INTERVIEW

«Man kann Klischees  auch mit Respekt anfassen.»


In der Mediensatire Die Migrantigen jonglieren Regisseur und Hauptdarsteller mit MigrantInnen-Klischees und fragen, warum der viel zitierte Migrationshintergrund über Generationen im Vordergrund bleibt. Arman T. Riahi über sein Debüt als Spielfilmregisseur.
 
 
 
Sind Sie grantig auf das Wort „Migrationshintergrund“?
 
ARMAN T. RIAHI: Prinzipiell habe ich nichts gegen den Begriff „Migrationshintergrund“, falls mein Film diesen Eindruck vermittelt. Er ist nur mittlerweile selbst zum Klischee geworden und in einer Stadt wie Wien darüber hinaus ganz besonders nichtssagend. Wahrscheinlich kommen mindestens zwei Drittel der Wiener ursprünglich von irgendwo her. Es ist ein altmodischer Begriff, der eigentlich schon länger keine Relevanz mehr hat.
 
 
Das Drehbuch haben Sie gemeinsam mit den Hauptdarstellern Faris Rahoma und Aleksandar Petrović erarbeitet. Alle drei haben Sie Eltern, die mit migrantischem Hintergrund nach Österreich gekommen sind. Wie sehr inspirierten eigene Erfahrungen zur Geschichte von Die Migrantigen?
 
ARMAN T. RIAHI: Wir sind ja keine Wiener, die mit ihrem „Migrationshintergrund“ kämpfen müssen. Wir sind alle drei in Österreich recht behütet aufgewachsen und haben einen sozio-ökonomischen Hintergrund, wo das Migrationsthema nie ein großes Problem darstellte. Der Migrationshintergrund ist ganz einfach zu unserer Identität geworden. Als Kind ist er dir nicht bewusst, irgendwann erkennt man, dass man doch ein bisschen anders ist, dann kommt das Alter, wo man stolz darauf ist, dass man eine zweite Kultur hat und schließlich kommt der Zeitpunkt, wo man erkennt, dass es das Leben bereichert, im Grunde aber nicht sehr relevant ist. Womit wir aber ein Problem haben, ist der Umstand, dass man Leute wie uns in Opfer-Täter-Schubladen stecken kann. Menschen mit Migrationshintergrund sind entweder das eine oder das andere. Die „erfolgreichen“ Integrationsbeispiele sieht man ja nicht. Integration ist ja per se schon ein Begriff, der am Ziel vorbeischießt. Es geht ja um Inklusion. Die Menschen, die einfach Teil der Gesellschaft geworden sind, sind ja unsichtbar. Unsichtbare fallen nicht auf und sind eigentlich still. Wir haben immer zu den „Stillen“ gehört. Dann liest man Zeitung und hört von Kopftuchdebatte, Terrorismus, und verübt jemand mit Migrationshintergrund einen Überfall, dann wird dieser betont. Die zweite Kultur, dieser unsägliche Migrationshintergrund wird einem drangehängt. Wenn man als Ausländer in Österreich erfolgreich sein will, dann muss einem noch irgendetwas Ausländisches anhaften, an dem man festgemacht werden kann. Szenen wie das Casting in unserem Film erleben die beiden Schauspieler Faris und Aleksandar ja tatsächlich. Aleksandar wurde bisher in Österreich für Psychopathen mit „Migrationshintergrund“ und Kleinkriminelle besetzt, Faris hat schon alle möglichen Migrationshintergründe gespielt, auch schon einen Kroaten. Das einzige, was er eigentlich nie bekommt, ist die Rolle eines Österreichers, obwohl er hier geboren ist. Das Klischee haftet einem an. Wir können darüber lachen, weil es uns vergleichsweise gut geht. Leute, die ein Leben lang mit diesem Stigma umgehen müssen, erleben das weniger amüsiert. Für einen Schauspieler ist es hart, wenn einem nur ganz gewisse, sehr beschränkte Parts zugetraut werden. Die Migrantigen ist natürlich auch ein Statement. Es geht mir um die meiner Meinung nach in Österreich total unterschätzte zweite Generation, deren Talente manchmal brachliegen. Wo sind die Drehbücher mit Rollen für Menschen mit Migrationshintergrund, die eine gesellschaftlich relevante, vorbildliche oder auch ambivalente Figur verkörpern und mit dem Opfer-Täter-Modell brechen?
 
 
Das Drehbuch entstand im Rahmen des Stoffentwicklungsprogramm Diverse Geschichten. Wie sehr unterstützte es euch, um das Buch zur Drehreife zu entwickeln?
 
ARMAN T. RIAHI: Ursprünglich hatten Aleksandar und ich für Diverse Geschichten eine Idee zu einem eher düsteren Gangsterfilm – Der Staatsbürger – , an dem wir jetzt wieder weiterarbeiten. Die Migrantigen hatte ein direktes Vorgängerprojekt, nämlich die Comedy-Serie Neue Wiener, die wir vor fünf Jahren bei PULS4 zu drehen begannen und in der ein kulturell durchmischter Freundeskreis in Wien im Mittelpunkt stand. Das Projekt wurde, nachdem schon erste Folgen gedreht waren, aufgrund firmeninterner Probleme der Produktionsfirma, die diese Serie damals hätte produzieren sollen, leider eingestellt. Wir wurden das Gefühl nicht los, dass wir diesen Stoff noch einmal aufgreifen sollten, um diesem Debakel eine positive Wendung zu geben. Wir versuchten die Essenz des Serien-Projekts herauszufiltern: nämlich spielerischer Umgang mit Klischees, Schubladisierungen und Erwartungen, die man an alle Menschen hat. Ich hoffe, dass dies in Die Migrantigen auch rauskommt, dass alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft durch den Kakao gezogen werden. Wir zogen Der Staatsbürger bei Diverse Geschichten zurück und schlugen Die Migrantigen vor. Diverse Geschichten hat uns am Anfang sehr in seiner Grundlage geholfen, das Drehbuchprogramm Sources, an dem wir in einer späteren Phase teilnahmen, hat uns geholfen, Ballast loszuwerden. Wir haben zwei Jahre lang konsequent in insgesamt 15 Fassungen an dem Buch gearbeitet und viele stilistische Variationen ausgereizt. Es war ein Vor- und Zurückgehen, irgendwann ist der Punkt, wo man den Stoff verfilmen muss. Das perfekte Buch kann nie erreicht werden.
 
 
Komödie funktioniert oft mit und über Klischees. Gleichzeitig sollten diese Klischees ja aufs Korn genommen werden. Wie habt ihr die Gratwanderung zwischen dem Fernsehen, das Klischees produziert und verstärkt, dem Kino, das in der Komödie Klischees gerne überzeichnet und eurem Anliegen, Klischees zu brechen und zu hinterfragen, geschafft?
 
ARMAN T: RIAHI: Das ist eine komplexe Frage. Es ist nie eindeutig. Wir versuchten uns in der Mitte zu bewegen, eine klare Entscheidung hätte den Film in eine eindeutige Richtung gezwungen, die unserem Zugang die ganze Ambivalenz genommen hätte. Wir hätten auch in eine noch kommerziellere Richtung gehen können, allerdings wären dann immer mehr Schichten abgetragen worden. Im absurden Setting von Die Migrantigen gibt es viele Levels, die unserer Erfahrung und auch dem Leben anderer Leute mit Migrationshintergrund verhaftet sind. Ich denke an die Vater-Sohn-Beziehung. Wir haben versucht, die Klischees aus unserem Leben in den Film einzubauen und ihnen eine Wahrhaftigkeit zu verleihen. Klischees wurzeln immer in der Wirklichkeit. Man kann mit ihnen sehr übertrieben arbeiten, sodass man sie als unecht erlebt. Man kann Klischees aber auch mit Respekt anfassen.
 
 
Hat euch auch der Gedanke motiviert, der österreichischen Komödie eine neue Facette zu verpassen?
 
ARMAN T. RIAHI: Wir hatten im Dezember ein sehr erfolgreiches Test-Screening mit mehr als 200 Leuten, das verdeutlicht hat, dass die Menschen mehr als nur eine simple, vereinfachende Komödie vertragen. Die Migrantigen ist Unterhaltung, jeder konnte aber für sich Dinge herausfiltern, die für sie oder ihn auch gesellschaftlich, sozial oder politisch relevant waren. Es ist mir als Filmemacher wichtig, ein breites Publikum zu erreichen und den Leuten zu zeigen, dass auch aus Österreich Unterhaltungsfilme kommen können, die für sie auch eine Orientierungsfunktion haben.
 
 
Wie vollzog sich der Wechsel vom Schreibtisch zum Set? Haben die Hauptdarsteller auch in der Dreharbeit sehr intensiv mitgestaltet? Wie gab es beim Dreh Raum für Improvisation?
 
ARMAN T. RIAHI: Das Projekt bekam eine erste Absage bei der Herstellungsförderung vom ÖFI. Beim Hearing zur zweiten Einreichung haben Aleksandar und Faris vor dem Beirat ihre Filmfiguren gespielt. Das war der letzte Kick, der den beiden auch das Selbstvertrauen verlieh, dass sie auch vor Publikum ihr komisches Potenzial bringen können. Als dann die Zusage da war, sind wir alle nervös geworden. Wir haben zunächst noch am Buch gefeilt. Irgendwann wurde die Drehvorbereitung aber dringender: Aleksandar und Faris merkten, dass sie ihre Figuren erarbeiten mussten, auch wenn sie als Schauspieler schon einige Erfahrung hatten. Diesmal war es ein größeres Ding – nämlich unser Drehbuch, unser Film. So kam der Zeitpunkt, wo sie sich unsere Zuständigkeiten trennten und ich mich um Ausstattung, Motive und all die unzähligen Dinge, die ein Regisseur entscheiden muss, kümmerte. Wir mussten ins kalte Wasser springen und einfach tun.  
Die Dialoge haben wir mit manchen Schauspielern überarbeitet, mit anderen haben wir geprobt und geschaut, wie es funktioniert, mit manchen haben wir gar nichts vorbereitet. Mit Rabie Peric, die im Film die Putzfrau spielt, haben wir die Szene, wo sie vorgibt, Titos Mutter zu sein, einmal geprobt. Ich liebe es, wenn Schauspieler improvisieren, auch wenn man nur einen Bruchteil davon verwenden kann. Plötzlich kommt das spontane Genie der Leute raus und das ist für mich Schauspielerei in seiner ursprünglichsten Form. Wir haben die Szene zwei- oder dreimal gedreht, dann konnte niemand mehr so richtig arbeiten, weil wir so lachen mussten. Das sind Glücksmomente. Ich wollte authentische Menschen im Film haben, ihren Lokalkolorit und vor allem ihre Sprache, die mir besonders wichtig ist.
 
 
Bisher haben Sie vor allem dokumentarisch gearbeitet. Hat sich diese Erfahrung auch beim Drehen eines Spielfilms bezahlt gemacht?
 
ARMAN T. RIAHI: Auf jeden Fall. Die Migrantigen ist ja ein versteckter Ensemble-Film mit an die 60 Sprechrollen. Ich habe mich bemüht, trotz der Hektik und des Stresses mit den Schauspielern zu arbeiten, sodass sie auch in kleineren Rollen etwas entwickeln konnten. Die Kommunikation mit den Schauspielern kann immer verbessert werden, dennoch war mir da meine Erfahrung aus dem Dokumentarfilm sehr hilfreich. Und der Umstand, nicht zum ersten Mal zu drehen, hat mich in extrem stressigen Situationen die nötige Ruhe bewahren lassen.
 
 
Wenn man einen Film dreht, der explizit in Wien verortet ist, dann versucht man ihn auch von anderen bildlich zu unterscheiden. Wie gestaltete sich die Auswahl der Drehorte in Wien?
 
ARMAN T. RIAHI: Der „Rudolfsgrund“ ist ja ein fiktives Viertel. Wir wollten ein Viertel finden, das noch nicht so abgegriffen war und auch keinem Wiener Grätzel ein schlechtes Image verpassen. Ich kann nicht behaupten, dass es sich um einen migrantischen Arbeiterbezirk handelt. Denn die Frage ist, ob es die so noch gibt. Sie haben zumindest eine Tradition. Ich musste einen noch unverbrauchten Markt finden und bin rasch auf den Hannovermarkt gekommen, weil meine Eltern da in der Nähe wohnen. Wir hatten auch im 21., 22., in Simmering und Favoriten recherchiert, der Hannover-Markt erwies sich als das perfekte Bindeglied zwischen Innen und Außen, zwischen urbanem Lebensgefühl und Randbezirk und es sollte glaubhaft vermittelt werden, dass es dort eine kleine Community gibt. Es war mir wichtig, ein Wien zu zeigen, mit dem wir aufgewachsen sind und das viele Leute nicht kennen. Ich wollte keinesfalls eine gefaktes Umfeld für die filmische Handlung kreieren, sondern die Zuschauer sollten ein Gefühl von „Das kenn ich ja“ bekommen, nicht weil sie es schon so in einem anderen Film gesehen haben, sondern weil das einfach Wien ist. Es ist viel von dem Wien drinnen, in dem ich aufgewachsen bin, im Hannover-Markt spüre ich noch den Naschmarkt und den Schwendermarkt meiner Kindheit.
 
 
Von der ersten Einstellung weg, ist auch das Objekt Kamera im Bild. Das Schaffen von Bildern und die Hinterfragung ihrer Wirkung ist von Anfang an ein Thema. Welche Realitäten schafft das Bild? Wie wird Realität durch erzeugte Bilder aufgeschaukelt? Wie wichtig ist Ihnen dieser Subtext Ihrer Komödie?
 
ARMAN. RIAHI: Es ist mehr als ein Subtext. Wie sehr sind wir alle daran beteiligt, welches Bild von Menschen mit Migrationshintergrund in der medialen Wahrnehmung dominiert? Die Geschehnisse im Film sind ein Platzhalter für tagtägliche Situationen, wo unserer Meinung nach die Menschen auf Schlagzeilen reduziert werden. Wir leben in einer Zeit, wo Medien Profit machen müssen. Das ist nichts Neues, es wirkt sich dennoch auf das Bild der Menschen und die Berichterstattung über sie aus. Die Fernsehsendung im Film steht für Methoden, wie heute – aus der Sicht der Medien verständlicherweise – nach „Stories“ gesucht wird. Darin verstehe ich den Film als ganz offene Medienkritik, die aber einem breiten Publikum zugänglich sein soll. Es wird sich erst erweisen, ob uns die Gratwanderung gelungen ist, einen gesellschafts- und medienkritischen Film mit der Oberfläche einer Komödie auszustatten. Wir wollten Unterhaltung schaffen und hoffen, dass der Film bei den Menschen nachwirkt. Es ist natürlich ein Experiment. Als wir am Drehbuch zu schreiben begonnen haben, waren Fake-News noch kein Thema. In der aktuellen Situation zu Donald Trumps Amtsantritt trifft es genau den Nerv der Zeit. 
 
 
Wie viele Nationalitäten bzw. Hintergründe waren in dieser Produktion vertreten?
 
ARMAN T. RIAHI: Irgendjemand hat es mal gezählt, so an die zwanzig. Es war jedenfalls sehr lebendig und sehr erfrischend, mit Leuten zu arbeiten, die zwar noch keine sehr lange Filmographie, aber ein hohes Maß an Professionalität haben. Die sechs Wochen Dreh waren ziemlich stressig, umso mehr als es drei davon geregnet hat. Man ist beim Dreh in einem fahrenden Zug und muss danach trachten, auf dem Weg die Dinge einzufangen, die man für wesentlich hält. Im Nachhinein betrachtet habe ich das Gefühl, dass es für alle Beteiligen eine schöne Erfahrung war. Jedenfalls habe ich schon Rufe nach dem Teil 2 gehört....  Mir liegt eines sehr am Herzen, dass endlich Leute eine Plattform haben, die sonst nie eine Chance bekommen. Und dass diesmal kein Araber einen Kroaten und kein Österreicher einen Jugo spielen muss, und Wiener mit einer zweiten Kultur endlich das spielen können, was sie eigentlich sind: Österreicher.
 
 
Interview: Karin Schiefer
Jänner 2017
«Die Menschen, die einfach Teil der Gesellschaft geworden sind, sind ja unsichtbar.»