Gibt es in der Realität von heute noch etwas wie Normalität? Und wenn ja, wer ist berufen zu sagen, was normal ist? Oder grundsätzlicher
gefragt: Gibt es überhaupt noch etwas wie Realität? Florian Pochlatko hat in seinem Erstling HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD die Grenzen der Wahrnehmungsebenen einfach aufgelöst. Aus den Gedanken seiner Protagonistin Pia, die nach einem Aufenthalt
in der psychiatrischen Klinik wieder an die Außenwelt anzudocken versucht, hat er vor dem Hintergrund einer zerbröckelnden
Welt ein tiefgründiges Kaleidoskop voller Witz und Referenzen erschaffen.
HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD ist Ihr Langfilmdebüt. Eine Frage, der Sie auf sehr vielstimmige Weise
auf den Grund gehen. Worin bestanden Ihre Beweggründe, psychische Krankheit zum Thema Ihrer ersten Regiearbeit zu machen?
FLORIAN POCHLATKO: Ich gehe immer sehr intuitiv an meine Arbeit heran. Ich suche weniger nach Themen, vielmehr sind es die Themen, die mich
finden. Die intensive Arbeit daran hat 2021, also im zweiten Corona-Jahr begonnen. Die Aufbruchsstimmung des ersten Corona-Jahrs
war vorbei, man sah, die windows of opportunity gingen wieder zu und die Welt weiter wie zuvor, nur alles wurde noch schlimmer.
Der Umgang mit psychischer Gesundheit in turbulenten Zeiten war auch generell ein wichtiges Thema geworden. Ich hatte mir
durch persönliche Erfahrung sowie durch Recherche ein großes Wissen angeeignet und damit auch das Selbstvertrauen, dass ich
dazu genuin etwas zu erzählen hatte. Das Drehbuch basiert auf einer Art Oral History von direkt betroffenen Menschen ebenso
wie von Angehörigen und Ärzt:innen, mit denen wir gesprochen haben.
Mehr als eine Handlung erzählt Ihr Film viel von inneren Zuständen, die Sie in unzähligen kurzen Bildern sichtbar machen.
Was hat das für das Schreiben bedeutet?
FLORIAN POCHLATKO: Ich komme aus der improvisativen Arbeit im Kollektiv. Eine erste Hürde beim Langfilm bestand darin, dass dies nicht mehr
möglich war. Es war nun nötig, mit einem vorgelagerten Drehbuch zu arbeiten. Darum hab ich versucht, das Improvisative und
kollektive Arbeiten ins Drehbuch einzulagern. Es waren sehr intensive 20 Monate, in denen ich dann das Recherchematerial zu
einem Drehbuch verwoben habe. Davor hatte ich mich über unzählige Interviews und Erlebnisberichte in die Materie vertieft,
mit vielen Menschen gemeinsam über den Stoff und seine Storyline nachgedacht.
Wie früh war der Humor ein dominierender Faktor?
FLORIAN POCHLATKO: Bei Humor geht es um Haltung. Man kann ihn nicht erzwingen. Psychische Erkrankung kennen wir als Betroffenheitsthema oder
als klassisches Horrorgenre. Es ist sowieso immer ein desaströs schwieriges Thema. Darum war es mir ein Anliegen, etwas zu
schaffen, wo man gemeinsam über etwas und auch über sich selbst lachen kann. Viel Galgenhumor. Finden viele sicherlich auch
weniger lustig.
War es in der Recherche auch für Sie selbst ein Gefühlsbad, mit so vielen widersprüchlichen Erfahrungen konfrontiert zu sein?
FLORIAN POCHLATKO: Auf jeden Fall. Es war schon sehr arg und auch schwierig, wieder dort hinaus zu finden. Ich kenne eine hochtalentierte Tattoo-Künstlerin,
die die in erzkonservativen Teilen Polens aufgewachsen ist und dort psychisch in große Schwierigkeiten geraten ist. Als sie
nach einem Suizid-Versuch in die Klinik kam, hat man sich auf die Tatsache, dass sie komplett tätowiert war, konzentriert.
Das hat man dort als Teil der psychischen Krankheit gelesen und dahin gehend diagnostiziert. Sie hat sich sprichwörtlich gefühlt
wie im asterixschen Irrenhaus angekommen, wo nicht klar ist, wer hier wie nicht richtig tickt. Damit beginnt schon die Grauzone,
das institutionalisierte Absurde. Viele, die sich auf diese „Reise“ schon mal begeben haben, kennen die Erfahrung, dass sich
das innere Fremdempfinden in die Außenwelt stülpt und man sich in einer absurden Welt wiederfindet. Ich halte das für eine
spannende Analogie zum generellen Zustand der Welt. Wir leben im Age of the Absurd – der treffende Begriff dafür, wie sich die westliche Welt gerade anfühlt, weil sie sich ad absurdum führt.
Ihre Protagonistin Pia hat eine psychische Krankheit, die nicht genau definiert wird. Auf die Frage nach ihrer Diagnose antwortet
sie: „Alles, je nachdem mit wem man spricht“. Ging es Ihnen darum, sie bewusst nicht in einem bestimmten Krankheitsbild zu
verorten?
FLORIAN POCHLATKO: Wenn man mit psychiatrischen Patient:innen spricht, erfährt man, dass viele im Laufe ihres Lebens mehrere Diagnosen bekommen.
Es kommt auch auf den Kulturkreis an. Gender und Hautfarbe spielen bei Diagnosen auch oft eine Rolle. Der europäische Katalog
von psychischen Krankheiten unterscheidet sich von dem in den USA. Ein Spektrum bei dem es keine klare Demarkationslinie gibt.
Indem man eine Krankheit nicht benennt, frame ich eine Figur nicht innerhalb eines Krankheitsbildes. In HOW TO BE NORMAL AND
THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD geht es ja auch formal sehr stark um Framing und die Frage nach den Demarkationslinien. Eine
Diagnose zu bekommen, kann hilfreich sein, gleichzeitig prägt sie plötzlich, wie man das eigene Verhalten liest und lässt
andererseits das Gegenüber Verhaltensweisen gleich als symptomatisch erkennen. Daher wollte ich mich mit die Fragen beschäftigen
wie: „Ist sie krank?, Inwiefern?, Was macht sie krank? Und wie ändert das die Lesart ihres Verhaltens, aber auch ihr Verhalten
selbst?“. Gerade heute ist man auch in der Alltagskultur schnell mit Diagnosen da für Menschen, deren Verhalten, man nicht
versteht oder davon irritiert ist. So einfach ist das aber nicht.
Framing ist ein wichtiges Stichwort. Sie spielen in HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD mit verschiedenen
Formaten: 4:3, abgerundete Ecken, Handybildern
Sind das rein ästhetische Entscheidungen oder konkrete Referenzen auf bestimmte
Medien?
FLORIAN POCHLATKO: Wenn man mit jüngeren Leuten spricht, dann konnotieren sie die Formate stark mit Internet-Sprache. Mental Health und Internet
sind momentan einfach auch Dinge, die man sehr zusammen denkt. Der erste Filmemacher, der bewusst mit 4:4 gearbeitet hat,
sicherlich beeinflusst von Instagram, war Xavier Dolan in Mommy 2014 und dieses Format hat sich dann in der Grammatik der Filmsprache sehr schnell als ein allgemein gültiges Bild vom Eingeengt-Sein
etabliert. Ich fragte mich, wie ich, aufbauend auf dieser Grammatik, weiterführend erzählen kann. In HOW TO BE NORMAL AND
THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD geht es sehr stark ums Ineinanderfallen von Realitäts-Modellen. Da war das gerundete Fenster
ein wichtiges Mittel für mich, weil es einerseits das Framing ästhetisch ganz konkret sichtbar macht und gleichzeitig sofort
mit Internet-Ästhetik verbunden wird. Somit war klar, dass Formatsprünge die Bildsprache bestimmen würden, um den verschiedenen
Welten, die sich gerade im generellen Empfinden zusammenfügen, bildlich zu entsprechen.
HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD beschäftigt sich auch mit der Frage, wie psychische Krankheit von der
Gesellschaft, wahrgenommen wird. Wieviel Anderssein erträgt die „normale“ Welt? Wie sieht es mit Stigmatisierung aus?
FLORIAN POCHLATKO: Für mich stand nicht die Frage Was ist normal?, im Vordergrund, sondern Wer ist in der Position zu bestimmen, was normal ist? Wenn man dieser Spur folgt, erfährt man viel über die Beschaffenheit unserer Welt. Ein Paradigmenwechsel hat stattgefunden,
es wird leichter, öfter und anders über Mental Health gesprochen. Ich habe aber dennoch erlebt, dass psychische Krankheit
stark mit Stigmata verbunden ist. Die Zuordnung als psychisch krank ist einfach oft auch ein Repressionstool. Dort, wo Menschen
sich gegen herrschende Machtverhältnisse auflehnen, werden sie schnell als „nicht normal“ stigmatisiert. Da beginnt eben eine
spannende Zwischenzone. Wo ist jemand psychisch krank, wo wird einem das aber suggeriert oder attestiert, um einen zum Beispiel
unglaubwürdig zu machen? Was macht das mit dem eigenen Wahrnehmungsempfinden? In der jetzigen Zeit hielt ich es einfach für
wichtig von einer Person wie Pia zu erzählen.
Sie stellen zwei Welten einander gegenüber – das psychiatrische Krankenhaus, wo es auch Kreativität und Verständnis füreinander
gibt und die Arbeitswelt, die voller Unfreiheit und Irrationalität ist. Welche der beiden Welten die unfreiere ist, lassen
sie in Schwebe
FLORIAN POCHLATKO: Dieses Gegenüberstellen und gegenseitige Aushebeln von unterschiedlichen Realitäts-Modellen schien mir adäquat. The Matrix ist jetzt 25 Jahre alt. Es war der erste Film, den ich mit 14 allein im Kino angesehen habe und ist jetzt einer der emblematischen
Filme über unsere aktuelle Welt des Kapitalismus und der Internetgesellschaft geworden. Die Punchline von The Matrix war noch die Frage What is real? In einem aktuellen Interview versucht Keanu Reeves einem Gen Alpha-Teenager den Inhalt von The Matrix zu erklären und der Teenager antwortet, dass es für ihn keine Rolle spielen würde, in einer Simulation zu leben, wenn diese
sich für ihn echt anfühlt. Das war für mich ein Ansatzpunkt, um das Narrativ für den Film zu finden, in dem es eigentlich
völlig egal ist, was Traum-Ebene, was eine vermeintliche Real-Ebene ist. Alles merged zu einem Ding. Die Wahrnehmungs-Welt
von einer Person in einer akuten psychotischen Phase, in der alle medialen Welten, das Innen und das Außen in sich zusammenstürzen,
fühlt sich ja dennoch für diese Person real an. Es hat sich in den letzten Jahren eine Ästhetik des Hyperrealismus entwickelt.
Man sieht zum Beispiel im Design Dinge aufpoppen, die aussehen, als würden sie aus medialen Sekundärrealität wie aus Graphic
Novels, Animes oder Computerspielen kommen. Das war mich eine ästhetische Beweisführung des Gedankens, dass sich psychotische
Wahrnehmung und ein generelles Empfinden der Welt plötzlich gar nicht mehr so unähnlich sind. Ein wierder Plot-Twist jagt
den nächsten und man wundert sich schon über gar nichts mehr. What's next? Jeff Bezos baut eine riesige Phallus-Rakete, um damit ins All zu fliegen? Elon Musk reitet mit gestrecktem Nazi-Arm zum Soundtrack
von YMCA auf dem Rücken von Donald Trump ins Weiße Haus ein? Herbert Kickl Kanzler? Klima Wandel: Fake News? Ach so, alles
grade echt passiert. Kollektiv-Psychose: Welt.
HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD scheint mir auch ganz schlicht die Erzählung von einem Konflikt der Generationen
zu sein?
FLORIAN POCHLATKO: Ja, absolut. Der allererste Ansatzpunkt von HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD war der Generationenkonflikt.
Wie hat sich eine ältere Generation sozial konstituiert, wie im Gegensatz dazu eine jüngere Generation? In Österreich ist
die Nachkriegsgeneration mit Sprachlosigkeit aufgewachsen. Alles runterschlucken. Probleme ignorieren, bis sie einem um die
Ohren fliegen. Darauf ist eine Generation gefolgt, die extrem danach gedürstet hat, all diese unterdrückten Emotionen rauszuschreien
Die vorgeprescht ist, um dafür eine Sprache zu finden. So haben sich meine Figuren geformt. Ich wollte, dass diese Generationen
wieder unter einem Dach miteinander auskommen müssen.
Wie haben Sie Luisa-Céline Garron für die Rolle der Pia entdeckt?
FLORIAN POCHLATKO: Es gab eine grobe Drehbuchskizze, als ich Luisa kennengelernt habe. Wir haben uns in ihrer Wohnung am Prenzlauer Berg getroffen
und auf Umzugskartons sitzend Ideen ausgetauscht, über Haltung und unsere Vorstellungen vom Filmemachen. Für mich war sofort
klar, dass ich mit ihr arbeiten wollte, weil sie eine Partnerin auf Augenhöhe war und wir uns respektvoll begegnen können
und gut ergänzen. Dann habe ich das Drehbuch mit Luisa vor Augen geschrieben. Es gab auch nie ein Casting. Wir haben uns einfach
zwei Jahre lang aufeinander eingestimmt, sind ans Set gekommen und waren völlig on the same page, was unsere Erzählung betrifft. Der Kameramann Adrian Bidron zum Beispiel, mit dem die Zusammenarbeit genau so eng war, hat
vor HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLDL nicht einmal einen Kurzfilm gedreht, aber mit seiner sensiblen Art
und seinem romantischen Hang zum magischen Realismus, hab ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass er einfach einer der Besten
und der Richtige für dieses Projekt ist. Ich komme ja aus dem strengen österreichischen Sozialrealismus. Jetzt wollte ich
aber eine österreichische Graphic Novel machen, eine Künstlichkeit erzeugen, die ein dissoziatives Lebensgefühl mitträgt.
So wie wenn man zu lange ins Handy schaut, dann kommt einem die Welt da draußen auch plötzlich recht seltsam vor.
Es gibt bewegende Sätze, wo Pia das Nichts beschreibt oder darüber reflektiert, wie es ist, plötzlich sich selbst zu fehlen.
Haben Sie in der Recherche Sätze gehört, die erschütternd und inspirierend zugleich waren?
FLORIAN POCHLATKO: Schwer zu sagen. Ich habe mich zwei Jahre isoliert, um mich für das Drehbuch nur in dieser Welt zu bewegen. Und erst viel
später, nach dieser ganzen langen Reise, als der Film im Sommer 2024 fertig war, konnte ich diese Welt verlassen und ich merkte
erst dann, wie fordernd das alles gewesen ist. Irgendwo am Weg hat sich diese Sprache definiert. Wenn man Psychopharmaka absetzt,
kann es zu sogenannten brain-zaps kommen, kleine Zeit-Aussetzer, die sich wie Stromschläge anfühlen, andererseits können Erinnerungslücken entstehen, wenn
das Gehirn traumatische Erlebnisse nicht verarbeiten kann, eben fast wie das alles verschlingende Nichts aus Michael Endes
Die unendliche Geschichte, dass sich in einem immer weiter ausbreitet. Aus diesen Zustandsbeschreibungen, die ich aus Erfahrungsberichten kannte, hat
sich die Sprache dieses Films entwickelt. In der Recherche nannte ich das markig für mich selbst: The Poetics of Anxiety.
Die stets präsente Frage ist die nach dem Ich, dem Du und dem Fremden?
FLORIAN POCHLATKO: Das Auflösen des Ich-Empfindens ist ein starkes Thema. Es ist sehr schwierig, über psychische Krankheit allgemein zu sprechen,
aber ein befreundeter psychiatrischer Arzt hat mal gesagt, dass das einende Gefühl, was allem zugrunde liegt, Angst ist.
Und ich glaube auch, dass anxiety das Grundrauschen unserer Gesellschaft geworden ist. Daher habe ich Humor als Ausdrucksmittel gewählt: Mir war wichtig, anxiety auslachen zu lernen, denn wenn man sie auslachen kann, hat man gelernt, sie zu benennen und das macht sie kleiner, greif-
und angreifbarer. Ich hatte selbst zehn Jahre lang eine extreme Angststörung. Das war vielleicht auch die Ur-Zündschnur, so
einen Film machen zu wollen.
Im Off hört man TV-Berichte über Naturkatastrophen, es kommt zum Kollaps des Familienunternehmens, in dem Pias Vater Karriere
gemacht hat. In der Ehe der Eltern scheint keine echte Verbindung zu bestehen. Wie wurde die allgemeine Brüchigkeit der Welt
zum Hintergrundgeräusch von HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD?
FLORIAN POCHLATKO: Ich habe lange bei Michael Haneke studiert und es ist noch ein Relikt aus der alten Schule, mitzuschreiben, wie sich gerade
TV-Nachrichten anhören. So Zustandsbeschreibungen zur aktuellen Lage. Ich wollte halt über die Form der Graphic Novel oder
einer magisch-realistischen Märchenebene arbeiten. Die Nachrichten, die ich im Drehbuch hatte, sind jetzt zwei Jahre alt und
könnten auch gestern aufgenommen sein. Seither ist es zu einem großen Firmensterben gekommen, dann kam die Inflation, die
alle verunsichert hat, dann hat sich der Faschismus darauf ausbreiten können. Die Welt macht emotional etwas mit einem. Viele
Leute spüren das und fragen sich, wie man einen Umgang findet mit der Überforderung, der man sich schon allein durch das Mobiltelefon
nicht mehr entziehen kann. Ich wollte einen Film für die ganze broken family machen.
... aber der letzte Satz lautet
„The future is bright.“
FLORIAN POCHLATKO: Ich glaub, ich bin kein Kulturpessimist. Wenn man es in zwei Generationen schafft, die Welt zugrunde zu richten, glaube ich
auch, dass es gelingen wird, sie in zwei Generationen wieder aufzubauen. Im Moment jedenfalls fühlt sich die Welt aber recht
wild an.
The Matrix oder Mommy sind nur zwei von vielen Referenzen auf Kino, Fernsehen und Literatur. Was hat Sie da so alles inspiriert?
FLORIAN POCHLATKO: Fast jeder Szene HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD ist eine kleine Referenz oder ein Zitat auf irgendwas.
Sei es ein Meme, ein Film, ein Buch, ein Lied oder sonstwas. Es war mir aber auch sehr wichtig, dass das nicht wichtig ist.
Man kann es nachverfolgen, man muss es aber nicht. Im Idealfall ist unser Film massentauglich und trotzdem auch für Nerds
und irgendwie ein kleines kritisches Theorie-U-Boot.
Berlinale-Programmchef Michael Stütz hat in der Programm-Pressekonferenz gesagt, dass Ihrem Film eine Gratwanderung zwischen
Absurdität und Sensibilität gelingt. Wie gefällt Ihnen diese Einschätzung?
FLORIAN POCHLATKO: Ich freue mich und fühle mich gesehen. Regisseur:innen, die bei der Berlinale gelaufen sind, haben mich als Filmemacher zutiefst
geprägt. David O'Reilly oder Linklater z.B. Die Berlinale war eine meiner Schulen und jetzt läuft unser eigener Film dort.
Ich bin richtig stolz. Es war ein hohes Risiko, einen Film abseits der beaten paths zu machen und nicht auf Nummer Sicher zu gehen. Harte Arbeit einfach. Nicht zuletzt im monatelangen Schnitt gemeinsam Julia
Drack
Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit für die Montage?
FLORIAN POCHLATKO: Julia Drack ist eine Legende. Sie hat mich durch diesen Prozess durchgetragen und es war wichtig, dass es jemanden gab, die
so erfahren, sensibel und geduldig war. Acht Monate lang sind wir Seite an Seite gesessen. Dass sich diese Gratwanderung jetzt
ausgeht, ist vor allem der Schnittarbeit zu verdanken. Es war Millimeterarbeit, denn der Film war permanent on the verge of
breakdown, immer knapp davor, in sich zusammenzufallen, zu zerbrechen oder eben drüber zu sein.
War das Drehen schon eine Arbeit in bits and pieces oder ist dieses Mosaik erst durch den Schnitt entstanden?
FLORIAN POCHLATKO: Gedreht haben wir sehr klassisch, allerdings mit einem geringeren Budget als die anderen Debütfilme dieser Zeit. Deswegen
hatten wir nur 27 Drehtage. Dieser knappe Zeitplan hat uns im Team aber so zusammengeschweißt, dass wir es umso konzentrierter
durchziehen konnten. Als erstes haben wir ganz konventionell einen Assembly-Schnitt erstellt. Meine Arbeitsweise wäre eher
umgekehrt. Ich erarbeite lieber aus dem Detail heraus das Große. Dann sind verschiedene Segmente entstanden, erst nach einiger
Zeit haben wir begonnen, die einzelnen Segmente zu einem Ganzen zusammenzufügen. Es war ein sehr kollaborativer Prozess, in
dem parallel auch schon Töne angelegt, Musik komponiert wurde
alle haben simultan mitgearbeitet und irgendwann ist daraus
etwas Tragfähiges entstanden.
Eine konträre Arbeitsweise zu Ihrem Lehrer Michael Haneke?
FLORIAN POCHLATKO: Würde ich so nicht sagen. Michael Haneke war einer der ersten Menschen, der den Film gesehen hat. Er war immer sehr offen
gegenüber anderen Bildsprachen und sehr unterstützend. Er ist auch jemand, der in Fragmenten arbeitet, die sich dann zusammenfügen.
Bei ihm sind sie aber schon im Drehbuch angelegt. Bei uns war das Drehbuch fragmentarisch, das Drehen sehr klassisch, und
die Montage wieder etwas zwischen emotionalem Empfinden und rationalem Ausbalancieren. Ich habe den Umstand, dass es ein Erstlingsfilm
ist, sehr ernst genommen und Leute an Bord geholt, deren Talent ich schätze, die aber noch keine Langfilmerfahrung hatten.
Dann braucht man aber auch ein paar Key-Positionen mit großer Erfahrung, in meinem Fall waren das die Produktion von Golden
Girls Film oder die Editorin Julia Drack, die das mitgetragen haben. Da braucht man ein backbone. Meine Leute in der Regieassistenz oder in der Produktionsleitung, Leute mit einem Karategürtel in Schwarz.
Interview: Karin Schiefer
Jänner 2025