INTERVIEW

«Aufräumen mit dem Klischee des Kopftuchmädchens»

Wie soll man wo dazugehören, wenn man in einem Land geboren, in einem anderen aufgewachsen ist, in der Familie die eine, in der Schule eine andere Kultur bestimmend ist? Wenn auf digitalen Kanälen heute dieser, nächste Woche jener Look angesagt ist und wenn man mit den eigenen Freundinnen ein Video aufnimmt, das viral wird, aber der plötzliche Ruhm einen Keil in die Freundschaft treibt? Kurdwin Ayub folgt in ihrem Spielfilmdebüt SONNE drei Siebzehnjährigen ins vielschichtige Chaos unserer Zeit.

Im Regiestatement zu Sonne, erwähnten Sie, dass Sie wenige Filme sehen, die das Chaos unserer Zeit reflektieren, wie Sie es wahrnehmen? Worin sehen Sie dieses Chaos, besonders für die Generation, die in SONNE im Zentrum steht?

KURWIN AYUB:
Ich denke vor allem an das Social Media-Chaos; an die Frage, wie man seine Identität definiert – was man sein will, wie man aussehen will, wo man sich zugehörig fühlt. In SONNE habe ich versucht, das real darzustellen, weil ich es nirgendwo so finden kann. Meistens wird romantisch oder zu fiktional mit dieser Situation umgegangen, finde ich. Man sieht manchmal Filme über den Islam, die voll mit Klischees sind oder über Social Media, wo zum Beispiel im Netflix-Style ein Horrorfilm daraus gemacht wurde, was auch ok ist. Ich persönlich wollte aber einen sehr realistischen Blick darauf richten. Ich glaube, der Umstand, dass ich viel habe improvisieren lassen und den Jugendlichen auch die Möglichkeit gegeben habe, selbst die Kamera in die Hand zu nehmen und sich zu filmen – während wir uns in eine Ecke zurückgezogen haben – gibt dem Film auch seine Verbindung zur Realität.  

Geht es also in erster Linie um ein sichtbares Chaos rund ums Aussehen und die Selbstdarstellung?

KURDWIN AYUB:
Bestimmt. Nächste Woche will ich so sein und zwei Wochen später will ich wieder anders sein. SONNE ist ein lustiges chaotisches Bild der jetzigen Teenie-Generation, verbunden mit kulturellen „Identifikations-Schwierigkeiten“. In unserer Kunst- und Kultur-Bubble geht es jetzt weniger darum, einem Instagram-Influencer-Body-Ideal zu entsprechen, aber für die meisten Mädchen da draußen ist es schon so. Es ist ein weit verbreiteter Wunsch, dass man wie die Influencer-Girls geil sein will. Solange wir in unserer Bubble zwar viel über Feminismus reden, aber nicht wirklich rausgehen, checkt man nicht, dass das größere Problem „da draußen“ liegt.


Wie herausfordernd war es, dieses aktuelle Chaos in ein Drehbuch für einen langen Spielfilm zu verarbeiten?

KURDWIN AYUB:
Dieses Chaos reinzubringen, war nicht so schwierig, weil ich selbst Teil dieses Chaos‘ bin. Es entspricht ja auch meinem Alter. Ich bin damit aufgewachsen, dass plötzlich MySpace aufgepoppt ist und wir erstmals virtuell miteinander verbunden waren. Auch ich wollte MySpace-Star werden. Dann erst ist Facebook gekommen und dann Instagram. Das Drehbuch-Schreiben grundsätzlich ist schon schwierig, weil es ein jahrelanges Arbeiten und Überarbeiten bedeutet. Das Buch für SONNE hat zu Beginn ganz anders ausgesehen als jetzt. Beim Drehen hat sich die Endfassung meines Buches wieder verändert und im Schnitt dann noch einmal. Das Gefühl bleibt aber dasselbe. Die Grundidee für das Narrativ war von Beginn an da, um sie herum habe ich dann gebaut.


Worin bestand dieses Grundnarrativ?

KURDWIN AYUB:
Ich wollte von drei befreundeten Mädchen erzählen, die ein Youtube-Video machen, auf dem sie zum Spaß mit Kopftuch einen Popsong singen. Dieses Video wird viral. Was dann passiert, ist, dass sich zwei der Freundinnen stärker für diesen „fame“ interessieren und Yesmin, meine Haupt-Protagonistin, die im Gegensatz zu den anderen Beiden, einen muslimisch kurdischen Background hat, nicht. Und wie einst Tic Tac Toe sich ganz dramatisch getrennt haben, wollte ich auch, dass die Band dieser drei Freundinnen sich laut zersprengt. Yesmin fängt an sich von ihren Freundinnen zu distanzieren, aber auch von ihrer eigenen Kultur. Natürlich hat Erzählen auch immer etwas mit einem selbst zu tun. Ich habe einzelne Details der Geschichte selber auch erlebt. Zum Beispiel in meiner Schulzeit. Wir waren drei Freundinnen und ich war immer eifersüchtig, wenn die beiden anderen etwas gemacht haben. Oder eine Schulkollegin aus der Schulzeit hat auf einmal Kopftuch getragen, auch daran erinnere ich mich. Und ich hatte auch mehrere Freundinnen, die sich auf ein Beuteschema fixiert haben, nämlich sich Ausländerjungs, meist Flüchtlinge zu holen, was ich auch sehr witzig fand.


Sie sagten, auch Sie wollten auch ein My Space-Star werden; erinnern Sie sich noch, was Sie dabei motiviert hat? Warum will man im Netz berühmt werden?

KURWIN AYUB:
Wenn ich jetzt analysiere, wie ich früher war, so denke ich, meine Erziehung war kulturell sehr stark geprägt. Ich durfte nicht weg, nicht mit Jungs ausgehen und ich glaube, ich habe mich in die My Space-Welt hineingeflüchtet. Ich kann aber nicht für die anderen sprechen. Wenn man in Simmering aufwächst, dann bewegt man sich nur in Simmering, wenn man auf My Space ist, dann kann man viel mehr Leute erreichen und man kann sich eine Welt bauen, wie man will, die nicht der Realität entsprechen muss. Ich erinnere mich, als ich ein urhartes Lied auf meiner My Space-Seite hatte, meinte irgendjemand, dass das gar nicht zu mir passte. Ich habe aber erwidert, dass ich in meinem Innersten so sein will. Meistens ist das virtuelle Ich das, was man gerne sein möchte. Ich glaube, es herrscht auch ein gewisser Zwang. Wenn es alle tun und schon alle ein geiles Leben auf den Plattformen haben, dann will man auch eines haben.  


Sie haben mit jungen Frauen gearbeitet, die ca. zehn Jahre jünger sind als Sie. Hat sich da schon wieder etwas geändert?

KURDWIN AYUB:
Ja, hat es. Ich habe den Eindruck, dass in der Generation, die jetzt zehn Jahre jünger und vor allem auf Instagram ist, alle auf dasselbe Schema stehen. Es gibt weniger Subkulturen, oder einfach andere, die ich nicht kenne. Als ich mit Schulklassen gearbeitet habe, hatte ich den Eindruck, dass alle denselben Look, denselben Kleidungsstil anstreben. Es war wie ein großes H&M-Schaufenster. Ich glaube, das kommt davon, dass Instagram von überall zugänglich ist und sich die Jugendlichen, international ihre Idee vom „Wie man sein soll“ holen. Ich erinnere mich, vor 10 Jahren gab es noch mehr Subkulturen, Punks, Indies, Emos, Skinheads, Typen, die sich wie in Clock Work Orange gekleidet haben ... Ich finde auch, die sexuellen Attribute sind anders: Große Hintern und Lippen, schmale Taillen. Im asiatischen Raum hat man begonnen, digitale Influencer:innen zu bauen, die sehr echt ausschauen: perfekte digitale Menschen, die urviele Fans haben. Sie werden von den Marken benutzt, altern nicht, kosten nichts und lassen alles mit sich machen. So ein Ideal ist bestimmt auch schwer zu erreichen.


Das Video, mit dem die drei Freundinnen viral werden, ist deren Interpretation des R.E.M.-songs Losing My Religion aus dem Jahr 1991, es bleibt ein zentraler Song den ganzen Film hindurch. Inwiefern transportiert der Titel des Songs auch eine Befindlichkeit von Yesmin, der Hauptfigur. War das auch eine Fragestellung, die Sie selbst in diesem Alter beschäftigt hat?

KURDWIN AYUB:
Meine drei Mädchen sind sehr coole Mädchen, der 90-ies-Trend ist zur Zeit überall präsent. Meine Überlegung war die, sie würden vielleicht etwas Lustiges daraus machen, wenn sie schlau sind und viral werden wollen. Ich dachte mir: Wie kann ich viral werden? Und ich kam zu dem Schluss: In Kopftüchern Losing My Religion zu singen. Und Yesmins Geschichte spielt auch damit. Yesmin ist von Beginn an nicht sehr gläubig. Sie hängt aber in dem System drinnen. Ich wollte mal eine andere Geschichte vom Sich-von-seiner-Kultur-Distanzieren erzählen. Natürlich kenne ich diese Gefühle. Streng muslimisch bin ich nicht aufgewachsen, habe aber mit vielen anderen kulturell-bedingten Sachen zu kämpfen gehabt.


Welchen Klischees haben Sie versucht entgegenzuarbeiten?

KURDWIN AYUB:
Ich wollte aufräumen mit dem Klischee des Kopftuchmädchens, das viel leidet und mit dem der bösen Eltern; vor allem wollte ich das Bild vom strengen Vater und der gutmütigen Mutter mal umdrehen. Viele Kleinigkeiten sind in die einzelnen Szenen hineingearbeitet. Yesmin ist nicht die Uncoole in der Klasse, ihr Vater will, dass sie an die Uni geht, ihr Bruder darf nichts und sie, die ältere Schwester schon.


Wie haben Sie diese Situationen mit den Darstellern der Eltern erarbeitet?

KURDWIN AYUB:
Ich habe ein, zwei Jahre immer wieder für die Elternrollen gecastet und keine ideale Besetzung gefunden. Der Castingprozess war richtig dramatisch. Und schließlich bin ich draufgekommen, dass meine eigenen Eltern am besten geeignet sind.


Keine leichte Aufgabe, die eigenen Eltern Filmeltern spielen zu lassen?

KURDWIN AYUB:
Mein Vater spielt eher sich selbst. Meine Mutter hat zuerst versucht, mich zu überreden, jemand anderen zu finden. Sie hingegen ist die urtalentierte Schauspielerin. Sie spielt gar nicht sich selbst. Auf Ansagen von mir hat sie immer sofort reagiert. Für mich war es einfacher, mit meinen Eltern am Set die Geduld zu verlieren als es mit anderen Darsteller:innen gewesen wäre. Ich glaube nicht, dass alle Eltern das machen würden. Vielleicht waren meine deshalb bereit mitzumachen, weil ich, seit ich ein Kind bin, die Kamera auf sie halte. Sie sind es schon so gewohnt, von mir ausgebeutet zu werden.


Sie haben zuerst schon erwähnt, dass sie Ihren jugendlichen Darsteller:innen möglichst großen Freiraum gelassen haben, um Eigenes einfließen zu lassen. Was mussten sie können, um das Casting zu bestehen?

KURDWIN AYUB:
Die drei Mädchen standen schon sehr lange vor Drehbeginn fest. Eine Darstellerin ist aber kurz davor wegen eines anderen Projekts ausgefallen, da habe ich Law Wallner dazu geholt, mit der ich in anderen Projekten zuvor schon gearbeitet hatte und auch mit den anderen beiden, Melina Benli und Maya Wopienka habe ich zuvor viele Probeaufnahmen und Handyvideos gedreht. Ich kannte also meine Hautpdarstellerinnen schon sehr gut. Die, die neu dazugekommen sind, mussten natürlich sein, in den Castings improvisieren und sich auf Dinge einlassen können, und was mir besonders wichtig war, lustig und smart vor der Kamera sein, sich Dinge einfallen lassen können. Ich sage gerne, ich caste keine Darsteller:innen, sondern Persönlichkeiten. Wenn mir eine Person auch richtig gut gefällt, stimme ich die Figur im Buch auf sie ab. Wir hatten beim Dreh zwar geschriebene Szenen, habe aber jede Szene auf einen Satz runtergebrochen:  Was muss passieren? Was ist das Ziel? Da konnte sich alles verändern. Ich erinnere mich an eine Szene, wo der Vater Yesmin sagt, dass er sie nicht mit dem Auto zum Konzert bringt und sie die Straßenbahn nehmen soll. Diese Szene wollten wir im Wohnzimmer drehen, während er fernsah. Das funktionierte aber nicht. Dann haben wir die Szene ins Schlafzimmer transferiert, wo schon die Mutter am Bett lag. Als Yesmin dann genervt zu beiden ins Zimmer kommt, mischte sich auch die Mutter ein. Das hat viel besser funktioniert. Es war viel dynamischer. Das Ziel war immer noch dasselbe, es hat aber ganz anders Gestalt angenommen.


Wie war es bei der Eröffnungsszene, wo das besagte Video gedreht wird?

KURDWIN AYUB:
  Diese Szene haben sie ungefähr achtmal zuvor schon vor der Kamera durchgespielt. Beim Probedreh, beim Dreh vor Corona, auch bei einer Session von ECRAN, dafür habe ich sie nach Polen mitgenommen. Eigentlich hatten sie die Szene so oft gedreht, dass sie sie beinahe auswendig konnten, manchmal kamen neue spontane Witze dazu. Es wäre aber zu romantisch zu sagen, es ist in diesem Film das meiste spontan entstanden. Das war nicht der Fall. So, wie die Mädchen reden und wie sie miteinander reagieren, das ist authentisch und stammt von ihnen, aber vieles wurde wiederholt und wussten sie schlussendlich. Jede und jeder hat ihre und seine Anweisungen und die Richtung bekommen, in die die Szene gehen soll. Manchmal habe ich Szenen vom Vortag noch einmal gedreht. Die Aufgabe war immer, sich was einfallen zu lassen die Szenen so weit zu verändern, damit sie besser werden aber trotzdem dasselbe Ziel haben. Die Aufgabe war nicht nur an mich gestellt, sondern auch an die Darsteller:innen.


Wie agieren Sie als Regisseurin am Set?

KURDWIN AYUB:
Sehr oft schreie ich rein. Der Tonmann war ziemlich sauer, aber ich habe genau gewusst, wann ich reinschreien kann, da ich ja wusste, wann der Schnitt war. Zum Beispiel die Szene, wo die Polizei mitten in der Nacht zu den Eltern nach Hause kommt. Da hab‘ ich oft aus einer Ecke heraus meiner Mutter zugerufen, sie solle meinen Vater schlagen. Die Takes haben lange gedauert. Bei den Szenen, wo viel geredet und gestritten wird, da hat sich viel getan. Die Szenen, wo wenig geschieht, waren sehr technisch. „Schau wie ein Zombie“, war einer meiner Lieblingsausdrücke, wenn ich mit Melina, der Darstellerin von Yesmin gearbeitet habe. Ich glaube, manchmal ist es besser, eine Bewegung statt einer Emotion zu spielen. Es ist schwer für Laiendarsteller:innen Emotionen technisch gut darzustellen, glaub ich. Aber bestimmt auch für professionelle Darsteller:innen. Überhaupt wenn man keinen Anspielpartner:in hat. Zu zweit kann man sich raufschaukeln, aber alleine ist es sehr schwer. Deswegen suche ich mir auch gerne Gesichter, die schon viel erzählen, obwohl sie nichts Großartiges tun.


Handybilder sind mehr als eine ästhetische Entscheidung. Über diese Bilder werden auch Befindlichkeiten der Figuren von SONNE transportiert. Wie haben Sie mit Enzo Brandner die Kameraarbeit zwischen Handy und Kamera entworfen?

KURWIN AYUB:
Der Grund, weshalb ich mich für Enzo Brandner als Kameramann entschieden habe, war der, dass er so gut mit der Handkamera umgeht. Er ist wie ein Actionfilmer und er kann die Kamera sehr lange halten. Bei den Handybildern haben oft auch die Mädchen die Kamera gehalten oder eben Enzo. Er hat in die Handybilder mehr Style und Komposition reingebracht. Enzo hat sehr schnell verstanden, wie man diese Schlampigkeit in die Bilder bringt; ich habe aber auch oft zu ihm gesagt: „Mach es hässlicher!“ Und oft haben die Jugendlichen die Handys selber in der Hand gehalten, um es noch realer zu machen. Ich finde generell Handyvideos von einem farblichen, künstlerischen Standpunkt aus sehr schön, egal ob von Enzo, den Jugendlichen im Film oder der großen weiten Welt des Internets.  


Sind Zugehörigkeit und der Wunsch danach die zentralen Themen von SONNE, die die jungen Frauen beschäftigt?

KURDWIN AYUB:
Der Film erzählt, dass sich alle ein bisschen verloren fühlen. Ich gehöre auch nirgendwo richtig dazu. Ich bin nicht wirklich Österreicherin, auch wenn ich mich so fühle und ich bin auch keine richtige Kurdin. Wenn ich im Irak bin, gelte ich dort als die Europäerin, die Österreicherin. So habe ich gar keine Identität. Wenn ich mir die Frage stelle, woher ich stamme, dann ist das meine Familie, mein Gemeindebau aus Simmering, wo ich aufgewachsen bin. Ich habe in den letzten zehn Jahren festgestellt, dass andere Menschen dieses Gefühl von Identität schon eher haben. Sie wissen, wo sie herkommen. Ich kenne das nicht, Yesmin hat das auch nicht. Zu Bella und Nati, die beiden Freundinnen von Yesmin, kann ich nicht sagen, ob sie sich kulturell wo zugehörig fühlten. In einer virtuellen, internationalen Welt hat man vielleicht weniger dieses nationale Denken, was eh cool wäre. Bella und Nati sind unglücklich in ihrem Leben und mit ihren Familien, sie fühlen sich alleingelassen, verloren, und suchen sich daher die Wärme woanders. Das Schnelllebige kann verwirrend sein, es gibt zu viele Sehnsüchte, zu viel Ideale, zu viel Geilheit, und doch zu wenig zu erreichen, wenn man nicht damit geboren oder hineingeboren wird. Das Orientalische wird gerne als warm und herzlich betrachtet, daher kann man sich da sehr leicht hineinflüchten, kann ich mir vorstellen. Ich kann natürlich nicht für alle Jugendlichen sprechen, aber die Teenager in meinem Film sehnen sich nach dieser Wärme und Zugehörigkeit, aber auch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Sie wollen all das, was sie nicht haben, egal ob Yesmin, Bella oder Nati. Interessanterweise suchen sie genau das, was die andere schon hat. Am Ende wechseln sie Rollen.


Ein wichtiges Symbol in Ihrer Erzählung ist das Kopftuch – ein Stück Stoff, das so viel Diskussion auslöst und zu so verschiedenen Reaktionen und Erwartungen in verschiedenen Menschen führt. Was waren Ihre Gedanken zu diesem Thema?

KURDWIN AYUB:
Ich wollte das Kopftuch eben nur als Stück Stoff betrachten. Wenn Yesmin das Kopftuch ablegt, ist es kein bedeutungsschwerer Akt. Wenn Yesmin und ihre Freundinnen damit tanzen, wollen sie provozieren und sexy sein. Warum nicht? Warum kann eine Frau im Kopftuch nicht sexy sein, oder lustig? Wenn ich das Tragen des Kopftuchs in meiner Verwandtschaft betrachte, dann habe ich das Gefühl, es ist nicht so ein großes Ding. Sie setzen es auf. Punkt. In meinem Kulturkreis hat es etwas Normales, da wird nicht so viel darüber geredet. Ich glaube, hier in Europa wird viel mehr Wind darum gemacht. Im Koran heißt es, die Frau muss man schützen, weil sie ein so wunderbares Wesen ist. Und auch vor dem wilden Tier, dem Mann und seinen Gelüsten. Der Koran wurde vor dem Mittelaltar geschrieben. Heute hat sich einiges geändert. Dass sie versteckt werden muss, ist falsch interpretiert. Die Frage, wie man zum Kopftuch stehen soll, ist auch ein Teil des Chaos unserer komplexen Welt und im Film.


Haben Sie im Schnitt das Material dem Editor überlassen oder waren Sie stets dabei?

KURDWIN AYUB:
Schnitt hat Roland Stöttinger gemacht, der schon während des Drehs daran gearbeitet hat. Wir haben uns sehr viel unterhalten. Roland war eigentlich mein bester Freund während des ganzen Films. Wir haben uns Schritt für Schritt vorwärtsgearbeitet. Er hat geschnitten und das kann er sehr gut, auch dramaturgisch. Dann haben wir wieder gebrainstormt, wie es weitergehen könnte. Es war ein sehr gleichberechtigter Arbeitsprozess. Und außerdem haben wir einen sehr ähnlichen Geschmack, und verstehen uns persönlich auch sehr gut. Vor dem Dreh haben wir auch viel darüber geredet, wie wir drehen sollen und was wir für den Film brauchen.


Sind Sie im Drehprozess durch Corona unterbrochen worden?

KURDWIN AYUB:
Wir haben im März 2020 zu drehen begonnen und nach zehn Tagen gemerkt, dass nach und nach Locations absagen und rund um uns andere Drehs abgebrochen werden. Dann haben auch wir aufgehört. Zuerst haben wir natürlich nur an eine kurze Unterbrechung geglaubt, aber dann erst im September weitergedreht. Da war dann ein anderes Wetter, also haben wir den Film nocheinmal von vorn zu drehen begonnen. Roland hat die ersten zehn Drehtage geschnitten und wir beiden waren eigentlich nicht sehr zufrieden damit. Wir haben uns das Drehbuch noch einmal vorgenommen, gestrichen und die Drehtage reduziert. Mit einem noch kleineren Team und mit noch mehr Freiheiten für die Darsteller:innen haben wir weitergemacht. Das war eine sehr gute Entscheidung und wohl auch das Beste, was dem Film passieren konnte.


Interview: Karin Schiefer
Dezember 2021
«Ich bin damit aufgewachsen, dass plötzlich MySpace aufgepoppt ist und wir erstmals virtuell miteinander verbunden waren. Auch ich wollte MySpace-Star werden.»