INTERVIEW

«Isolieren und Einsperren ist keine gute Lösung.»

Inspiriert von einer außergewöhnlichen Lehrerpersönlichkeit in einem Wiener Gefängnis erzählt Arman T. Riahi in Fuchs im Bau die Geschichte von Jugendlichen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, einem System, das sie einsperrt, um sie zu korrigieren und Menschen, die den Teenagern ihre Zukunft offen halten wollen.


Wolfgang Riebniger ist ein ehemaliger Gefängnislehrer, der die wesentliche Inspiration für diesen Film geliefert hat. Wie sehr hat die Begegnung mit ihm die Vorgeschichte dieses Projekts geprägt?

ARMAN T.  RIAHI:
Als ich Wolfgang Riebniger kennen gelernt habe, habe ich an meinem ersten Dokumentarfilm Schwarzkopf gearbeitet, in dem es um junge Rapper ging, die Österreicher sind, sich aber nicht als solche fühlten und keinen Bezug zu diesem Land hatten. Mich hat interessiert, warum. Manche der jungen Burschen waren im Gefängnis oder zumindest in Untersuchungshaft gelandet. Ich wollte im Gefängnis herausfinden, was sie bewegt und was sie dahin gebracht hat, so weit abzurutschen, dass sie mit 16 oder 17 in U-Haft landen. Als ich die Justizanstalt Josefstadt kontaktiert habe, wurde ich direkt an die Gefängnisschule weiterverwiesen. Ich glaube, es ist nur wenigen Leuten in Österreich bewusst, dass es in den Strafanstalten Schulunterricht gibt. Es ergibt sich daraus, dass die Strafmündigkeit bei 14 liegt und die Schulpflicht mit 15 Jahren endet. Es ist also gesetzlich vorgeschrieben, dass sie unterrichtet werden und das ist gut so.
So habe ich Wolfgang Riebniger kennengelernt. Ich denke, er hat sich anfangs über mich gewundert, weil ich mich immer wieder zu Unterrichtsbeginn in die Klasse gesetzt habe, um zu beobachten und mit den Kids zu reden. Fotos oder Videos durfte ich natürlich keine machen. Ich hätte gerne auch einen Dokumentarfilm im Gefängnis gemacht, um diesen jungen Leuten eine Stimme zu geben. Was hinter Gefängnismauern passiert, ist ja nach wie vor ein Tabu. Der Raum der Gefängnisschule ist ein besonderer Raum, der Gedanke, dass man darüber einen Film schreiben müsste, war sofort da. Es ist der einzige Raum in der Anstalt, wo die Kinder frei sein können und wenn der Lehrer gut ist, darin bestärkt werden, dass sie etwas erreichen können. Wolfgang Riebniger hat sehr unkonventionell unterrichtet. Das wollte ich über die Figur der Gefängnislehrerin Berger in den Film übertragen. Es geht darum, die Aufmerksamkeit von Kindern auf sich zu ziehen, die eigentlich gedanklich permanent woanders sind oder oft den Tränen nahe sind, weil sie keine Ahnung haben, was mit ihrem Leben gerade passiert.


Wie kam es dazu, dass sich die Geschichte von Fuchs im Bau nun um zwei Lehrerpersönlichkeiten bewegt, die ein Spannungsfeld zwischen Konkurrenz und Solidarität entwickeln und bei denen auch noch ein Generationenkonflikt  sowie ein Mann/Frau-Thema ins Spiel kommt?

ARMAN T. RIAHI:
Es war sehr früh klar, dass der Lehrer die Hauptfigur sein muss. Aber was zählt ein Film über eine Gefängnisschule ohne Schüler? Der klassische Topos vom Lehrer und dem Schüler war mir jedoch schon zu oft erzählt. Ich wollte auch eher darüber erzählen, wie verantwortungsvoll der Job des Gefängnislehrers ist. Gemeinsam mit Arash T. Riahi, der auch mein Dramaturg war, war uns ziemlich bald klar, dass es eine Figur braucht, die neu dazukommt. Ein Greenhorn als Lehrer, der plötzlich beschließt, dort aufzutauchen hatte viel erzählerisches Potenzial, gerade weil die Kinder sich befremdlich verhalten und oft niemanden an sich heranlassen.  


FUCHS IM BAU erzählt von zwei Lehrerpersönlichkeiten in einem System, in dem sie mit ihrem Engagement auch als Systemgegner wahrgenommen werden; er erzählt von mehreren Schicksalen Jugendlicher und auch vom Arbeitsplatz Jugendgefängnis, von Strukturen des Strafvollzugs, von der Macht und Ohnmacht in den geschlossenen Gängen. Wie sind Sie mit der wachsenden Komplexität der Geschichte umgegangen?

ARMAN T. RIAHI:
Es hat einige Drehbuchfassungen gegeben. Manchmal klangen in den Feedbacks der Förderjurys Fragen durch wie „Wäre eine Lehrerfigur nicht genug?“ Episodenfilme zu erzählen, ist eine große Herausforderung, von der ich wusste, dass man daran leicht scheitern kann. Ich war mir aber sicher, dass alle Erzählstränge im Gefängnis zusammenlaufen und es einen Weg gibt, wo alle drei Geschichten wie Elemente, wie Feuer und Wasser ineinandergreifen. In der Drehbuchphase war es immer ein Kampf, ein Hin und Her, ein Vor und Zurück in den Gewichtungen zwischen Berger, Fuchs und Samira. Irgendwann musste ich mich für eine Hauptfigur entscheiden und das war Fuchs. Ich gehe mit seinen Augen in die Geschichte hinein und höre auch mit seinem Blick am Ende auf, dazwischen galt es darauf zu schauen, wo und zwischen welchen Figuren es mehr Dynamik brauchte. Selbst in der Schnittphase haben wir den Film immer wieder neu geschrieben.


Wieviel Recherche im Gefängnis über dortige Abläufe und Hierarchien ist in das Drehbuch eingeflossen?

ARMAN T. RIAHI:
Es ist sehr viel aus meinen Beobachtungen eingeflossen.  Es gibt nur wenige überspitzte Details, die erfunden sind, wie z. B., dass die Kinder beim Verlassen der Klasse auf Stifte kontrolliert werden. Ansonsten ist alles recherchiert. Man könnte manche Stellen für übertrieben halten, aber die meisten Sachen, die im Film passieren, beruhen auf wahren Begebenheiten und vieles auf Erfahrungen von Wolfgang Riebniger. Ich habe mit dem Drehbuch 2013 mit einem START-Stipendium des BKA begonnen, in dieser Zeit ist die Idee des Newcomers Fuchs geboren, davor habe ich sehr viel recherchiert. Mein erster Gefängnisbesuch und die Begegnung mit Wolfgang Riebniger geht auf 2009 zurück. Man versteht sehr schnell wie das Gefängnis als Institution hierarchisch funktioniert. Ein Gefängnislehrer agiert auf einem anderen Niveau, er muss mit den Beamten zurechtkommen, kann aber auch vertikal, d.h. in Richtung Vollzugsleitung Dinge erwirken, die in einer normalen Schule undenkbar wären. Gefängnislehrer sind Sonderpädagogen und können und müssen auch mehr machen, als eine normale Schule tun kann. Ich bin mit den Schauspieler*innen ins Gefängnis gegangen und wollte auch von Maria Hofstätter und Aleksandar Petrović, dass sie sich zum Nachfolger von Wolfgang Riebniger in den Unterricht setzen. Es herrscht im Unterrichtsraum eine paradoxe Situation zwischen einer einerseits sehr angespannten Atmosphäre, andererseits ist es der einzige Raum im Gefängnis, wo die Jugendlichen wissen, dass etwas weitergehen kann, dass sie etwas lernen und eine Art von Freiraum herrscht. Die Alternative ist die Zelle.


Spannung herrscht in FUCHS IM BAU ununterbrochen: Zwischen den Insass*innen, in den Hierarchien, zwischen den beiden Lehrern, zwischen Lehrern und Schülern. Alle stehen unter Strom. Wie inszeniert man diesen Dauerzustand?

ARMAN T. RIAHI:
Ich habe für die Jugendlichen bestimmte Figuren ausgedacht und Geschichten entwickelt, entsprechend einer demografischen Realität im Gefängnis, d.h. viel mehr Burschen als Mädchen und bestimmte Nationalitäten und Ethnien. Nachdem Cherrelle Janecek und Denise Teipel von Kids of the Diaspora diese Jugendlichen gecastet hatten, haben wir uns hingesetzt und die für die jeweiligen Kinder nochmals genauer die Geschichten entwickelt. Jeder einzelne Jugendliche, der im Film drinnen sitzt, hat einen Grund, warum er oder sie da drinnen sitzt. Wir haben sehr früh mit den Proben begonnen, damit der Eindruck entsteht, dass es sich um eine plausible Gefängnisschule handelt. Beide Lehrer – Berger wie Fuchs – sind vereinsamte Menschen, zwischen ihnen entsteht im Laufe der Geschichte ein richtiger Kampf. Maria Hofstätter musste auch Bergers Krankheit und den drohenden Verlust des einzigen, was sie noch hatte, vermitteln. Ich musste gar nicht viel machen, es war viel da. Der Druck war immer da, 80 % des Films begibt sich kammerspielartig im Gefängnis, das haben alle gespürt.


Berger und Fuchs haben beide eine besondere Vorgeschichte, die in beiden Fällen sehr reduziert erzählt wird. Etwas präziser bei Fuchs. Wie wollten Sie mit diesen Vorgeschichten umgehen? Sind Sie auch der Frage nachgegangen, wer einen Beruf im Zusammenhang mit dem Strafvollzug wählt?

ARMAN T. RIAHI:
Ich hatte immer zwei Vorbilder vor Augen, zum einen Wolfgang Riebniger und zum anderen auch eine ehemalige Gefängnislehrerin aus Salzburg. Jeder Lehrer hat seine Gründe, diesen Job auszuüben und ganz besonders ein Gefängnislehrer, der sich den schwierigsten Ort für die Ausübung seines Berufs ausgesucht hat. Ich habe vor allem für die Figur von Fuchs mehr Backstory gebraucht, damit er nicht nur als idealistischer Lehrer rüberkommt. Man muss gute Gründe haben, um dort als Lehrer zu landen. Entweder man will etwas bewegen oder man sieht die Gefängnisschule als eine besondere Herausforderung. Es ist eine schwierige Aufgabe, diesen Kindern Hoffnung zu geben, sie an diesen vier oder fünf Stunden am Tag abzulenken und Wertschätzung zu vermitteln. Für die Gefängnislehrer, die ich gekannt habe, war ihr Beruf ihr Leben. Bei Berger ist das auch der Fall. Ich wollte nicht, dass der Eindruck entsteht, ihr Ego bekommt einen Schlag versetzt, weil ein jüngerer, männlicher Kollege plötzlich auf den Plan tritt. Sie glaubt, etwas hinterlassen zu müssen. Bei Fuchs hat es sich ergeben, dass er ein tief verletzter Mensch sein muss, bei dem ein Schuldgefühl und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung sehr tief sitzt. Er vermittelt das Gefühl, eine Strafe verdient zu haben.


Fuchs kämpft um seine Position, aber auch um eine Schülerin – Samira –, die ein starkes Gender-Thema anspricht.

ARMAN T. RIAHI:
Samiras Geschichte basiert auf der von mehreren Figuren und Begebenheiten, denen ich im Lauf meiner Auseinandersetzung mit den Jugendlichen begegnet bin. Ich wollte nicht noch einmal die Geschichte vom schlimmen Jungen erzählen, der auf die schiefe Bahn gekommen ist. Drogenhandel, Überfall, Nötigung – das sind die Standard-Geschichten. Ich bin auf einen Fall von einem intersexuellen Burschen gestoßen, es war einer von sich mehrenden Fällen, der in Österreich die entsprechenden NGOs beschäftigt hat. Das wirft die Frage auf: Wie geht man in unserem binären System, das nicht nur im Gefängnis Gültigkeit hat, mit non-binären Menschen um? Der Zustand, indem Samira sich befindet, war für mich ein schönes, kontrapunktierendes Bild für das Gefängnis, wo alles mit einer Absolutheit betrachtet wird, wo ein Entweder/Oder herrscht. Für Samira hat dieses System keinen Platz. Ich habe versucht, so subtil wie möglich zu erzählen. Beispielsweise redet sie nicht. Es ist einer von vielen kleinen Hinweisen, dass sie sich sehr schämt für etwas, weil ihre Eltern nicht wollten, dass sie zu dem steht, was sie ist. Dass sie gerade im Gefängnis jemanden findet, der sie akzeptiert, als das, was sie ist, das fand ich sehr schön. Akzeptanz war auch das oberste Gebot von Wolfgang Riebniger.



Sie haben mit Die Migrantigen zuletzt eine sehr erfolgreiche Komödie gemacht. Wie sehr hat Ihnen der Gefängnisklassenraum auch etwas Freiraum fürs Lachen und das Komödiantische geboten?

ARMAN T. RIAHI:
Wir haben die Klasse auch benutzt, um zu zeigen, dass nicht alles schlimm und schlecht ist. Ich wollte kein reines Drama erzählen, das entspricht nicht meinem Zugang zum filmischen Erzählen. Ich will in Nuancen erzählen. So schlimm kann es gar nicht sein, dass nicht auch das Lachen seinen Platz hat. Gerade deswegen ist in den schlimmsten Situationen der Humor ganz wichtig. Beim Umgang des Lehrers mit den Kids war es wesentlich, auf Augenhöhe zu sein – „Wenn du mich beleidigst, dann rede ich mit dir auch so“. Ohne die humoristischen Spitzen wäre mir der Film zu düster gewesen. Wir haben es mit Jugendlichen zu tun, sie sind noch Kinder und es ist einfach lustig mit ihnen. Sie gehen sehr brutal miteinander um, aber auch sehr witzig und sie vergeben einander sehr schnell. Das gibt Raum für Positives und Hoffnung. Jeder Witz, den der Lehrer macht, ist für die Kinder beruhigend und eine Art Therapie. Alles in der Gefängnisschule ist ein bisschen Therapie, um die Kinder runterzubringen.


Wie wichtig und wie schwierig war es, in einem echten Gefängnis zu drehen?

ARMAN T. RIAHI:
Es war total wichtig und total schwierig, ein echtes Gefängnis zu finden. Drehen in einem Gefängnis, das in Betrieb ist, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wir hatten das Glück, dass es die Außenstelle Stockerau, die ein Teil des Korneuburger Gefängnisses ist, gerade leerstehend war. Wir haben es so eingerichtet, dass es aussah wie ein Trakt in einem größeren Gebäude. Die Justizanstalt Josefstadt haben wir für die Außenaufnahmen verwendet und dann versucht, Innen und Außen einander anzugleichen, obwohl die Architektur jeweils sehr unterschiedlich war. Das Gefängnis Stockerau ist eindeutig renovierungsbedürftiger als die Josefstadt und man hat auch die Patina gespürt. Dort waren aber bis vor wenigen Jahren noch Jugendliche untergebracht. Das Arbeiten selbst in unserem inszenierten Gefängnis hat eine ganz spezielle Wirkung auf uns als Team aber auch auf die Kinder gehabt. Ich habe sie vor den Dreharbeiten dorthin gebracht und in die Zellen geführt, wo sie alle Zeit verbracht haben. Es hat auf uns abgefärbt und davon wollte ich möglichst viel einfangen. Nach vier, fünf Drehwochen waren wir nervlich ziemlich angespannt. Das Sounddesign ist zur Gänze vor Ort aufgenommen worden. Vor Drehbeginn habe ich bei einer Jury-Tätigkeit die französische Kamerafrau Sophie Maintigneux kennengelernt, der ich eine interessante Anregung zu verdanken habe. Sie hat mich darauf hingewiesen, dass das Akustische im Gefängnis für uns Filmemacher viel wichtiger ist als das Visuelle. Sie sagte, dass das Gefängnis etwas ist, das man vor allem in seinen Klängen nicht kennt: die Stimmen, die Rufe, die Schreie der Häftlinge, die Türen, die auf- und zugehen, das Klimpern der Schlüssel.


Der ganze Film ist farblich sehr stark durch ein Konzept geprägt und verwendet auch nicht mehr Licht als gerade notwendig. Warum diese Entscheidung?

ARMAN T. RIAHI:
Wir haben uns bei diesem Film entschieden, nicht allzu sehr auf den aktuellen Realismus von Österreichs Gefängnissen zu setzen, weil uns das zu „slick“ war. Die modernen Gefängnisse sind sehr hell und einfärbig. Bei den älteren Gefängnissen, wie das in Stockerau, schaut jeder Gang anders aus. In den alten Gefängnissen ist es so, dass die dunkle Farbe bis zur Schulterhöhe reicht und oben eine helle Farbe ist. Wir haben es umgekehrt gemacht. Wir wollten einem Genrefilm näher sein als einem sozialrealistischen Drama und haben uns bewusst für diesen Genrelook entschieden. Das Gefängnis sollte auch eine Art Alptraumzustand widerspiegeln und dafür waren Farben wichtig. Wir wollten das Gefängnis selbst kühler halten und darauf achten, dass Wärme durch das Licht oder den Klassenraum von Berger entsteht, den sie selber gestalten konnten. Wir wollten nur dann und wann im Film Farbakzente setzen. Tatsache ist, dass die jungen Leute in einem Gefängnis sind und nicht in einem Internat. Es gibt Gitter, Schlösser und keine offene Tür.


Die Kamera ist gerade in den Klassenszenen eine bewegte Kamera. Brauchte es in den engen Räumen die Bewegungsfreiheit der Kamera?

ARMAN T. RIAHI:
Es war eine Grundsatzentscheidung, dass wir eine bewegte Kamera wollten, die manchmal wie eine zusätzliche Figur ihre Eigenständigkeit besitzt. Wir haben die Szenen mit den Jugendlichen im Klassenzimmer chronologisch gedreht und meine Befürchtung war, durch den Umbau zwischen Szenen den Fluss der Kinder zu unterbrechen. Unser Ziel war, 360° sofort in jede Richtung filmen zu können. Lichtmäßig war das möglich, weil wir mit einem System von ferngesteuerten, in der Decke verankerten Lichtröhren gearbeitet haben. Das hat Flexibilität und Schnelligkeit erlaubt und mir die Zeit fürs Essentielle eingeräumt. Schauspieler sind ja keine Roboter, die alles unendlich oft wiederholen können, gerade die Kids nicht, die praktisch alle Laien sind. Da wir nicht alles vorher proben konnten, muss man schon sagen, dass die ersten Takes oft Probencharakter hatten, gerade dann, wenn die Szenen komplex waren. Es waren ja bis zu 18 Leute in diesem Raum und 50% des Films spielen in diesem Klassenzimmer. Man musste variieren und improvisieren. Im Vergleich zu Die Migrantigen war es ein Befreiungsschlag. Ich hab mit Fuchs im Bau einen Film gebraucht, wo die Kamera entfesselt ist und ich mich mit ihr bewegen kann, als würde ich einen Dokumentarfilm machen, wo ich kein Licht brauche, um zu zeigen, was ich zeigen will. Es war mir wichtig, gemeinsam mit Mario Minichmayr meine Liebe zum Dokumentarfilm in die Kameraführung hineinzubringen. Viele Szenen sind in One-Shots aufgelöst, manchmal hat es funktioniert, manchmal mussten wir unterbrechen, weil es zu lange wurde. Es ging vor allem auch um ein Setting, wo die Beweglichkeit der Kamera einen Kontrapunkt zum Zustand der Unfreiheit im Gefängnis setzt.


„Wir korrigieren, was in der Gesellschaft falsch gelaufen ist.“ Der Film führt auch vor Augen, was im Strafvollzug falsch läuft. Wirft der Film nicht die Frage danach auf, wo der eigentliche Korrekturbedarf liegt?

ARMAN T. RIAHI:
Die Jugendgerichtshilfe, die sehr eng mit der Justizwache zusammenarbeitet, macht eine sehr gute Arbeit. Der ist nichts vorzuwerfen. Man kann das System nicht von heute auf morgen umstoßen. Die Justiz ist komplett unterbudgetiert und hat zu wenig Personal. Aber man muss sich alternative Modelle überlegen, wie die Kinder – 14-Jährige sind Kinder – auch wenn sie am Sprung ins Erwachsenenleben sind, ihr Leben trotz Verurteilung und Haft noch in eine gute Richtung bringen können. Das Gefängnis ist nicht der Ort, wo man noch über Bestrafung nachdenken sollte, sondern wo man sich damit beschäftigen muss, wie man diese Kinder resozialisieren kann, denn die Rückfälligkeit ist sehr hoch. Wir haben sehr darauf geachtet, dass der Film keiner Institution eine Schuld zuweist. Die Beamten sind nicht die Bösen. Weber, der Abteilungskommandant im Film, macht auch nur seinen Job und will alles tun, dass nicht noch mehr Chaos im Gefängnis herrscht. Er muss delinquent gewordene, hormongesteuerte Jugendliche unter Kontrolle halten und das ist ein harter Job. Das Gefängnis als Institution ist ein höchstdiskutabler Raum und es ist sehr wichtig, grundsätzlich zu hinterfragen, ob es richtig ist, was dort passiert. Isolieren und Einsperren ist keine gute Lösung. Aber man könnte damit beginnen, diese Kinder nicht im selben Gebäude unterzubringen wie schwere Verbrecher, die für den Rest ihres Lebens da drinnen sitzen. Man könnte sich Modelle wie das in der Schweiz ansehen, wo es offenen Vollzug und Wohngemeinschaften gibt. Am Ende des Tages sind die Kinder sich selbst überlassen. Die Sozialarbeiter der Jugendgerichtshilfe sind die einzigen, die sich zwischen den Welten bewegen und gemeinsam mit den Pädagogen die einzigen, die etwas ausrichten können. Aber auch der Lehrer geht am Freitag Nachmittag nach Hause. Riebniger ist oft auch am Wochenende gekommen. Deswegen war es wichtig, dass er in der Figur der Berger weiterlebt, weil das mehr als nur ein Job ist. Ich wollte nicht die Geschichte einer Fackelübergabe von einer Idealistin an einen, der nur seinen Job macht, erzählen. Deshalb brauchte es die Geschichte von Fuchs, dessen Weg unvermeidlich dorthin führt.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2020
«Man muss gute Gründe haben, um dort als Lehrer zu landen. Entweder man will etwas bewegen oder man sieht die Gefängnisschule als eine besondere Herausforderung.»