INTERVIEW

«Es gibt Raum für Zusammenarbeit»

Elad Samorzik ist der Artistic Director des Jerusalem Film Festivals. Als er im Mai 1984 geboren wurde, ging gerade das erste JFF über die Bühne. Das bevorstehende 40. Festival ist bereits sein zehntes als künstlerischer Leiter. Wir sprachen mit ihm über das Programm und die Entscheidung, bei der Jubiläumsausgabe JFF40 einen Österreich-Schwerpunkt zu setzen.
 
 
Das Jerusalem Film Festival 2023 ist eine besondere Festivalausgabe – es ist das 40. Festival und – wenn ich richtig gerechnet habe, Ihr zehntes als künstlerischer Leiter.
 
ELAD SAMORZIK:
Das stimmt. Ich habe vor zehn Jahren meine Tätigkeit als Artistic Director des Festivals begonnen. Gegründet wurde das Festival im Mai 1984, das war im selben Monat, in dem ich geboren wurde. Wir begehen heuer diese 40. Festivalausgabe mit einem umfangreicheren Programm, mit einem Focus auf Österreich und mit ein paar ganz besonderen Filmgästen aus der ganzen Welt.
 
 
Was waren die Herausforderungen für diese Jubiläumsausgabe? Wird es besondere Highlights geben?
 
ELAD SAMORZIK:
Ich möchte jetzt nicht langweilig klingen, aber die größte Herausforderung für viele Festivals ist finanzieller Natur. Wir werden mit Geld und Fördermitteln nicht gerade überhäuft, aber ich denke, es ist uns gelungen, die Herausforderungen zu meistern. Im Gegensatz zu vielen anderen Festivals mit einigen wenigen Sponsoren haben wir Dutzende Sponsoren, mit denen wir den Kontakt pflegen und die wir jedes Jahr aufs Neue ansprechen müssen. Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden, wir haben gute Partner gefunden, AUSTRIAN FILMS war für uns ein sehr hilfreicher Partner und ich freue mich, dieses 40. Festivaljubiläum mit einem Focus auf das österreichische Filmschaffen begehen zu können.
 
 
Das österreichische Filmschaffen genießt seit langem das Interesse der Kurator:innen des JFF. In unserer Datenbank sind mehr als 70 österreichische Filme gelistet, die seit 1995 beim Festival gezeigt worden sind. Wie ist Ihre Verbindung zum österreichischen Filmschaffen entstanden? Welche Filme oder Filmemacher:innen haben die Basis für Ihr Interesse an Filmen aus Österreich geschaffen?
 
ELAD SAMORZIK:
Diese Liste würde ich sehr gerne sehen. Ich verbinde sehr schöne Erinnerungen mit 2015, meinem zweiten Jahr als künstlerischer Leiter, wo Ulrich Seidl nach Jerusalem gekommen ist. Wir haben ihm ein Tribute gewidmet und auch Im Keller gezeigt. Über all die Jahre waren wir immer wieder fasziniert vom österreichischen Film. Ich erinnere mich auch gut an Licht von Barbara Albert, den wir 2018 gezeigt haben. Ich freue mich sehr, dass sie gemeinsam mit Sebastian Meise, von dem wir Große Freiheit vor zwei Jahren gezeigt haben, Teil unserer Jury sein wird. Dann präsentieren wir mit Vera von Tizza Covi und Rainer Frimmel neue Filmemacher:innen in Jerusalem. Und es ist auch toll, dass wir Jessica Hausners Club Zero und Ulrich Seidls Sparta zeigen können.
 
 
Vera, Sparta, Club Zero sind drei Filme von außergewöhnlichen österreichischen Filmemacher:innen, die keine unterschiedlicheren Handschriften haben könnten. Diese Auswahl könnte auch uns etwas über Ihre Sicht auf das österreichische Filmschaffen erzählen?
 
ELAD SAMORZIK:
Es sind in der Tat sehr unterschiedliche Filmemacher:innen mit sehr ausgeprägten, unverwechselbaren Stimmen. Ein interessanter Punkt ist der, dass die Handlungen aller drei Filme außerhalb Österreichs spielen. Sparta spielt in Rumänien, Vera führt uns nach Italien und Club Zero ist ein englischsprachiger Film. Ich muss auch dazu sagen, dass wir über unsere unterschiedlichen Sektionen eine sehr breite Auswahl treffen, um ganz unterschiedliche Publikumsschichten anzusprechen. Es gibt beim JFF mehr als 300 Screenings und wir bemühen uns, dass für Leute mit ganz unterschiedlichem Filmgeschmack etwas dabei ist. Ich bin mir sicher, dass Festivalbesucher:innen, die in den neuesten Film von Ulrich Seidl gehen, sich nicht unbedingt für Club Zero oder Sparta interessieren.
 
 
Es wird auch zwei österreichische Jurymitglieder geben – Barbara Albert und Sebastian Meise. Was waren Ihre Beweggründe, sie in die Jury einzulagen?
 
ELAD SAMORZIK:
Wenn wir unsere Sitzungen haben, bei denen wir über die möglichen Jurymitglieder diskutieren, haben wir immer auch die Filmprogramme der vorangegangenen Jahre im Auge und schauen, welchen Filmemacher:innen wir eine besondere Sichtbarkeit geben wollen. Es ist möglich, dass Filmemacher:innen dabei sind, deren Filme wir gezeigt hatten, die nicht persönlich kommen konnten und die wir immer noch sehr gerne bei uns hätten. Meistens geht es da um Filme, die beim Publikum besonders gut angekommen sind und von denen ich weiß, dass eine persönliche Begegnung mit den Filmemacher:innen unser Publikum sehr freuen würde. Auf diese Weise kamen Barbara und Sebastian ins Gespräch und es freut uns sehr, dass es beiden möglich ist zu kommen.
 
 
Wie wird das österreichische Filmschaffen in Israel wahrgenommen? Entdecken die israelischen Kinobesucher:innen österreichische Filme in erster Linie bei Festivals?
 
ELAD SAMORZIK
: Israel ist kein einfacher Markt für den Arthouse-Film. Viele österreichische Filme, die beim JFF laufen, haben keinen Kinostart in Österreich. Erfreulicherweise hat Club Zero einen Verleiher in Israel, was für Vera und Sparta leider nicht der Fall ist. Es bedeutet im Grunde, dass Festivals der einzige Ort sind, wo Filme auf der großen Leinwand gezeigt werden. Wir versuchen auch, unsere Filme auch nach dem Festival weiter zu promoten. Andere Cinematheken mit kuratierten Programmen kommen auf uns zu, um nach Empfehlungen zu fragen. Außerdem haben wir dann schon Untertitel in Hebräisch produziert, die dann auch andere Institutionen nutzen können.
 
 
Wie reagiert das Publikum auf die Festival-Screenings?
 
ELAD SAMORZIK:
Eines unserer Hauptziele besteht darin, dass wir eine Begegnung zwischen Publikum und Filmemacher:innen ermöglichen, um eine interessante Diskussion in Gang zu bringen, die manchmal gleich nach dem Screening in den Sälen, sehr oft aber erst außerhalb der Kinos stattfindet. Wir stellen sehr viel Raum außerhalb der Kinos bereit, wo sich Leute zusammensetzen und sich mit den Filmemacher:innen austauschen und oft Dinge ansprechen, die sie im Kinosaal nicht anzusprechen gewagt haben. Bei den Screenings von Vera werden Rainer Frimmel und auch Vera Gemma anwesend sein. Ich bin mir sicher, dass es interessante Diskussionen geben wird. Ich freue mich darauf.
 
 
Österreich ist das Schwerpunkts-Land bei den diesjähren Industry Days. Wie sehen da die wichtigen Events aus?
 
ELAD SAMORZIK:
Unsere beiden Haupt-Events bei den Industry Days sind der Jerusalem Pitch Point und das Sam Spiegel Lab. Letzteres wurde von der Sam Spiegel Filmschule ins Leben gerufen; sie befindet sich ebenfalls in München und ist einer von unseren Partnern. Es bietet ein internationales Script Lab an, ein Programm für das zwölf Projekte ausgewählt werden und das über ein halbes Jahr läuft: die Drehbuchautor:innen treffen sich mehrmals in Jerusalem, das letzte Treffen findet während des JFF statt. Da ist die Gelegenheit, die Projekte zu präsentieren und auch um einen Preis zu gewinnen. Es gibt dieses Jahr kein österreichisches Projekt beim Sam Spiegel Lab, aber das ist definitiv ein Punkt, an dem wir arbeiten werden. Ich bin mir sicher, es werden sich in Zukunft für Österreich Gelegenheiten ergeben, Projekte für diese Plattform zu promoten.
Der Jerusalem Pitch Point ist eine Plattform mit Wettbewerb für abendfüllende Spielfilmestoffe aus Israel mit unterschiedlichem Status – Entwicklung, Herstellung oder Postproduktion. Unser Anliegen ist es, internationale Branchenvertreter:innen, Koproduzent:innen, Verleihe und Weltvertriebe sowie Vertreter:innen von Förderinstitutionen zu uns zu holen. Es gibt in einem ersten Schritt ein Pitching-Event, wo die Projekte vorgestellt werden, und dann organisieren wir Meetings, die die Zusammenarbeit zwischen Israel und anderen Ländern, die in erster Linie die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, insebsonders mit europäischen fördern sollen. Dieses Jahr setzen wir im Industry-Event einen Österreich-Schwerpunkt. Wir haben einige produzent:innen und einige Branchenvertreter:innen eingeladen, die an den Pitch Point-Sessions teilnehmen werden und es wird einige Round Tables geben, die dazu da sind, dass sich österreichische wie israelische Produzent:innen kennenlernen. Eine Podiumsdiskussion, die von Katriel Schory, dem ehemaligen Direktor des Israeli Film Fund moderiert wird, soll Ideen und Initiativen vorstellen, wie die Zusammenarbeit verbessert, Koproduktionen gefördert, die Bedürfnisse der jeweiligen Filmindustrie vermittelt werden können, um Wege der Zusammenarbeit zu finden, bei denen beide Seiten ihre Ziele umsetzen können.  
 
 
Welche Länder sind traditionell die Koproduktionspartner von Israel?
 
ELAD SAMORZKI:
Lange Zeit war es eindeutig Frankreich. ARTE war ein ganz wesentlicher Player in der israelischen Filmindustrie. Vor etlichen Jahren noch investierte es mehr Geld ins israelische Kino als alle israelischen Fördereinrichtungen zusammen. Das hat sich geändert. Heute würde ich sagen, dass Deutschland und Frankreich, was Koproduktionen betrifft, eine vergleichbare Rolle spielen. Ich glaube nicht, dass es bisher recht viele Koproduktionen zwischen Österreich und Israel gegeben hat. Es wird beim Industry Event auch eine Präsentation des österreichischen Steueranreizmodells geben, um herauszufinden, ob es für israelische Produktionen interessante Möglichkeiten geben kann, in Österreich zu drehen. Ich denke an Spielfilmprojekte, die auf wahren Begebenheiten beruhen, oder an Dokumentarfilmprojekte, wo sich eine Zusammenarbeit ergeben könnte. Ich denke, in gewisser Weise sind wir historisch miteinander verbunden. Da gibt es Raum für Zusammenarbeit.


Interview: Karin Schiefer
Juni 2023