INTERVIEW

«Für den Wald gibt es keine Zeitrechnung.»

Marian verlässt die Stadt. Ohne zu überlegen, ohne zu planen. Ein unabwendbarer Impuls treibt sie aufs Land. Der Terroranschlag in Wien hat ihr den Alltag in der Stadt unerträglich gemacht. Zwanzig Jahre davor hat sie eine ähnliche Energie aus dem Dorf ihrer Kindheit gedrängt, in das sie nun zurückkehrt. Elisabeth Scharang schafft in WALD ein Kraftfeld aus Erfahrungen, dass sich über Generationen nichts bewegt und sich in einer Sekunde alles ändern kann und führt ihre Protagonistin an einen notwendigen Nullpunkt, von dem aus sie Vergangenheit und Zukunft neu aufladen kann.
 

Inspiriert ist Ihr Film WALD von Doris Knechts gleichnamigem Roman. Im Film wie im Buch lässt eine Frau um die 40 ihr bisheriges Leben hinter sich und zieht sich ins verlassene Haus ihrer Großeltern zurück. Was verbindet diese beiden Hauptfiguren trotz ihrer unterschiedlichen Geschichten? Was hat Sie an diesem Roman bewegt?
 
ELISABETH SCHARANG:
Es ist die Situation, in der Marian steckt, die mich beim Lesen des Romans so berührt hat. Beide Frauenfiguren, sowohl im Film als auch im Roman, vereint ein Gedanke: Was passiert, wenn mein System zusammenbricht? Diese Frage kennen v.a. selbständig arbeitende Menschen, Frauen, wenn sie auch noch alleinerziehende Mütter sind, noch einmal intensiver. Ich wollte dieser Angst nachspüren und auf der anderen Seite  schauen, welche Ressourcen man zur Verfügung hat, auf die wir im urbanen Alltag oft vergessen, weil wir sie nicht brauchen. Ein weiterer Punkt ist die unromantische Facette vom Aussteigen, denn es ist ein erzwungener Ausstieg aus dem gewohnten urbanen Alltag: Im Roman ist es die Finanzkrise, im Film ist es das Nicht-mehr-Zurechtkommen in der Stadt nach dem Trauma des Terroranschlags. Vom Originalstoff habe ich mich Drehbuchfassung für Drehbuchfassung entfernt. Ich habe den Stoff aber dennoch für einige Monate in die Lade gelegt, weil ich den Schlüssel zu meiner Hauptfigur nicht gefunden hatte. Sie war mir fremd geblieben. Kurz nach dem Terroranschlag in Wien habe ich das Buch dann innerhalb weniger Wochen neu geschrieben und es hat sich alles ineinandergefügt. Es brauchte einen Bezug, der den Startpunkt der Figur bestimmte, der nicht mit dem des Romans übereinstimmt, dazu hat sich die Gesellschaft zu schnell entwickelt. Auf die Finanzkrise war die Klimakrise gefolgt und dazu kam die #Metoo-Debatte, das hat die Art wie Beziehungen zwischen Frauen und Männern erzählt werden, doch sehr verändert. Ich gehe aber ohnehin bei Literaturvorlagen immer andere Wege. Auch in meiner letzten TV-Arbeit Die Herznovelle – die ebenfalls auf einer literarischen Vorlage beruhte – habe ich gleich zu Beginn der Drehbucharbeit eine Figur erfunden, die mir geholfen hat, meinen Zugang zu der Geschichte zu finden. Im Fall von WALD ist es Gerti, Marians Jugendfreundin, die uns beiden, mir und meiner Hauptfigur, eine Stütze war. Gerti ist immer da gewesen, auch in den Phasen, wo ich meine Hauptfigur verloren hatte. Es ist schwierig, über einen Menschen zu schreiben, der nicht weiß, wie es weitergehen soll. Die Methode, die für mich funktionierte, war, zu beschreiben, was man sonst nicht beschreibt, nämlich den Handlungsablauf eines Tages: Marian steht auf, sie braucht etwas zu essen, sie braucht Wärme im Haus … Im Setting des Films bekommen sonst selbstverständliche Dinge eine Bedeutung. Ich wusste, es würde unheimlich spannend werden, dieser Frau dabei zuzusehen, wie sie den Tag bewältigt. Es zu schreiben, war alles andere als einfach. Ich habe meine Figur in keinen Plot gezwängt, vielmehr bin ich ihr gefolgt und war manchmal genauso überrascht über ihren nächsten Schritt wie sie selbst. Wir konnten den Weg gemeinsam gehen und das war erst nach dem 2. November 2021 möglich.
 
 
Welche Kernerfahrung haben Sie über Ihre Hauptfigur Marian in dieser späten Drehbuchphase verarbeitet?
 
ELISABETH SCHARANG
: Eine erste Kernerfahrung teile ich, so glaub ich, mit vielen Menschen in dieser Stadt mit dem Umstand, dass sie ihre Erfahrung an diesem Abend gar nicht oder nur ganz wenigen Leuten erzählt haben, weil ihnen (wie mir) ja körperlich nichts passiert ist. Nach einem Abend, an dem Menschen ermordet und schwer verletzt worden sind, hat man – so war mein Eindruck – als jemand, der körperlich unversehrt geblieben ist, kein Recht auf einen Opferstatus.  Es war ganz schwierig, aber wesentlich, selbst anzuerkennen, dass mir etwas passiert ist. Das war nur über das Schreiben möglich. Über das gesprochene oder geschriebene Wort wird eine Erfahrung ausgeleitet. Es nur zu denken, ist manchmal zu wenig. Wenn man so wie ich in einem Bereich arbeitet (Anm. Dokumentarfilm und Journalismus), wo ich sehe und höre, was Menschen erleiden und darüber hinwegkommen müssen, dann entsteht das Gefühl, dass mir dieser Raum nicht zusteht. Mein Körper hat das allerdings anders gesehen, weil er es zum Glück besser weiß; ich habe ein gut funktionierendes inneres Leitsystem, das einschreitet, wenn ich mir zu viel zumute. Und das war im November 2021 so. Und das ist auch bei meiner Hauptfigur Marian so. Wenn mein Körper etwas einfordert, dann weiß ich, es ist optionslos. Dass Marian die Stadt verlässt, ist eine körperliche Forderung. Sie muss weder darüber nachdenken, warum sie geht, noch darüber, was sie dort erwartet.
 
 
Wenn Marian auf ihrem Weg von Wien ins Waldviertel im Zug sitzt, sieht man nur ihr Spiegelbild im Zugfenster. Ist es auch nur ein Teil – der ungreifbare Teil von ihr? –  der sich auf den Weg macht?
 
ELISABETH SCHARANG:
Das ist ein richtiger Gedanke. Es geht darum, eine Frau auf einer Reise zu begleiten, die ihre zersprengten Teile wieder zusammensetzt. Es gibt immer wieder Ereignisse im Leben, die einen innerlich in Stücke reißen. Es gibt dadurch aber auch die Möglichkeit, sich wieder zusammenzubauen und zwar nicht unbedingt in der ursprünglichen Konstellation. Man baut sich selbst über Erfahrungen, Reflexionen, Wissen, das man sich aneignet, Therapien, Rückschläge nach und nach zusammen. Was man – im besten Falle – als kleines Kind war, sofern man ohne ein traumatisches Erlebnis auf die Welt gekommen ist, wird über Einflüsse von außen in Teile zersetzt. Irgendwann setzt der Prozess der Eigenermächtigung ein mit der Frage: Welche Person möchte ich sein? Diese Frage stellen wir uns meist nur, wenn wir Krisen haben. Die Attentatserfahrung ist so eine Krise. Im Laufe ihrer Reise kommt Marian aber drauf, dass die eigentliche Zersprengung ihrer Person, nicht in dieser Terrorerfahrung liegt, sondern viel tiefer. Was sie von der tieferliegenden Erfahrung mitgenommen hat, sind die Reaktionsmuster darauf: Ich laufe weg, ich ändere mein Leben, ich schau mir das nicht an, weil der Schmerz zu groß ist. Jetzt ist sie so weit, dass sie das aushalten wird. Sonst kann man sich nicht auf diese Reise begeben. Sie ist genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.
 
 
Ein zentraler Satz lautet: Thinking about the future is overwhelming me. Thinking about the past makes me sad. The only place I want to be at the moment, is here. An welchem Punkt in ihrem Leben ist Marian angekommen, dass sie so etwas sagt?
 
ELISABETH SCHARANG:
Man muss es aushalten können, zu wissen, man ist jetzt da, hat aber keine Ahnung, wohin es gehen wird. Diese Fläche, die man sich so oft wünscht und selten zulässt – nämlich, dass nicht alles mit Plänen zugebaut ist – ist beängstigend. Es ist auch eine Zumutung ans Publikum, die ersten fünfzehn Minuten, in denen so gut wie nichts geredet wird, auszuhalten. Ich hab es ja sehr gern, wenn nicht ständig geredet wird. Es gibt aber Menschen, die es als bedrohlich erleben, wenn der eigene Gedankenfluss und die inneren Stimmen so stark in den Vordergrund rücken und hörbar sind. Darum ist Ablenkung für uns so wichtig. In dem alten Haus ohne Elektrizität ist man mit den Möglichkeiten der Ablenkung bald am Ende angelangt.
 
 
Daher auch Marians befreiende Schreie in den Wald hinein?
 
ELISABETH SCHARANG:
Der Schrei ist etwas ganz Besonderes, weil es in unserem urbanen Alltag dafür keinen Raum gibt. WALD ist ein Film, in dem es um Kontrollverlust geht und ich meiner Figur letztlich alles zumute, was ich selber an Erfahrungen vermisse. Ich bin grundsätzlich kein lauter Mensch, ich vermisse aber die Räume, in denen ich das sein könnte, ohne Täterin zu werden. Es geht mir nicht darum, Leute anzubrüllen, aber darum, manchmal zu schreien. Es gibt viele, Dinge, die ich Brigitte zugemutet habe. Dass WALD so ein persönlicher Film ist, war eine Erkenntnis, zu der ich erst an den allerletzten Drehtagen gekommen bin. Absurd. Ich habe das Drehbuch ja selbst geschrieben, aber dennoch nicht empfunden, wieviel es mit mir selbst zu tun hatte. In der Probe für die Szene, wo sie Franz ihre Attentatserfahrung erzählt, war Brigitte sehr unrund, weil es für irritierend war, diesen Dialog zu spielen, wissend, dass die Person, die diese Erfahrung gemacht hat, direkt hinter ihr stand. In dem Moment bekam ich die Gelegenheit, meine eigenen Puzzleteile zusammenzusetzen und mir bewusst zu werden, dass ich nichts mehr gewollt habe, als diese Monate im Wald zu sein. Brigitte hat in der Rolle der Marian Vieles gemacht, wo ich intuitiv das Gefühl hatte, ich würde sehr gerne mal den Mut haben, mich dem auszusetzen, weil es sich wie maximale Freiheit anfühlt. Freiheit heißt, vieles nicht zu brauchen, was in der Stadt Bedeutung hat: z.B. Anerkennung und alles, was da dranhängt, was einen antreibt, manchmal auch anfrisst; es einfach gehen zu lassen, weil ich weiß, dass die Dynamik von Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung so wenig nachhaltig ist und auf einer Wertehaltung basiert, die ich ohnedies nicht teile. Sich zurückziehen. Zu wissen, dass es nur darum geht, zu sein. Marian dabei zuzuschauen, wie sie sich all das nimmt und sich zusammenbaut, war eine tolle Reise.
 
 
Der Wald spielt eine sehr wesentliche visuelle Rolle. Sie zeigen den Wald von außen, von innen von oben – abweisend, angsteinflößend, beruhigend, schützend. Was repräsentiert der Wald für Sie? Warum haben Sie die Herbstmonate für den Dreh gewählt?
 
ELISABETH SCHARANG:
WALD beginnt in einer Herbstphase, die noch die ganze Fülle von Frühling und Sommer in sich trägt. Die Kraft der Farben, der Natur, der Jahreszeiten sind das Wesen des Films. Man hätte WALD ohne Dialoge erzählen können, weil die Natur die innere Reise der Figur 1:1 abbildet. Die bunten Bäume repräsentieren das Außen wie die Kleidung, wie alles, was wir haben, um uns zu zeigen. Im späten Herbst fällt das ab und die Purheit bleibt; dann geht es nach innen, indem sich der erste Frost über die Felder legt und die Erde verschließt. Nichts gelangt mehr durch, es bleibt die Innenschau. Der Boden ist hart, die Innenschau ist es auch. Es gibt keine Geborgenheit. Der Regen wäscht Vieles weg, bringt auch Vieles herein. Der Schnee, der alles zudeckt, bedeutet am Land auch, dass Ruhephase für die Bauern ist. Der Winter ist keine bedrohliche Zeit, sondern eine der Ruhe und der Heilung. Auch das hat einen Frieden. Die Natur zeigt, wo Marian gerade steht, und hilft, diese Innenschau nach außen abzubinden. Das berührend Schöne an der Natur ist, dass sie einfach da ist. Was sich ändert, ist unsere Perspektive darauf. Gehen wir bei Sonnenschein in den Wald, dann reflektiert er das Abenteuer, das Behütet-Sein, die Freude. Wird es dunkel, ist er mitunter die Projektion für alle unsere Ängste. Es ist aber immer derselbe Wald. Es bedarf manchmal ganz simpel, auf das eigene Leben einen anderen Blick zu werfen. Man nennt das wohl Perspektivenwechsel. Der Wald zeigt uns das in all seiner Geduld auf wunderschöne Weise. Es gibt für ihn keine Zeitrechnung.
 
 
WALD erzählt eine sehr persönliche Geschichte, aber auch von vielen Kluften im großen Ganzen: zwischen Land und Stadt, zwischen den Träumen der Kindheit und der Realität des erwachsenen Lebens, zwischen Männern und Frauen, zwischen Bleiben und Weggehen, zwischen Widerstand und Akzeptanz. Was ist Ihnen in dieser Auseinandersetzung mit dem Dorf ein Anliegen gewesen?
 
ELISABETH SCHARANG:
Als Mensch, der nicht am Land lebt, hatte ich sehr großen Respekt davor, über eine Welt zu erzählen, die ich so nicht kenne. Die intensiven film- und gesellschaftspolitischen Diskussionen in den letzten zwei Jahren mit Kolleg*innen bei dieRegiesseur*innen z.B. bei unseren Veranstaltungen von feminist perspectives, haben mir extrem viel bei meiner Arbeit geholfen, um Geschichten differenzierter zu erzählen. Meine eigene Lebensrealität ist nicht so divers, wie die Welt, die ich in Filmen abbilden möchte. Zu lernen, als Autorin die richtigen Fragen zu stellen, Fragestellungen zu erweitern, das ist sehr wichtig und macht Stoffe interessanter. Ich denke an die Figur des Franz. Es war nicht einfach, eine Zuschreibung von Männlichkeit, die man von dieser Figur erwartet, zu brechen. Vor dieser Aufgabe stand ich auch bei anderen Rollen. Zum Beispiel beim Bauern im Wirtshaus. Heinrich Mayr ist als Mensch das genaue Gegenteil seiner Figur. Es war für ihn schwierig, einen latent aggressiven Menschen darzustellen. Ich wusste aber, dass dieser Bauer genau diese Verletzlichkeit in sich trägt. Es ging bei allen Figuren darum, sie auszutarieren. Auch Marian ist keine nur sympathische Figur. Wie wir alle, haben auch meine Figuren ein Potpourri aus verletzlichen und verletzenden Seiten, von denen man nicht ablässt, obwohl es um Beziehung und Freundschaft geht. Ich kenne nicht viele Filme, in denen über Freundschaften zwischen Menschen, die sich schon lange kennen, erzählt wird, ohne, dass es vorrangig um Kinder oder Elternschaft geht. Menschen, die einen aus einem Leben „davor“ kennen, mit denen man immer andocken kann. Familie ist ja auch deshalb Familie, weil es sich um die Menschen handelt, die dich immer schon kennen. Das ist mitunter unangenehm. Gerti und Marian fallen aber nicht in ihre alten Rollen zurück, sondern definieren sie neu. Wenn man das schafft, dann sind das Beziehungen, die alles überdauern. Solche Freundschaften sind überlebensnotwendig.
 
 
Bestimmend für die Lebensentscheidungen von Marian und Gerti, ist die von Männern ausgeübte physische Gewalt. Ein wichtiger Moment ist der, dass bei einer Auseinandersetzung im Gasthaus Marian zuerst zuschlägt. Was bedeutet es, dass eine Frau diesen ersten Schritt zur Gewalt setzt?
 
ELISABETH SCHARANG:
Ich finde jede Form von körperlicher Gewalt ist eine massive Grenzüberschreitung. Ein wesentlicher Punkt in Marians Geschichte ist der, dass sie die Erfahrung vom frühen Tod ihrer Mutter wie eine dichte Kapsel verschlossen hatte. Als sie das volle Wirtshaus betritt, hat sie mit einer Panikattacke zu kämpfen, und genau in dieser Situation verletzt sie der Bauer absichtlich, in dem er etwas abwertend Sexistisches über ihre Mutter sagt. Marians Gegenschlag ist wie eine Explosion. Es kommt so viel zusammen, dass sie diese Spannung so ausagiert, was nicht heißt, dass ich das für gut befinde. Was ich aber trotzdem sagen muss – Ich hatte große Lust, eine Wirtshausschlägerei zu inszenieren, in der eine Frau die agierende Hauptrolle spielt. Was den Aspekt der häuslichen Gewalt bei Gertis Lebensentscheidung interessant macht, ist die Zweischneidigkeit. Gerti hat sich über die Jahre eine Rolle zugeschrieben, die sie als Opfer von der jahrelangen Gewalt durch ihren Vater von der Entscheidung, den Hof und die Eltern zu verlassen entbindet. Ihr Blick aufs Leben ist klar: Es gibt Verlierer und Gewinner. Gerti zählt sich zu den Verlierern. Als Kind konnte sie sich ihre Lebenssituation nicht aussuchen, irgendwann wird es aber zu ihrer Entscheidung. Marian konfrontiert sie mit der Frage, warum sie trotzdem geblieben ist. Als Außenstehender mit häuslicher Gewalt umzugehen, ist für viele Menschen unangenehm, sie wissen oft nicht, wie man reagieren soll, wenn man Zeuge wird. Für Marian ist das anders. Sie schaut hin und spricht es an, was Gerti auch mit Scham erfüllt. Spannend wird es in der Beziehung zwischen den beiden, wenn sich etwas bewegt und wenn Marian ihrerseits abhängig wird von der Hilfe ihrer Freundin. Wenn man in so einer Situation einander zumuten kann, dann ist das tiefe Freundschaft. Beide erleben Momente, wo sich die eine der anderen zumuten muss. Im Laufe des Schreibens hat sich diese Freundschaft zwischen den beiden Frauen für mich als Kern der Geschichte herausgebildet.
 
 
Johannes Krisch und Gerti Drassl sind zwei Schauspieler:innen, mit denen Sie schon gearbeitet haben. Brigitte Hobmeier hat eine sehr kraftvolle, stille, uneitle Rolle zu tragen. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit ihr?
 
ELISABETH SCHARANG:
Wir sind einander vor Jahren bei der Verleihung des Volksbildungspreises begegnet, wo wir beide ausgezeichnet worden sind. Bei mir ist es so, dass ich Kolleg:innen, die mich berühren, in meiner Gedächtnisschublade habe, die ich unter „mit dir werde ich mal arbeiten“ abspeichere. Das dauert manchmal. Für die Rolle der Marian stand Brigitte Hobmeier von Anfang an fest. Da gab es kein Casting. Es war klar, dass ich eine moderne Frau erzählen wollte und ich wusste, dass ich ein sehr starkes Gesicht brauchte, dem man folgt; ein Gesicht, das sich in den Wald einfügt und immer auch abhebt zugleich. Sie ist einfach da und das ist oft genug. Gerti Drassl hat in meinem ersten Spielfilm Mein Mörder eine ihrer ersten Filmhauptrollen gespielt und es hat mich riesig gefreut, dass wir wieder zusammenarbeiten konnten.
 
 
Die Drehorte scheinen sehr kompakt beisammenzuliegen. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit den Dreharbeiten?
 
ELISABETH SCHARANG:
Für mich war WALD der schönste Dreh, den ich bisher hatte. Am liebsten würde ich nie wieder in der Stadt drehen. Ich hab es geliebt, dass ich die Natur nicht unter Kontrolle hatte und mich auf alles einstellen musste. Wir haben nie gegen die Natur gearbeitet. Wir haben genommen, was da war und den Drehplan immer wieder umgestellt. Ob Nebel, Sonne, Regen... es war ein Geschenk. Für das Team war es sicher nicht immer einfach. Für die Szene am Friedhof hatten wir einen Schneesturm, der uns die Eiskörner waagrecht ins Gesicht geschleudert hat. Der Sturm war so laut, dass wir einander anschreien mussten, um zu kommunizieren. Für diese Szene hätte es keine besseren Witterungsbedingungen geben können. Die Dialoge dort sind übrigens Originalton, wir mussten nichts davon nachsynchronisieren. An diesem Tag war auch die Szene geplant, in der Marian und Gerti über das schneebedeckte Feld rennen und dann in einen alten gemeinsamen Song einstimmen. So etwas will man nicht synchronisieren, also dachte ich daran, die Szene zu verschieben, hab den beiden Schauspielerinnen aber offengestellt, es zu probieren. Wir sind mit ihnen free flow über das Feld gerannt in diesem Schneesturm und am Ende war es die beste Entscheidung. Auch da ist übrigens alles Originalton. Wir sind also der Natur gefolgt und es war immer richtig. Zwei Drehblöcke für den Hauptdreh waren geplant und wir konnten tatsächlich alles in einem Block drehen: Wir haben im bunten Herbst begonnen, es gab Nebel, Frost, Regen und zwei Wochen vor Drehschluss kam der Schnee. In diesem Film gibt es keinen digitalen Effekt, alles Natur pur. Marians Haus und Gertis Haus lagen auf einem Hochplateau und waren wie ein großes begehbares Filmset für uns. Das Haus im Film klingt so, weil wir so viel Originalton dort machen konnten. In dem Haus hatte eine alte Frau gelebt, die zwei Jahre vor dem Dreh verstorben war. Die Familie, die uns das Haus zur Verfügung gestellt hat, beließ Vieles so, wie es deren Oma hinterlassen hatte. Wir haben die alte Frau, die frühere Besitzerin des Hauses, als Marians Großmutter und als Teil ihrer Erinnerungen im Film verewigt. Es war so viel Spirit und Atmosphäre in diesem Haus, die von der echten Biografie einer Frau, die dort geboren und gestorben ist, erzählt. Das Haus hat uns sehr liebevoll aufgenommen.
 
 
Etwas, das sich ebenso stimmig ins Ganze fügt, ist die Musik. Wie kam Hania Rani ins Projekt?
 
ELISABETH SCHARANG:
Bei allen meinen anderen Filmen wusste ich bereits vor dem Dreh, welche Filmmusik ich verwenden wollte, weil die Musik wie eine weitere Dialogspur für mich ist. Bei WALD hatte Ideen, konnte mich aber nicht entscheiden. Ich wusste lange nicht, wie der Film, wie der Wald klingen würde. Während des Schnitts bin ich, obwohl ich selten Youtube-Videos schaue, auf ein solches gestoßen – eine 35-minütige Studio-Session von Hania Rani mit Elektronik und Klavier. Sie hat eine Art, Musik zu machen, in der man in jede Sekunde den Menschen hinter dem Sound spürt. Sie nimmt ihre Musik extrem haptisch auf, so dass man jede Berührung der Klaviertasten und jeden Atem hört. Wenn sie singt, dann fliegt die Musik. Das Management hat unsere Anfrage milde belächelnd beantwortet: keine Zeit und zu teuer für unsere Vorstellungen. Sie war zu dem Zeitpunkt auf Welttournee und arbeitete am Score für eine internationale Serie. Ich habe sie trotzdem persönlich angeschrieben und nach einem Konzert im Wiener WUK getroffen; ich wollte nur, dass sie sich den Rohschnitt anschaut und falls sie tatsächlich keine Inspiration hat, während sie den Film schaut, dann würde ich sofort loslassen … aber sie hat den Film angeschaut und zugesagt. Es war nicht einfach, denn normalerweise geht man mit der Musik in den Schnitt. Im Fall von WALD ist die endgültige Musik erst peu à peu dazugekommen, bis wir schon in der Mischung waren. Das gesamte Team von Sounddesign und Mischung hat hier alles gegeben, damit das funktioniert. Aber es ist jede Sekunde wert.

Interview: Karin Schiefer
August 2023
 


«Marian und Gerti erleben Momente, wo sich die eine der anderen zumuten muss. Im Laufe des Schreibens hat sich diese Freundschaft zwischen den beiden Frauen für mich als Kern der Geschichte herausgebildet.»