INTERVIEW

«Ein Gefühl von Haltlos-Sein.»

Moskaus unwirtliche Straßen und deren streunende Hunde haben Elsa Kremser und Levin Peter erneut inspiriert. In DREAMING DOGS bilden Dingo und seine obdachlose Herrin Nadja ein untrennbares Gespann, das die Filmmacher über drei Jahre hinweg in ihrem haltlosen Fortkommen begleitet haben. Vor dem unschönen Hintergrund eines wirtschaftlichen Existenzverlusts, entsteht eine Erzählung, die sich zur Gänze auf das Tier und seine Impulse einlässt und gewohnte Zuordnungen immer wieder abzuschütteln versucht.
 
 
 
DREAMING DOGS beginnt mit einer nächtlichen Autofahrt an der Moskauer Peripherie. Auf der Rückbank ein Hund, am Beifahrersitz eine Frau, die zum Himmel schaut und sagt: Look, there’s a star. In nur wenigen Momenten ist eine Verbindung zu Ihrem ersten Film Space Dogs aus dem Jahr 2019 hergestellt. Inwiefern besteht eine Weiterführung dieser ersten Arbeit?
 
ELSA KREMSER:
Die Entstehungsgeschichte von DREAMING DOGS ist zur Gänze aus Space Dogs gewachsen. Dieser Film enthält viel über die Verbindung zwischen Mensch und Tier, über ihren Blick auf uns, über unseren Blick auf sie. Während der Dreharbeiten zu Space Dogs haben wir bereits Nadja, die Hauptfigur von DREAMING DOGS, und ihren Hund Dingo kennen gelernt und gleichzeitig auch ein bisschen für dieses Projekt gedreht.
 
 
Stammen also die Bilder aus DREAMING DOGS aus denselben Drehphasen wie Space Dogs oder sind Sie zu einem späteren Zeitpunkt nach Moskau zurückgekehrt?
 
ELSA KREMSER:
Wir sind 2020 wieder hingefahren und haben viel Zeit dort verbracht. Wir haben da eine Dimension erlebt, die in Space Dogs nie den Raum hatte. In DREAMING DOGS geht es um das pure Miteinander-Sein von Mensch und Tier.
 
LEVIN PETER:
Es gibt ganz wenige Bilder, die wir schon zuvor gedreht hatten. Im Gegensatz zu Space Dogs gibt es in DREAMING DOGS eine Chronologie, die sich aus der Jahreszeit ergibt. Alles, was grün ist, kommt eher aus der Space Dogs-Zeit, alles andere aus dem neuen Dreh. In Space Dogs geht es um das Bändigen. Jede Szene handelt davon, dass das eine Lebewesen versucht, das andere in den Griff zu kriegen und in eine Bahn zu lenken. Insofern ist DREAMING DOGS eine Weiterentwicklung, weil es viel um Abhängigkeit geht. Wenn man sich einmal gegenseitig gebändigt hat, entsteht ein neuer Zustand – der der Abhängigkeit, mit dem man erst klarkommen muss. In DREAMING DOGS geht es in jeder Szene, auch um den Versuch, sich daraus zu befreien.
 
 
In DREAMING DOGS folgt Ihre Kamera nicht nur streunenden Hunden, sondern auch Menschen ohne Obdach. Welcher Hintergrund hat Sie zu diesem Kontext zwischen Mensch und Tier geführt? Geht es auch um eine Schutzlosigkeit?
 
LEVIN PETER:
Ich glaube, in Russland ist jeder schutzlos. Egal, ob jemand auf der Straße oder in einem Zuhause lebt. Die Obdachlosigkeit war für uns nie so vordergründig. Wir hatten das Gefühl, diese Menschen haben bewusst diesen Weg gewählt, wenn auch aus einer Not heraus. Wenn wir sie fragten, ob sie sich vorstellen könnten, in einer Wohnung zu leben, haben sie verneint.
 
ELSA KREMSER: Wir haben die Obdachlosigkeit eher als eine Art, ohne fixen Ort zu leben, betrachtet. Das betrifft in Russland viele Leute, die kein festes Zuhause haben. Die Bedrängung durch den Staat zwingt die Leute dazu, sich immer weiter zu bewegen, im Fall unseres Films gemeinsam mit den Tieren zusammen. Es ist ein Faktum, dass es keinen festen Platz gibt und es immer fließt.
 
LEVIN PETER: Rastlosigkeit haben wir in Russland in allen Schichten erlebt. Menschen, die Geld haben, werden umso rastloser, weil sie das Gefühl haben, das könnte von heute auf morgen vorbei sein. Und so ist es auch, auch wenn man zu den Reichsten der Gesellschaft gehört. Daher hatten wir das Gefühl, in diesem Land kommt niemand zur Ruhe. Dafür gibt es leider keinen Raum …...
 
ELSA KREMSER: …... und keine Sicherheit. Weder der Hund noch diese Frau können sich auf irgendetwas verlassen.
 
 
DREAMING DOGS enthält eine Intro, die mit Once upon a time ... … beginnt, auch wenn es auf sehr Faktisches Bezug nimmt – die Schließung der Fabriken und den Verlust der Arbeit für viele Menschen. Warum gibt es in diesem märchenlosen Zustand einen Verweis das Genre des Märchens?
 
ELSA KREMSER:
Wir haben diesen Film über mehrere Jahre gedreht und das Material über längere Zeit gesammelt. Auch in den Nachbesprechungen mit Nadja haben wir gemerkt, dass, egal wie immer noch schlimmer die Situation politisch wird, Zeit so unwichtig zu sein scheint. Es ist immer alles in Bewegung. Diese in nichts verankerte Zeitlosigkeit hat uns einen noch freieren Blick als bei Space Dogs eröffnet, damit ein loses, viel experimentelleres Gewebe möglich war. Wir haben sehr viel Zeit mit der Gruppe an Menschen verbracht und einiges ist von deren Träumen inspiriert. Die Autofahrt z.B. Wir wollten, dass sie sich die Vorstellung von einem normalen Moskauer Leben erträumen dürfen. Vielleicht ist der Traum der einzige Ort, wo man eine Sicherheit empfinden kann.
 
 
Haben Sie mit diesen Menschen über ihre Lebensträume oder ihre geträumten Träume gesprochen?
 
LEVIN PETER:
Nein, daran kann ich mich nicht erinnern. Das Schöne für uns war in der vielen Zeit, die wir mit der Gruppe verbracht haben, dass es immer nur ums Unmittelbare ging. Wir haben lange versucht, Wege zu finden, dass man beim Sehen des Filmes ein Gefühl dafür bekommt, wie sie vielleicht mal gelebt haben. Versuche von uns, etwas biografischer zu werden, haben sie immer abgelehnt. Deren Leben und das der Hunde läuft immer unmittelbar vor der Nase ab. Das hat auch etwas sehr Ungezwungenes. Sie hatten jeden Morgen dasselbe Problem, nämlich wie kommt man ans Nötigste, um den Tag überhaupt durchzustehen. Am Abend am Feuer lassen sie das kurz Revue passieren. Und dann geht es schon wieder um den nächsten Morgen.
 
ELSA KREMSER: Bei dem Leben, das sie führen, geht es nicht um Weitsicht oder Planung. Das hat sich über die Jahre hinweg überhaupt nicht verändert. Alle Einflüsse von außen, seien es nun Corona oder der Kriegsausbruch, scheinen für sie so unwichtig, weil sich alles nur um ihren engsten Raum dreht. Die aufgelassenen Fabriken sind für sie der Mikrokosmos, in dem sich alles abspielt.
 
 
Worin besteht dieser Mikrokosmos?
 
ELSA KREMSER:
Wir haben im Zeitraum von 2017 bis 2020 immer wieder gedreht. Diese Fabriken sind ein riesiges Brachengelände, wo viele Leute Unterschlupf finden. Es sind dort viele Menschen und Hunde, ähnliche Gruppierungen, die versuchen, fast nomadisch zu überleben. Es sind lauter Menschen, die nicht unbedingt direkt durch die Fabriksschließungen, aber durch die wirtschaftlichen Umwälzungen im Land seit den neunziger Jahren auf der Straße gelandet sind.
 
 
Wie ist Nadja eure Protagonistin geworden?
 
LEVIN PETER:
Das war schnell klar. Ihre Situation der Abhängigkeit erschien uns am stärksten. Es bestand eine so unglaublich starke Bindung an Dingo, ganz egal, wieviele andere Hunde und Menschen um sie herum waren. Sie hat uns mehrmals erzählt, dass ihr alles rundherum weniger wichtig war als das Zusammenleben mit diesem einen Hund. Es war interessant, dass sie alles in diesen Hund projizierte, fanden es aber auch gefährlich. Diese Umklammerung nimmt ihr selbst ebenso die Luft wie dem Hund und entfernt sich immer weiter von der Möglichkeit, mit einem Menschen länger Zeit zu verbringen oder in ein soziales Umfeld zurückzukehren.
 
ELSA KREMSER: Auf Nadja sind wir eigentlich durch Dingo gestoßen. Wir sind ihm gefolgt und so in dieses Lager gelangt. Das war der Schlüssel. Es war nicht einfach, Obdachlose anzusprechen. Wir waren nie Voyeure, die an einem bestimmten Leben interessiert waren, sondern an diesem Tier und seinem Zusammenleben mit diesen Menschen. Dingo war unser Hauptanknüpfungspunkt, mit ihm wollten wir primär Zeit verbringen.
 
 
 
Streunenden Tieren einfach zu folgen, hat etwas von einem sehr puristischen dokumentarischen Ansatz, insofern als sie nicht wirklich steuerbar sind und praktisch wenig Kommunikation möglich ist. Wie können streunende Hunde grundsätzlich zu Protagonist:innen werden?
 
ELSA KREMSER:
Wir haben mit Space Dogs so zu arbeiten begonnen, dass wir nichts beeinflussen wollten, gleichzeitig sind wir sehr kontrollierende Regisseur:innen. Wir haben eine relativ genaue Vorstellung davon, wohin es gehen soll. Bei DREAMING DOGS waren wir ein bisschen freier, weil der Film eher auf uns zugekommen ist, als dass wir ihn aktiv gesucht hätten. Wir haben mit Nadja dennoch sehr viel besprochen und klare Entscheidungen getroffen, welche Teile uns interessieren. Wir haben uns an Dingo orientiert und gefragt: Was interessiert ihn? Wo reagiert er besonders stark? Was bringt ihn extrem in Unruhe? Dem sind wir gefolgt.
 
 
Wie haben Sie sich diese Gefolgschaft an Hunden verschafft?
 
LEVIN PETER:
Interessanterweise war es mit diesen Hunden schwieriger als im dem Space-Dogs-Rudel, wo es keine Menschen gab, die die Hunde von uns abgelenkt haben. Dingo ist ja uns nicht gefolgt. Er hat sich auch nicht so sehr auf die Kamera eingelassen, egal, wie lange wir mit ihm gedreht haben, er hat immer noch geguckt, wohin Nadja geht. Wir mussten uns am Hund-Mensch-Gebilde orientieren, was technisch grundverschiedene Voraussetzungen bedeutete. Man konnte mit ihm wunderbare Bilder machen, wenn er sich neben Nadja sicher gefühlt hat. Wenn er ohne sie war, war er aufgeregt und dann war das Drehen mit ihm sehr schwer. Wir mussten zunächst lernen, wie bewegen sich Nadja und er zusammen und wie lässt sich das am besten abbilden. Wir hatten den Eindruck, dass er lange beobachtet hat, wie wir mit ihr umgehen. Als er das Gefühl hatte, wir sind gut zu ihr, hat er uns herangelassen. Gefühlt ist die Hauptintention dieser Hunde, ständig diese Frau zu beschützen. Alles orientiert sich an ihr.
 
ELSA KREMSER:
Wie auch bei Space Dogs war unser Hauptfaktor Zeit. Es hat sehr lange gedauert, bis uns Nadja und die Gruppe wirklich vertraut und verstanden haben, was unsere Intention war. Sie fragten sich natürlich, was will ein europäisches Filmteam von uns. Ähnlich war es bei den Hunden, die einen Beschützerinstinkt hatten und annehmen konnten, dass wir den Menschen und dem Ort schaden könnten. Wir haben gewiss ein Jahr an der Anbahnung gearbeitet, waren regelmäßig dort und erst dann haben wir zu drehen begonnen. Wir hatten die Kamera mit dabei und haben getestet und gesehen, wie anders diese Hunde reagieren im Gegensatz zu den echten Straßenhunden. Wenn Nadja und Dingo ruhig geblieben sind, dann waren es die anderen auch. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier haben wir nirgendwo anders in dieser Form gefunden.
 
 
Wie kann man sich die Kameravorrichtung vorstellen, mit der Yunus Roy Imer den Hunden auf ihrer Augenhöhe gefolgt ist. Wie konnten Sie sich als Team mitbewegen, ohne tierisches Misstrauen zu erregen?
 
ELSA KREMSER:
An der Kameratechnik hat sich seit unserem letzten Film nichts Grundsätzliches verändert. Die Kamera mit einem Stabilisierungssystem musste extrem leicht sein, um mit der Hand gehalten werden zu können. Wir drehen lange oder warten sehr lange, bis wir drehen. Die Schwierigkeit in der Bildfindung war, mit Roy zu entwickeln, wann und wie man den Menschen mal in die Augen schaut, obwohl wir praktisch nie auf ihrer Augenhöhe sind. Wie schälen sich die Menschen aus dem Hintergrund langsam in den Vordergrund, wenn man prinzipiell mit den Hunden ist. Wichtig war, dass die Menschen nicht Überhand nehmen, sondern dass sie wirklich miteinander eine Rolle spielen und dennoch der Hund leitet.
 
LEVIN PETER: Wir waren immer fünf. Unser Kameramann brauchte eine Kameraassistenz – das war ein Filmemacher von dort, der auch Anfragen von Behörden und auch Übersetzungen regeln konnte. Dazu kam Ton und wir beide, wir hielten mit jeweils einem Monitor oft in zehn, zwanzig Meter Abstand.
 
ELSA KREMSER: Die Drehsituation zu verstecken hätte in unserer Arbeitsweise gar nichts gebracht. Wir wollten den Leuten ein klares Gefühl geben, dass jetzt ein Drehtag war. Das begann mit der Verkabelung. Wir wollten eine durchschaubare Offenheit. Das hat ein stärkeres Bewusstsein für unser Tun vermittelt.
 
LEVIN PETER: Nadja hat sich immer mehr als Schauspielerin gefühlt. Verabredungen mit ihr funktionierten mehr oder weniger. Es war also manchmal ungewiss, ob wir sie vorfinden würden. Ihre erste Frage war immer Was machen wir heute?.  Ich habe ihre Frage auch immer als etwas wie Was stelle ich heute dar? interpretiert. Oft haben wir sie gefragt: Was hast du denn vor? Einmal haben wir sie beim Einkauf begleitet, wo die schöne Szene entstand, in der das Rudel auf verfeindete Hunde trifft. Dann gab es wieder Geplanteres. Sie hatte uns erzählt, dass sie manchmal in Wohnungen geht und für eine Weile verschwindet. Da wollten wir mal dabei sein.
 
ELSA KREMSER: Sie hatte dadurch auch ein größeres Selbstbestimmungsrecht. Wir haben mit ihr reflektiert, in welcher Form sie sich vorstellen kann, gesehen zu werden. Wir wollten ihr nicht etwas nehmen, sondern gemeinsam Zeit verbringen, in der sie einen Sinn sieht. Es war schön mit ihr gemeinsam etwas zu erleben, das ihr Spaß macht und wo sie sich einbringen konnte.
 
LEVIN PETER: Sie erzählt ja auch herum Ich bin Schauspielerin und wir fanden das gut, wenn sie selbst das Gefühl bekommt, dass das nicht ihr Alltag ist, den wir mit ihr drehen, sondern etwas Erfundenes. Wir halten das für unsere Arbeit im dokumentarischen Bereich für die ehrlichere Herangehensweise, zu sagen Wir machen hier Kino und tun nicht so, als wären wir gar nicht da und filmen heimlich ein bisschen mit. Das ist transparenter ihr gegenüber.
 
 
Einige Male lassen Sie mit doppelten Belichtungen Traumsequenzen entstehen. Welche Überlegungen gab es dazu?
 
ELSA KREMSER:
Konkret entstanden sind diese doppelt belichteten Sequenzen schon bei der anfänglichen Autofahrt. Die Gruppe hatte den Traum, dass ihr geliebtes Auto noch einmal durch Moskau fahren kann, was unrealistisch war, weil der Motor verkauft und die Reifen untauglich waren. Die Idee der Doppelbelichtung hat etwas mit der Ermöglichung von Träumen zu tun. Dingo ist dann in der Tat für eine Woche verschwunden und Nadja und wir fürchteten, dass er tot sei. In der zweiten Traumsequenz erzählen wir, dass er lebt und wieder zurückfindet. Der dritte Traum ist der Traum von der ehemals vereinten Gruppe, nachdem Nadja all ihre nahen Menschen verloren hat. Es stecken sehr simple Motive in den Träumen, es sind für uns Übergangsstellen, wo offenbleibt, ob das Tier träumt oder ob man als Zuschauer träumt.
 
 
Nadja macht deutlich, wie Tiere sofort zu Projektionsflächen für uns Menschen werden. Entstand das Narrativ zu DREAMING DOGS in der Montage? Ergab es sich im Zuge Ihrer Beobachtungen oder haben auch Sie Ihre Bilder mit erzählerischen Projektionen belegt. 
 
ELSA KREMSER:
Wir haben versucht, Freiräume zu schaffen, dass man an einen Punkt gelangt, wo die Logik keine Rolle mehr spielt. Da Menschen eine zentrale Rolle spielen, war immer die Gefahr, dass der Film in eine zu narrative, zu biografisch-soziale Richtung rutscht. Es ging uns um eine Kreisbewegung, um ein loses Konstrukt. Wir haben sehr lange geschnitten, weil das Material viele andere Filme beinhaltet hat. Zu diesem freien Blick zu kommen, war schwieriger als bei Space Dogs, weil man als Mensch in seiner Sehkonvention schnell verleitet wird, nicht nur Hunde zu deuten, sondern auch Menschen einzusortieren. Man sucht nach Erklärungen, nach Verbindungen. Diese Fragen wollten wir klein halten, damit der Blick an verschiedenen Stellen frei wird für ein Gefühl von Streunen, von Herumziehen und Haltlos-Sein, auch von Bedroht-Sein. Eine Schwierigkeit im Schnitt war auch die, dass Mensch und Tier konkurrieren, das ist undankbar. Eine interessante und neue Frage für uns war die, wie wir uns von den Projektionen auf Menschen befreien und gleichzeitig für die Menschen vor der Kamera den Blick frei halten.
 
LEVIN PETER: Uns hat ja mehr interessiert, Was denkt der Hund? Wovon träumt er? Wie sieht er uns Menschen? Da muss man lange darauf hinarbeiten, dass man sich überhaupt diese Gedanken stellen kann, wenn man den Film sieht. Sobald wir als Zuschauer:innen emotional an etwas anknüpfen können, ist der freie Raum, den wir aufgebaut haben, wieder weg. Der Tag, an dem Nadja in diesem Haus verschwand, war einer der spannendsten Tage für uns, weil für uns völlig offen war, wie Dingo sich verhalten würde. Unsere Phantasien wurden übertroffen. Roy hat mit diesen wenigen Sekunden, die man nie mehr wiederholen kann und obwohl es so lange bis dorthin gedauert hat, unser Lieblingsbild eingefangen, nämlich als der Hund so lange diese Tür, hinter der Nadja verschwunden ist, anguckt und sich nicht rührt. Man hat plötzlich unheimlich viele Fragen an dieses Tier im Kopf. Auf so einen Moment arbeiten wir hin.
 
 
Oft etablieren nur Geräusche eine Szene. Warum spielt die Soundebene eine so essenzielle Rolle?
 
ELSA KREMSER:
Mit Jonathan Schorr arbeiten wir seit vielen Jahren zusammen. Wir haben während des Drehs viele Töne gesammelt. Geräusche haben uns deshalb so interessiert, weil sie im Unterbewussten nochmals andere Dinge auslösen. Das endlose Streifen und Ziehen der Tiere wird besonders durch die Töne erzählbar.
 
LEVIN PETER: Wenn ich den Film durchdenke, dann finde ich, dass die größten Brüche der Ton macht und nicht das Visuelle. Ganz Moskau steckt in unserer Tonebene, die Stadt ist in einer Wildheit da, die es so an einzelnen Orten nicht gibt.
 
 
Sie sind schon am Schnitt ihres nächsten Films Der grüne Wellensittich, wo Sie ebenfalls mit Laien gearbeitet haben. Wie sehr ist möglicherweise aus einer Idee zu einem Experiment, Space Dogs, ein eigener Stil des Filmemachens geworden?
 
ELSA KREMSER:
Die Idee zum Spielfilm ist genau genommen schon vor Space Dogs entstanden. Alle drei Arbeiten befruchten und verändern einander gegenseitig. Space Dogs war unsere erste gemeinsame Regiearbeit und wir verstehen Stück für Stück immer mehr, wohin wir uns als Filmemacher:innen bewegen wollen, was und vor allem wie wir erzählen wollen.
 
LEVIN PETER: Unseren Stil kann ich nicht benennen, weil wir’s nicht so gerne definieren. Wir haben nie in einem nächsten Film weiter exerziert, was in einem früheren Film gut funktioniert hat. Wir beginnen jedes Mal wieder von vorne.
 
ELSA KREMSER: Oder wir haben nach den Erfahrungen aus den letzten Projekten primär danach gesucht, wo wir in der Arbeit die größte Freude hatten, sei es am Inszenieren, sei es am Schneiden, aber auch, An welchen Stellen/in welchen Gefühlsebenen haben wir die größte Freude im Wahrnehmen des eigenen fertigen Films?
 
LEVIN PETER: Beim Drehen für unseren Spielfilm letzten Sommer oft an Nadja gedacht, weil wir mit ihr inszenierend gearbeitet haben, wie wir es vorher noch nie getan hatten. Das hat uns bestärkt. Zu Beginn haben wir eine Frau vorgefunden, die gar nicht wusste, was sie mit ihrem Tag anfangen sollte. Wir hatten keine Lust zu warten, bis sich etwas tut, sondern wir hatten konkrete Vorstellungen, was wir von der Drehzeit dort wollten, und mussten sie lenken und überreden.
 
ELSA KREMSER: Überreden aber zu etwas, von dem wir dank des jahrelangen Kennenlernens  wussten, dass es existiert. Das hat sich sehr in den Spielfilm getragen, weil wir unsere Protagonist:innen auch über lange Zeit kennengelernt haben. Das Spielfilm-Drehbuch hat sich aus acht Jahren Erfahrungen zusammengefügt.
 
 
DREAMING DOGS ist der erste Film, den Sie auch selbst geschnitten haben. Wie unterschied sich diese Erfahrung von Space Dogs?
 
LEVIN PETER:
Ans Leben gedacht, war es schön, den Film selber zu schneiden, weil wir unsere Arbeit sehr gut eintakten konnten. Wir leben zusammen, da war es sehr angenehm zu sagen, jetzt nehmen wir uns Zeit für den Schnitt, ohne uns mit jemandem absprechen zu müssen.
 
ELSA KREMSER: Es war ein Lernprozess und eine wichtige Erfahrung. Wenn man gewohnt ist, mit einem:r Editor:in zu arbeiten, dann glaubt man gerne, dass sie die Lösung immer parat haben müssten. Ich hatte in den schwierigsten Schnitt-Zeiten von Space Dogs, den Wunsch oder Traum, dass unser Editor die Situation rettet. DREAMING DOGS bedeutete eine Selbstkonfrontation, mit den eigenen Fehlern, den Schwierigkeiten im Material und dem langen Hinarbeiten auf das, was man eigentlich erzählen will. Das war gewiss wichtig für unser zukünftiges Zusammenarbeiten mit jemandem in der Montage. Es hat uns sehr entspannt.


Interview: Karin Schiefer
Mai 2024
 
 
 





«Wir versuchen, an einen Punkt zu gelangen, Logik keine Rolle mehr spielt. Da Menschen eine zentrale Rolle spielen, war immer die Gefahr, dass der Film in eine zu narrative, zu biografisch-soziale Richtung rutscht. Es ging uns um eine Kreisbewegung, um ein loses Konstrukt.»