Pinkafeld ist eine österreichische Kleinstadt, in deren Gemeinderat die SPÖ die absolute Mehrheit hält. Pinkafeld ist auch
die Hauptstadt des FPÖ-Politikers Norbert Hofer, dem die rote Gemeinde bei der Bundespräsidentenwahl mit 70% den Vorzug gab.
Die Filmemacherin Elke Groen konstatierte neben der wachsenden Polarisierung in der Gesellschaft ein völliges Verschwimmen
ideologischer Linien im Wahlverhalten der Menschen. Der schönste Platz auf Erden ist ein Versuch zu verstehen.
Sie haben Der schönste Platz auf Erden in der burgenländischen Kleinstadt Pinkafeld gedreht. Als wie turbulent sich die österreichische Innenpolitik im Laufe der
Drehzeit erweisen würde, konnte man ursprünglich nicht ahnen. Welche Gründe haben Sie ursprünglich diesen Ort auswählen lassen?
Welche thematische Schlagrichtung stand am Beginn dieses Filmprojekts?
ELKE GROEN: Im September 2016 entstand bei mir der Eindruck, dass sich durch den Wahlkampf zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert
Hofer um das Amt des Bundespräsidenten die Polarisierung der Gesellschaft stark zuspitze. Das hat mich sehr stark an den Aufstieg
von Jörg Haider Mitte der neunziger Jahre erinnert. Kurz entschlossen wollte ich einen Kurzfilm zum letzten und ausschlaggebenden
Wahlgang machen, um diese Stimmung festzuhalten. Die Gespräche haben sich dann aber als so spannend entpuppt, dass ich da
Potenzial für einen längeren Film sah. Uns so blieb ich am Thema dran und habe ein Langfilmkonzept entwickelt.
Ist die Wahl des Drehorts ausschließlich deshalb auf die burgenländische Kleinstadt Pinkafeld gefallen, weil es die Stadt
des Kandidaten Norbert Hofer war, oder gab es auch andere Beweggründe?
ELKE GROEN: Pinkafeld stand im ersten Wahlgang zu 70% hinter Norbert Hofer. Im Gegensatz dazu erfuhr ich, dass die Gemeinde mit einer
absoluten Mehrheit von der SPÖ regiert wird. Da begann mich zu interessieren, wie es heutzutage um die Wertedebatte der Parteien
steht und wie es aussieht, wenn ein Lokalpolitiker Identitätsfragen aufwirft.
Die Möglichkeit, dass ein FPÖ-Politiker in Österreich Bundespräsident werden könnte, hat internationale Medien in den kleinen
Ort gebracht. Die Aufnahmen davon verweisen auch darauf, wie sehr kurzfristige Medienaufmerksamkeit ein bestimmender Faktor
in der Meinungsbildung geworden ist. Ihr Kamerablick beobachtet diese Journalistenteams mit Ruhe und Distanz angesichts des
hektischen Bemühens um Fotos und schnelle Antworten. Stehen diese Bilder auch für einen Wunsch einen medialen Gegenentwurf
zu den gängigen Quellen der Meinungsbildung zu bieten?
ELKE GROEN: Beim Filmen funktioniert vieles sehr intuitiv. Natürlich spielt die Frage nach der Funktion der Medien eine Rolle. Ein wichtiger
Aspekt in Pinkafeld war auch der, dass die Bevölkerung nach dem ersten Wahlgang zur Bundespräsidentenwahl in den Medien verunglimpft
wurde. Die Menschen sind zu Beginn dem Medieninteresse sehr offenherzig begegnet, die haben aber eher eine Linie verfolgt,
die Menschen dort mit einem rechten Etikett abzustempeln. Die Wahlmotive waren auf alle Fälle eine meiner Grundfragen, weil
ich alles zusammen nicht verstehen konnte und es nachvollziehen wollte.
Ihre ersten Einstellungen zeigen nur Gebäude und Stimmen aus dem Off. Die Menschen lernen wir erst später kennen. Hat das
etwas mit ihrer eigenen Annäherung an den Ort zu tun? War es Ihnen auch wichtig, den Ort in seiner Schnittstelle zwischen
ländlichem und städtischem Raum sichtbar zu machen?
ELKE GROEN: Es war von Beginn an mein Konzept, dass der Film so anfangen würde. Für mich war die Frage: Wer lebt hinter diesen Mauern
und was denken sie sich? Da ich in Pinkafeld niemand kannte, und auch keine Zeit für Recherche hatte, habe mich dann einfach
unter die Leute gemischt. Fest stand, dass ich nicht in Wohnzimmern verweilen, sondern vielmehr die Räume zeigen wollte, wo
sich die Menschen treffen, miteinander reden. Ich hatte mich aus ganz anderen Motiven mit meiner Kamera nach Pinkafeld aufgemacht
als die vielen Journalistenteams und hatte weder damit gerechnet, dass ich eines von hundert Kamerateams sein würde, noch
dass die Bevölkerung so eine ablehnende Haltung hatte. Tja, was jetzt? Ich habe den Menschen dann erklärt, dass ich mit ihnen
diskutieren will und dieses „In-eine-Schublade-Stecken“ endlich aufhören sollte. Viele hielten das für eine gute Idee und
waren bereit, mitzumachen.
Mit welcher Fragestellung haben Sie sich an die Lokalpolitiker gewendet?
ELKE GROEN: Die Frage nach ihrem Heimatbegriff und ihre Wahrnehmung zur Polarisierung im Ort. Wobei man sagen muss, dass sie sich ihrer
Rolle bewusst sind, insofern ist es etwas anderes, mit Menschen zu sprechen, die darauf achten, wie sie in der Öffentlichkeit
wirken. Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich bei diesen Politikergesprächen bei meinen eigenen Vorurteilen ertappt worden
bin. Man hat so seine Vorstellungen, was ein SPÖ- und was ein FPÖ-Politiker sagen wird. Der rote Bürgermeister gab sich korrekt,
neutral und erzählte aber auch, dass es mit den Migrant*innen doch einige Schwierigkeiten gäbe. Der FPÖ-Obmann war extrem
offen und der ÖVP-Obmann hatte eine sehr christliche Einstellung. Er hat ganz klar für Humanismus und gegen Verhetzung Position
bezogen. In gesellschaftspolitischen Überlegungen war er sehr viel offener als der SPÖ-Bürgermeister. Das war eine interessante
Entdeckung. Mein Zugang war davon bestimmt, dass ich mich langsam annähern wollte. Die Fragen, die mir wirklich am Herzen
lagen, habe ich viel später gestellt. Zunächst einmal wollte ich sie kennenlernen und eine Beziehung anbahnen.
„Ist es unangenehm, eine Hofer-Wählerin zu sein“, stellen Sie einer Protagonistin als Frage, die diese umgehend bejaht. War
es eines ihrer konkreten Motive, Hofer-Wählerinnen zu verstehen? Wie entstand die Bereitschaft, vor der Kamera zu sprechen?
ELKE GROEN: Ein Grund, weshalb ich mich sehr schnell dazu entschieden habe, mich auf Pinkafeld zu konzentrieren, war dieser Mikrokosmos,
der einerseits repräsentativ, gleichzeitig klein und überschaubar ist. Das Kennenlernen der Leute ist sehr schnell gegangen.
Die Menschen im Burgenland sind sehr offen. Der entscheidende Punkt bei der Auswahl meiner Protagonist*innen war, dass ich
Menschen gesucht habe, die sich ihre eigenen Gedanken machen. Es gibt genug Reportagen über die klassischen FPÖ-Wähler und
ihre Sager. Ich wollte reflektierte Menschen treffen und mit Leuten drehen, die sich darauf einlassen wollten.
Hätten Sie gerne auch jemanden vor der Kamera gehabt mit extremeren Haltungen?
ELKE GROEN: Nein. Der Rechtsruck, der in Österreich bzw. in ganz Europa passiert, geht ja nicht auf diese extremen Haltungen zurück.
Er wird von einer breiten Mitte getragen. Die interessieren mich, weil sie wirklich etwas umwälzen.
Wie sehr haben Sie Ihre Gesprächspartner*innen letztlich in ihren Reflexionen erstaunt?
ELKE GROEN: Corinna hat mich immer wieder überrascht. Was mir an ihr so gefallen hat, war, dass sie zu allem, was sie gesagt hat, eine
persönliche Geschichte hatte. Da gab es keine Phrasen aus der Zeitung. Was sie sagt, hat sie sich selber überlegt. Als wir
uns dann besser gekannt und uns im Jagdstand getroffen haben, da hat sie mich wirklich überrascht, dass sie so emanzipiert
ist. Natürlich war das schon vorher spürbar, aber dass sie so eine „Frauenrechtlerin“ ist, das hat mich echt erstaunt.
Weihnachtsfest, Faschingsfest, Maibaumaufstellen, Gartenfest, Kuh-Bingo am Fußballplatz, Krampuslauf. Sie haben versucht,
den Jahreskreis des Kleinstadtlebens über Ereignisse zu erzählen, die mit der Tradition und dem Brauchtum verbunden sind und
auch mit einem Erleben von Gemeinschaft. Warum haben Sie diese Ereignisse zum Anlass für Drehs gewählt?
ELKE GROEN: Diese Ereignisse festzuhalten, gehörte immer zu diesem Film. Mich interessierte die Frage: Wie funktionieren diese alten Traditionen
im heutigen Kontext? Das sieht man besonders schön am ersten Mai. Und dann auch das Thema der österreichischen Identitätssuche,
für die man Dinge wiederbelebt, ausgräbt oder im Fall vom Krampus überhaupt neu stattfinden lässt. Denn der Krampuslauf hat
im Burgenland überhaupt keine Tradition. Wie am Land generell ist dort halt nicht sehr viel los und bei diesen Events kommen
die Leute gern zusammen. Ansonsten spielt sich das Gemeinschaftsleben in den Gasthäusern ab, das ist aber sehr männlich dominiert.
Wichtig als Gesprächspartner*innen sind der Disco-Betreiber, der Roma ist und der sich trotz heftiger Diskriminierung seinen
Platz in der Gesellschaft erkämpft hat. Und die syrische Familie Belal, die ihre ersten Jahre in Österreich in Pinkafeld erlebt,
die heimisch geworden ist und auch wieder nicht. Wie situieren Sie sie im Kontext des Films?
ELKE GROEN: Bei Hansi, dem Disco-Besitzer, hatte ich den Eindruck, etwas ausgegraben zu haben. Manchmal vergisst man ja auch gerne und
schnell. Es war nicht mehr im Bewusstsein der Pinkafelder, dass es da vor dreißig Jahren ein Problem und im Burgenland auch
ein tödliches Attentat gegen Roma gegeben hat. Seine Geschichte hat vor Augen geführt, wie sich der Mechanismus von Ressentiments
immer wiederholt. Hansi erzählt das sehr offen und es scheint ihm leicht zu fallen, darüber zu reden, auch weil es für ihn
abgeschlossen ist. Die Familie Belal ist Teil des Films, weil ich es sehr interessant gefunden habe, dass es ein Projekt in
Pinkafeld gab, wo sehr engagiert mit Geflüchteten gearbeitet wurde. In dieser Initiative, die auch einen Preis gewonnen hat,
haben sich fast 200 Leute um die 100 Geflüchteten, die im Ort wohnten, gekümmert. Jede Familie hatte einen einheimischen „Buddy“,
der solange es Sprachprobleme gab, mit der Schule in Kontakt war; es gab kostenlose Lernbetreuung und man hat die Kinder in
die Freizeitaktivitäten einbezogen. Ich habe dieses vorbildliche Bemühen um Integration immer wieder thematisiert. Meine Gesprächspartner*innen
meinten, dass es in dieser überschaubaren Ortsgröße ja einfach sei, dass es aber im großen Ganzen in Österreich nicht funktioniere.
Das war ein interessanter Punkt, denn meistens wird bei fremdenfeindlichen Äußerungen mit schlechten Erfahrungen im allernächsten
Umfeld argumentiert. Hier ist es umgekehrt.
Die politische Landschaft von Pinkafeld erscheint in zweifacher Hinsicht interessant: Die Norbert-Hofer-Stadt hat einen roten
Bürgermeister mit absoluter Mehrheit und einen Gemeinderat, in dem alle Farben inklusive grün und pink vertreten sind. Letztlich
erweist sich diese Stadt, die ein Image als „Hochburg der Blauen“ hat, als Ort der gelebten Demokratie. Gleichzeitig wird
die Irrationalität von Wahlverhalten deutlich, wenn auch Menschen konträrer politischer Haltungen Hofer als Bundespräsidenten
wählen, weil er ein „Sohn der Stadt“ ist.
ELKE GROEN: Genau deshalb erscheint mir Pinkafeld als repräsentativer Mikrokosmos für etwas Größeres. Es lässt sich in Österreich ebenso
wie in anderen europäischen Ländern festmachen, dass es bei Wahlen in keiner Weise mehr um Inhaltliches geht. Es geht um Persönlichkeiten,
die sich gut vermarkten. Was liegt gerade im Trend? Ist man gerade für Ausländer oder gegen Ausländer? Für Sparen oder gegen
Sparen? Für mich hat sich sehr gut gezeigt, dass Wahlen das Ergebnis einer PR-Maschine sind. Es gewinnt der, der den besseren
Werbe-Manager hat und der, der vom Boulevard mitgetragen wird.
Dass sich der rote und der blaue Gemeinderat vor meiner Kamera den Arm über die Schulter legen, hat auch mit einer burgenländischen
Besonderheit zu tun. Es hat hier auf Landesebene eine rot-blaue Koalition gegeben. Wenn man nur die Bundespolitik betrachtet,
wirkt das wie ein No-Go, im Burgenland ist das nichts Außergewöhnliches. In der Gemeindepolitik kommt viel stärker zum Ausdruck,
worum es in der Politik eigentlich gehen sollte. Im Vordergrund steht die Frage „Geht es dem Dorf gut?“, d.h. es geht um Pragmatisches
und nicht um Ideologisches.
Ein tristes Bild vom Status der Sozialdemokratie zeigt sich in den Bildern vom 1. Mai, wo der Redner darüber referiert, dass
die ungarischen Arbeitskräfte den österreichischen die Arbeit wegnehmen. Keiner hört ihm wirklich zu. Was hat Ihrer Meinung
nach der Sozialdemokratie scheinbar dauerhaft ihr Fundament entzogen?
ELKE GROEN: Eine meiner anfänglichen Fragen war die Polarisierung. Das hat im Kontext der Bundespräsidentenwahl Blau /Grün betroffen.
Durch die Vorkommnisse danach hat sich meine Frage dahin verlagert, was in Österreich mit der Sozialdemokratie passiert ist.
Man schimpft gerne auf die FPÖ, aber wo sind die Ursprünge dieser Trendumkehr? Sind es nicht vor allem die Fehler der Sozialdemokraten?
Hätten sie nicht so ein Loch hinterlassen, wäre es vielleicht nicht möglich gewesen, dass die FPÖ so sehr Fuß fasst. Ich glaube,
dass Franz Vranitzky mit dem so genannten Nadelstreif-Sozialismus die Basis verlassen hat. Das hat die FPÖ sehr gut genutzt,
Jörg Haider hat den Menschen wieder die Hände geschüttelt. Die Schacherei der Roten und Schwarzen mit Posten und Wohnungen,
alles mit dem Parteibuch, das hat bei vielen das Gefühl erzeugt, dass da jemand komplett abgehoben ist. Da hat sich bereits
früh, wahrscheinlich zunächst nicht wahrnehmbar, ein Protest formiert. Die Sozialdemokratie in Österreich hat verabsäumt,
etwas für die so genannten Gastarbeiter, zu tun. Das waren für uns immer Arbeitssklaven, Arbeiter 2. Klasse. Mich wundert
es nicht, dass sie jetzt FPÖ wählen. Sie sind seit den siebziger Jahren schlecht behandelt worden. Wissen die Menschen, dass
man diesen Leuten den Zutritt zu Gasthäusern, den Kindern den Zugang zu Kindergärten verwehrt hat? Wer hat aber seit dem Wirtschaftsaufschwung
unsere Straßen gebaut, die Kranken in den Spitälern versorgt? Der Neoliberalismus knabbert bei denen als erstes. Da hat sich
vieles verschärft. Und die SPÖ hat verabsäumt, sich um die Arbeiter*innen zu kümmern. Die sind jetzt auch bei der FPÖ. Den
Nährboden für die aktuelle Verhetzung hat dann unabsichtlich die Verabschiedung des Gesetzes zur Mindestsicherung ausgelöst.
Das geschah zu einem Zeitpunkt, wo man nicht mit Geflüchteten und deren Anspruch darauf gerechnet hat. Der Familie Belal ist
das zugutegekommen. Dieses Geld hat der Familie einen Freiraum gegeben und der Vater musste keinen Hilfsarbeiterjob um ein
paar Euro pro Stunde annehmen.
Sie hatten im September 2016 einen Kurzfilm geplant, der sich aufgrund der innenpolitischen Ereignisse in Österreich zu einem
immer längeren Langfilmprojekt entwickelt hat. Hat diese Verlängerung auch Ihre Fragestellungen weitergetrieben?
ELKE GROEN: Es war unfassbar. Ein Ereignis jagte das andere. Bruch der Koalition zwischen SPÖ und ÖVP, dann kam Kurz, der neue Messias,
der Strache und Kickl auf die politische Bühne holte. Nach der Ibiza-Affäre hatte ich das Gefühl, dass ich einen Abschluss
finden sollte. Die Themen haben sich von der ursprünglichen Polarisierung zwischen Grün und Blau weiterentwickelt, vor allem
in die Suche nach den Ursachen, warum sich die politische Landschaft so verändert hat. Das war ein extrem interessanter Prozess
für mich.
Ein wunderbares Bild im Film ist der große schnatternde Gänseschwarms, der ausströmt und auch wieder zusammengetrieben wird.
ELKE GROEN: Die Gänse laden sich natürlich sehr stark durch die politischen Ereignisse auf. Für mich persönlich ist damit ein sehr schönes
Erlebnis verbunden. Ich hatte in meinen Gesprächen mit Corinna immer das Gefühl, sie von der Arbeit abzuhalten, auch wenn
sie gerne diese Gespräche geführt hat. Sie hat als Landwirtin immer sehr viel zu tun. Und ich habe ihr immer wieder angeboten,
dass ich ihr sehr gerne helfen würde, sie hat es aber nie angenommen. Bei den Gänsen war es dann endlich so weit. Es war eine
sehr beeindruckende Stimmung, wenn man so nah an dem Schwarm dran ist – das Geschnatter ist unheimlich laut. Ich hätte mir
keine schönere Metapher für den Schluss wüschen können.
Sie stellen gegen Ende des Films Corinna die Frage, ob Ihre Begegnung etwas verändert habe? Eine ihrer Schussfolgerungen ist,
„Wir hören alle einander zu wenig zu? Umgekehrt gefragt, haben diese Eindrücke, die Sie in Pinkafeld aus der intensiven Beobachtung
gewonnen haben, in Ihrer Wahrnehmung etwas verändert?
ELKE GROEN: Ich habe Corinna diese Frage gestellt, weil ich gespürt hatte, was der lange Prozess bei mir ausgelöst hatte. Mein Konzept
war es, zuhören zu wollen. Die filmische Interviewsituation hat bedingt, dass ich erstens lange zuhören musste und zweitens
nicht mitdiskutieren konnte. Die spannende Erfahrung war, dass man ja vielmehr erfährt, wenn man jemanden reden lässt und
nicht sofort versucht, seine eigenen Standpunkte unterzubringen. Ich hatte zwar nie verheimlicht, wo ich politisch stehe und
dass ich Van der Bellen gewählt hatte, doch ich befand mich zwischendurch immer wieder auf einer Gratwanderung zwischen Zurückhalten
und Preisgeben. Denn ein Beziehungsabbruch wäre für für mich und den Film fatal gewesen. Dieser Moment war so eine Situation,
wo ich anfing, auch sehr offen zu sein. Im Interview danach, dem letzten, entstand dann der Gedanke: „Wir haben jetzt unsere
Diversitäten ausführlich diskutiert, was wären eigentlich unsere gemeinsamen Nenner?“ Wir konnten uns schnell einigen, wie
wichtig uns Frauenemanzipation ist und auch darauf, dass die Ausbeutung der Mittelschicht wie Unterschicht aufhören muss.
Das war ein sehr interessanter Schritt, endlich mal über die kontroversen Punkte hinwegzukommen (auch wenn es wichtig ist,
sie zu besprechen) und zu dem Schluss zu gelangen, dass wir uns finden können, ohne uns aufhetzen zu lassen. Ist Reden also
der große Schluss? Gerade weil die Politik polarisieren will, halte ich es für wichtig, dem entgegenzutreten. Man kann nicht
mit jedem reden, muss man auch nicht. Wir können das auch nur im Kleinen tun, um die Stimmung abzubauen. Dennoch bleiben die
Fragen – Was machen die Medien? Was machen die Politiker? Was passiert bei den Wahlen? Im Großen kann man nichts verändern.
Aber im Kleinen Widerstand gegen die Verhetzung zu leisten, das hielte ich für ein gute Conclusio.
Interview: Karin Schiefer
Februar 2021