Wen soll man retten, wenn man nicht mehr weiß, wofür es gut sein kann? Die drei Crewmitglieder der Raumstation Rubikon wissen,
dass das ökologische Desaster auf der Erde unausweichlich ist. Als sich doch ein kleiner Hoffnungsschimmer auftut, geraten
die drei, deren Charakter und Motive, die sie ins All geführt haben, nicht unterschiedlicher sein könnten, in ein unlösbares
Dilemma. Leni Laurisch hat sich mit ihrem Sci-Fi-Debüt RUBIKON auf eine heikle Mission gewagt und ein spaciges Kammerspiel ums Überleben inszeniert.
Mit einer Science Fiction-Story, die im All spielt, in den ersten Langfilm zu starten, ist in Österreich eine außergewöhnliche
Entscheidung. Liegt ihr eine besondere Faszination für dieses Genre zugrunde?
LENI LAURITSCH: Vielleicht war bei dieser Entscheidung auch Kalkül dahinter, dass es mein erster, aber auch mein letzter Film sein könnte.
Es ist einem als junger Filmemacherin bewusst, dass es nicht bei jedem, der einen ersten Film dreht, in der Karriere weitergeht.
Umso mehr wollte ich etwas machen, worauf ich am meisten Lust hatte. Ich war von klein auf ein Star Trek- und Stanislaw Lem-Fan.
Mich hat immer das experimentelle Potenzial im Science Fiction Film interessiert. Wenn ich an Solaris denke, so kann man über
das Mensch-Sein analytisch reflektieren, weil man Außenwirkungen unserer Gesellschaft ausblenden und man mit einer Sci-Fi-Erzählung
einen isolierten Raum aufmachen kann. Dieser Ansatz ist mir auch für RUBIKON vorgeschwebt. Drei Hauptfiguren in einem abgeschlossenen
Raum erschien mir ein ideales Setting, eine Art von safe space für einen ersten Langfilm. Ich habe in der Anfangsphase mit
meinem damaligen Freund, der ein Spezialist für Visual Effects war, in diesem Bereich auch selbst gearbeitet und konnte eine
gute Einschätzung treffen; ich hatte das Gefühl, dass ein Budget für einen Erstlingsfilm reichen könnte, wenn man es klug
angeht. Ein Grund, dass ich mich für Sci-Fi entschieden habe, hatte auch damit zu tun, dass ich in der Filmbranche nicht untergehen
wollte, was mit einem gewöhnlichen Drama vielleicht eher der Fall wäre. Mit einem Genre-Film konnte ich stärker mein eigenes
Markenzeichen prägen.
Die Ausgangssituation führt in eine greifbare Zukunft, ins Jahr 2056. Das Science Fiction-Setting verbindet sich mit einer
ökologischen Dystopie. Welche Gedanken haben dieses Ausgangsszenario bestimmt?
LENI LAURITSCH: Wir sind zunächst von einer ganz anderen Thematik ausgegangen. Ich sage es ganz offen, ich habe selbst an einer Depression
gelitten und wollte das auch zum Teil meiner Story machen. Irgendwann kam seitens der Förderung die Rückmeldung, dass wir
zu nahe an Gravity kämen. Wir mussten es also nochmals überdenken. Das Umweltthema hat mich damals unheimlich berührt. Nachdem
ich den Film Finding Coral gesehen hatte, wo mir so richtig bewusst wurde, dass das Korallensterben an einen Punkt gelangt
war, wo es nicht mehr aufzuhalten ist, bin ich eine Woche heulend im Bett gelegen. Dazu kamen noch weitere ökologische Themen,
die mich in dieser Schreibphase unheimlich aufgewühlt haben. Ich fühlte mich echt niedergeschlagen, sagte mir aber, dass ich
mir dieses Gefühl zunutze machen sollte. Science Fiction mit einem ökologischen Thema zu verbinden, ist nicht sehr originell,
viele Stoffe haben das getan. Meine anfängliche Skepsis hat sich irgendwann völlig umgedreht. Sobald das aktiv entschieden
war, sind fürs Drehbuch auch etliche Knöpfe aufgegangen. Ich bin jetzt noch froh, dass es diesen Tiefpunkt gegeben hat.
Der Ort, wo der Film ausschließlich spielt, ist eine internationale Raumstation, die nicht unbedingt, den Eindruck vermittelt,
dass es sich hier um ein mit großen Mitteln ausgestattetes High-Tech Labor handelt. Wie sehr war es Ihnen auch ein Anliegen,
hier mit einer gewissen Ironie eine Brüchigkeit gegenüber konventionellen Erwartungen einzubringen?
LENI LAURITSCH: Wir wollten unsere Geschichte zu einem Zeitpunkt ansetzen, wo die Bestrebungen, die Welt zu retten, in der Vergangenheit liegen.
Ich wollte, dass die Rubikon, also unsere Raumstation, wie ein Relikt aus alten Zeiten wirkt. Mit „alt“ meine ich unsere Zeiten,
in denen wir noch versuchen, Klimaziele zu erreichen, vielleicht doch noch die Kurve zu kratzen. So wie die Rubikon im Film
aussieht, könnte sie jetzt, 2022, super spacig sein, später dann eben nicht mehr. Man sollte spüren, dass die Ambition, die
Welt zu retten, bereits aufgegeben worden ist.
Im Zentrum steht ein Beziehungsdreieck zwischen Forschern und einer Soldatin, die von unterschiedlichen Auftraggebern hochgeschickt
wurden und mit unterschiedlichem Wissen ausgestattet sind. Sie sind einander ausgeliefert und müssen sich ständig in einem
Spannungsfeld von Misstrauen und Vertrauen bewegen. Welche Ideen haben Ihr Figurendreieck bestimmt?
LENI LAURITSCH: Dieses Dreieck ist einen sehr langen Weg gegangen. Wir haben unsere Figuren mehrmals komplett neu erfunden und immer wieder
ausprobiert, welche Dynamik entsteht, wenn an einer Figur weitergeschraubt wird. Wir haben zwei Jahre lang am Buch geschrieben.
Ein gutes Gleichgewicht zwischen den Figuren zu erreichen, war ein langer Kampf, auch weil unsere Produktionsfirma in manchen
Dingen andere Vorstellungen hatte und es seine Zeit gebraucht hat, bis wir auf einer Wellenlänge waren. Meine Ko-Autorin Jessica
Lind und ich vertraten den Ansatz, dass die Figuren der Geschichte dienen sollen. Das ist in Österreich, wo viele Filme character-based
sind, weniger üblich. Wir hatten unseren Fahrplan, unsere Story und die Figuren sind hineingewachsen. Eine wichtige Arbeit
an den Figuren ist dann noch mit den Schauspieler:innen am Set geschehen. Sie haben noch viele Nuancen in das Ganze hineingebracht;
Backstories habe ich z.B. erst kurz vor Dreh geschrieben.
Die Hauptfigur und Commanderin ist Hannah, eine entschlossene und mutige Frau und exzellente Technikerin, ihre beiden Crew-Kollegen
machen ihr dennoch das Leben nicht leicht und sie hat auch so ihre Zweifel, ob sie zu einem hochriskanten Versuch, die Welt
zu retten, bereit ist. Wie sehen Sie Ihre Heldin?
LENI LAURITSCH: Uns ging es zum einen um die Zerrissenheit dieser Figur und andererseits auch darum, dass wir mal mit dem Heldentum abrechnen
wollten. Da ging es Jessica und mir sehr ähnlich. Wir fanden, dass es in diesem Genre immer eine Erwartungshaltung bezüglich
eines Heldentums gibt, das uns zum Hals heraushing. Eine der Fragen, die wir uns in unserem Science Fiction-Rahmen stellen
wollten, war die, wie man das Thema Solidarität lebt. Es ging um ein Maximum an Zerrissenheit, das wir als Menschen alle kennen.
Man könnte so viel zur Rettung des Planeten tun, dann ist da aber auch dieses eine Leben, das man zu leben hat, mit all den
eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Diese Reibungsflächen haben uns interessiert. Es ist nicht leicht, einen Charakter, der
von einem Hin und Her geprägt ist, klar und aktiv zu gestalten. Das war auch lange eine gerechtfertigte Kritik an unserer
Figur und wir haben lange an ihr gefeilt, um die Triebfedern zu finden, die dem Publikum ermöglichen, mit ihr zu connecten.
Ihr Cast ist international mit einer österreichischen Hauptdarstellerin Julia Franz Richter, in den weiteren Rollen sind George
Blagden und Mark Ivanir zu sehen. Warum haben Sie entschieden, international zu besetzen und in Englisch zu drehen?
LENI LAURITSCH: Ursprünglich haben wir auf Deutsch geschrieben, obwohl es klar war, dass es eine internationale Besetzung geben würde. Wir
haben eine erste Version übersetzen lassen und ab dann haben wir selbst auf Englisch weitergeschrieben. Die Besetzung war
ein langer Weg. Mit George Blagden, der international gewiss das größte Renommee hat, war es interessanterweise am wenigsten
kompliziert. Wir haben uns sehr gut verstanden, ich habe ihn in England gecastet und trotz Dreh-Verschiebungen blieb er immer
dabei. Bei der Besetzung von Hannah sah es anders aus, da konnten wir an unserer ersten Wahl aus Zeitgründen nicht festhalten.
Letztlich entschieden wir uns für eine österreichische Besetzung. Julia Franz Richter ist up-and-coming und wurde mir von
vielen Seiten empfohlen und es war letztlich even more love, weil sie in die Figur eigene Sachen eingebracht hat, wo ich mir
selbst sagen musste, wie konnte ich das nicht früher sehen? Bei der Figur des Dimitri bekam ich auch ganz kurzfristig eine
Absage. Da fanden wir mit Mark Ivanir ganz rasch eine Lösung und ich kann mir jetzt gar niemand anderen mehr vorstellen. Es
war ein Jahr lang eine sehr aufregende Reise.
Wie haben Sie für diesen Erstling die Schauspielarbeit angegangen?
LENI LAURITSCH: Wir hatten nicht viel Probenzeit. Wegen Covid konnten alle Darsteller:innen nur sehr kurzfristig kommen. Ich habe aber dann
am Set die Probenzeit sehr intensiv gestaltet, auch mit Improvisation. Es hatte im Drehbuch einen blank spot gegeben, wo ich
vorgesehen hatte, ihn mit den Schauspieler:innen zu erarbeiten. Es ist eine der schönsten Szenen im Film geworden.
Welche war das?
LENI LAURITSCH: Es ist der Moment, in dem George Rad fährt, um entsprechend lebenswichtiges CO2 für die Algensymbiose zu produzieren. Gegenseitig
wirft man sich neckisch Faulheit vor. Es war mit jedem der drei ein anderes Arbeiten. Julia war es wichtig, mich zu überraschen.
Da war immer wieder sehr viel Magie im Spiel, weil man bei jedem Take nicht wusste, was kommt. Mark Ivany hatte einen typisch
amerikanischen Zugang. Er hat sich vorher sehr viele Gedanken gemacht und viel Schauspielarbeit, sehr diszipliniert alleine
im Hintergrund geleistet. Mit George gab es vorab sehr viele Gespräche, bei ihm habe ich meinerseits viele Anregungen eingebracht
und wir haben uns so Schritt für Schritt herangetastet. Für mich war das sehr magisch, mit drei Schauspieler:innen zu tun
zu haben, die alle drei einen unterschiedlichen Zugang hatten. Viele Dinge sind einfach wunderschön passiert.
Einen besonderen Reiz stellt ein Drama, das ausschließlich in einer Raumstation stattfindet, an das Setdesign und auch an
andere künstlerische Departments dar . Wie hat sich diese Arbeit trotz des schmalen budgetären Rahmens gestaltet?
LENI LAURITSCH: Die ersten Sessions mit Johannes Mücke, unserem Set-Designer, waren natürlich von der Frage bestimmt, wie wir das mit so wenig
Geld hinkriegen können. Johannes ist jemand, der mit amerikanischem Enthusiasmus und einer Wir schaffen das schon-Attitüde
an die Arbeit geht. Bei einer der ersten Sessions entstand die Idee, die Station nicht als Ganzes zu bauen, sondern sie zu
dritteln und den Drehplan danach auszurichten. Das hat sehr viel Zeit gespart. Ein wesentlicher Beitrag kam auch von den Kameraleuten,
Andreas Thalhammer und Xiaosu Han, die sehr aktiv und visuell mitgedacht haben, sodass die Schwächen unserer Pläne immer treffsicher
erkannt wurden. Sie haben z.B. die Winkel von Gängen so angepasst, damit wir ein Maximum an Tiefe erreichen konnten. Sie waren
so anspruchsvoll, wie ich es gar nicht gewagt hätte zu sein. Im Dreieck zwischen Setdesign, den Kameraleuten und mir sind
wahre Wunder passiert. Wir haben uns gegenseitig gepusht. In der nahen Zusammenarbeit mit Johannes in der Drehbuchphase ist
auch etwas wie eine Räumlichkeit für jede Figur entstanden, die sie charakterisiert. Bei Hannah waren es die Kontroll- und
Technikzentren, bei Gavin das Earth-Observatory und bei Dimitri das Labor und die Algen-Facilities. Damit war die Möglichkeit
gegeben, dass Figuren in die Bereiche der anderen vordringen konnten, oder man sich zurückziehen konnte, um mit seinem Rückzugsort
zu verschmelzen. Der Raum hat auf einer unbewussten Ebene auch Konflikt erzeugt. Auch wenn die Räumlichkeiten im Buch geschrieben
waren, ist in der Arbeit mit Johannes erst bewusst geworden, wie sehr die Räume mit den Figuren verbunden waren.
Wie hat sich die Arbeit in anderen Departments gestaltet?
LENI LAURITSCH: Im Kostüm habe ich sehr intensiv mit Monika Buttinger zusammengearbeitet. Hier ist die Budgetfrage noch krasser zu Tage getreten:
ich denke allein an die Helme, die unsagbar teuer waren und wir haben etliche davon gebraucht. Diese Helme laufen noch dazu
immer wieder an, wenn sie nicht auf eine ganz bestimmte Art und Weise belüftet sind. Umso schwieriger, wenn die Träger:innen
damit gelaufen sind. Die Helme haben uns wirklich beschäftigt. Monika und ich, wir haben uns aber auch da durchgebissen. Wir
standen auch immer wieder vor der Frage, wie techy oder wie retro wir etwas aussehen lassen wollten. Die richtige Dosis zu
finden war ein wichtiger Prozess für uns beide.
Was z.B. großartig geworden ist und was wohl kaum besondere Beachtung erfährt, sind die Bildinhalte auf den Monitoren, die
wir alle on-set zugespielt haben. Das war die billigste Variante und barg gleichzeitig für die Schauspieler:innen etwas Haptisches.
Ich war grundlegend in alle Departments involviert, denn wir durften uns nicht sehr viele Fehler erlauben. Einmal ist uns
einer widerfahren, der unser Budget ernsthaft in Gefahr gebracht hat. Es steckt in RUBIKON sehr viel Arbeit drinnen, beim
Design, aber auch seitens der Kamera und meinerseits. Man musste ständig dahinter sein und darauf achten, dass die Kosten
nicht explodieren. Eines war klar, dass alles, egal in welchem Department, immer gleich eine Punktlandung sein musste.
Beeindruckend gelöst sind auch die Space-Walks von Hannah. Was steckt hinter diesen Sequenzen?
LENI LAURITSCH: Ich war sehr froh, dass ich selbst schon zuvor für Kurzfilme einiges an Compositing gemacht hatte und ich habe zu Beginn
des Projekts mit meinem damaligen Freund zusammengearbeitet, der der erste VFX-Student in Österreich war. Wir waren beide
unheimlich fasziniert davon, was man alles machen konnte. Es war für mich wie Zauberei, wo man mit kleinen Tricks das Publikum
ein bisschen hinters Licht führen konnte. In kleinen Dingen tricksen, das macht mir unheimlich Spaß. Auch beim Space-Walk
war uns bewusst, dass wir einen einzigen Nachmittag Zeit hatten, um mit Seilaufhängungen, Kran, Stuntmen alles einzurichten
und aus der verbleibenden Zeit ein Maximum herausholen mussten. Für alles gab es ein Storyboard, mit Julia wurden einige Tests
gemacht. Unser Anspruch war es, es so angsteinflößend wie möglich hinzukriegen, es sollte das Gefühl entstehen, dass die geringste
falsche Bewegung zum Abdriften im All führen könnte. Ich hatte auch selbst viel VR Material gesichtet, wo man als Astronaut
aus der ISS rausgeht. Da wird einem bewusst, wie creepy das ist. Man würde meinen, die Erde fühle sich unheimlich weit weg
an, es fühlt sich jedoch an, als wäre man auf einem sehr, sehr hohen Sprungbrett. Man spürt immer noch Höhe. Wir haben fürs
Drehbuch sehr ausführlich bei der European Space Agency recherchiert, Material dort gesehen und uns auch mit Astronauten unterhalten
und so ein Gefühl dafür bekommen. Dieses nervenzerreißende Moment, dass ein kleiner Fehler genügt, um vom Mutterschiff abzutreiben,
wollte ich hinkriegen. Die Zusammenarbeit mit der Kamera war auch da nochmals sehr wichtig. Die Leute, die an den Effekten
arbeiten, wollen interessanterweise immer wieder über VR-Technologie mit uns Regisseur:innen arbeiten. Man bekommt ständig
Monitore oder Brillen, in denen das erarbeitete Modell bereits drinnen ist, um auf dieser Basis die Auflösung und das Storyboard
zu entwickeln. Ich konnte nichts damit anfangen. Ich muss mit dem Artist am Computer sitzen und brauche die Bewegungskurven
der Kamera, die wir dann gemeinsam anpassen. Alle wollen einem aufschwatzen, mit VR die Effekte zu erarbeiten. Ich finde,
die Dinge funktionieren analog viel besser. Alles in allem – es war Arbeit, Arbeit, Arbeit. Austesten, viel diskutieren,
alles hinterfragen. „Das schauen wir uns dann am Set an“, war ein Satz, den wir uns nie erlaubt haben.
Interview: Karin Schiefer
Juni 2022