Laika, der Welt berühmteste Hundekosmonautin, war ein Kind der Moskauer Straße. Ihre Mission in der Raumkapsel hat sie nicht
überlebt, doch vielleicht ist ihr Geist auf den Planeten zurückgekehrt, vielleicht streunen ihre Nachfahren noch heute durch
die russische Hauptstadt. Die Filmemacher Elsa Kremser und Levin Peter haben sich einem Hunderudel angeschlossen, um mit ihm
auf Augenhöhe durch die Moskauer Nächte zu ziehen. In Space Dogs haben sie das wilde Leben der Straßenköter mit eindrucksvollen Archivbildern aus dem Space Race der sechziger Jahre zu einem
Streifzug durch die Sphären von Forschung, Fabel und Freiheit verwoben.
Auf der Website eurer Produktionsfirma Raumzeitfilm heißt es: Wir stehen für unkonventionelle Formen des Kinos, die
sich mit der Wahrnehmung von Raum und Zeit beschäftigen. War es quasi ein Must, dass euer erster Film mit dem Weltall
und seiner Erforschung zu tun hat?
ELSA KREMSER: Nicht unbedingt. Das besondere Verständnis von Raum und Zeit, dem wir uns mit unserer Produktionsfirma widmen wollen, hat
nicht unbedingt nur mit dem Weltraum zu tun. In Space Dogs
lassen wir uns auf die Perspektive der Hunde ein. Wenn man, so wie wir, so viel Zeit mit ihnen verbringt, verändert sich die
Wahrnehmung von Raum und Zeit. Dasselbe geschieht zwangsläufig im Kinoraum, wenn man 90 Minuten mit Hunden verbringt.
Space Dogs ist im Rahmen des Startstipendiums des Bundeskanzleramts entstanden. Worauf beruhten die ersten Gedanken zu dieser ungewöhnlichen
Erzählung? Wann kam Laika dazu?
ELSA KREMSER: In unseren allerersten Ideen wollten wir uns auf Hunde im Rudel konzentrieren. Von Laika, dem ersten Hund im Weltraum, war
noch keine Rede. Wir wollten uns auf eine eingängige Weise mit Lebewesen auseinandersetzen, was es in dieser Form im Kino
noch nicht gegeben hat und mit ihnen eine Geschichte erzählen.
LEVIN PETER: Ein Hundeherz. Eine Hundeseele. Wenn man viel Zeit bei Straßenhunden verbringt und sie beobachtet, drängt sich der Gedanke
an ihre Seele auf. Wir hatten das Gefühl, dass es im Kino noch keine Begegnung mit dem Seelenleben eines Hundes gegeben hat.
Mit Laika verbanden wir die Vorstellung, dass Jahrmillionen nach Entstehung der Erde, das erste Lebewesen, das in einer
Metallkugel um die Erde kreist, ein Moskauer Straßenhund ist, der zwischen der Wildnis und den Menschen eine neue Art von
Leben kreieren muss. Wir hielten das für eine tolle Parabel, die als Ansatz diente. Wir haben uns gefragt, was passiert ist,
nachdem sie als toter Körper in einer Metallkugel den Planeten über hundert Tage umkreist hat und die Kapsel wieder in die
Erdatmosphäre eingetreten ist? Wurde Laika auf eine Art erlöst und ihre Seele freigesetzt? Darin sahen wir enorm viel
Potenzial für eine Geschichte. Wir brauchten eigentlich nur in Moskau auf der Straße fortführen, was dort einmal begonnen
hat. Im Prinzip schließen wir eine Lücke.
ELSA KREMSER: Auf Laika sind wir gestoßen, als wir begannen, uns mit dem Rudel auseinanderzusetzen. Wir fragten uns Wie nehmen Straßenhunde
die Großstadt aus ihrer Augenhöhe wahr? Was ist das für eine von uns unbemerkte Welt? Und gleichzeitig suchten wir auch nach
einer Abstraktion, einer Metapher, in der sich das widerspiegelte. In dieser Phase fanden wir erst heraus, dass Laika ein
Straßenhund gewesen ist. Hunderte Hunde wurden von der Straße geholt und trainiert. Laika hatte zwei Jahre auf der Straße
gelebt. Vielleicht streunen heute noch ihre Nachfahren herum? Levin warf die Frage auf, was mit dem Lebewesen, das erstmals
außerhalb des belebbaren Raums war, in dem Moment geschah, wo sein Körper verglüht und ins Nichts zerstreut wurde? Was stirbt
da? Wissenschaftler haben uns erklärt, dass die Partikel in der Tat langsam auf die Erde sinken. Das kann bis zu 60 oder gar
100 Jahre dauern. Da kam uns der zündende Gedanke von Laikas Geist auf Moskaus Straßen.
Es entstand also nicht aus einer Affinität zur russischen Sprache und Kultur?
ELSA KREMSER: Ganz zu Beginn haben wir auch an andere Weltgegenden gedacht, wo es viele Straßenhunde gibt, wie Südamerika, Asien etc. Mit
Laika war die Ortswahl entschieden.
LEVIN PETER: Beim (Er)Finden der Geschichte(n) haben aber Referenzen zur russischen Kultur eine Rolle gespielt: Michail Bulgakov nicht
nur mit Der Meister und Margarita, sondern auch mit seiner schönen Kurzgeschichte Hundeherz. Bei Gesprächen in den Moskauer Straßen stellten wir fest, dass die Hundekosmonauten eine ganz andere Präsenz im allgemeinen
Bewusstsein haben als bei uns. Auch die Fabeln sind in der russischen Kultur ganz anders gewachsen.
Der russische Off-Text mutet in seiner Übersetzung sehr poetisch an. War zunächst eine literarische/textliche Basis vorhanden,
ehe ihr daran gegangen seid, die Bilder dafür zu entwickeln?
LEVIN PETER: Der Text basiert auf der Recherche. Es ist uns gelungen, Aufzeichnungen, wissenschaftliche Publikationen, aber auch Tagebuchnotizen
von den Wissenschaftlern zu bekommen, die damals mit den Hunden gearbeitet haben. Diese zusätzliche Ebene hat relativ spät
in den Film Einzug gehalten und letztlich alles gefärbt durch die sowjetische Art, Wissenschaft zu formulieren. Die Publikationen
der Wissenschaftler lasen sich z.T. wie Märchen. Es war erstaunlich, wie nah unsere Ideen an deren Erzählungen dran waren.
Wir trafen auch fünf Zeitzeugen, die damals am Programm mitgearbeitet hatten und die Hunde, auch Laika, kannten. Selbst ihr
Sprechduktus war blumig, fast märchenhaft. So ist eine Mischung, aus dem, was wir erlebt haben und dem, was wir den Aufzeichnungen
entnommen haben, entstanden.
Wie konntet ihr ein Drehbuch entwickeln, ohne zu wissen was euch die Wirklichkeit bieten würde?
LEVIN PETER: Ein Teil vom Drehbuch liegt in der eigentlichen Geschichte, also der Dramaturgie von Laika, ihrer Mission und all der Hunde,
die nach ihr ins All geschickt worden sind. Das waren unseres Wissens 40-50. Ansonsten gab es dieses Drehbuch nicht. Unsere
einzige Konstante war die Zeit: Wir haben im Winter mit dem Dreh begonnen und im Sommer aufgehört.
Wie habt ihr eure Hunde gecastet?
ELSA KREMSER: Wir waren etwa zwei Monate in Moskau, um ein Rudel auszusuchen. Man könnte in der Tat von Casting sprechen, da wir Hunde
wollten, die echte Hauptfiguren werden, d.h. die charaktervoll und umgänglich genug mit uns, aber dann auch wieder wild waren.
Wir haben vom Stadtzentrum um den Roten Platz bis in die letzten Ecken der äußerten Peripherie gesucht und die unterschiedlichste
Arten von Straßenhunden gefunden, viel erlebt und sehr viele Geschichten gehört; manche davon waren wohl übersteigert, was
unserem Buch keineswegs abträglich war. Es konnte daraus wachsen.
Wie habt ihr euch euren tierischen Protagonisten angenähert?
LEVIN PETER: Sie sprechen besonders in der Gruppe eine sehr deutliche Sprache, diesen Hinweisen sind wir auch gefolgt. Dort, wo die Stadt
kaputt geht und zerfällt und sich wiederum neuer Raum auftut, dort gibt es auch Hunde. Diese Orte haben wir versucht zu scannen.
Wenn wir an einen unbekannten Ort kamen und Hunde entdeckten, dann war der Ablauf immer ähnlich: zunächst kam uns nur ein
Hund entgegen, dann konnte man die anderen dahinter entdecken. Bei der ersten Begegnung mit dem Späher war bereits
klar, ob wir unseren Besuch fortsetzen konnten oder besser wieder gingen.
ELSA KREMSER: Eine Regel haben wir sofort aufgestellt: wir haben die Hunde nicht gefüttert. Die Straßenhunde kennen meist nur zwei Formen,
wie Menschen mit ihnen in Kontakt treten: durch Füttern oder durch Treten. Viele Rudel sind zunächst total irritiert, wenn
man nur steht, schaut und wartet. So entstand aber auch eine Neugier und eine andere Form von Kontakt. Bei unserem Rudel hat
es sehr lange gedauert. Ohne diese langsam gewachsene Basis hätten wir nie erreicht, was uns am Ende des Drehs gelungen ist,
nämlich, ihnen folgen zu können, ohne dass sie stets auf Belohnung gewartet haben.
Eure Erzählung ist in Tag- und Nachtsequenzen strukturiert. Wie entstand dieses Grundschema und wo habt ihr in der riesigen
Stadt den geeigneten Drehort gefunden?
LEVIN PETER: Wir hatten schnell gemerkt, dass die Hunde ihre Zeiten hatten und v.a. in der Nacht und früh morgens unterwegs waren. Ich
erinnere mich an frühe Recherchen, wo wir zur Mittagszeit nur fünf schlafende Hunde vorfanden. Im Morgengrauen entdeckten
wir plötzlich, dass die Straße voller Hunde war und Revierkämpfe stattfanden. In diesen Momenten, wo die Menschen abwesend
waren, hat der Film seine Konturen angenommen. Damit war klar, dass wir den Film in schwierigen, dunklen Lichtverhältnissen
drehen würden und wir suchten daher nach Orten mit Straßenbeleuchtung und Lichtquellen, die uns helfen konnten.
Wie ist es gelungen, die Hunde immer auf Augenhöhe zu filmen?
LEVIN PETER: Wir hätten diesen Film vor fünf Jahren auch aus technischen Gründen noch nicht machen können. Die Kamera, die die Schönheit,
die wir zeigen wollten, bei so schlechten Lichtbedingungen abbilden kann, und leicht genug ist, dass der Kameramann den monatelangen
Dreh auf der Augenhöhe der Hunde führen kann, gibt es noch nicht lange. Nach langer Suche haben wir ein Stabilisierungssystem
gefunden, das unseren Kameramann Roy Imer erlaubt hat, die Kamera in Augenhöhe der Hunde auf der Hüfte zu halten und zu bedienen.
Am Anfang hatten wir immer Angst, alles zu verpassen. Wir fühlten uns zu langsam, waren nie zur richtigen Zeit da. Irgendwann
aber haben wir ihre Routen verstanden. Wir hörten auf, mitten am Tag unsere Energie zu verschwenden, wo sie nur liegen, die
Stadt anschauen und schlafen. Es war klar, dass in der Nacht die interessanteren Dinge passieren und die Menschen, die nachts
unterwegs sind, spannender sind. Wir versuchten tagsüber zu schlafen, um nachts arbeiten zu können. Dass wir den Film in diesem
alternierenden Rhythmus zwischen Nacht und Tag strukturieren würden, stand fest. Alles mündete in die letzten interessanten
Wochen, wo uns die Technik nicht mehr im Weg war, sondern wir genau das machen konnten, was wir uns die ganze Zeit an filmischen
Erlebnissen erträumt hatten. Genau zu dieser Zeit, waren offensichtlich auch die Hunde dafür bereit.
Es gibt eine sehr eindringliche und brutale Szene. Ein dramaturgisches Geschenk und eine Grenze zugleich. Wie seid ihr mit
dieser Situation umgegangen?
LEVIN PETER: Das ist einfach passiert. Es war einer der ersten Tage, wo wir den Eindruck hatten, dass wir einen Rhythmus gefunden hatten
und auch die Hunde auf uns achteten. Sie waren wie gewohnt im Morgengrauen losgelaufen, drehten sich um, schauten, wo wir
waren, als würden sie auf uns warten, um ihren Weg zur frühen Stunde in Moskau zu erzählen.
ELSA KREMSER: Wir filmten ihren kontinuierlichen Weg. Da ist nichts Konstruiertes aus anderen Tagen dabei. Es hat uns natürlich auch kalt
erwischt. Wir hatten beschlossen, den Hunden wertfrei zu folgen, also folgten wir ihnen auch dabei. Ohne Kompromisse. Spektakulär
oder weniger spektakulär waren für uns keine Messwerte. In diesem Moment haben die Hunde uns auch die Kontrolle entrissen
und wir funktionierten nur noch.
LEVIN PETER: Ein totaler Kontrollverlust, als würden sie uns vorführen, wer sie sind und uns etwas zeigen, woran wir nie gedacht hätten.
Diese Szene ist nicht nur im Film ein totaler Wendepunkt, es hat auch für uns beim Dreh alles über den Haufen geworfen. Plötzlich
standen wir vor neuen Fragen. Damit ist uns bewusst geworden, dass wir an etwas arbeiteten, was die Menschen im Kino noch
nie gesehen haben. Es war eine Grenze überschritten.
ELSA KREMSER: Und es war klar, dass wir es mit wilden Tieren zu tun hatten. Wir sind gewohnt, Hunde als Haustier oder als Hütehund oder
als Space Dog, der fürs All trainiert wird, unter Kontrolle zu haben. In diesem Moment war klar, sie haben ihre Welt, die
ohne menschliche Kontrolle stattfindet.
LEVIN PETER: Wir saßen den ganzen Abend mit dem Team zusammen und jeder musste den Schock erst mal loswerden. Wir kamen auf den Punkt,
dass diese Hunde uns nichts schuldeten. Sie sind nicht da, um unser bester Freund zu sein und wir können ihnen auch nicht
unsere Moralvorstellungen überstülpen. Sie sind nicht für unsere Projektionen auf der Welt. Das haben sie uns als ganzem Team
drastisch gezeigt.
Es kommt im Film unglaublich beeindruckendes Archivmaterial vor: Wieviel Arbeit hat es bedeutet, das ausfindig zu machen und
auch frei zu bekommen?
LEVIN PETER: Es war unglaublich viel Arbeit. Den ersten Anstoß hat Laika selbst geliefert: Allein durch Googeln oder YouTube zum Stichwort
Laika trifft man bereits auf sehr spannendes Material. Das warf die Frage auf, was da wohl noch alles in Archiven
existieren musste. Wir haben herausgefunden, dass es im Moskauer Institut für biomedizinische Probleme, das noch immer existiert,
tatsächlich noch Filmrollen gab, die nie veröffentlicht worden waren. Sie werden so gut geschützt, weil man sieht, wie die
Hunde operiert wurden, was wir schließlich auch im Film zeigen. Es war ein knochiger Weg mit vielen Auf und Abs. Wir haben
eine gute Beziehung zu den Leuten dort aufgebaut, immer wieder hatten wir das Gefühl, dass die Herausgabe des Materials kurz
bevorstand, aber analog zu den Spannungsverhältnissen zwischen Russland und der EU sah es für uns besser oder schlechter aus.
Ihrerseits bestand die Sorge, die Bilder würden in eine europäisch-westliche, anti-russische Berichterstattung gepackt und
auch inhaltlich verbogen.
ELSA KREMSER: Es war schön zu erleben, dass die Bürokratie irgendwann geendet hat und wir uns mit den Leuten darüber unterhalten konnten,
was wir vorhatten. So hat es dann auch funktioniert. Es arbeiten tolle Leute dort, die den Stand des Archivs in- und auswendig
kennen und echt mit Herzblut schützen, was sie für schützenswert erachten. Das war auch ein Lernprozess für uns, zu respektieren,
dass etwas nicht immer so gehandhabt wird, wie wir uns das denken. Da steht nicht unbedingt Propaganda dahinter. Manchen ist
die Politik völlig egal, sie gehen davon aus, dass sie einen Schatz zu hüten haben und sie stellen sich vor die Tür. Wir saßen
mit denen zehn Mal in der Kantine und dann kam der Tag, wo es hieß: Wir haben da etwas, das euch interessieren könnte... Wir
haben da sehr viel Sergej Kachkin zu verdanken, der die komplette Archiv-Recherche für uns betreut hat. Er war das Bindeglied
zwischen unserem Unverständnis für das, was man russische Seele nennt, und er hat uns das Land beigebracht.
Über den Hund hinaus kommen noch weitere Tiere im Film vor: ein Schimpanse und zwei Schildkröten. Wie kam es zu dieser
Konstellation?
LEVIN PETER: Diese Tiere kamen erst spät in unsere Erzählung, weil wir erst sehr spät erfahren haben, dass ein Jahr vor der Mondlandung
zwei Landschildkröten um den Mond gekreist sind. In der Recherche kamen immer wieder kleine märchenhafte Geschichten auf uns
eingeprasselt und wir versuchten, sie ins heutige Moskau einzubauen.
ELSA KREMSER: Es war spannend herauszufinden, welche anderen Tierarten ebenfalls ins All geschickt worden sind. Von Schimpansen wussten
wir, es gab aber auch Ratten, Vögel, Spinnen, Salamander, Hasen, Katzen ... Es sollte auch ein märchenhafter Film werden.
Es hat uns eine Art Arche-Noah-Gefühl beschäftigt, das wir transportieren wollten. In unserer Recherche nach Schimpansen in
Moskau kam heraus, dass Schimpansen, aber auch Waschbären oder Panther häufig als Attraktion auf Kindergeburtstagen oder privaten
Partys verwendet werden. So haben wir einen Schimpansen mit seinem Showtrainer entdeckt und festgestellt, dass auch der Schimpanse
ein Stadttier geworden ist.
LEVIN PETER: Interessant ist auch, dass der Moskauer Schimpanse dem Entertainment zuzuordnen ist. Das ist eine gute Referenz darauf, dass
im Space Race der späten fünfziger und sechziger Jahre auch Entertainment und Massenbegeisterung für das Volk im Spiel war.
Wir glauben, zu einem immensen Anteil.
ELSA KREMSER: Es ist auch interessant, warum Laika ausgewählt wurde: ihr Gesicht war besonders schön schwarz/weiß gemustert und daher für
den Zeitungsdruck bestens geeignet. Schönheit war ein wesentlicher Punkt bei der Auswahl der Straßenhunde, abgesehen von körperlichen
Kriterien. Auch bei unserer Wahl der Straßenhunde für den Film ging es uns um Wirkung.
LEVIN PETER: Hunde, die ins All geschickt wurden, waren Biomassen, die an alle möglichen Maschinen angeschlossen, Daten lieferten. Dann
fand aber nochmals eine ganz andere Form der Ausnutzung statt, nämlich die repräsentative. Die Hunde, die ihre Reise ins All
überlebt hatten, waren die ersten Pop-Stars in der Sowjetunion. Kindern wurde an Schulen der Umgang mit Straßenhunden beigebracht,
weil die jetzt Helden waren. Eine Legendenbildung, von deren Härte wir erzählen wollten.
ELSA KREMSER: Es gibt kaum ein mehr mit Legenden behaftetes Tier als die Schildkröte. Der Mythos, dass eine Schildkröte die Erde als Scheibe
trägt, ist über den gesamten Planeten verteilt zu finden. Das war für viele Völker ein wichtiges Motiv. Dass Schildkröten
auch ins All geschickt werden und vom Mond aus auf die Erde blicken können, hielten wir für ein faszinierendes Sinnbild.
Nach viel Geduld und Dreharbeiten ist angesichts des Materials der Schnittphase gewiss eine große Bedeutung zugekommen. Welche
Überlegungen haben diese Phase bestimmt?
ELSA KREMSER: Die Schnittphase war alles andere als einfach, da wir unfassbar viel Material hatten. Wichtig war, dass man die Hunde unterscheiden
und ihre Beziehungen verstehen kann. Mit einem lockerer gewebten, essayistischen Film aus Beobachtungen und freien Szenen
hätten wir die Nähe zur Gruppe und zu ihrer sozialen Interaktion verloren. Das Rausfiltern, mit welchem Material man sichtbar
machen konnte, was sie untereinander erleben, war die große Herausforderung. Dann galt es, dieses Narrativ mit dem Archivmaterial,
der Geschichte von Laika und mit den anderen, weniger präsenten Hunden des Rudels zu verweben. Wir haben mit zwei Cuttern
zusammengearbeitet, mit Stephan Bechinger haben wir in der ersten Phase viel ausprobiert und eine erste Erzählung geformt.
In der zweiten Phase mit Jan Soldat ging es darum, die Geschichte auf den Punkt zu bringen, wo wir noch viel zu verträumt
an manchen Geschichten gehangen sind. Es war ein interessantes Wechselspiel. Das pur Dokumentarische mit dem geschriebenen
Märchenhaften zu verbinden und in Balance zu halten, war unser Ziel.
Wo auf dem Grat zwischen Fiktion und dokumentierter Realität würdet ihr euren Film nun einordnen?
LEVIN PETER: Das, was wir für das tiefe Erlebnis halten, nämlich uns von diesen Hunden durch die Stadt leiten zu lassen und ihnen zu begegnen,
halte ich für das purste Klassisch-Dokumentarische, was wir bis jetzt gemacht haben. Da ist nichts dazu erfunden, alles läuft
ohne Sprache ab.
ELSA KREMSER: Ich verstehe Zuschauer, die wissen wollen, ob das nun echt ist, was wir zeigen. Dennoch würde ich es vorziehen, wenn man
die Unterscheidung nicht treffen müsste. Es ist am Ende einfach ein Film. Eine träumerische Form mit einem kosmischen Erzähler,
dessen Text auf Fakten beruht, verbunden mit der Geschichte von echten Straßenhunden.
LEVIN PETER: Uns wäre am liebsten, wenn nur Film oder nur Märchen draufstehen würde. Ich glaube auch nicht, dass
eine Festlegung dem Film guttut, weil er in beide Richtungen die Erwartungen nicht erfüllen kann. Wer ins Kino geht und sagt,
ich schau mir einen Film an, der liegt genau richtig.
Interview: Karin Schiefer
Juli 2019