf von Projektentwicklung, Casting, Drehvorbereitung
bis zum Dreh durchgegangen. Im Fall von THE VILLAGE NEXT TO PARADISE gab es keine Projektentwicklung. Das war eine bewusste
Entscheidung, die wir getroffen haben. Ich war zwei, dreimal zur Vorbereitung in Somalia, wo wir indirekt, also ohne traditionellen
Casting-Aufruf gecastet haben. Es standen nicht alle Locations vor Drehstart fest. Es kam vor, dass wir nach Drehschluss an
einem Tag noch herumgefahren sind, um die nächsten Locations zu finden. Das wussten wir vorher und die Zeit dafür war eingeplant.
Wie haben Sie Ihre Darsteller:innen gefunden? Sind auch Profis dabei?
MO HARAWE: Es sind lauter Laiendarsteller:innen außer einem, der schon in meinen Kurzfilmen mitgespielt hat und der in THE VILLAGE NEXT
TO PARADISE Mandela spielt. Er war mittlerweile der Profi. Alle anderen standen zum ersten Mal vor der Kamera. Wir wussten,
dass es in Somalia keine Schauspieler:innen gibt, die eine Filmschule absolviert haben. Ich mag das auch. Außer bei der Darstellerin
von Araweelo sind wir auf die Leute einfach zugegangen und haben sie angesprochen. Unser Casting Director Mohamed hat einen
mega Job gemacht, das wäre ohne ihn einfach unmöglich gewesen.
Wie haben Sie mit den Darsteller:innen gearbeitet?
MO HARAWE: Wir hatten einen Tag, wo wir im Produktionsbüro eine Übung
gemacht haben und das eigentlich nur, um Wartezeit beim Drehen
zwischen den Shots zu überbrücken. Ich habe mir für jede:n zehn Minuten Zeit genommen, die nur daraus bestanden, uns gegenseitig
anzuschauen. Aber ich habe über eine Stunde damit verbracht, mit ihnen zu reden, uns gegenseitig Fragen zu stellen und dann
einander tief in die Augen zu schauen, um zu sehen, wie lange der Blickkontakt dauert und ob wir dadurch eine tiefere Verbindung
aufbauen und Vertrauen schaffen können, was gelungen ist. Abgesehen davon habe ich nichts gemacht. Das war es an Vorbereitung.
Sie sind zwar nicht in eine Filmschule gegangen, aber sie waren Profis. Sie sind dann zum Set gekommen und wir haben gedreht.
Die Szenen und die Dialoge standen fest. Während das Licht eingerichtet wurde, sind wir die Dialoge durchgegangen und dann
haben wir’s versucht. Die Arbeit mit den Schauspieler:innen war einfach.
Natürlich war die Drehdauer ein Faktor, den ich vielleicht unterschätzt habe. Wir haben nicht sehr viele Takes gemacht, im
Durchschnitt würde ich sagen, waren es vier oder fünf. Oft mussten wir Takes wegen des Sounds wiederholen, weil immer sehr
viel Wind war.
Der Film hat eine große visuelle Kraft. Jede Einstellung ist eine Farbkomposition. Sie haben mit Mostafa el-Kashef als DoP
zusammengearbeitet. Wie haben Sie ihn entdeckt? Was waren die Prämissen in der Bildgestaltung?
MO HARAWE: Mostafa ist ein sehr talentierter Kameramann, er hat ein Auge für Details. Abgesehen davon ist er auch ein cooler Typ. Dieser
Film wäre ohne ihn nicht möglich, sein Commitment nach Somalia zu kommen, dort über drei Monate lang zu bleiben, so viele
andere Aufträge aufzugeben, sein Team aus Ägypten zu überzeugen, mitkommen – das ist ein riesiges Vertrauen und Verantwortung. THE
VILLAGE NEXT TO PARADISE ist sein zweiter Langfilm, nach vielen international erfolgreichen Kurzfilmen. Wir haben uns beim
Filmfestival von Kairo getroffen, wo unsere Kurzfilme im selben Programm gelaufen sind. Ich mochte seinen Film und habe ihm
dazu gratuliert. Irgendwann schrieben wir uns, dass es schön wäre, mal zusammen zu arbeiten. Ich wollte, dass er für den Kurzfilm
Will My Parents Come to See Me die Kamera macht. Es war alles geplant und er war schon am Flughafen, es wurde ihm aber von
den ägyptischen Behörden die Ausreise nach Somalia verweigert. Am Ende hat er seinen Kameraassistenten geschickt. Ich habe
ihm aber versprochen, dass wir den nächsten Langfilm gemeinsam machen würden.
Vorbereitung in diesem Sinne hat es nicht viel
gegeben. Es war ein Ankommen:
Hier ist die Location, zehn Minuten hast du Zeit zu überlegen, wo sich die
Figuren bewegen und
wo die Kamera positioniert sein sollte. Die Farben der
Stoffe z.B. standen ja schon fest. Da war es mir sehr wichtig, Stereotype
zu
vermeiden. Filme, die in afrikanischen Ländern gedreht werden, haben sehr oft
eine Dominanz von Gelb, auch beim Hautton
und es gibt sehr viel Grün. Das
wollte ich vermeiden. Oft war es so, dass wir die Locations so genommen
haben, wie sie waren,
weil sie einfach gepasst haben. Die restliche Zeit ging es
um die Frage der Kameraposition und welche Objektive wir verwenden
würden
und wie die Einstellungen sein soll. Anfangs dauert es ein bisschen, bis man sich gegenseitig versteht, aber nach einer Woche
haben wir uns nur noch die Objektivgrößen zugerufen. Es war auch gar keine Zeit für Diskussionen und Ausprobieren. Das war
auch ein Glück.
An wenigen aber sehr einprägsamen Stellen, kommt Musik zum Einsatz. Handelt es sich dabei um lokale Musik?
MO HARAWE: Die Musik habe ich genauso gesucht und gefunden, wie es viele andere Menschen auch tun. Ich habe auf Plattformen viel gehört.
Vor Ort beim Dreh bin ich vielleicht einem Song begegnet, der in Frage kommt. Alles andere habe ich erst im Schnittprozess
gefunden. Es gibt zwei Songs aus Mauretanien, die ähnliche Instrumente verwenden, die auch in Somalia gespielt werden. Ich
wusste jedenfalls, dass wir keinen Score brauchen für den Film. Ich wollte mit existierenden Songs auch den realistischen
Aspekt des Films unterstreichen.
Was bedeutet es Ihnen, dass Sie nun beim Festival von Cannes die denkbar größte Bühne für Ihre Geschichte haben?
MO HARAWE: Cannes ist eine besondere Bühne, die dem Film die Chance auf große Aufmerksamkeit bietet: Er kann vielleicht in mehreren
Ländern gesehen werden und ein größeres Publikum erreichen. Wir versuchen gerade alles in die Wege zu leiten, dass auch Mitglieder
aus Cast und Crew aus Somalia nach Cannes kommen können; sie brauchen natürlich ein Visum und wir hoffen, dass es klappt.
Ich glaube nicht, dass sie wissen, wie groß das Festival ist und wie sehr diese Filmwelt ihre Arbeit wertschätzt. Auf ihre
Reaktion freue ich mich am meisten, dass sie sehen, wofür ihr Einsatz und ihre Arbeit gut war.
Interview: Karin Schiefer
April 2024