Friedrich Mosers dokumentarischer Fokus gilt seit vielen Jahren dem weltweiten Netz. Was uns einst alle miteinander zu verbinden
schien, hat sich inzwischen zum diffusen Raum entwickelt, wo immer gezielter Zweifel und Keile in die Gesellschaften getrieben
werden. HOW TO BUILD A TRUTH ENGINE beschäftigt sich mit der Waffe Desinformation, der Notwendigkeit eines neuen Journalismus und der Dringlichkeit, mit der demokratische
Gesellschaften ein Miteinander innerhalb und außerhalb des Netzes finden müssen.
War es eine fortschreitende beunruhigende Entwicklung in den Medien, die Sie zum Thema Informationskrieg geführt hat oder
gab es einen ganz konkreten Anlass?
FRIEDRICH MOSER: Den ersten Anstoß setzte vielmehr mein Wunsch nach Fortsetzung meiner Arbeit zu den Themen Cybersecurity, Überwachung und
Terror-Abwehr: A Good American (2015) fürs Kino und Terrorjagd im Netz (2017) für Arte. Für die TV-Doku habe ich ein Wiener Start-Up begleitet, das eine Software entwickelt hat, mit der sie das
Supportnetz des IS in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausfindig machen konnten. Die Firma bekam in der Folge von einer
europäischen Regierung die Anfrage, ob die Software auch zum Kampf gegen Desinformation verwendbar wäre. Das war aber nur
bedingt möglich: die Software kann zwar die Beziehungen zwischen Akteuren in Sekundenschnelle analysieren, ist aber nicht
gebaut, um Inhalte zu analysieren. Einer der Gründer des Wiener Start-Ups, Jan van Oort, begann dann 2018 an einer KI-Software
zu arbeiten, die Texte dahin gehend analysieren können würde, ob sie echt oder fake sind. Zur selben Zeit begann ein Schulfreund
von mir an der TU Graz an einem europäischen Forschungsprojekt zu arbeiten, das in dieselbe Richtung zielte. Ab da war ich
auf Warteposition, ob sich nicht eine Doku daraus machen lassen könnte.
Wann hat sich dann der konkrete Anlass geboten?
FRIEDRICH MOSER: Anfang Jänner 2019 kam dann über eine Mailingliste eine Einladung zu einem Hack-The-News Datathon. Bei diesem Datathon – eine Art Datenanalyse-Marathon- ging es darum, innerhalb einer Woche in einem Wettbewerb
verschiedener Forschungsteams von verschiedenen Universitäten eine Software zu entwickeln, die echte News von Fake News unterscheiden
können würde. Ab da wusste ich: Das will ich mit der Kamera festhalten! Ich schrieb sofort zurück, wann denn diese Veranstaltung
stattfinden würde und wo. Antwort: Morgen. In Sofia, Bulgarien. Das war natürlich zu kurzfristig. Aber die Idee zum Film war
geboren und ich hatte auch schon einen ersten Protagonisten: Peter Cochrane, ehemaliger Chief Technology Officer von British
Telecom, Uni-Professor und Berater zahlreicher Silicon Valley Unternehmen. Von ihm hab ich auch den Titel des Films: How To Build A Truth Engine – Wie man einen Wahrheitsmotor baut war der Titel einer Präsentation, mit der Peter Cochrane dafür warb, das Fact Checking
zu automatisieren, um die Flut an Lügen und Falschmeldungen einzudämmen, die durch die Sozialen Medien über uns hereingebrochen
ist. Im März 2019 hatte Peter beruflich in Wien zu tun, und ich nutzte die Gelegenheit für einen ersten Drehtag mit ihm und
mit Jan van Oort, der bereits mit dem Programmieren seiner eigenen Software angefangen hatte. Es war schnell klar, dass ein
rein technologischer Fokus zu trocken sein würde. Also hab ich den investigativen Journalismus als Gegenmodell zu Fake News
eingebunden. Zwei Monate nach dem ersten Drehtag wurde der Ibiza-Skandal öffentlich und plötzlich hatte mein Projekt eine
ungeahnte Aktualität für Österreich. Aber ich wollte auch eine internationale Komponente. Anfang November 2019 drehten wir
erstmals beim ICIJ in Washington DC und bei der New York Times, und im Februar 2020 eine ganze Woche lang. Schnell wurde mir
klar, dass das, was dort vom der Visual Investigations Team gemacht wird, eine andere Liga von Journalismus war. Mit Hilfe von Satellitenauswertung, Handydaten-Auswertung, der
Auswertung von privaten und öffentlichen Überwachungskameras und dem Synchronisieren von Tausenden von Stunden an Handyvideos
und Handyfotos deckt das Team um Malachy Browne Kriegsverbrechen auf, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder streng geheime
Schmuggeloperationen. Mit dabei auch ein Österreicher: Christoph Koettl. Mitte Februar 2020 kamen wir begeistert vom Dreh
aus den USA zurück. In Wien erwartete uns eine Hiobsbotschaft: Jan van Oort war spurlos verschwunden, unser Hauptprotagonist.
Zwei Monate später erfuhren wir, dass er in Peru einem Herzinfarkt erlegen war.
Wie hat der Film dann ein neues Momentum gefunden?
FRIEDRICH MOSER: Es wurde uns klar, dass wir nochmals an den Start mussten. Wir brauchten eine Geschichte aus dem Wissenschafts- und Computerbereich,
die wir von Anfang bis zum Ende erzählen konnten. Im Herbst 2020 begann ich nach Geschichten über Anti-Fake-News-Software
zu forschen und ich stieß auf Forscher der Universität Los Angeles (UCLA) und der Universität Berkeley in Kalifornien, die
eine Software entwickelt hatten, mit der sie Verschwörungstheorien ausfindig machen konnten. Ich hatte meine neue Geschichte
gefunden. Die beiden Forscher, Tim Tangherlini und Vwani Roychowdhury, brachten noch die Neurowissenschaftlerin Zahra Aghajan
an Bord, und diese den Gehirnchirurgen Itzhak Fried. Im Sommer 2021 war mir nach Gesprächen mit allen klar, dass Software
allein das Problem von Desinformation nicht lösen wird. Wir brauchen auch das Wissen, wie Menschen grundsätzlich Information
im Gehirn verarbeiten, und das wollte ich mit Journalismus kombinieren.
Ein Gros Ihrer Gesprächspartner hat Sie somit wieder in die USA geführt?
FRIEDRICH MOSER: Als der Film auch eine stärker amerikanische Komponente bekam, habe ich auch nach Partnern in den USA gesucht, einerseits
hinsichtlich Finanzierung, andererseits wollte ich einen Executive Producer.
Executive Producer sind in Europa wenig bekannt. In den USA ist das eine Position in Filmen, die Leuten zukommt, die entweder
wesentlich zur Finanzierung des Filmes beigetragen haben oder das Marketing des Films wesentlich unterstützen, indem sie ihren
Namen zur Verfügung stellen. Für den US-Release meines Films A Good American hatte ich Oliver Stone an Bord geholt, und ab da ging es mit dem US-Vertrieb sehr schnell, und plötzlich war mein Film auf
Netflix. Für HOW TO BUILD A TRUTH ENGINE hatte ich deshalb ebenfalls eine Liste mit möglichen Executive Producern erstellt.
Ganz oben war George Clooney.
Inwiefern hat sich George Clooney in dieser Thematik positioniert?
FRIEDRICH MOSER: George Clooney stand aus mehreren Gründen an erster Stelle: Er hatte Journalismus studiert. Clooneys Vater war ein News-Anchor.
Und George Clooney hat aus eigener Tasche ein Forschungsprogramm in Harvard finanziert, wo es um die Auswertung von Satellitendaten
zur Aufklärung von Kriegsverbrechen ging. Clooney hat sich gemeinsam mit seiner Frau Amal, die eine bekannte Menschenrechtsanwältin
ist, einen 25-Minüter angesehen und im darauffolgenden Zoom Call hat er uns bestätigt, dass ihn das Journalismus-Thema und
die Bilder der Satelliten-Auswertung überzeugt hatten. Er hat uns seinen Namen als Executive Producer zur Verfügung gestellt,
und er und sein Partner bei Smokehouse Pictures, Grant Heslov, unterstützen uns beim Verkauf und Marketing des Films.
Sie haben eingangs vom grundsätzlichen Wandel des Projektes erzählt. Ist es nicht dem Thema inhärent, einer Geschwindigkeit
und einem steten Wandel unterworfen zu sein. Wie wird in der aktuellen Zeit ein Thema wie dieses überhaupt greifbar?
FRITZ MOSER: Die Technologie mag sich wandeln, die Mechanismen bleiben dieselben. Die Mechanismen der Desinformation, die heute wirken,
gab es schon im alten China und bei den antiken Griechen. Mich haben jetzt weniger die Details konkreter Ereignisse interessiert,
denn diese sind austauschbar – ob russische Kriegsverbrecher in der Ukraine, Hamas-Terroristen oder die QAnon-Anhänger, die
das Kapitol gestürmt haben, alle haben dieselben Prozesse durchlaufen. Mich interessieren diese Mechanismen, wie und warum
sich in unserem Gehirn Desinformation durchsetzt, und letztendlich, wie aus normalen Menschen kaltblütige Täter werden, Massenmörder,
die Genozide verüben. Das eigentlich Tragische daran ist, dass genau jene Fähigkeiten, die unser Gehirn zu diesem unglaublichen
wunderbaren Organ machen, dass genau diese Fähigkeiten unser Gehirn auch wahnsinnig verwundbar machen. Unser Gehirn kann „gehackt“
werden. Und zwar indem man den Informationsfluss hackt.
Unser Gehirn baut sich basierend auf den Informationen, die es über die Sinnesorgane bekommt, ein Modell der Welt. Wenn wir
uns etwas vorstellen, sehen wir ja nicht die echte Welt, sondern dieses Modell. Um sicherzugehen, dass dieses Modell auch
stimmt, gleicht das Gehirn das Modell laufend an die Informationen an, die es aus der echten Welt bekommt. Wenn nun aber die
echte Welt ersetzt wird durch eine virtuelle Welt, die es nur online gibt, baut sich das Gehirn ein verzerrtes Modell der
Welt. Im digitalen Raum, wo durch Algorithmen gezielt Echokammern und Blasen geformt werden, gibt es dann bald kein Entkommen
mehr aus diesem verzerrten Weltmodell, auch, weil viel über die Erzeugung von Angst und Mechanismen der Dehumanisierung in
Narrativen funktioniert. Wir haben nur einen ganz kurzen Anruf eines Terroristen an seine Eltern vom 7. Oktober drinnen, der
sich rühmt, israelische Zivilisten getötet zu haben. Wieviel Gehirnwäsche muss dem vorausgehen? Wieviel Gehirnwäsche braucht
es, um Kriegsverbrechen zu begehen? Es geht mir darum zu verstehen, wie für diese Grausamkeiten der Boden bereitet wird.
Ihr Gesprächspartner Peter Cochrane erwähnt im Eingangsstatement die verschiedensten Räume der Kriegsführung. Warum sind wir
in einem Dokumentarfilm über Information und Wahrheit so schnell in einer Kriegsterminologie?
FRIEDRICH MOSER: Weil Information instrumentalisiert wird. Zum einen in Werbung und PR. Da durch das Internet die traditionelle Rolle der
Medien als „Spamfilter“ der zirkulierenden Informationen weggefallen ist, haben sich grenzenlos Möglichkeiten aufgetan, ungefiltert
Informationsmüll auf die User loszulassen. Leute sind in heftige Twitter-Debatten involviert, ohne zu wissen, ob das Gegenüber
überhaupt ein Mensch ist oder ein Roboter. Twitter ist extrem, es betrifft aber alle Plattformen. Es herrscht ein Krieg. Es
passiert nicht zufällig, dass falsche Informationen auf uns losgelassen werden. Information ist ein Instrument zur Gewinnung,
Erhaltung, Verteidigung von Macht. Stephen Bannon, der Propagandachef von Donald Trump, hat gesagt: Flood the zone with shit. Es geht darum, so zu verwirren, dass die Leute der echten Information misstrauen.
Ihr Film bewegt sich auf drei Ebenen: der neurowissenschaftlichen, der computerwissenschaftlichen und der journalistischen
Ebenen. Bleiben wir beim Journalismus. Wo haben Sie im Zuge dieser Arbeit, neue Wege und Erkenntnisse gefunden, wie Journalismus
unter diesen geänderten Bedingungen weiter seine wichtige Rolle erfüllen kann?
FRIEDRICH MOSER: Als ich zum ersten Mal bei der NYT in der Visual Investigations Unit war, konnte ich nicht glauben, was dort gemacht wird. Ich finde es großartig, dass Content, der ohnehin vorhanden ist, genutzt
wird. Herauszufinden, was echt und was nicht echt ist, wird eine der wesentlichen Rollen des Journalismus werden. Es gab letztes
Jahr in Wien eine Konferenz über Journalismus im Zeitalter von KI. 60% aller Bloomberg-Nachrichten werden heute bereits von
Bots gemacht, weil sie schneller beim Erfassen und Verarbeiten von Wirtschaftsdaten sind. So etwas wird flächendeckend automatisiert
werden. Die Rolle der Journalisten wird es sein, das zu managen. Ich glaube, es wird durch die Technologie sehr viele Möglichkeiten
geben, das traditionelle journalistische Arbeiten zu entlasten; Journalisten werden sich aufs inhaltliche Arbeiten fokussieren
können. Die Visual Investigations Unit der NYT hat noch nie eine Publikation zurückziehen oder ergänzen müssen. Dieses genaue,
technologieunterstützte Arbeiten ist für mich „next level journalism“. Es kommt nicht mehr darauf an, wie schnell man ist.
Das werden die Maschinen gewinnen, dazu sind sie auch da. Der Journalismus der Zukunft wird darin bestehen, die Echtheit zu
garantieren, das Ganze einzuordnen, den Sinn zu finden und diesen den Menschen zu vermitteln. Nachrichten vielmehr kuratieren
als sie produzieren.
Wo sind Sie in Ihrer Recherche im neuro- wie computerwissenschaftlichen Bereich auf interessante, vielleicht überraschende
Erkenntnisse gestoßen?
FRIEDRICH MOSER: Das Interessante an der Software StoryMiner ist, dass sie automatisiert Verschwörungstheorien erkennen kann. Das funktioniert folgendermaßen: In jeder Erzählung kommen
Personen, Orte, Themen, Dinge vor, die miteinander in Beziehung stehen. Wenn das eine natürliche Erzählung ist, dann gibt
es ein dichtes Beziehungsgeflecht zwischen Dingen und Leuten. Wenn sie künstlich aufbereitet ist – nichts anderes sind Verschwörungstheorien
– merkt man, dass es nur einzelne Bereiche gibt, die eng miteinander verflochten sind. Man merkt, dass diese Erzählungen strukturell
nicht zusammengehören. Das kann man sich dann genauer anschauen und in Echtzeit über Millionen von Chats feststellen, ob es
sich um eine Verschwörungstheorie handelt oder nicht. In vielen Fällen ist es eine. Eine wichtige Erkenntnis der Hirnforscher
ist, dass wir aufgrund der Reaktionen auf unser Handeln lernen. Wenn es keine direkte Reaktion gibt – was im Netz der Fall
ist –, man kann ohne Konsequenzen beleidigen und dann wird man es immer wieder tun. Das führt zu dieser Verrohung im Netz
im Umgang miteinander, die so schädlich ist. Sie nutzt nur jenen Leuten, die diesen Informationskrieg betreiben und Keile
in die Gesellschaft treiben.
Wie haben Sie für diese komplexen Inhalte eine Bildsprache entwickelt? Sie filmen Ihre Gesprächspartner:innen einerseits als
Talking Heads, nehmen aber auch ganz nahe, oft extreme Close-ups auf.
FRIEDRICH MOSER: Ich finde, dass sich die Kinosprache bildmäßig sehr wesentlich von der Fernsehsprache unterscheiden sollte. Kino bedeutet
große Weiten oder ganz nahe Dransein. Fernsehen ist Halbnahe und Halbtotale. Mir gefallen große Weite und starke Nähe besser.
In bin vor der Frage gestanden, wie ich Tätigkeiten, die weitgehend vor Computern stattfinden, so beschreibe, dass man nicht
die ganze Zeit Bildschirme zeigen muss. Dafür habe ich metaphorische Ebenen eingezogen. Um die Beschleunigung der Wissensvermittlung
vom europäischen Mittelalter bis jetzt zu verdeutlichen, habe ich in der Stiftsbibliothek Kremsmünster gedreht. Ich glaube,
dass es für die Menschen wichtig ist, Referenzen aus der Wirklichkeit zu haben. Vielleicht tut es auch gut, in eine Klosterbibliothek
mit alten Handschriften zu gehen, um zu sehen, welch mühsamer Prozess es war, Inhalte zu kodifizieren. Sich bewusst zu machen,
wer Zugang zu Wissen hatte und wie rasant sich das im Bezug zur heutigen Zeit verändert hat. Unser Gehirn ist nicht gemacht
für die Fülle und Schnelligkeit an Information, wie wir sie heute haben. Unser Gehirn wird ausgetrickst, weil wir als Menschen
verwundbar sind. Nicht weil wir der einen oder anderen Kultur, dieser oder jener Bildungsschicht angehören; es betrifft alle.
Sie haben auch in der Natur gefilmt.
FRIEDRICH MOSER: Um die Dimension von Information zu zeigen, haben wir beim Grand Canyon gefilmt, auch um zu zeigen, wie klein wir Menschen
sind im Vergleich zu diesen Riesenumwälzungen, die da auf uns zugekommen sind, in denen wir mitten drinnen stecken und die
noch viel größer sein werden.
Die Urwaldbilder stehen für die grundlegenden Funktionsweisen unseres Gehirns. Das Gehirn ist im Wesentlichen eine Mustererkennungs-,
Vervollständigungs- und Vorhersagemaschine. In Urzeiten musste man aus Fährten im Wald erkennen, ob Gefahr gegeben war. Geht
man heute durch den Wald und hört ein Knacksen, versucht man auch herauszufinden, ob das etwas Bedrohliches ist. Ich finde
das Bild des Waldes gut, weil es das Publikum in unsere Thematik versetzt: Es geht darum, selber rauszufinden, was ich erkennen
und vorhersagen kann. Es ist ein Mix aus Szenen, die in der Natur und anderen, die in der Großstadt spielen. Wir haben in
Wien, London, Los Angeles, Berkeley, Berlin, Tel Aviv, Washington und New York gefilmt. Aber eben auch an der Schwarza unterhalb
der Rax oder in der Seegrotte in Hinterbrühl. Beide Räume mussten vorkommen. Unsere digitale Welt, ihre Vernetzung und Schnelligkeit
kommen eher durch Großstädte zum Ausdruck.
Was musste in der sehr komplexen Montage herausgearbeitet werden?
FRIEDRICH MOSER: In meinen über 20 Jahren Filmemachens war es gewiss der schwierigste Film in der Montage. Es ging darum, den Wissenschaftsteil
verständlich zu machen und dann mit den computertechnischen und journalistischen Aspekten zu verschränken. Der Film spannt
für mich eine Brücke auf, die dreißig Jahre zurückreicht. Ich habe damals an der Uni Salzburg Zeitgeschichte studiert und
mich in meiner Diplomarbeit mit Populismus bei Karl Lueger auseinandergesetzt. Damals habe ich mir erstmals angesehen, wie
Populismus technisch funktioniert. Auf Fragen von damals habe ich durch die Wissenschaftler, mit denen ich im Film spreche,
heute Antworten bekommen.
Da ich mich seit meinem Film A Good American im Ambiente der nationalen Sicherheit bewege, folge ich vielen Leuten, die in diesem Bereich tätig sind. Was man sich vor
Augen halten muss: Es hat, historisch betrachtet, noch keine Demokratie in der Welt gegeben, die nicht auch ein Ende gefunden
hat. Vor diesem Hintergrund habe ich diese Arbeit gemacht. Ich bin Produzent eines weiteren Films, Tag X, in dem es um die Feinde der Demokratie von innen geht. Was sich derzeit zusammenbraut, ist ein Bürgerkrieg in Amerika. Ich
glaube, dass wir sehr aufpassen müssen, unsere Demokratie und unsere Freiheiten nicht zu verlieren. Desinformation, da komme
ich zur Wichtigkeit meines Films – Desinformation ist das Mittel dazu.
Wie sieht Ihre Hoffnung auf eine „Wahrheitsmaschine“ aus?
FRIEDRICH MOSER: Ich glaube mein Film ist ein Weckruf. Der letzte Satz im Film lautet: Es liegt an uns. Das ist meine Botschaft. Der Wahrheitsmotor
aus dem Titel meines Films besteht aus drei Komponenten:
1. funktionierende Medien, die der Spamfilter sind; sie müssen in Schuss gebracht werden, um den Informationsflüssen des 21.
Jhs. zu entsprechen.
2. Wir werden mehr Technologie brauchen, um Information zu ordnen, zu verarbeiten, auszusortieren. Dazu brauchen wir Software.
Es ist auch ein Aufruf an die Politik, mehr in diese Technologien zu investieren. Die Frage ist, ob die Politik, die inzwischen
ihre eigenen News produziert und ungefiltert unter die Leute bringt, daran interessiert ist. Für die Hygiene einer Gesellschaft,
für die Gesundheit der Diskurse in einer Gesellschaft, in der notwendigerweise unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen
und Kompromisse gefunden werden müssen, braucht es aber diese Filter, braucht es die Wahrheit.
3. Es liegt an uns. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, wie verwundbar wir sind. Wir dürfen auf Information nicht impulsartig
reagieren, sondern müssen zunächst überlegen, warum jemand etwas schreibt oder sagt. Als Medienkonsument:innen haben wir die
Aufgabe, den Reality Check zu machen!
Und dann braucht es bestimmte Rahmenbedingungen: Soziale Medien müssen so reguliert werden wie traditionelle Medien. Dann
hätte viel von dieser Lügerei ein Ende. Automatisch. Es hat ja auch im Privaten Konsequenzen, wenn man lügt. Vielleicht müssen
wir auch lernen, mit einer nicht perfekten Welt, mit einem nicht perfekten Selbst umzugehen. Unseren Umgang miteinander zurückschrauben
auf Zeiten vor Erfindung des Internets oder Instagram. Einfach auf normal. Ich bin in einer Gemeinde mit 1500 Einwohner:innen
aufgewachsen. Es hat dort jeder mit jedem gesprochen, unabhängig von der politischen Einstellung. Dort müssen wir wieder hin.
Raus aus den Blasen. Jeder muss mit jedem sprechen. Niemand ist perfekt und irgendetwas lernt man immer. Und sei es, dass
Fragen aufgeworfen werden, die man vorher nicht gehabt hat.
Interview: Karin Schiefer
Februar 2024