Ruhm, internationale Anerkennung, hohe Preise am Kunstmarkt. Am Ende ihres 95-jährigen Lebens hat Maria Lassnig alles geschafft,
was sie sich so sehr gewünscht hat. Der Weg dorthin war lang. Anja Salomonowitz bewegt sich über Lassnigs Lebensgeschichte
hinein in ihre Wahrnehmungs- und Schaffensprozesse und lässt in MIT EINEM TIGER SCHLAFEN ein Künstlerinnenportrait entstehen, das sich auf die Innen- und die Außenwelt der faszinierenden Malerin einlässt.
Was am Œuvre der Maria Lassnig hat Ihr filmisches Interesse wachgerufen?
ANJA SALOMONOWITZ: Die Farben. Ich habe ihre Bilder in der Sammlung Essl in Klosterneuburg oder in Ausstellungen in Wien oder München gesehen.
Diese Bilder sind so inspirierend, die Grellheit und die Ausdruckskraft der Farben so intensiv. Anfangs sagte ich mir, Farben
allein sind zu wenig als Ausgangspunkt für einen Film. Später erst habe ich erkannt, dass Farben ein mehr als treffender Ausgangspunkt
für so einen Film sein können.
Lassnigs Biografin Natalie Lettner sagt über die Lebensgeschichte der Künstlerin: Die Biografie von Maria Lassnig ist die
Geschichte einer Selbstermächtigung. Waren die Lebensgeschichte kombiniert mit den erwähnten Farben die Basis für die Suche
nach einer filmischen Form, die letztlich viel mehr als eine Biografie ist?
ANJA SALMONOWITZ: Ja, danach kam natürlich die Lebensgeschichte ins Spiel. Und ja, Lassnigs Biographie ist die Geschichte einer Selbstermächtigung.
Ihr Leben ist wie eine Sinnsuche nach der richtigen Kunst. Es geht auch aus ihren Tagebüchern hervor, wie sie sich immer wieder
ins Atelier gequält hat, um ihren Ausdruck zu finden. Lassnigs Leben war bestimmt vom Ringen um Anerkennung in der männlichen
Kunstwelt. In den fünfziger Jahren beispielsweise war der zentrale Ort der Wiener Szene Otto Mauers Galerie nächst St. Stephan,
wo Lassnigs Kollegen wie Markus Prachensky, Josef Mikl, Arnulf Rainer, sehr gefördert wurden. Die zehn Jahre ältere Maria
Lassnig nicht. In einer Filmszene sagt jemand in der Galerie zu ihr: „Gell, du bist die Freundin vom Rainer.“ Als sie endlich
ihre erste Ausstellung in der Galerie nächst St. Stephan bekam, hat sie sich auf einem Foto einen Bart über die Lippen gemalt.
Ein anderer prägender Aspekt ist Maria Lassnigs später Erfolg. Lassnig hat den Ruhm, den sie sich erträumt hat, erlangt, sie
hat die gläserne Decke gesprengt, aber sie hat es dann nicht mehr gut wahrnehmen oder den Reichtum, der ihr daraus erwachsen
ist, genießen können. Sicher auch gar nicht wollen. Das spartanische Leben entsprach ihrem Künstlerideal. Sie ist bei Apfelstrudel
und Erdäpfeln am Fensterbrett geblieben und hat weiterhin ärmlich gelebt. Sie hat sich über die Jahrzehnte an diese mageren
Lebensumstände gewohnt. Als es dann jede Menge Ausstellungen ihr zu Ehren gab, hat sie sich oft furchtbar schlecht benommen,
was auch ein Auswuchs dessen war, dass sie es so spät nicht mehr glauben konnte, was endlich eingetreten war. Zu lange ist
ihr der Ruhm, den sie sich so gewünscht hat, verwehrt geblieben.
Interessant an ihrer Lebensgeschichte ist auch, dass sie Österreicherin war, aber meistens auf der Flucht davor. Immer wenn
sie es gerade schaffte, irgendwo Fuß zu fassen, hat sie wieder die Flucht ergriffen. So war sie in Paris, in Berlin und in
New York. Außer Kärnten, das mochte sie, wo sie sich spät ein abgelegenes Atelier gemietet und die Sommermonate dort verbracht
hat.
In gewisser Weise scheint sie sich selbst im Weg gestanden zu sein?
ANJA SALOMONOWITZ: Es ist aus dieser jahrzehntelangen Enttäuschung eine Neurotik entstanden, die – zugegeben – sehr viel Inspiration für lustige
Filmszenen liefert. Als Folge dieser ewigen Zurückweisung hat sie immer wieder um sich geschlagen. Sie hat sich in der Kunstszene
sehr junge Männer geangelt, wie z.B. Hans-Ulrich Obrist, von denen sie wusste, dass diese sie in Sphären bringen würden, in
die sie hinwollte. Diese Strategie ist aufgegangen. Sie hatte einerseits eine richtig garstige Seite, andererseits auch sehr
viel Humor. Und das ist sehr filmisch.
Was hat Sie grundsätzlich dazu geführt, sich mit einer Künstlerin auseinanderzusetzen?
ANJA SALOMONOWITZ: Ich habe bereits 2013 an diesem Projekt zu arbeiten begonnen. Ich hatte begonnen, das klassische Künstlerportrait – das sage
ich absichtlich in der männlichen Form – das bei Ausstellungen läuft, zu hinterfragen. In der Regel sieht es so aus, dass
ein weißer, älterer Künstlerfürst vor der Kamera ein Interview gibt. Als Reaktion darauf wollte ich über den Kunstmarkt und
seine Mechanismen reflektieren. Ich habe mir viele Künstlerinnen angeschaut, bei Maria Lassnig bin ich hängen geblieben. Aus
der ersten Filmidee zum Kunstmarkt, ist dann ein anderer Film geworden, nämlich Dieser Film ist ein Geschenk. Der viel zärtlicher
ist als die ursprüngliche Idee und überhaupt ganz anders. Aber: Maria Lassnig ist mir nicht aus dem Kopf gegangen und ich
habe nach einer Form gesucht, wie ich der Körperlichkeit ihrer Malerei, ihrem Ringen, ja ihrem Leben gerecht werden könnte.
Ich habe sehr viele Menschen interviewt und jahrelang am Konzept für den Film gearbeitet. Ich hatte zunächst die Idee, nur
mit einem Kind zu arbeiten; das Kind sollte die Lassnig spielen und nur ihr Umfeld sollte älter werden. Mit Roland Zag, dem
Dramaturgen, mit dem ich immer zusammenarbeite, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dieses Konzept ab einem gewissen Punkt
nicht mehr aufgeht. Ich hatte schon Unmengen an Leuten aus der Kunstwelt interviewt, die mir sehr präzise und sehr witzige
Geschichten über Maria Lassnig erzählt hatten und die alle zusammen den Kunstmarkt sehr gut abbildeten. Ich beschloss, einen
Dokumentarfilm zu machen, wo sie alle vorkommen. Bis ich dann bei der erzählerischen Form geblieben bin. Die Idee zu diesem
Film hat sich fünf Jahre lang gemorpht. In Details ist etwas von der dokumentarischen Idee übriggeblieben.
Anstatt eines Kindes haben Sie letztlich entschieden, dass eine Schauspielerin alle Lebensphasen der Maria Lassnig, die Sie
erzählen, verkörpert, ohne dass es durch Maske irgendwie sichtbar gemacht wird, wie alt sie ist. Die Grundidee, die Zeit aufzuheben,
ist also geblieben.
ANJA SALOMONOWITZ: So ist es. Ich wollte, dass die Zeit aufgehoben wird, weil das eine Übersetzung dafür ist, dass die Seele sich durch die
Zeiten morpht und schlängelt; andererseits ist es so, dass Erinnerungen und Gefühle ja in keiner Zeit verankert sind. Indem
ich ständig Zeitsprünge mache, fällt alles aus der Zeit heraus; es geht um einen inneren Zustand und nicht um die Verortung
davon. Für mich ist dieser Aspekt auch der spielfilmhafteste in MIT EINEM TIGER SCHLAFEN. Ich habe versucht, diese sphärische
Ebene, wo man sich ins Unbewusste begibt, herzustellen, weil es die Sphäre ist, in der sich Maria Lassnig so viel befunden
hat. Das kann man in ihren Tagebüchern nachlesen und spürt es in ihren Bildern, dass sie sich in einen Bewusstseinsstrom begibt
und darin versucht, einen Sinn zu finden.
Wie fiel die Wahl auf Birgit Minichmayr, die Maria Lassnig in allen Lebensphasen darstellt?
ANJA SALOMONOWITZ: Da war keine Wahl, das war einfach klar. Birgit Minichmayr wurde anlässlich eines Symposiums in der Albertina eingeladen,
Auszüge aus Lassnigs Tagebuch zu lesen. Als ich sie lesen gehört habe, dachte ich einfach „Die ist es.“ Das Drehbuch war zu
diesem Zeitpunkt fertig und es war so angelegt, dass eine Person alles spielt. Birgit hat sofort zugesagt. Ich kann jetzt
nicht für sie sprechen, aber ich denke, es war für sie eine schöne Herausforderung. Sie war sehr exakt mit den jeweiligen
Zeiten und Epochen. Maria Lassnig hat in ihren jungen Jahren einen sehr starken Kärntner Dialekt gesprochen, gegen Ende ihres
Lebens war ihre Sprache viel weniger stark gefärbt. Insofern war es für Birgit nicht nur über den Körper, sondern auch über
die Sprache eine sehr nuancierte Arbeit. Im Moment, wo wir gedreht haben, war Birgit Minichmayr für mich Maria Lassnig. Oder
sagen wir: unsere Interpretation von Maria Lassnig. Sie hat es perfekt umgesetzt.
Sie steigen auch mit weiteren Elementen aus der linearen und faktenbasierten Erzählung aus. Durchkreuzen Sie bewusst formale
Konventionen, um immer wieder auf den hybriden Charakter einer biografischen Erzählung zu verweisen?
ANJA SALOMONOWITZ: Das war mir auf alle Fälle ein Anliegen. Ich wollte damit offenlegen, dass die Sicht auf eine Künstlerpersönlichkeit immer
eine Interpretation ist. Eine Biografie immer eine Interpretation bleibt. Beim Casting war es mir wichtig, auch Leute zu nehmen,
die sich selbst spielen oder aus dem Umfeld kommen, das sie darstellen. Diethard Leopold, selbst Kurator im Leopold Museum,
spielt einen Museumsdirektor. Die Fotografin Elfie Semotan spielt sich selbst in exakt der Szene, die sie mir in meinem Rechercheinterview
selbst erzählt hat. Maria Nicolini, die die Großmutter spielt, ist eine Intellektuelle, die an der Universität Klagenfurt
unterrichtet. In der Szene, wo sie die Großmutter spielt, interviewe ich sie und sie erzählt von ihren Forschungsergebnissen,
während sie gleichzeitig die nicht alphabetisierte Großmutter spielt. Der junge Arik Brauer wird von Joni Brauer, seinem Enkel,
gespielt. Arik Brauer war einer der vielen Menschen, die ich für meinen Film interviewt habe. Die Worte, die Joni Brauer spricht,
sind 1:1 aus unserem Interview. Die meisten Szenen im Film habe ich frei erfunden, andere habe ich eingebaut, weil sie mir
– so oder ähnlich – erzählt wurden.
Vieles aus den Interviews wurde aber im Schnitt weggelassen, weil es zu „wach“ war für den unbewussten Zustand, in dem der
Film sich bewegt.
Die Ameisen, die ihre Ausstellungsmappe heimtragen, gehören zu ihrer unbewussten Welt. Sie hat sich immer viel mit Tieren
beschäftigt und hatte in gewisser Weise das Gefühl, der tierischen Welt näher zu sein als der menschlichen.
Bleiben wir noch bei den Menschen, die viel aus persönlichen Erinnerungen beigesteuert haben: Hans Werner Poschauko, ihr Assistent,
und die Filmemacherin Mara Mattuschka, haben bei Lassnig studiert. Welcher Input kam von ihnen, die sie auch als Professorin
gekannt haben?
ANJA SALOMONOWITZ: Mara Mattuschka habe ich interviewt, weil sie wie Hans Werner Poschauko viele Geschichten aus der Studienzeit erzählen konnte.
Sie haben uns beide dann auch am Set assistiert und Birgit gezeigt, wie sie den Pinsel halten und die Farbe auftragen musste.
Sie hat auch Bilder für den Film gemalt, die Bilder in der Galerie in Paris zum Beispiel. Gesprochen habe ich auch mit Hubert
Sielecki, der mit Maria Lassnig an der Angewandten die Animations-Klasse gegründet hat; oder mit Andrea Teschke, der Mitarbeiterin
eines New Yorker Galeristen. Andrea konnte mir viele lustige Szenen erzählen, die sie als junge Mitarbeiterin mit Lassnig
in New York erlebt hat. Maria Lassnig war meist sehr einsam, aber es gab eine Zeit in ihrem Leben, wo sie sich mit anderen
Frauen zusammengetan hat, das war das Kollektiv Women Artist Filmmakers in New York. Eine von ihnen war Rosalind Schneider,
die in der Nähe von New York lebt und die ich auch interviewt habe. Es war ein sehr bewegendes Gespräch mit ihr, weil ihr
immer noch die Tränen kommen, wenn sie von den Ungerechtigkeiten, die sie als Frau in der männlich dominierten Kunstwelt erlebt
hat, berichtet. Hans-Ulrich Obrist hat sie als 18-jähriger Gymnasiast kennengelernt, als er begonnen hat, seine Galerie aufzubauen.
Die beiden hatten bis an Lassnigs Lebensende einen regen Briefaustausch. Und viele mehr. Die Frage, vor die mich all die Gespräche
gestellt haben, war die, wie ich diese Inhalte in eine filmische Form bringe.
In der ersten Einstellung sieht man Maria Lassnigs Schulter im Close-up und die Bewegungen der Muskel – Körperwahrnehmungen,
die im Zugang zur Malerei eine große Rolle gespielt haben. Ging es Ihnen auch darum, an Lassnigs Farb-und Körperempfinden
heranzukommen?
ANJA SALOMONOWITZ: Man hat mir erzählt, dass die Lassnig in der Früh in ihr Atelier gegangen ist, sich hingesetzt und gewartet hat, bis das Gefühl
kam, das sie später auf die Leinwand übersetzt hat. Sie hat sich hinein gespürt. Sie sagt z.B. der Umstand, dass sie sich
auf vielen Bildern ohne Haare darstellt, hat damit zu tun, dass sie die Haare nicht spürt. Eine Wange kann rot sein, weil
ihr heiß war. Sie hat den Farben Namen gegeben. Es gibt Verwesungsfarben, Todesfarben, Eifersuchtsfarben. Wenn eine Schulter
in der Darstellung plötzlich aufhört, dann deshalb, weil sie im Moment des Malens die Schulter nicht gespürt hat. Wenn sie
auf einem Sessel sitzt, dann stellt sie die Frage, wo der Sessel anfängt und die Haut aufhört. Was ist in diesem kleinen Zwischenraum
zwischen Haut und Sessel? Frisst sich der Sessel in den Körper oder gehen die Sitzbeinhöcker nach unten? Es geht bei ihr um
exakte, minimale Wahrnehmungen. Sie hat stundenlang gewartet, bis das kommt und dann relativ schnell gemalt. Das Bild selbst
entstand in wenigen Stunden. Maria Lassnig hat unglaublich viele Bilder gemalt.
Wie sind Sie mit dem Umfang dieses Œuvres umgegangen? Wie haben Sie die Bilder für den Film ausgewählt? Was heißt es produktionstechnisch,
Lassnig-Reproduktionen im Film zu zeigen?
ANJA SALOMONOWITZ: Wir haben mit der Maria Lassnig-Stiftung zusammengearbeitet, von der wir die Rechte für die Verwendung der Bilder bekommen
haben. Natürlich haben wie nicht mit den echten Bildern drehen können. Die Auswahl habe ich nach zwei Kriterien getroffen:
Es ging mir zum einen darum, prägnante Bilder zu finden, die repräsentativ ihr Werk beschreiben, andererseits habe ich mich
auf einer rein visuellen Ebene von den Farben leiten lassen. In New York hat sie viel türkis gemalt, daher wurde die gesamte
New York-Episode von uns in ein Türkis eingetaucht. Von der Ausstattung her war unsere Idee, dass grundsätzlich alles weiß
ist – schmuddelig weiß wie es ihre Ateliers oft waren oder Hochglanz-Weiß, wie ein Galerieraum oder ein Ausstellungskatalog.
Über die Bilder oder die Ausstattungsgegenstände kommen die Farben wieder ins Filmbild – ein blaues Telefon, ein rosa Sessel.
Die Kostümbildnerin Tanja Hausner, mit der ich auch oft arbeite, und die Setdesigner Martin Reiter und Andreas Ertl haben
extrem gut zusammengearbeitet, damit das dann auch zusammenpasste. Auch die Baumwoll-Unterwäsche, die sie wirklich getragen
hat, haben wir passend gefärbt. Das Kostüm entspricht der Mode, die sie getragen hat. Da haben wir uns von Bildern oder Filmaufnahmen
anregen lassen. Sie hat immer großen Wert auf ihre Kleidung gelegt und war sehr witzig angezogen. Und bei uns passt die Farbe
der Kleidung dann wieder zu den Bildern im Hintergrund.
Warum haben Sie Mit einem Tiger schlafen als das titelgebende Bild ausgesucht.
ANJA SALOMONOWITZ: Weil es für mich so etwas heißt wie „mit der Welt raufen“. Mit einem Tiger schlafen steht für mich für das, was sie gemacht hat: sich abquälen, struggeln, eben: raufen mit der Welt. Es kam aber auch die Interpretation
auf, dass sie selbst der Tiger ist. Diese Sicht gefällt mir auch sehr gut. Das Bild ist im Film mit dem Vater konnotiert,
es kommt vor, bevor sie der Vater mit dem Moped abholt und sie fragt, ob sie in den Zirkus möchte, zum Tiger-Schauen. Der
Titel ist für mich wie ein inneres Bild ihrer Gefühlswelt.
Sie mag sich abgequält haben, sie hat aber auch durch und durch für die Kunst gelebt und sich in diesem Sinne auch selbst
verwirklicht. Auch wenn sie in der Frage des Privat- und Familienlebens zerrissen war, wusste sie, dass ihr nur das Allein-Leben
diese absolute Verbindung mit der Kunst ermöglichte. War da nie auch eine Zufriedenheit mit sich selbst?
ANJA SALOMONOWITZ: Sie hatte nicht nur das Gefühl, dass sie keine Kinder haben kann, weil sie sonst nicht mehr zur Kunst kommt. Sie spürte auch,
dass die Männer sie an der Kunst hindern würden. Sie hatte mit Arnulf Rainer ein Verhältnis, sie hatte als junge Frau sehr
viele Liebschaften. Sie war umschwärmt. Aber sie ist immer wieder enttäuscht worden, in Konkurrenz mit ihren Männern getreten
und hat irgendwann beschlossen, alleine zu bleiben. Die Liebe würde sie nur von der Kunst abhalten.
Zufriedenheit gab es schon. Jedesmal, wenn sie ein Bild fertig gemalt hatte, sagte sie, war sie zufrieden, weil in diesem
Moment das Gefühl auf dem Bild und aus ihr draußen war.
Lassnig wollte mit den großen männlichen Kollegen verglichen werden. Sie hat sich mit Munch, van Gogh und Velázquez in einer
Traditionskette gesehen. Sie wollte auch immer als Maler bezeichnet werden, zu ihrer Zeit war Gendern ein nicht so brisantes
Thema. Sie wollte nicht wegen ihres Frau-Seins wahrgenommen werden, sondern wegen ihrer Kunst. Trotzdem hatte sie eine große
Vorreiterrolle und emanzipatorische Wirkung auf viele Künstlerinnen nach ihr, indem sie es geschafft hat, so weit zu kommen.
Ungewollt feministisch sozusagen. Sie hat es geschafft, die teuerste österreichische Künstlerin zu werden.
Was hat es für die Montage bedeutet, mit der aufgehobenen Zeit umzugehen?
ANJA SALOMONOWITZ: Joana Scrinzi und ich haben mit großen Pausen mehr als ein Jahr am Film geschnitten. Das Drehbuch hat eine Abfolge vorgegeben,
die im Schnitt nicht eingehalten werden musste. Wir haben dann lange nach der Form gesucht, die das Versinken in Lassnigs
Bewusstseinssphäre und unseren Umgang mit dem Alter gut ermöglicht. Im Endeffekt sind wir wieder bei einer mehr oder weniger
chronologischen Form gelandet und haben sehr gelacht, dass wir eine große Runde zur Ausgangslage gemacht haben. Es war eben
nötig. Ich finde auch, dass die großartige körperliche Darstellung von Birgit Minichmayr voran, aber auch die Musik von Bernhard
Fleischmann oder das sphärische Sounddesign von Veronika Hlawatsch sehr gut dazu beitragen, dass man in Lassnigs Bewusstseinszustand
sinken kann. Ich glaube, dass Maria Lassnig den Film, so wie er gemacht ist, lustig finden würde. Ich glaube, es würde ihr
gefallen, dass er so anders gemacht ist.
Warum war es Ihnen so wichtig, in dieser unbewussten Sphäre der Künstlerin zu bleiben?
ANJA SALOMONOWITZ: Weil ich denke, dass dort die Kreativität sitzt. Weil die Lassnig da war. Jeden Tag hat sie sich in diesen Zustand begeben.
Gnadenlos. Gnadenlos zu sich selbst. Ich glaube, dass es in Lassnigs Kunst-Wollen und Kunst-Machen um eine Überwindung der
Sterblichkeit ging. Um eine Form des Unsterblich-Werdens, indem sie sich über ihre Werke veräußert. Im Nachhinein betrachtet
geht es in meinem Film eigentlich durchgehend um den Tod und die Überwindung des Todes. In dem Moment, wo die Großmutter als
Geist am Bett der gealterten Lassnig sitzt und sie ganz normal miteinander sprechen, vermischen sich zwei Sphären und die
reale Welt löst sich völlig auf. Die Erfahrung von Sterblichkeit, das Wollen von Unsterblichkeit und das Bewusstsein, dass
alle Zeiten gleichzeitig sind und sich auch verschieben können, sind ständig da.
Interview: Karin Schiefer
Jänner 2024