Jung-Sein könnte sich leichter anfühlen. Das Weingut der Familie und der vergessliche Großvater hier, die Rolle als Kapitänin
in der Eishockey-Mannschaft da, sorgen für recht viel Pflicht im Leben der 20-jährigen Mira. Da ist aber auch die Angst, Erwartungen
an sie nicht erfüllen zu können und die Trauer um verlorene Familienmitglieder. Lange sieht Mira in Clara Sterns Debüt BREAKING THE ICE nicht, dass das Eis, das sie samt ihrem Panzer immer wieder hart aufprallen lässt, auch ganz schnell tauen kann.
Am Eis lässt sich schwerelos gleiten (wie die erste Sequenz des Films zeigt) oder schmerzhaft aufprallen. Es ist hart, kalt,
manchmal zerbrechlich. Wie ist das Eis zur bestimmenden Materie Ihres ersten Spielfilms BREAKING THE ICE geworden?
CLARA STERN: Ich hatte grundsätzlich einen Teamsport gesucht, weil ich für meine Erzählung die Dynamik eines Teams brauchte, um von einer
Hauptfigur im Kontext der Gesellschaft, dem Druck und den Erwartungen, die diese Gesellschaft setzt erzählen zu können. Als
ich Eishockey in Erwägung zog, habe ich entdeckt, dass das Eis so viele Elemente in sich birgt. Es ist ein harter, schneller
Sport, der aber auch von Eleganz und fließende Bewegungen bestimmt ist. Es kommt oft vor, dass Hockeyspielerinnen im Ausführen
ihrer Spielzüge geradezu in etwas Tänzerisches fallen und dann prallen die Kräfte, die da wirken, aber auch wieder auseinander.
Eis vermittelt etwas Zerbrechliches für die Hauptfigur, das Outfit der Spielerinnen wiederum etwas Gepanzertes, was sie stark,
gleichzeitig aber auch verletzlich macht dadurch, dass sie sich durch die Schutzkleidung abschottet. Der Titel des Films BREAKING
THE ICE verweist auf das Aufbrechen, das Aufeinander-Zugehen, das Brücken-Schlagen, um das es mir geht. Die Hauptfigur Mira
grenzt sich sehr stark nach außen ab und irgendwann bricht die Eisschicht, die sie um sich gebaut hat, auf. Ich mag, dass
Eis seinen Aggregatzustand ändern kann. Es ist hart, kann brechen oder Schmerzen zufügen, kann aber auch schmelzen und flüssig
werden.
In der ersten Einstellung von BREAKING THE ICE richten Sie den Blick in eine Eishalle durch eine zerkratzte Plexiglasscheibe.
Warum eröffnen Sie mit diesem irritierenden Blick?
CLARA STERN: Ich mochte an dem Bild, dass es etwas von einem Auge hat. Die Halle und die Spiegelung am Eis bilden ein Oval. Die Anfangssituation
ist die, dass Mira sich selbst nicht sehr klar sieht. Dann aber knallt der Puck gegen die Scheibe und uns fast ins Gesicht.
Es ist offensichtlich ein Bedürfnis bei Mira da, diese nebelhafte Schicht, die sie trennt, zu durchbrechen. Am Anfang allerdings
prallt sie noch ab. Wir bleiben in den folgenden Bildern noch sehr distanziert und auch schwebend, was eine Freiheit zeigen
kann, andererseits aber auch darauf hinweist, dass Mira, noch der Mut fehlt, ihr Leben zu verändern.
Im Zentrum stehen zwei Systeme – eine Familie und ein Team – die beide nicht sehr gut als Ganzes funktionieren, sondern aus
lauter Einzelkämpfer:innen bestehen. Ist die Frage nach einem echten Miteinander die zentrale Frage von BREAKING THE ICE?
CLARA STERN: Die zentrale Frage für mich ist die der Zugehörigkeit und des Zusammenseins. Ich selbst bin ein Herdentier und brauche andere
Menschen ganz dringend, gleichzeitig darf man für diese Gemeinsamkeit nicht alles aufgeben. Es gilt, eine Balance zu finden,
wo man sich aufeinander verlassen kann und man einander Raum gibt, ohne dass es zu einer negativen Abhängigkeit kommt. Das
ist meine Idealvorstellung von Familie und Gesellschaft. Die Frage ist, was es braucht, um so eine Gemeinsamkeit herzustellen.
Einsamkeit ist ein sehr zentrales Thema in unserer Gesellschaft und im Film. Interessanterweise habe ich das Drehbuch vor
Corona geschrieben. Aber die Tendenz zu vereinsamen, war schon vorher gegeben, die ist uns durch die Pandemie aber auf einer
physischen Ebene klar aufgezeigt worden ist. Eine innere Einsamkeit hat viel mit der Angst zu tun, nicht dazuzugehören, nicht
den Erwartungen zu entsprechen, ob es nun um Karriere oder um Gender-Rollen geht. In der Generation meiner Hauptfiguren, die
Anfang 20 sind, ist die Zukunftsangst ein sehr präsentes Thema. Es wurde uns eine Zukunft versprochen, die es nicht geben
wird. Der Klimawandel drückt, wir werden den Wohlstand, den unsere Elterngeneration in westlichen europäischen Ländern aufgebaut
hat, nicht weiterführen können. Gleichzeitig steigt von Außen ein extremes Erwartungsbild, was wir alles leisten sollten.
Man soll sehr schnell wissen, worin man gut ist. Schüchternheit und Zurückhaltung sind Wesenszüge, die es zu eliminieren gilt.
Das sind Themen, die sehr stark brodeln und ich glaube, dass aus der Zukunftsangst eine große Vereinsamung entsteht, Angst
Fehler zu machen, andere zu enttäuschen und daraus resultiert eine Starre. Meine Hauptfigur ist am Anfang des Films von dieser
Starre erfasst, die bei ihr etwas sehr Körperliches hat, ausgedrückt durch den Sport und ihre handwerkliche Tätigkeit im Weinbaubetrieb
ihrer Familie. Diese Körperlichkeit macht sie zu einer Säule, die eine Stütze sein kann, die sie aber auch total unbeweglich
macht.
In Miras Zuhause leben der Großvater ohne Großmutter, die Mutter ohne Vater und alle ohne Miras Bruder Paul. Diese Absenzen
sind tabuisiert, aber mit viel Schmerz verbunden. Welche Rolle spielen diese verschwundenen Personen?
CLARA STERN: Das Fehlen von einem ebenbürtigen Gegenüber rührt sehr stark daher, dass die Rollenvorstellung, wer das sein könnte, sehr
eng ist. Für den Opa wäre es die Oma. Für die Mutter der Vater, für Mira ihr Bruder Paul oder ein Partner, oder vielleicht
eine Partnerin. Wenn wir uns öffnen würden, in der Frage, wer die Menschen sein können, mit denen wir unser Leben und unsere
Verantwortung teilen, dann hätten wir auch eine Chance darauf, weniger einsam zu sein, weil wir nicht nur auf eine Form der
gesellschaftlich konditionierten Liebe konzentriert wären, mit der wir unsere Chance auf Vollkommenheit verbinden. Es gibt
doch den Mythos vom Kugelmenschen, der geteilt wurde. Ich glaube, dass wir eigenständige Kugeln sind, die aber auch nicht
allein sein können. Mit wem wir uns verbinden, könnte, wenn es nach mir ginge, ruhig offener sein. Wir haben oft – wie in
Miras Familie – die Augen verschlossen, wer für uns da ist und fokussieren stattdessen darauf, wer nicht da ist, wen man verloren
hat und wen man nicht halten kann und betrachten es als eigene Schuld und eigene Last, anstatt aufzumachen und wertzuschätzen,
wer dageblieben ist und für einen da sein möchte. Das hat wieder mit den Vorstellungen zu tun, was eine Familie ist, aus welchen
Personen eine Familie besteht, was eine Liebesbeziehung ist, von wem wir die Anerkennung, die wir im Leben brauchen, bekommen
können. Diese Fragen stecken für mich im Film in dieser Konstellation.
Welche Gedanken haben Sie bei der Figur des Bruders Paul beschäftigt, der den Clown gibt, um sich nicht mit dem Schmerz und
seiner Mitverantwortung am Tod der Großmutter auseinandersetzen zu müssen. Wie kam es zu dieser Idee, dass Paul diesen extrem
verspielten Umgang mit seiner Umwelt hat?
CLARA STERN: Mira und Paul sind wie zwei Seiten einer Medaille. Ihre Reaktionen auf die gleichen Herausforderungen liegen 180 Grad auseinander.
Mira versucht alles aufzufangen, Paul löst sich komplett davon. Paul ist die Figur, die das Publikum wahrscheinlich spalten
wird: Manche wären gern wie er, für manche gibt es vielleicht Pauls in ihrem Leben und sie haben dadurch eine höhere Belastung
im Leben zu tragen, weil da jemand ist, der nicht im gleichen Ausmaß Verantwortung übernimmt, sondern sich alles nimmt. Es
geht immer um das Ausbalancieren. Manchmal täten wir gut daran, uns eher wie Paul zu verhalten und weniger Angst vor Fehlern
zu haben, weniger Angst davor, auf Menschen zuzugehen, weniger Angst herauszufinden, was in einem steckt, wer man selber sein
will, anstatt zu versuchen der oder die zu sein, den/die die anderen von uns erwarten. Dann würden dort die Masken fallen,
wo eine Maske zur nächsten führt. Paul hat trotz aller Lügen und Verstellungen eine hohe emotionale Ehrlichkeit. Das sollten
wir uns von ihm abschauen. Wo er ein weniger gutes Vorbild ist, ist der Umstand, dass er alle im Stich lässt.
Mit Theresa, der Neuen im Eishockeyteam, entsteht gemeinsam mit Paul ein Dreieck, das plötzlich Leichtigkeit in Miras Leben
bringt. Welche Rolle spielt dieses Dreieck in der Erzählung?
CLARA STERN: Theresa ist für mich die Figur, die sehr ausbalanciert mit sich selber ist. Judith Altenberger, die Darstellerin der Theresa,
hat es sehr gut auf den Punkt gebracht: Sie hat sich in der Vorbereitung auf die Rolle gefragt, welche Biografie jemand haben
muss, der so mit sich selbst im Reinen ist. Was ich an dieser Figur schön finde, ist, dass sie ihrer inneren Stimme folgt,
artikulieren kann, was sie braucht, keine Angst hat, sich lächerlich zu machen. Für Mira ist es sehr wichtig zu sehen, dass
es jemanden gibt, die Grenzen setzen kann und die keine Scheu hat, Raum für sich zu beanspruchen. Zunächst erscheint vielleicht
eher Paul als die Katalysator-Figur. Die echte Katalysator-Figur ist aber Theresa, weil sie in einer gesunden Mitte zwischen
beiden Figuren liegt. Für mich eine Hoffnung, dass Mira irgendwann dort ankommt.
Beim Gedanken, einem Team eine wesentliche Rolle zuzuschreiben, haben Sie sich für ein Sport-Team entschieden. Hat das auch
damit zu tun, dass auch Themen wie Regelwerk, Disziplin und Leistung im Vordergrund stehen?
CLARA STERN: Als die Figur der Mira in mir zu wachsen begonnen hat – und ich hatte das Gefühl, dass sie eine logische Fortsetzung der
Figuren meiner Kurzfilme ist – war sehr schnell der Gedanke da, dass ich eine Profisportlerin haben wollte. Über die Ebene
der Körperlichkeit konnte Vieles zum Ausdruck kommen, was Mira noch nicht zu verbalisieren vermag. Ich halte es für spannend,
wenn es im Film möglich ist, den kleinen Momenten der Veränderung beizuwohnen, wo man erst im Nachhinein begreift, dass es
ein großer Moment der Veränderung war. Ich hatte die Hoffnung, dass mir die Körperlichkeit einer Sportlerin als Hauptfigur
die ganze Palette an Emotionen zur Verfügung stellt. Ich bin fasziniert von der Selbstdisziplin, die Profisportler:innen von
klein auf an den Tag legen, davon, wie intensiv sie in den Körper gehen und mit dem Körper arbeiten. Dann aber ist da auch
die Diskrepanz, dass sich jemand, der so intensiv mit seinem Körper arbeitet, selbst so schlecht kennt. Die Schwebe-Sequenz
zu Beginn des Films soll zeigen, was ich bei meinen ersten Recherche-Beobachtungen empfunden habe, nämlich, dass die Spieler:innen,
wenn sie aufs Eis gehen, den Alltag hinter sich lassen, sich langsam aufwärmen, ihre Runden ziehen. Der Trainingsanfang hatte
für mich etwas Schwebendes, Meditatives, bevor es schneller wird. Dieser Moment des Aussteigens aus der Außenwelt hatte etwas
sehr Emotionales, eine Öffnung, eine körperliche Präsenz, und eine Bereitschaft, sich klaren Regeln, Abläufen und einem Training
zu unterwerfen, das einen an die Grenzen bringt. Eishockey ist auch deshalb der Sport meines Films geworden, weil es mir wichtig
war, eine Sportart zu finden, wo es nicht um Frauenkörper als sexuelle Objekte geht, sondern um den Körper als Ort der Kraft.
Gerade im österreichischen Damen-Eishockey, das wirklich gut ist, wo es aber keine Gehälter gibt, habe ich ein Commitment
füreinander und für diesen Sport gespürt. Es hat mich fasziniert, dass sich Leute zusammentun, um diesen Sport gemeinsam zu
auszuüben und nicht um Geld zu verdienen. Natürlich wollen sie gut sein und Erfolge erzielen, aber sie betreiben ihn auch,
weil es ein Ventil ist, wo man sich Emotionen erlauben darf, die man in unserem Alltag maximal auf 15 Prozent fahren darf.
Wie kann man den temporeichen Sport Eishockey filmen?
CLARA STERN: Die erste Voraussetzung dafür, dass der Film entstehen konnte, war die Möglichkeit in einer Eishalle zu drehen. Dafür gab
es nur ein sehr kleines Zeitfenster am Saisonende Ende April, bevor abgetaut wird. Wir hatten eine Woche. Dieses Zeitfenster
war ein Fixpunkt im Verlauf der gesamten Produktion, auf das wir hinarbeiten mussten.
In der Recherche haben wir festgestellt, dass es kaum europäische Eishockey-Filme gab, wir mussten uns an amerikanischen Vorbildern
orientieren, für die es ganz andere Budgets gegeben hatte. Ein positiver Aspekt war der, dass sich im Verhältnis zu den erfolgreichen
Hollywood-Eishockeyfilmen die Kameratechnologie extrem entwickelt hat. Die Kameras sind kleiner und leichter geworden. Johannes
Hoss war sehr früh in die Entwicklung des Stoffes und in die Frage, wie wir erzählen, eingebunden. Fest stand, dass wir nicht
von der Seite oder aus dem Zuschauerbereich filmen wollten. So wie die Szenen und die emotionalen Entwicklungen während der
Matches geschrieben waren, mussten wir mitten drin sein können. Johannes hat dafür mehrere Set-ups entwickelt: das waren extra
vom Grip angefertigte Schlitten, auf denen er wie auf einem Eis-Dolly sitzen konnte. Wir hatten außerdem einen Operator, der
ehemaliger Profi-Eishockeyspieler war, er konnte mit der Kamera in der Hand mitfahren. So konnten wir wirklich nahe sein.
Für die Darstellung der Spielerinnen hatten wir beinahe die Hälfte des österreichischen Nationalteams vor der Kamera, also
abgesehen von den beiden weiblichen Hauptrollen hatten wir Profisportlerinnen und somit Laien-Darstellerinnen. Es gab enorme
Unterstützung seitens der österreichischen Damen-Eishockeywelt, die sehr stolz waren, dass ihr Sport in den Mittelpunkt gerückt
wird. Für die Rollen von Mira und Theresa brauchte ich Darstellerinnen, die vom Schauspiel kommen. Die Dramaturgie des Films
funktioniert wie ein Dominospiel, der erste Stein fällt um und es folgen der zweite und dritte
Vergleichbar mit den kleinen
Momenten, die ich zuvor erwähnt habe, die nach und nach etwas auslösen. Für das Schauspiel bedeutete das aber auch, dass es
Szene für Szene einen Grad weitergeht. Mit Alina Schaller, Judith Altenberger und Tobias Resch hatte ich die richtigen Leute,
die diese Nuancen spielen konnten. Alina und Judith haben sehr früh mit einem Hockeytraining begonnen, dann hat Corona alles
unterbrochen und unser Dreh ist auf April 2021 gewandert. Die beiden sind – mein größter Respekt – wirklich an ihre Grenzen
gegangen, hatten zum Eishockey-Training dazu auch noch einen privaten Fitness-Coach, eine extra auf den Sport ausgelegte Diät
gemacht und haben mindestens einmal täglich trainiert, um mithalten zu können und um glaubhaft zu vermitteln, dass sie seit
ihrer Kindheit Sport betreiben. Der Dreh war auch für die Profi-Sportlerinnen eine Herausforderung, weil sie es auch nicht
gewohnt waren, zehn Stunden am Tag am Eis zu stehen.
Die Spielzüge wurden von den Hockey-Coaches festgelegt und mit den Spielerinnen und den Doubles der beiden Hauptfiguren einstudiert.
Für gewisse Szenen brauchten wir die Hauptdarstellerinnen in der Nahaufnahme und der Vorteil des hohen Tempos beim Hockeysport
ist der, dass die Übergänge zu den Doubles sehr gut verschwimmen.
Miras Familie betreibt ein Weingut, wo sie mitarbeitet. Warum war es wichtig, dass sie eine Arbeit ausführt, die mit der Natur
verbunden ist?
CLARA STERN: Ich glaube, ein instinktives Motiv, die Hockeywelt mit der Weinwelt zu verbinden, war eine visuelle. Wir hatten die Innenwelt
der Eishalle mit Neonlicht und kalten Farben. Ich wusste auch, dass ein Großteil der Szenen in der Garderobe spielen wird
und wollte daher einen Kontrast zu den Innenräumen. Ähnlich wie beim Profisport wollte ich auch einen Beruf, wo Handgriffe
etwas Natürliches haben, die von klein auf weitergegeben werden. Das hat eine gewisse Klarheit und wirft die Frage auf, was
passiert, wenn es sich um einen Beruf handelt, den die nachfolgende Generation nicht mehr ergreifen will. Wir haben alle ein
sehr idyllisches, touristisch geprägtes Bild von Weinbauern. Es ist aber ein Beruf, der das ganze Jahr über keine Pause kennt,
auch wenn es intensive und weniger intensive Zeiten gibt. Ich wollte einen Beruf, den wir idealisieren, von einer anderen
Seite zeigen, einen Familienbetrieb, wo die Arbeit immer da ist und es keine Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit gibt.
Mit dem Editor Matthias Writze haben Sie auch schon in Ihren Kurzfilmen zusammengearbeitet. Tempo und Rhythmus waren gewiss
eine große Herausforderung. Wo waren die Punkte, wo im Schnitt noch Impulse gesetzt werden konnten?
CLARA STERN: Was ich an der Zusammenarbeit mit Matthias so schätze, ist der Umstand, dass er Drehbuchautor und Editor ist. Was bedeutet,
dass er im Schnitt sehr dramaturgisch denkt und im Schnittprozess die Geschichte nochmals weitergeschrieben hat. Es geht um
das Einbinden von Rhythmen: Wann geben wir der Erzählung Zeit und schauen bei der Annäherung von Dingen zu? Wann müssen wir
hochdynamisch sein? Wann sind wir beim Sport ganz ruhig? Dafür hat Matthias eine sehr starke Intuition, auch für das Konzept
der umfallenden Dominosteine: Wohin bewegt sich eine Geschichte, wenn ein bestimmter Stein umfällt? Wir haben einen ähnlichen
Humor und Gespür, wo wir wie Musik einsetzen wollen. Der Film hat viel Musik, aber wenig, was ich als klassischen Score bezeichnen
würde. Wir waren uns auch einig über die Momente, die pur dastehen mussten.
Wo waren für Sie beide die Momente, wo Musik sein muss?
CLARA STERN: Musik gibt es dort, wo sie sein muss – im Club, in den Lokalen. Ich mag es, wenn die Musik dazu dient, von A nach B zu kommen,
damit meine ich Stellen, wo Wege offen bleiben. Ich drehe z.B. immer mit, wenn Figuren einen Raum betreten oder ihn verlassen.
Das produziert Material, das vielleicht rausfällt, gibt uns aber im Schnitt die Freiheit Übergänge sichtbar zu machen oder
nicht. Bei kleinen Entwicklungen sind Übergänge von besonders großer Bedeutung. In der Musik meine ich da Übergänge von Lebenswelt
zu Lebenswelt, Übergänge vom Auslöser zur Entscheidung. Beim Eishockey gibt es auch Momente, wo die Musik dazu dient, das
Tempo zu zeigen und einen schönen intensiven Mix hineinzubekommen.
In BREAKING THE ICE geht viel um Team-Spirit. Für Sie war dieser Film eine erste Erfahrung, ein großes Projekt innerhalb eines
Teams zu verwirklichen. Wie sieht Ihre Bilanz damit aus?
CLARA STERN: Ich habe das Glück gehabt, dass die richtigen Leute Zeit gehabt haben, mit mir zu arbeiten. Die Dynamik war toll. Es war
sehr anstrengend, aber ich hatte ein Team, das mich sehr gut gehalten hat. Es hat Tage gegeben, wo ich an meine Grenzen gestoßen
bin, sei es, was die körperliche Erschöpfung angeht, seien es Situationen, die komplettes Neuland für mich waren. Mir wurde
vom Team das Gefühl gegeben, dass ich kaum etwas falsch machen werde und wenn, dass es auch nicht von dramatischer Konsequenz
sein würde. Man hat mir großes Vertrauen entgegengebracht und ich konnte vor und mit meinem Team die sein, die ich bin. Ich
hatte nicht das Gefühl, dass ich vorgeben musste, eine Autorität zu sein. Wenn mir zum Weinen war, konnte ich weinen am Set.
Meine Produzenten Michael Kitzberger und Wolfgang Widerhofer – so, wie sie lange mit mir am Drehbuch gearbeitet haben, bis
es sich richtig angefühlt hat – so haben sie mich darin bestärkt auf das Bauchgefühl zu vertrauen, mit welchen Leuten ich
zusammenarbeiten wollte. Es war daher kein Thema, dass Matthias Writze, Johannes Hoss, Nora Czamler und Benedikt Palier, der
die Musik komponiert hat, mit an Bord waren, auch wenn sie teils die Positionen in einem Langfilm zum ersten Mal einnahmen.
Wenn es sich richtig anfühlt, dann kann man so viel gemeinsam in Bewegung setzen und zusammenbauen.
Interview: Karin Schiefer
Juni 2022