Normalität kennt kein Entrinnen. Johanna Moder wirft in Waren einmal Revoluzzer einen subtilen Blick darauf, wo sich im schönen Leben der weltgewandten Mittdreißiger doch auch die Kleinbürgerlichkeit einschleicht.
Auch in ihrem zweiten Spielfilm zeichnet sie ein gewitztes Portrait ihrer eigenen Generation, die ebenso hart an alternativen
Lebensentwürfen wie am optimalen Selbstbild arbeitet, um letztlich doch nur ein recht unzulängliches Selbst zu verwirklichen.
Der Einstieg in den Film ist eine Aufsicht auf eine Siedlung von Einfamilienhäusern – ein Bild der Gleichförmigkeit und möglicherweise
auch der Lebensform, die die Generation der Protagonisten von WAREN EINMAL REVOLUZZER auf keinen Fall reproduzieren will.
Geht es Ihnen in diesem Film vor allem um die Frage, ob ein Lebenskonzept möglich ist, das die engagierte Lebenshaltung der
Jugend nicht verrät und man irgendwann, ob man will oder nicht, in der Schleife der Normalität landet?
JOHANNA MODER: Mir kommt nur meine Generation besonders verloren vor, ich nehme sie als Generation wahr, die sich selbst nicht auskommt.
Yuval Noah Harari bezeichnet in seiner Kurzen Geschichte der Menschheit unsere Epoche als die des „romantischen Konsumismus“, was ich für einen sehr treffenden Gedanken halte. Im alten Ägypten
galt das Grab in der Pyramide als höchstes zu erreichendes Glück, auf das man hingearbeitet hat. Heute steht dafür die schöne
Eigentumswohnung, der geräumige SUV oder die romantische Liebe, denen wir hinterherlaufen. Gleichzeitig wissen wir, dass die
Erfüllung nie die erhoffte Zufriedenheit bringt, daher sind wir in einem Zustand der Getriebenheit und ersehnen etwas, das
uns nicht glücklich macht, sind die ganze Zeit unglücklich und kommen aus diesem Hamsterrad nicht heraus. Das Bemühen, durch
Konsumartikel Seelenheil zu finden, widerspricht ja dem Kapitalismus. Würde man das ersehnte Glück finden, hätte der Kapitalismus
ausgedient.
Sie haben bereits in High Performance einen ironischen Blick auf ihre Generation geworfen, die zum damaligen Zeitpunkt eher Anfang dreißig und gerade auf der Suche
war, im Leben Fuß zu fassen. Nun, fünf Jahre später, sind Ihre Protagonistinnen etabliert. Wie würden Sie den Lebensmoment
von Helene, Jakob und Volker beschreiben?
JOHANNA MODER: Das, wo die gerade in ihrem Leben stehen, würde ich mit dem Hineinfahren in eine Garage vergleichen. Sie sind haben es gerade
geschafft, ihren Wagen in der Garage einzuparken und stellen fest, dass es da nicht so spannend wie erhofft und noch dazu
dunkel ist.
Jede Abgrenzung von Lebensmodellen einer vorangehenden Generation führt wieder in neue Konventionen. Auch in dieser Generation
gibt es wieder einen Konsens über das „gute“ Leben, den guten Geschmack und subtile Statussymbole, die beweisen, dass man
wieder wo dazugehört. Wie schwierig ist es, da eine Kritik anzubringen?
JOHANNA MODER: Es ist gewiss schwieriger, weil ich nicht mehr weiß, wen genau ich mit meiner Kritik anspreche. Auch das war früher klarer.
Jetzt ist es so vielfältig und jeder versucht, seinen individuellen Weg, auch abseits von Vorbildern zu finden. Und es stimmt:
Jetzt gelten der Selbstfindungstrip nach Indien oder die Vinylsammlung als Statussymbole. Man entscheidet sich für eine Schicht
und muss darauf schauen, dass man ihr mit allem Für und Wider entspricht. Eine Anpassung an eine unsichtbare Codierung, die
nur diejenigen verstehen, die Teil dieser Gesellschaft sind, so wie bei den Superreichen. Wenn ich sage, meine Generation
scheint mir so verzweifelt, dann möchte ich betonen, dass das meine Sichtweise ist. Es gibt wohl genug VertreterInnen meiner
Generation, die zufrieden sind. Wenn ich z.B. mit Hinblick auf die Klimakrise einen Blick auf die Welt werfe, dann ist der
mit Katastrophen bestückt und die Zukunftsaussichten sind recht trübe. Es ist höchst fraglich geworden, wie man sein Glück
finden kann. Eine Lösung wäre, sich biedermeierlich zurückzuziehen. Das Haus am Land ist ein Symbol dafür, dass man sich einen
Ort erschaffen kann, an dem die Welt in Ordnung ist und man dort sein Glück finden kann. Man kreist allerdings auch dort nur
um sich selber. Ich hatte schon bei High Performance das Gefühl, dass meine Figuren verzweifelt sind, sie sind es ganz eindeutig geblieben. Sie sind halt sehr beschäftigt, deshalb
sieht man’s nicht so deutlich.
Geht es Ihnen auch darum aufzuzeigen, dass Menschen in Not zu helfen oder den materiellen Wohlstand zu teilen Ideen sind,
die weniger auf den humanitären Motiven beruhen, als viel mehr noch ein Attribut zum perfekten Daseinsbild darstellen, das
sich Ihre Protagonisten von sich selbst machen?
JOHANNA MODER: Es handelt sich um eine Gruppe von Menschen, die gebildet und politisch eher links der Mitte anzusiedeln sind. Da gehört
auch dazu, dass man auf der moralisch „richtigen“ Seite zugeordnet werden möchte. Da gehört auch dazu, dass man jemandem in
Not zu Hilfe kommt. Das Konzept der Hilfe ist aber von einer westlichen Sichtweise bestimmt. Der, dem geholfen wird, sollte
sich auch nach einem bestimmten Schema verhalten. Pawel und Eugenia, das russische Aktivisten-Paar, leben die Haltung, von
der die anderen irgendwann einmal geglaubt haben, dass sie sie verwirklichen würden. Wahrscheinlich sind die beiden auch deshalb
für Helene, Jakob und Volker so schwer zu ertragen, weil sie vor Augen führen, wie man sein könnte und wie sehr sie an sich
selbst scheitern.
Sie haben sich dafür entschieden, nicht von einer syrischen Flüchtlingsfamilie zu erzählen, sondern von politischen Aktivisten
aus Moskau. Warum?
JOHANNA MODER: Es hat dafür mehrere Gründe gegeben: Zunächst kam eine Anregung aus meinem persönlichen Umfeld, wo Menschen eine russische
Familie nach Österreich geholt haben. Vor allem wollte ich mich nicht in die Klischeewelle hineinmanövrieren, die zum Zeitpunkt
des Schreibens natürlich sehr nahe lag. Und darüber hinaus glaube ich, dass Russland und die dortige Unterwanderung von demokratischen
Verhältnissen, die wir inzwischen auch in Ungarn und Polen haben, für Europa ein Land darstellt, das wir im Auge haben sollten.
So wie wir auch beobachten sollten, wie sich die politischen Verhältnisse in Österreich entwickeln. Es gibt immer mehr Stimmung
gegen Non-Profit-Organisationen, das halte ich für eine gefährliche Entwicklung für uns alle.
Mit den drei Paaren Helene/Jakob, Volker/Tina und Pawel/ Eugenia, die in der Backstory auch schon in anderen Konstellationen
miteinander verflochten waren, entsteht ein interessantes Beziehungsgespann, in dem sich die Allianzen ständig verschieben
und Grenzen überschritten werden. Hat sich das Drehbuch in erster Linie aus diesem Figurengeflecht entwickelt?
JOHANNA MODER: Die drei Paare waren von Anfang an da. Es war für mich eine neue Erfahrung und ganz schön kompliziert, mit so vielen Figuren
eine Geschichte zu bauen und ein für die Betrachter emotional befriedigendes Band durch die Geschichte zu ziehen. Die beiden
männlichen Hauptdarsteller Manuel Rubey und Marcel Mohab waren in den Schreibprozess sehr stark eingebunden, vor allem zu
Beginn, wo sich die Grundkonstellation der beiden Paare – eines mit zwei Kindern, eines ohne Kinder – herausgebildet hat.
Zwischen den beiden war sehr schnell klar, wer welche Figur spielen würde – Manuel den Jakob, Marcel den Volker. Die männlichen
Figuren hatten durch die Mitarbeit am Buch immer einen starken Fürsprecher, andere Figuren hatten niemanden hinter sich und
mussten für sich alleine kämpfen. Ich finde es sehr inspirierend, gemeinsam zu schreiben, auch wenn sich der Stoff von der
ursprünglichen Idee total wegentwickelt hat. Es fließen Ideen ein, die einer allein nie haben kann. Die Geschichte hat eine
Vielschichtigkeit bekommen, die ich alleine nicht hergestellt hätte.
Die Frauenfiguren sind auch ohne „FürsprecherInnen“ im Drehbuchprozess sehr stark geworden: Helene, die mit ihrem Job als
Richterin den Wohlstand der Familie stemmt, Eugenia, die als politische Aktivistin tätig zu sein. Tina, die durch ihr noch
nicht Verankert-Sein im Leben, offener, menschlicher und empathischer ist. Die männlichen Figuren scheinen da eher weniger
erwachsen, haben aber umso mehr komödiantisches Potenzial. Wie wichtig ist Ihnen der komödiantische Ton in Ihren Filmen?
JOHANNA MODER: Das mag als Beobachtung durchaus richtig sein. Grundsätzlich habe ich zur Komödie eher eine ambivalente Haltung. Ich kann
mich da weniger hineinversetzen und möglicherweise stammen gerade die Frauenfiguren stärker aus meiner Feder. In der Schlussphase
des Schreibprozesses hatten wir Barbara Albert als dramaturgische Beraterin, sie ist gewiss die „Anwältin“ der Figur der Helene
und hat nochmals nachgeschärft, gerade was Stress und Zerrissenheit betrifft, denen sie durch Job und Familie ausgesetzt ist.
Ich selbst bin wiederum zerrissen, wie ich mich in diesem Balanceakt Komik/Nicht-Komik bewegen soll. Mein inneres Gefühl lässt
mich eher zum reinen Drama tendieren. Es macht mir aber großen Spaß, komische Szenen zu inszenieren. Vielleicht neigt man
alleine eher zum Drama, in der Gemeinschaft ist die Komödie naheliegender. Die Diskrepanz könnte darin liegen, dass man einerseits
im Schreiben zur Dramatik tendiert und man beim Inszenieren merkt, dass die reine Dramatik auch etwas Lächerliches hat und
leicht ins Wehleidige abdriften kann. Bevor ich dahin abrutsche, bleibe ich lieber beim Humor.
Die Hilfsaktion geht letztlich daneben, der russischen Familie hat man sich elegant entledigt und niemand fragt sich mehr
nach ihrem Schicksal. Der Film endet mit einem Rückzug in den Familienkokon. Die bestürzende Indifferenz betten Sie sehr subversiv
mit Musik und einem Feuerwerk in eine Atmosphäre des sanften Vergessens.
JOHANNA MODER: Für mich hat Waren einmal Revoluzzer ein sehr bitteres Ende. Ich finde es aber gut, wenn man die Möglichkeit hat, da mehr hineinzuinterpretieren. Volkers Satz:
„Verdrängen, verdrängen, verdrängen!“ ist ein vielsagender Satz, der von einem erfolgreichen Psychotherapeuten ausgesprochen
wird und für uns alle gilt. Anders könnten wir nicht existieren. Es gibt auch keine Lösung. Weder für die Figuren noch für
uns.
Tina könnte als eine Hoffnungsträgerin fungieren. Sie geht zum Zug und fährt vielleicht woanders hin. Oder lebt in fünf bis
zehn Jahren genauso?
JOHANNA MODER: Genau. Tina erlaubt es dem Zuschauer, noch ein bisschen an das Gute zu glauben.
Interview: Karin Schiefer
September 2019