INTERVIEW

«Ein bisschen Phantasie und Dichtung.»

Alma Mahler zitiert man gerne als "Ehefrau von ...…"  Irgendwann, als Gustav Mahler nicht mehr am Leben und seine Witwe dabei war, mit dem Architekten Walter Gropius Zukunftspläne zu schmieden, tauchte Oskar Kokoschka auf, der sie auch nur allzu gerne zu seiner Angetrauten erklärt hätte. Dazu kam es nie. Allerdings zu einer explosiven Affäre. Dieter Berner und Drehbuchautorin Hilde Berger erzählen in ihrer Sicht auf ALMA & OSKAR vom Kampf der Geschlechter, der sich zur Jahrhundertwende erstmals zu entladen beginnt und von einer Musikerin, deren Talent bisher wenig Beachtung geschenkt wurde.
 
 
Hilde Berger, Sie sind nicht nur Drehbuch-, sondern auch Romanautorin; Ihren ersten Roman Ob es Hass ist solche Liebe … (1999) haben Sie der Liebesaffäre zwischen Alma Mahler und Oskar Kokoschka gewidmet. Erinnern Sie sich, was Sie damals an dieser spannungsgeladenen Liebesgeschichte interessiert hat? Über welche der beiden Perspektiven – Alma oder Oskar – haben Sie sich dieser Beziehung genähert?
 
HILDE BERGER:
Ich hatte in den damals schon veröffentlichten Kokoschka-Briefen entdeckt, dass er ihr fast täglich geschrieben hat. Die Antwort-Briefe hat sich Alma Mahler zurückgeholt und vernichtet, dennoch kann man aus den Kokoschka-Briefen viel von Almas Antworten erahnen. In ihrer Autobiografie Mein Leben hat sie hingegen diese Beziehung ganz anders dargestellt. Sie erzählt, dass er aus lauter Eifersucht, die ganze Nacht vor ihrem Haus verbracht hat, um zu wachen, dass kein anderer Liebhaber auftaucht. Oskar Kokoschka hat seinerseits auch eine Autobiografie verfasst, darin widerspricht er Alma und behauptet, dass er nächtens gerne dort in der besonders guten Luft bei Almas Villa spaziert sei. Ihre unterschiedliche Sicht der Dinge hat sich sogar in den jeweiligen Autobiografien fortgesetzt. Sie haben einander nach der Trennung nicht mehr getroffen, aber weiterhin geschrieben. Die Korrespondenz der beiden ist bis ins hohe Alter weitergegangen und war auch weiterhin erotischen Inhalts. Mich hat die „Kampfbeziehung“ zwischen den beiden interessiert und der Umstand, dass sich ein Mann ein Bild von einer Frau macht – umso mehr als er ein Maler ist – , das nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Es sind beide so interessante Persönlichkeiten, dass es schwierig war, sich für eine Hauptperspektive zu entscheiden. Wir haben im Drehbuch versucht, beide Points of View zu bedienen, wobei Oskar Kokoschka eher einen phantastischen Blick hat. Er sieht oft etwas anderes als die Wirklichkeit, sie muss ihn immer wieder korrigieren.
 
 
Wie sehr ändert sich der Fokus beim Wechsel von einer literarischen Sicht zur cinematografischen Sicht auf ein Thema?
 
DIETER BERNER:
Film hat eine andere Subjektivität als die Literatur, die immer über das sprachliche Denken funktioniert. Der Film wendet sich direkt an die Sinne. Die Figur, die im Zentrum steht, wird entsprechend wichtig. Wir standen lange vor der Frage, wie wir für beide einen gemeinsamen Erzählstrang finden könnten. Lange hatten wir einen Erzählstrang Alma und einen Erzählstrang Oskar, die wir im Drehbuch nebeneinander erzählt und auch so gedreht haben. Beim Schnitt hat sich herausgestellt, dass das viel zu didaktisch wirken würde. Unser Ansatz ist im Film nach wie vor vorhanden, aber nicht mehr so ausgewiesen sichtbar. In Liebesgeschichten ist das immer wieder eine gängige Lösung, dass man sich mal in den Schuhen der einen, mal des anderen fühlt. Wir haben sogar mit zwei verschiedenen Kameras gearbeitet: Es gibt Szenen aus der Perspektive Almas, die haben wir mit einer digitalen, Szenen aus der Perspektive Oskars, die haben wir mit einer analogen Kamera gefilmt. Man braucht ein sehr geschultes Auge, um den Unterschied zu bemerken, aber man spürt es. Die Sicht von Oskar ist kreativer, die Sicht von Alma ist realitätsnäher.
 
HILDE BERGER: Wir behaupten immer, dass ein Film dreimal entsteht: im Buch, beim Dreh und im Schnitt. Besonders in der Schnittphase haben wir Alma immer intensiver als Musikerin entdeckt. Das ist ein Aspekt, der gerade heute von besonderer Aktualität ist. Bisher stand immer Alma die Männerfresserin im Vordergrund und man vergaß darüber, dass sie eine exzellente Musikerin war, die nach Mahlers Tod wieder begonnen hat, sich ihren Kompositionen zu widmen. Wir haben somit einen sehr schönen Erzählfaden gefunden, der Alma wieder zur Musik zurückführt.
 
 
Man sagt Alma Mahler einen problematischen Charakter nach, der sich auch in den vielen Affären und gescheiterten Beziehungen geäußert hat. Manches ist vielleicht ihrer Persönlichkeit geschuldet; ging es Ihnen auch darum, die gesellschaftlichen Umstände sichtbar zu machen, die einer künstlerisch hochbegabten Frau keinen Platz einräumte?
 
DIETER BERNER:
Um diesen Aspekt haben wir uns sehr bemüht und ich denke, dass er sehr stark spürbar ist. Bei der Besetzung habe ich sehr darauf geachtet, eine Frau zu finden, die eine sehr natürliche, fast erdverbundene Ausstrahlung hat, was der Persönlichkeit von Alma Mahler entspricht und was wir mit Emily Cox sehr gut getroffen haben. Emily Cox kommt außerdem aus einer Musikerfamilie und sie ist selbst sehr musikalisch – ein Umstand, der uns bei der Betonung von Almas unterdrückter Begabung sehr geholfen hat.
 
 
Sind seit der Arbeit an der ersten Ausgabe des Romans Quellen aufgetaucht, die für den Film besonders inspirierend waren?
 
HILDE BERGER:
Wir haben sehr lange am Drehbuch gearbeitet. Es war sehr spannend, immer wieder Neues herauszufinden. Neue Erkenntnisse kommen in erster Linie von musikwissenschaftlichen Arbeiten. Mein Roman wurde im Böhlau Verlag bereits in der dritten Auflage und unter dem Titel Die Windsbraut herausgebracht. Ich hatte bei jeder Auflage Gelegenheit, die neuesten Forschungserkenntnisse einzuarbeiten. Auch was die Nebenfiguren betrifft. Zum Beispiel Almas Freundin Lily Lieser ist eine sehr interessante Person, über die die Forschung erst in letzter Zeit Näheres herausgefunden hat: Sie war eine Mäzenin, die gemeinsam mit Alma Musiker wie u.a. Arnold Schönberg unterstützt hat; erst kürzlich hat man erfahren, dass sie im Konzentrationslager in Riga von den Nazis ermordet worden ist. Nur ihren Kindern ist die Flucht nach Amerika gelungen.
 
 
Oskar Kokoschka lernt man in ALMA & OSKAR in seiner ganz frühen künstlerischen Phase kennen, wo er sich nicht ausschließlich der Malerei gewidmet hat. Wie wollten Sie für den Film die Künstlerpersönlichkeit herausarbeiten?
 
HILDE BERGER:
Ich wollte ihn auf alle Fälle als Universalkünstler darstellen. Besonders wichtig war es mir, seine Theaterarbeit zu zeigen. Er hat auch sehr schöne, wenig bekannte Prosa geschrieben, seine frühe Lyrik ist expressionistisch, eher schwer verständlich. Mit einem Text wie Mörder, Hoffnung der Frauen konnte ich zuerst nicht sehr viel anfangen, aber ich bin darüber erst auf das literarische Schaffen von Kokoschka aufmerksam geworden. Sein letztes künstlerisches Projekt im Film ist die Puppe, die er in Anlehnung an Alma hat anfertigen lassen.
 
DIETER BERNER: Ein Aspekt, für den man als Filmemacher sehr dankbar ist, ist der, dass Oskar Kokoschka ein Selbstinszenierer war. Mörder, Hoffnung der Frauen sehe ich als eine Dramatisierung seiner Probleme mit dem Role-Model von Mann und Frau. Am Beginn des Textes steht ein Männer/Frauen-Bild, das ganz auf Geschlechterkampf ausgerichtet ist. Alma erzählt in der Szene, in der Oskar sie zum ersten Mal zeichnet, von Hoffmanns Erzählungen und fragt ihn, ob sie seine Puppe Olympia sein soll. Eine Frage, die er bejaht. Am Ende des Films lässt er Alma als Puppe nachbauen. Mit diesem künstlerischen Akt der Erschaffung der Puppe hat er sich einerseits selber von der Obsession Alma befreit und gleichzeitig auch ein Bild dafür gefunden, welch ein Wahnsinn seine fixe Idee war, diese Frau komplett beherrschen zu wollen.
 
 
Diese historisch belegte Puppe ist ja auch cinematografisch ein interessantes Element, wie ist sie Teil des Films geworden?
 
DIETER BERNER:
Einer der ersten Titel dieses Projekts lautete Die Puppe. Es war mir wichtig, dass nicht die Originalpuppe, mit der Kokoschka übrigens sehr unzufrieden war, nachbauen zu lassen. Ich wollte eine moderne Puppe, die von der Künstlerin Maria Grün gestaltet wurde. Die Alma-Puppe im Film ist eine Kombination von unglaublicher Ähnlichkeit und deutlicher Künstlichkeit. Inspiriert hat mich eine Puppe mit einer unglaublich starken Wirkung, die ich bei der Biennale gesehen hatte.
 
 
Alma Mahler ist in frühen bedeutenden Bildern von Oskar Kokoschka festgehalten. Welche davon haben auch ihren Platz im Film gefunden.
 
HILDE BERGER:
Das wichtigste Werk, das auch im Film vertreten ist, ist Die Windsbraut. Von dieser Arbeit wird der Malvorgang sehr genau sichtbar gemacht und dafür hatten wir einen exzellenten Berater. Das Bild hängt in Basel und wurde ganz genau untersucht.
 
DIETER BERNER: Das Bild wurde für unseren Film abgenommen, die verschiedenen Schichten analysiert und daraus geschlossen, welche Schichten nacheinander entstanden sind. Das bleibt natürlich eine Annahme, aber basierend auf dieser Untersuchung haben wir dann im Film Kokoschkas Arbeit daran nachvollzogen. Auch in unserem Film über Egon Schiele gab es ein Bild, das eine zentrale Rolle gespielt hat, das war Tod und Mädchen. Wenn man einen Maler filmisch darstellt, kann man das nicht wie in einer umfassenden Ausstellung tun, sondern man muss pars pro toto einige wenige Dinge herausfinden, die ihn ausmachen. Die Windsbraut ist ein Gemälde, das in der Geschichte zwischen Alma und Oskar eine wichtige Rolle gespielt hat, daher haben wir es zu unserem Kernthema gemacht.
 
HILDE BERGER: Auch das Portrait von Alma, das Oskar nach ihrer ersten Zusammenkunft macht, hat im Film eine dramaturgische Funktion. Und als drittes Gemälde kommt noch das so genannte Verlobungsbild vor. Weiters sieht man ihn beim Zeichnen, beim Ausführen von Lithografien. Und wir zeigen sein Atelier, das voll mit seinen Arbeiten ist.
 
DIETER BERNER: Das Portrait, auf das Alma mit einem etwas befremdeten „Ah, so siehst du mich?!“ reagiert, war ein Bild, das Alma Mahler ein Leben lang begleitet hat. Das hat sie auch in den USA mitgehabt und gerne darauf hingewiesen, dass sie ein von Oskar Kokoschka gemaltes Portrait besaß. Ich glaube, dass beide – Alma wie Oskar – begabte Selbstdarsteller mit einem guten Gespür für die Medien waren. Ich glaube, dass die Klischees, die über sie existieren, mehr oder weniger bewusst von ihnen in die Welt gesetzt wurden. In jeder Liebesgeschichte enthält das Bild, das man sich vom anderen macht, auch ein bisschen Phantasie und Dichtung. Sie sind beide damit auf eine künstlerisch-kreative Weise umgegangen.
 
 
Sie haben Emily Cox als Darstellerin der Alma Mahler bereits erwähnt. Wie hat sich die Suche nach Ihren beiden Hauptdarstellern gestaltet und wie kam es zur Besetzung durch Emily Cox und Valentin Postlmayr?
 
DIETER BERNER:
Für mich ist bei der Besetzung immer die Dynamik zwischen den Personen sehr wichtig. Ich beginne in der Regel mit einer Person und besetze dann um diese Person herum. Bei der Besetzung von Alma Mahler habe ich viel probiert. Für mich ist es auch wichtig, dass bei einem Film, wo es um das Leben bekannter Persönlichkeiten geht, auch eine gewisse Ähnlichkeit besteht. Umso mehr, als ja in unserem Fall Alma auch auf den tatsächlich existierenden Gemälden erscheint. Ich finde, dass Emily Cox eine Ähnlichkeit mit Alma Mahler in einer bestimmten Phase ihres Lebens mitbringt. Für mich strahlt sie zum einen eine Sinnlichkeit und Lebensfreude aus, zum anderen war Emilys Bezug zur Musik ganz wesentlich. Alma Mahler hatte ganz feine Antennen und einen Instinkt für das künstlerische Talent eines Menschen und dessen Fähigkeit über die Kunst etwas mitzuteilen.
Für die Rolle von Oskar Kokoschka hatte ich bereits eine Besetzung, wir hatten auch schon mit den Proben begonnen und bemerkt, dass die Dynamik nicht so funktioniert hat, wie ich es erwartet hatte. Valentin Postlmayr hatte ich ganz zu Beginn schon gecastet, dabei offensichtlich etwas übersehen, vielleicht auch deshalb, weil er zu wenig Ähnlichkeit mit Oskar Kokoschka hatte. Wir sind dann durch eine Theateraufführung nochmals auf ihn gestoßen, bei der er uns durch seine Bühnenpräsenz und durch seine Fähigkeit, das Publikum auf seine Seite zu bringen, fasziniert hat. Ich habe mich dann für ihn entschieden, weil er ein Sympathieträger ist und außerdem die erotische Anziehung zwischen den beiden gut spürbar wurde. Für Valentin Postlmayr ist Oskar die erste Hauptrolle in einem Kinofilm.
 
 
Warum war der Aspekt des Sympathieträgers so wichtig, wo doch Oskar Kokoschka in seinem Verhalten nicht unbedingt Sympathien hervorruft?
 
DIETER BERNER:
Gerade deshalb. Schon Stanislawski hat gesagt, dass es bei der Besetzung von Hauptrollen unabdingbar ist, dass mehrere Facetten einer Figur erfüllt sind. Wenn man eine Rolle nur auf einen Charakterzug hin besetzt, wird die Figur im Laufe der Geschichte langweilig. Gerade angesichts dieses Mann/Frau-Kampfes, der zwischen Alma und Oskar stattfindet, wäre es völlig falsch, die Sympathien nur auf einer Seite zu bündeln. Der Kampf wird spannender, wenn jede der beiden Figuren beim Publikum punktet.
 
HILDE BERGER: Es verwickelt auch die Zuschauer:innen viel stärker in ein Hin und Her, wem sie sich nun eher zuwenden wollen, für wen sie eher Verständnis aufbringen können. Wir haben verschiedene Screenings veranstaltet und das Feedback den Figuren gegenüber war höchst unterschiedlich und widersprüchlich. 
 
 
Wie haben Sie mit den beiden den Dreh vorbereitet?
 
DIETER BERNER:
Da ich selber von der Schauspielerei komme, ist die Probenarbeit enorm wichtig. Der Drehprozess ist so stark technisch dominiert und einem Zeitdruck unterworfen, dass man kaum mehr die Möglichkeit hat, an einem Drehtag etwas Neues zu entwickeln. Man muss es dennoch versuchen, aber ich denke, je mehr bei einem Schauspieler/bei einer Schauspielerin an Phantasiematerial bereits entwickelt ist, umso besser kommt man beim Drehen zurecht. Meine Methode besteht auch darin, dass ich mich mit Strasberg-Übungen an die Figuren heranarbeite – dafür gibt es verschiedene Improvisationstechniken – und dass ich das ganze Stück und den gesamten Ablauf mehrmals mit den Schauspieler:innen durchgehe und immer wieder die Reaktionen der Figuren hinterfrage. Bei so komplexen Beziehungen wie der zwischen Alma und Oskar muss man in jedem Moment bereit sein, viele Entscheidungen zu treffen. Damit man diese Entscheidungen begründet treffen kann, muss man sich sehr ausführlich mit der ganzen Geschichte auseinandersetzen und dafür sind die Proben da. Außerdem braucht es die Proben, um zwischen den Schauspieler:innen und mir ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Eine künstlerische Arbeit wie ein Spielfilm bringt ohnehin auch ein gewisses Konfliktpotenzial mit, diese Konflikte dürfen nicht am Drehtag zur Austragung kommen. Das führt zu falschen Entscheidungen.
 
 
Die Dreharbeiten waren erstmals für 2020 geplant, wie konnten Sie trotz der erschwerenden Bedingungen durch Covid das Projekt realisieren?
 
HILDE BERGER:
Wir mussten natürlich in einem sehr weit fortgeschrittenen Planungsstadium verschieben und uns dann zwischen Covid und den Netflix-Fenstern, in denen Emily Cox, die auch für eine Serie verpflichtet war, zur Verfügung stand, bewegen. Die Dreharbeiten sind dann ohne einen einzigen positiven Fall über die Bühne gegangen.
 
DIETER BERNER: Wir haben in allen vier Koproduktionsländern – Tschechien, Deutschland, Schweiz und Österreich – gedreht. In Prag haben wir das Theater und die Nervenheilanstalt gedreht – übrigens ein Motiv, wo auch Miloš Forman Amadeus gedreht hat. Kokoschkas Atelier haben wir in der Schweiz gebaut, in Deutschland haben wir die Gropius-Villa und das Meer, in Wien in der echten Moll-Villa gedreht. Das hat für mich etwas besonders Inspirierendes, wenn ich an einem historischen Ort drehen kann, wo die tatsächliche Geschichte stattgefunden hat. Alma hat in der Moll-Villa gewohnt, Gustav Mahler ist dort immer zu Besuch gewesen.
 
 
Nach Egon Schiele – Tod und Mädchen widmen Sie sich ein zweites Mal der Epoche des frühen 20. Jahrhunderts und der ersten Kriegsjahre. Was galt es für diesen Film, gerade auch im Vergleich zum ersten Film, an dieser Zeit besonders herauszuarbeiten?
 
DIETER BERNER:
Unser erster Zugang zu dieser Epoche war Hildes eingangs erwähnter Roman. Wir hatten schon sehr früh mal den Plan, diesen Stoff zu verfilmen. Damals gab es zeitgleich ein Projekt mit dem Titel The Bride of the Wind, eine internationale Koproduktion mit österreichischer Beteiligung, mit dem wir nicht in Konkurrenz gehen wollten. Damit wurde es auf Eis gelegt und es ist zunächst unser Film Egon Schiele – Tod und Mädchen entstanden. In gewisser Weise ist ALMA & OSKAR die Umkehrung unseres Zugangs zu Egon Schiele. Egon Schiele haben wir als jemanden betrachtet, der die Frauen benützt, Oskar Kokoschka ist ein Liebender. Die Epoche hat mich immer sehr fasziniert. Der Untergang der Monarchie war in Österreich eine ganz starke Aufbruchszeit, angefangen bei Sigmund Freud, Arthur Schnitzler, Robert Musil und Franz Kafka. Diese Zeit, wo klar war, dass die Monarchie auf keinen Fall weiter bestehen konnte, hat neue Konzepte eingefordert. Gerade die Beziehung zwischen Mann und Frau wurde grundlegend und sehr stark in Frage gestellt.
 
HILDE BERGER: Was ALMA & OSKAR von Egon Schiele – Tod und Mädchen unterscheidet, ist die stärkere Auseinandersetzung zwischen Frau und Mann. Es geht um Männerbilder und Frauenbilder.
 
DIETER BERNER: Beim Film über Egon Schiele hat uns die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit beschäftigt. Bei ALMA & OSKAR ist das auch ein Thema, es geht vor allem aber um einen hinterfotzigen Versuch des Patriarchats, sich zu behaupten. Kokoschka kämpft sehr mit dem Bild, was ein Mann ist. Alma Mahler muss sich aber der Obsession, die auf sie gerichtet ist, entziehen.
 
 
Sehen Sie Alma Mahler und ihre Biografie auch als Ausdruck für diese Zeitenwende?
 
HILDE BERGER:
Alma Mahler war ihrer Zeit voraus. Alleine, dass sie Musik studiert hat und es sich zugetraut hätte, einen Beruf daraus zu machen, das war schon sehr Avantgarde. Ich habe herausgefunden, dass es zu dieser Zeit etliche Frauen gegeben hat, die sehr gute Komponistinnen waren, die aber kaum wahrgenommen wurden. Auch Alma Mahler hätte es sehr wahrscheinlich nicht geschafft, sich durchzusetzen. Man sagt ihr immer wieder nach, dass sie ihre künstlerischen Ambitionen durch ihre Ehemänner ausgelebt hat. Das glaube ich weniger. Alma Mahler war eine sehr gute Netzwerkerin. Sie hat erkannt, dass man auf einem ganz anderen Gebiet kreativ sein kann. Franz Werfel war ein Kaffeehausliterat, der sehr gut gesungen hat; so haben sie sich auch kennengelernt. Alma hat ihn dazu gebracht, einen Roman zu schreiben, der über den Ehemann ihrer Tochter, Paul Zsolnay, auch verlegt wurde. Es war typisch Alma, dass sie aus dem Überlebensdrang, Geld ranbringen zu müssen, Ideen gehabt und umgesetzt hat. Sie war unheimlich kreativ und geschickt darin, Vernetzungen herzustellen.
 
DIETER BERNER: Talent ist immer eine Kombination von Fähigkeiten. Dieser Spürsinn war ihr gegeben, weil sie in künstlerischen Kreisen groß geworden ist und sich immer dort bewegt hat. Ein historischer Stoff wirft auch die Frage nach der Bedeutung im Heute auf und ich finde, dass die Auseinandersetzung mit den Role-Models von Mann und Frau nach wie vor wie ein Damokles-Schwert über uns schwebt. Der Konflikt hat sich nicht gelöst, sondern er hat sich eigentlich verstärkt. Die Spannung und der Konflikt zwischen den Bildern, die jeder von uns sehr stark in sich drinnen trägt und unserer Realität, die es nicht möglich macht, diese Vorstellungen zu leben, werden immer stärker. Wir haben uns mit ALMA & OSKAR an den Punkt begeben, wo diese Wahrnehmungen und Bedürfnisse beginnen auseinanderzuklaffen und wo es klar wird, dass es so nicht weitergehen kann.


Interview: Karin Schiefer
November 2022
 
 
 
 

«Mich hat die „Kampfbeziehung“ zwischen den beiden interessiert und der Umstand, dass sich ein Mann ein Bild von einer Frau macht – umso mehr als er ein Maler ist – , das nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt.»