Dass sich hinter Eismayers brutaler Strenge ein Doppelleben verbirgt, hätte man sich unter seinen Kollegen vom österreichischen
Bundesheer nicht einmal träumen lassen. Unter seinem Kommando hatten junge Soldaten nichts zu lachen. Doch als der Rekrut
Mario Falak seinen Dienst antritt, kommt Charles Eismayers Lebenskonstrukt aus Militär, heiler Familie und versteckter Homosexualität
ins Wanken. David Wagner lässt in seinem Spielfilmdebüt EISMAYER der wahren wie ungewöhnlichen Liebesgeschichte in den spröden Strukturen einer Kaserne langsam seinen Lauf nehmen.
EISMAYER ist die Liebesgeschichte zweier Männer, die einander unter denkbar schwierigen Umständen beim Heer begegnet sind.
Inspiriert ist sie von wahren Begebenheiten und benannt nach tatsächlich existierenden und auch noch im österreichischen Heer
tätigen Männern. Wie wenig Fiktion brauchte es, um die Basis für das Drehbuch eines Kinospielfilms zu schaffen?
DAVID WAGNER: Die Schwierigkeit beim Drehbuch war die, dass sehr viel Geschichte schon vorhanden war und ich entscheiden musste, was ich
davon in meine Fassung aufnehme und was ich draußen lasse. Wenn man die kurze Zusammenfassung hört, dann triggert das etliche
empfindliche Punkte und man hat spontan den Eindruck, dass es sich um eine extrem geile Geschichte handelt. Lässt man den
Protagonisten seine Geschichte erzählen, dann wird einem, je länger man zuhört, bewusst, dass es sich um eine Anhäufung von
unglaublichen Erlebnissen handelt, es letztendlich aber weniger eine dramaturgisch kompakte Geschichte, sondern vielmehr Lebenserfahrung
ist. Nach meinen Recherchen und den Interviews, die ich mit Charles Eismayer geführt habe, zu entscheiden, was in den Film
kommt und diese Elemente in ein dramaturgisches Korsett zu bringen, war eine äußerst schwieriger Prozess. Wenn ich die Frage
in Prozenten beantworten soll, habe ich ungefähr 30 Prozent 1:1 aus der Realität übernommen, der Rest ist fiktionalisiert.
Wie wurde diese Geschichte publik und wie sind Sie darauf gestoßen?
DAVID WAGNER: Ein Freund, der wusste, dass ich das Bundesheer absolviert hatte, hat mich bald nach Erscheinen des Artikels im Kurier, der
nach der Heirat der beiden Männer erschienen ist, darauf hingewiesen. Natürlich war mir Eismayer ein Begriff.
War es einfach die beiden Protagonisten zu überzeugen, ihre Geschichte zur Adaptierung fürs Kino freizugeben?
DAVID WAGNER: Charles Eismayer ist von seiner Persönlichkeit her, um es direkt zu formulieren, eine „Rampensau“ und dieser Umstand hat
mir als Autor und Regisseur sehr in die Hände gespielt. Bereits in den Zeitungsinterviews war klar, dass er keinerlei Scheu
hatte, darüber zu reden. Ich hatte den Eindruck, dass er mit diesem Outing die Flucht nach vorne angetreten hat. Irgendwann
hat er begriffen, dass es besser ist, voll rauszugehen, um eine Akzeptanz zu erlangen. Insofern war es nicht so schwierig,
ihn zu überzeugen, einen Film daraus zu machen. Was allerdings schon nötig war, war eine gewisse Zeit des Kennenlernens, damit
er zu mir Vertrauen fassen und ich ihn überzeugen konnte, dass ich der Richtige bin, denn klarerweise war ich nicht der Einzige,
der sich für diesen Stoff interessiert hat. Ich glaube, es war gut, dass ich selbst beim Bundesheer gewesen bin, dass ich
viel zugehört und ihm nicht gleich meine Vorstellungen von der Umsetzung raufgedrückt habe.
Haben die beiden die Entscheidung gemeinsam getroffen?
DAVID WAGNER: Die sind ein sehr zusammengeschweißtes Paar, zwischen die beiden bekommst du kein Blatt Papier. Sie reden sehr viel miteinander,
insofern bin ich sicher, dass sie die Entscheidung gemeinsam getroffen haben. Und sie haben mich, als ich bei ihnen zu Hause
auf Besuch war, ja auch unter die Lupe genommen.
Haben Sie die Geschichte Ihrer Protagonisten in erster Linie über Gespräche mit Charles Eismayer und Mario Falak erforscht?
DAVID WAGNER: Der Zeitungsartikel war so etwas wie der Teaser und dann habe ich, um im Militärjargon zu bleiben, an zwei Fronten recherchiert:
direkt bei Charles und Mario. Dazu habe ich alleine mit Charles Eismayer ein rund dreistündiges interview geführt, dasselbe
auch mit Mario und darüber hinaus sehr viele Gespräche off the records mit ihnen geführt, wo es um sehr viel Persönliches
ging. Er hat mir von der Kindheit an sein ganzes Leben erzählt und hat sich dabei bis ins Intimste geöffnet. Es war klar,
dass ich mit diesem Wissen sehr respektvoll umgehen würde Die andere „Front“ waren die Rekruten – nur Männer – , die Charles
Eismayer im militärischen Kontext erlebt haben. Diese andere Seite war mir extrem wichtig. Man hört arge Sachen über ihn,
auf die er nicht sehr stolz ist und die er auch ein bisschen runterspielt. Ich wollte Betroffenen zuhören, die ihn in der
vollen Härte erlebt haben. Es gab da ein Spektrum von fanatischer Verehrung bis zu vollkommener Ablehnung. Diese Soldatenseite
zu beleuchten war deshalb so wichtig, weil natürlich die Gefahr bestand, dass man ihn glorifiziert und diesen Fehler wollte
ich auf keinen Fall begehen. Es war eine haarscharfe Gratwanderung, ihn sympathiemäßig gerade nicht zu verlieren.
War es für Sie die härteste Nuss zu knacken, eine so widersprüchliche Person glaubhaft zu erzählen?
DAVID WAGNER: In dem Moment, wo er mich in sein Leben hineingelassen hat, habe ich ihn ja ganz anders erlebt, als die Soldaten das getan
haben. Er hat sich mir gegenüber so geöffnet, dass er mir sympathisch geworden ist. Er hat nichts verschwiegen und mir so
auch Wind aus den Segeln genommen, dass ich ihn verurteilen könnte. Seine Selbstreflexion hat er sehr geschickt vermittelt.
Tendenziell habe ich bei mir die Gefahr wahrgenommen, ihn zu sympathisch zu zeichnen, da habe ich versucht, bewusst dagegen
zu steuern. In der Drehbuchphase habe ich völlig konträres Feedback bekommen, von zu arg bis nicht hart genug. Ich habe versucht,
meinen Weg durchzugehen. Das war gewiss eins vom Schwierigsten.
Welche Rolle spielt der Umstand, dass man einen Film über existierende Personen macht und das Ergebnis auch deren Blick standhalten
muss?
DAVID WAGNER: Dieser Gedanke spielt natürlich mit, aber man muss sagen, Charles Eismayer hat sich immer sehr zurückgehalten. Natürlich
musste ich ihm irgendwann einmal das Drehbuch zum Lesen geben. Das habe ich aber erst gemacht, nachdem der erste Draft fertig
war und ich beim Filmfestest München einen Preis dafür bekommen hatte. Er hat mit viel Vertrauen einfach „Mach!“ gesagt, irgendwann
hat er’s dann gelesen und nicht mehr als mit „Passt schon“ kommentiert. Ich glaube, er hat sich nur gewisse Stellen, die 1:1
seiner Biografie entlehnt sind, genauer angeschaut und dann militärische Details, was Bezeichnungen betrifft, korrigiert.
Dramaturgisch hat er sich gar nicht eingemischt.
Wie sehr waren grundlegende Themen wie Homosexualität im Heer oder der unzeitgemäße menschliche Umgang mit den Rekruten Teil
Ihrer Auseinandersetzung?
DAVID WAGNER: Homophobie beim Heer als ein Thema und – eigentlich im selben Fahrwasser – Sadismus, Machismus, Brutalität – sind Symptome
desselben Kerns. Für mich geht es um eine toxische Form von Männlichkeit, die es beim Bundesheer einfach immer noch gibt,
auch wenn sich die letzten Jahre einiges verbessert hat. Das ist ein großes grundlegendes Problem in unserer Gesellschaft,
das sich beim Bundesheer nochmal potenziert. Umso spannender ist es, von einem Mann zu erzählen, der versucht, nach einem
alten Männlichkeitsprinzip ein Mann zu sein und sich deshalb hart, unnachgiebig und auch brutal gibt, weil es ihm nie erlaubt
war, sein innerstes Bedürfnis auszuleben – Männer zu lieben, weich zu sein. Schwul-Sein – so wurde ihm im Elternhaus vermittelt
– sei eine Krankheit, die vorbeigehe. Er hat sich in ein Rollenbild reindrängen lassen, das eine Eigendynamik entwickelt hat;
er ist zu einer Art Hardcore-Monster geworden, auch, um nicht aufzufliegen. Eine Zeitlang hat das sehr gut funktioniert. Es
hat von seinem inneren Wesen so abgelenkt, sodass niemand in seinem Umfeld ihn je für homosexuell gehalten hätte. Viele fallen
noch immer aus allen Wolken, wenn sie jetzt – 2022 – den Zeitungsartikel lesen.
Sie haben mit sehr viel Sorgfalt zum Detail das Casting der Rekruten gemacht und auch die Atmosphäre der jungen Männer untereinander
erzählt. Der derbe Humor, die Homophobie, die Angst und die körperliche und psychische Belastung. Muss man selbst das Bundesheer
absolviert haben, um diese Welt von innen heraus erzählen zu können?
DAVID WAGNER: In diese Details ist sehr viel Arbeit eingeflossen, es sind aber auch die richtigen Entscheidungen getroffen worden. Ich kannte
einen Großteil der Jungs, die die Rekruten spielen, von Arman T. Riahis Fuchs im Bau, weil ich dafür das Coaching mit den jugendlichen Darsteller:innen gemacht habe. Ich war also zum einen mit ihnen vertraut
und dazu kam, dass einige von ihnen gerade eben das Bundesheer absolviert hatten. Diesem Umstand habe ich im Film Raum gegeben,
weil das so frisch in den Jungs drinnen war. Die Darsteller, die nicht beim Bundesheer waren, haben direkt vor den Dreharbeiten
eine Woche lang eine Ausbildung bekommen: Sie haben in der Kaserne geschlafen, wurden gedrillt und angebrüllt, bekamen eine
Waffe in die Hand, mussten kriechen, stehen, exerzieren. Das macht sehr schnell etwas mit einem. Ich kann mich selbst noch
gut an dieses Gefühl erinnern. Nach einem halben Tag weißt du, wie der Hase läuft und das ist furchterregend, wenn man aus
einem behüteten Haushalt kommt und vielleicht auch noch Maturant ist. Es ist eine andere Welt. Mit dem Spaß ist’s vorbei.
Dazu kam, dass wir nicht im Studio, sondern auf Originalschauplätzen gedreht haben. Wenn man als Team in der Maria-Theresien-Kaserne
am Set steht und man hört die Ausbildner herumbrüllen und durch die Gegend stiefeln, sieht nur die Farben Rot, Grün und Beige
und ist 24/7 von einem militärischen Umfeld umgeben, dann prägt einen das ganz schnell. Man glaubt gar nicht, wie schnell
ein Mensch in diese klaren, hierarchischen Strukturen einrastet. Und wie bereits erwähnt, habe ich das selbst erlebt, wenn
auch nicht in der Kaserne, wo Eismayer war, aber in Niederösterreich und im Burgenland war er auch in anderen Kasernen ein
Begriff. Ich war acht Monate beim Bundesheer und es war unglaublich, wie schnell die Atmosphäre dieser Zeit wieder zurück
in mir war, sobald man eine Kaserne betritt. Alleine der Geruch der Uniformen oder Waffen. Ich wusste beim Blick auf den Monitor
sofort, was passte und was nicht.
Wie haben Sie diese authentische Sprache der Dialoge gefunden?
DAVID WAGNER: Sprache ist eine Leidenschaft von mir. Ich schreibe sehr gerne Dialoge und habe diesen Teil der Arbeit sehr genossen. Meine
Art, mit der Welt umzugehen, ist schon seit langem von einer künstlerischen Auseinandersetzung bestimmt. Jetzt durfte ich
mal damit spielen. Es war ein ambivalentes, weil auch lustvolles Erlebnis, alle Schichten auszugraben und sie so richtig rauszulassen:
grindig und hart, rassistisch, sexistisch und auch homophob sein. Gleichzeitig war das ein heikler Punkt im Zusammenhang mit
dem Bundesheer, das ja mit seinem Image ringt, und auf dessen Unterstützung wir angewiesen waren. Ich hatte mich nie veranlasst
gesehen, einen bundesheerfreundlichen Film zu drehen. Ich sah meinen Auftrag darin, diese wirklich problematische Situation
beim Heer als die Welt zu erfassen, in der die Geschichte passiert. Aus diesem Spannungsfeld ergeben sich ja die wertvollen
Erkenntnisse.
Wie verlief das Casting für die beiden Hauptdarsteller, insbesondere die sehr ambivalente Rolle des Eismayer?
DAVID WAGNER: EISMAYER ist mein erster Spielfilm und es waren so viele Erfahrungen sehr neu. Ich habe in Hamburg studiert und war nicht
auf letztem Stand, wer in der österreichischen Filmszene gerade besonders angesagt war. Es ist mir aber vieles zugeflogen.
Sowohl Gerhard Liebmann als auch Luka Dimić wurden mir bereits im Drehbuchprozess von Komiliton:innen in der Drehbuchwerkstatt
empfohlen. Ich hab mir das Showreel von Gerhard Liebmann angeschaut und es war klar: Er ist außergewöhnlich gut und vielschichtig.
Ich will nur den! Ich habe ihm das Drehbuch geschickt und er hat zugesagt. Bei Luka Dimić war es ähnlich. Für diese Rolle
habe ich mich auch mit dem Thema Schauspiel und Migrationshintergrund und dem damit verbundenen Alltagsrassismus beschäftigt.
Dazu kam, dass Lukas Lebenslauf sich in mehreren Dingen mit dem von Mario Fallak gedeckt hat, er hat also sehr viel in die
Rolle mitgebracht. Dann war immer noch die Frage, ob die beiden harmonieren würden und die Anziehung zwischen den beiden auch
wirklich glaubhaft ist. Luka ist aber so ein entzückender Typ. Mir war wichtig, dass man sich aus einer Zuschauer:innen-Perspektive,
als schwuler Mann, als Hetero-Mann und ebenso als Frau in ihn verlieben kann. Gerhard Liebmann ist kein typischer Publikumsliebling-Typ
und es war nicht leicht, diese Entscheidung durchzusetzen.
Wie hat sich Gerhard Liebmann auf das Doppelleben, das er zu verkörpern hatte, vorbereitet. Wie haben Sie in ihrer ersten
Arbeit mit Darstellern den Dreh vorbereitet?
DAVID WAGNER: Wir haben sehr viel Zeit miteinander verbracht. Eine unserer ersten gemeinsamen Unternehmungen war, zum Truppenübungsplatz
Seethaler Alpe zu fahren. Wir haben fünf Tage in einem Gasthaus gewohnt und sind täglich sieben Stunden wandern gegangen,
manchmal haben wir geredet, manchmal nicht. Am Abend sind wir bei Zirbenschnaps übers Drehbuch gegangen und haben uns viel
über uns beide und über die Geschichte von Eismayer unterhalten. Das Wesentliche war, eine direkte, unmissverständliche Sprache
zu finden. Wir haben sehr viel kommuniziert. Wir sind gemeinsam über jedes einzelne Wort gegangen, ich habe mir seine Vorschläge
angehört, wir haben es bis zum Dreh immer wieder abgeklopft und verändert, manchmal haben wir sogar noch in den Takes geschaut,
ob noch mehr rauszuholen ist. Es war ein extrem schönes Schürfen nach Wahrhaftigkeit, nach dem Authentischen. Außerdem haben
wir gemeinsam mit dem echten Charles Eismayer Zeit verbracht und Gerhard hat jede Geste und jedes Wort vom ihm aufgesaugt
wie ein Schwamm. Ich wusste, ich konnte mich vollkommen auf ihn verlassen. Luka lebt in Berlin, insofern konnten wir uns nicht
so intensiv auf die Rolle vorbereiten. Natürlich musste ich mir als Regisseur die Locations, die Kostüme oder Maskenprobe
etc. anschauen, das Wichtigste war meiner Meinung nach aber, dass ich mit den Schauspieler:innen sitze, gehe, stehe und an
dieser Rolle arbeite, ihnen das Gefühl gebe, dass sie gute Arbeit machen, dass ich sie trage und eine Atmosphäre von Vertrauen
schaffen kann, in der sie sich öffnen können. Ich muss aber sagen, dass ich unter einem enormen Zeitdruck gestanden bin und
nicht für alle ausreichend Zeit hatte. Es war lange nicht klar, wann der Dreh losgehen würde, plötzlich wurde aber sehr kurzfristig
entschieden. Corona hat da natürlich mitgespielt, es war aber auch die Zusammenarbeit mit dem Bundesheer, die bis kurz vor
dem Dreh eher schleppend verlief. Als es dann doch grünes Licht gab, mussten wir sehr schnell reagieren. Wir brauchten ja
nicht nur die Locations, sondern auch Uniformen, Waffen, Autos, militärische Beratung... Ohne diese tatkräftige Unterstützung
wäre der Film mit unseren budgetären Mitteln niemals machbar gewesen.
Eine weitere enge Zusammenarbeit im Vorfeld ist die Kamera. Wie haben Sie mit Serafin Spitzer, die Bildsprache entwickelt?
DAVID WAGNER: Serafin Spitzer ist ein sehr fokussierter, genauer Kameramann, was der Erzählform sehr gutgetan hat. Ich lasse Dinge gerne
offen, warte ab, wohin ein Prozess führt, Serafins Fokussiertheit war die perfekte Ergänzung und hat mich in ein Korsett gezwungen,
in dem ich dann wieder sehr kreativ sein konnte. Der Film hat eine Strenge und Nüchternheit bekommen, die anfangs sehr gewöhnungsbedürftig
war und die mir jetzt sehr gut gefällt.
Strukturiert ist der Film durch eine wiederkehrende Einstellung auf die verwachsene Ruine eines Hauses im Wald, sehr rätselhafte
Bilder, die sich erst am Ende auflösen. Welche Bedeutung haben diese Bilder für Sie?
DAVID WAGNER: Ich hatte nur 30 Drehtage und musste zwei Wochen vor Drehstart noch etliche Seiten streichen, um diesen Drehplan einhalten
zu können. Es sind viele Dinge rausgeflogen, die eine Atmosphäre erzählt und die Zeit zu reflektieren gegeben haben. Gegen
Ende des Drehs hat sich dann herausgestellt, dass genau das Gestrichene nun fehlte. Wir brauchten eine Ebene, die uns die
Möglichkeit bot, nach innen zu schauen und nachzudenken. Es hat sich dann noch spontan ein halber Drehtag eröffnet und ich
bin mit Serafin zurück zum Truppenübungsplatz, wo wir nach Bildern suchten, die mir Eismayers Innenleben eröffneten. Was wir
gefunden haben, ist eine Mischung aus einer Natur von organischer, komplett freier Wuchsform und starren Gebäudestrukturen,
die am Verfallen sind. Das war für so Vieles sinnbildlich: für den Körper von Eismayer, für das Mann-Sein, für alte Strukturen,
die verfallen und dem Lebendigen Platz machen. Wir haben einfach gedreht, ohne zu wissen, wie ich die Bilder am Ende verwenden
würde. Es war wie ein Haufen Joker-Karten, die ich im Schnitt an verschiedensten Stellen ausprobiert habe. Irgendwann ist
der Knoten aufgegangen und hat eine Ebene eröffnet, die es braucht, damit mehr als nur Plot und Handlung da ist. Die Bilder
mit den in die Wände geritzten Namen erzählen vielleicht die Schicksale von Männern mit, die nicht so ein Glück, oder nicht
die Chance oder nicht den Mut gehabt haben, aus ihrer Situation rauszukommen. Für sie ist es eine Ritzerei an der Wand geblieben.
Interview: Karin Schiefer
Juli 2022