Vieles an Perlas Handeln kann man verstehen. So Manches aber auch wieder nicht. Sie ist Künstlerin und Mutter, sie liebt zwei
Männer und rebelliert gegen ein Regime; wenn sie entscheidet, dann tut sie es aus dem Bauch heraus und vor allem für sich
selbst. Alexandra Makarová hat in ihrem zweiten Langfilm PERLA eine starke und ambivalente Figur geschaffen, die in die Zeiten des Eisernen Vorhangs führt und ins Bewusstsein ruft, welche
Welten nur ein schmaler, seichter Fluss an der österreichischen Grenze trennen, welche Lebensentwürfe er verhindern und zerstören
konnte.
Das erste Bild zeigt einen stillen, seichten Fluss, den eine Person mühelos überquert. Dass dieser Fluss einmal den Eisernen
Vorhang bedeutet hat, Welten getrennt und Schicksale bestimmt hat, ist nicht mehr vorstellbar. Welche Gedanken liegen dieser
ersten Einstellung zugrunde?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Es ist ein Übergang an der March unweit der tschechischen Grenze, über den sehr viele Menschen geflüchtet sind oder es versucht
haben. Mein Gedanke war, ein Bild zu zeigen, wo auf einer Seite der Osten, auf der anderen der Westen war. Man konnte einander
von den nahen Ufern zuwinken, hinüberzukommen war aber ein Ding der Unmöglichkeit. Diese Einstellung ist ein metaphorisches
Bild, um zu zeigen, wie physisch nah und gleichzeitig fern diese komplett unterschiedlichen Welten waren und es im Grunde
immer noch sind.
Ihre familiären Wurzeln reichen in die ehemalige ČSSR zurück. Wie sehr ist Ihre Familiengeschichte von politischen Regimen
geprägt?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Ein großer Teil meiner Persönlichkeit ist von der Geschichte meiner Familie geprägt ist. Meine Urgroßeltern sind unabhängig
voneinander 1917 nach der Oktoberrevolution aus dem damaligen Russland geflohen. Sie mussten alles zurücklassen und waren
die Einzigen aus ihren Familien, die dank der Flucht in die Tschechoslowakei, überlebt haben. Damit begann die Fluchtbewegung
in meiner Familie. Zwei Tage nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands wusste der NKWD, der sowjetische Geheimdienst, ganz genau,
wer 1917 geflohen war. Mein Urgroßvater wurde nach Sibirien verschleppt und war zehn Jahre in mehreren Gulags inhaftiert;
seine Familie wusste jahrelang nicht, ob er am Leben war. Zurückgeblieben ist meine Urgroßmutter mit ihren Töchtern, die daraufhin
enteignet und umgesiedelt wurden. Nach Stalins Tod wurde mein Urgroßvater 1956 unter Protektion von Alexander Dubček rehabilitiert,
der ihm sein Leben während der Nazizeit zu verdanken hatte. Diese traumatischen Erfahrungen sind so in uns verankert, dass
ständig darüber geredet wurde. Seit ich denken kann, wurde bei uns über Hunger gesprochen, lange konnte mein Urgroßvater nicht
mit Besteck essen. Flucht, Vertreibung, Gefangenschaft ist tief in mir drinnen. Die Angst etwas Ähnliches könnte mir passieren,
ist immer da, egal wie unwahrscheinlich es ist. Ich bin mir sicher, dass die Ängste und Verhaltensweisen an uns weitergegeben
wurden. Deshalb sehe ich die Wurzeln von Perlas Geschichte in meiner Familie. Figuren, die sich in unmöglichen Situationen
befinden, an denen sie keine Schuld tragen und dann zu schauen, wie reagieren sie, halte ich für unglaublich spannend.
Sie situieren die Geschichte von PERLA im Jahr 1981. Rückwirkend betrachtet war das Ende der autoritären Regime der Warschauer
Pakt-Staaten nicht mehr so weit weg. Wie solide war zu diesem Zeitpunkt die Diktatur in der ČSSR? Wie sahen der Alltag, die
Perspektiven für junge Menschen wie Perla und Andrej aus? Wie würden Sie diese Zeit mit dem heutigen Wissen einschätzen?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Ich denke, dass sich in der Slowakei, in Ungarn, in Georgien, gerade Dinge wiederholen. Zensur, besonders in der Kultur.
Es wurde und wird wieder geschaut, wer regimetreu ist. Kinder in Familien, die ein Parteibuch und Kontakte hatten, konnten
studieren, was sie wollten, während andere, von denen bekannt war, dass vielleicht die Eltern oder Großeltern Regimegegner
waren, konnten das nicht. Das trifft auch auf Perla bzw. meine Mutter zu, die sich viermal an der Kunsthochschule beworben
hat. Sie wurde viermal abgelehnt, erst gegen Ende des Regimes wurde sie dann aufgenommen. Es gab einschneidende Eingriffe
in die Privatsphäre. Man konnte weder reisen noch sagen, was man dachte. Ich habe die frühen Achtziger gewählt, weil die Zeit
ein wenig hoffnungsvoller war als die stalinistische Ära der 1950er Jahre oder die Zeit nach dem Einmarsch der Truppen des
Warschauer Pakts. Dennoch ging es mit den Verhaftungen weiter. Kommunismus und Sozialismus wurden in den verschiedenen Ländern
grundverschieden ausgelegt. In Polen z.B. ging es viel härter zu, ebenso in Rumänien. Da die Tschechoslowakei das Tor in den
Westen war, war es im Vergleich ein bisschen „westlicher“. Dennoch war Selbstverwirklichung in unserem Sinne nicht denkbar.
Künstler:innen wurden stark zensiert, manche haben versteckt regimekritische Symbole in ihre Arbeiten eingebaut.
PERLA ist ein Film, der aus einem Drehbuchprogramm If she can see it she can be it hervorgeht. Ihre Hauptfigur Perla, ist
eine Frau, die als Künstlerin ihren Weg gehen will, die Mutter ist, zwei Männer geliebt hat, sich einem politischen Regime
widersetzt und die in ihren Entscheidungen ihrer Intuition folgt. Welche Aspekte einer selbstbewussten weiblichen Hauptfigur
haben Sie beim Schreiben in den Vordergrund gerückt?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Die Prämisse von If she can see it she can be it gilt Frauenfiguren jenseits der Klischees. Ich habe penibel darauf geachtet, das zu erfüllen. Dennoch habe ich mich immer
wieder dabei ertappt, Richtung Klischee zu tendieren. Ich musste mir immer wieder selbst auf die Finger klopfen. Konsequent
umgesetzt führt das tatsächlich zu spannenden Wegen für die Figur und die Geschichte. Was mir an Perla gefiel, sind ihre Resilienz
und ein Grundvertrauen in ihre Intuition, ohne Rücksicht auf Verluste. So ist sie. Mutter, Künstlerin, Rebellin. Sie entscheidet
sich immer wieder für sich selbst, folgt immer wieder ihrer Intuition und bleibt dabei hartnäckig. Es war nicht einfach, denn
gewünscht sind Filme mit sympathischen Hauptfiguren; Perla ist nicht unsympathisch, aber sie trifft Entscheidungen, die für
viele nicht nachvollziehbar sind. Ambivalent sind wir alle. Und ich finde, das vorherrschende Mutterbild ist wirklich zu hinterfragen,
auch für mich selbst.
„Anders geht’s manchmal nicht“, sagt Perla irgendwann zu Andrej. Es ist ein Satz, den alle erwachsenen Figuren zu jemandem
sagen könnten: Perla zu Andrej, Josef oder Julia; Andrej am Ende zu Perla, Josef zu Claudia, vielleicht auch Julia am Ende
zu ihrer Mutter. Hat dieser Satz dem Film so etwas wie den Grundtenor zugrunde gelegt?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Auf Perla trifft es total zu. Für sie gibt es nur einen, nämlich ihren Weg. Ich möchte nicht pauschalisieren, aber es ist
ein Satz, den ich in meiner Kindheit oft von Frauen gehört habe. Ich glaube, es ist ein sehr slawischer Satz. „Manchmal geht
es einfach nicht anders“ oder auch: „Da musst du jetzt durch.“ Ich bin mit einer gewissen Härte erzogen worden, Jammern wurde
keine Sekunde ernst genommen, das ist bis heute so. Gleichzeitig ist es eine Mentalität, in der man mit viel Selbstironie
über sich und sein Leiden gemeinsam lachen kann. Ich glaube, es hat viel mit der Härte des Lebens jenseits des Eisernen Vorhangs
zu tun. Es ist mir immer stärker bewusst geworden, dass Resilienz im Zentrum von PERLA steht. Es passieren Perla so viele
Dinge, wo andere aufgeben oder zusammenbrechen würden. Sie steht auf und kämpft sich durch. Ich beneide sie. Es gehört auch
ein wenig Wahnsinn dazu, so zu agieren, wie sie es tut.
Neben der Resilienz ist auch Verlust ein zentrales Thema. Hat Sie das auch beschäftigt?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Oh ja. Für Perla geht es um den Verlust ihrer Freiheit und Selbstbestimmung. Das Zurücklassen eines Lebens. Jede Figur in
PERLA muss mit Verlust unterschiedlichster Art umgehen und jede findet andere Herangehensweisen und Lösungen. Man sagt ja
auch, der Charakter einer Figur wird nicht durch das Gesagte offenbart, sondern durch ihren Umgang mit Problemen. Mir war
auch wichtig, dass die beiden männlichen Figuren unterschiedliche Energien und Ansichten haben, die natürlich sehr geprägt
sind von der Art, wo sie aufgewachsen sind. Es hat sich auch meine Haltung zu den beiden im Laufe der Dreharbeiten geändert.
Vielleicht lag es an Noel Czuczor‘s empathischer Darstellung, aber irgendwann war ich dann Team Andrej.
Wie sehr hat Sie die Frage beschäftigt, dass Kinder ausbaden müssen, was Eltern entscheiden?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Sehr. Da sind wir wieder beim transgenerationalen Trauma auch in der heutigen Zeit. Die Entscheidungen der Eltern ziehen für
Kinder immer Konsequenzen fürs ganze Leben nach sich. Unsere Tischgespräche über Lager, Hunger, Kriegsgeschehnisse, haben
natürlich einen Einfluss auf mich gehabt. Mich hat es so geprägt, dass ich einen Film darüber gemacht habe. Julia steht auch
für Kinder, die heute über Migration in Europa oder in anderen Regionen der Welt landen. Es ist mir nicht bekannt, dass Frauen
Kriege anzetteln, vergewaltigen oder plündern. Aber sie sind diejenigen, die eine neue Generation heranziehen müssen, aufbauen
und die Fehler des Patriarchats ausbaden müssen.
PERLA ist auch die Geschichte von Vergangenheit und Neuanfang. Ihre Bilder zeigen oft nur Ausschnitte, Menschen im Vordergrund,
die die Sicht auf das Ganze verstellen, halb geöffnete Türen. Erzählt dies etwas von einer Vergangenheit, die immer nur halb
geschlossen, einer Gegenwart des Neubeginns, die immer nur halb geöffnet bleiben wird?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Man könnte sagen, so ist es perfekt auf den Punkt gebracht. Relativ bald war klar, dass wir in der Bildsprache einen beobachtenden
Stil wollen und Blickwinkel suchen, die nicht die offensichtlichsten sind. Wir wollen zeigen, dass diese Frau immer zwischen
zwei Welten steht, auch wenn sie in der Gegenwart lebt, nach vorne blickt und sich nie umdreht. Sich darauf einzulassen, wäre
ihr Untergang
was sie letztlich doch tut. Das Spiel zwischen Zukunft und Vergangenheit machen wir durch Fenster deutlich,
wir arbeiten auch viel mit Spiegeln, weil sie sich mit sich selbst auseinandersetzen und mit ihrem Spiegelbild – auch mit
ihrer Schuld, mit dem Wissen, was sie zurückgelassen hat –, leben muss. Dennoch hat sie diese Sehnsucht nach der Heimat, die
sich durch nichts ersetzen lässt. Der Kameramann Georg Weiss und ich haben sehr intensiv zusammengearbeitet. Wir hatten großen
Respekt vor diesem Projekt. Es hat lange gedauert, bis wir uns sicher waren, wie der Film aussehen sollte, welche Farben dominieren
sollten, wie die kollektive Erinnerung an diese Zeit aussieht – sie entspricht nicht immer dem, wie sie tatsächlich ausgesehen
hat. Eine wichtige Erkenntnis, die wir durch PERLA gewonnen haben, ist die, wie ausschlaggebend das Kostüm für das Bild ist,
vor allem beim historischen Film. Wir haben uns viele Filme – alte wie neue –, viele Fotografien angesehen. Ich würde sagen,
dass die Fotokunst von Saul Leitner oder Fred Herzog beinahe wichtiger war, als Moodfilmen. Unsere Farbpalette hat sich eher
auf die fünfziger Jahre und Kodachrome fokussiert.
Das ČSSR-Hotel wird man als markanten Ort aus dem Film mitnehmen. Wie verlief die Locationsuche für die Settings aus den frühen
achtziger Jahren?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Wir haben sehr lange gesucht. Der naheliegendste Gedanke wäre gewesen, die Tristesse über einen Plattenbau zu vermitteln.
Das wollte ich nicht. Das haben wir oft genug gesehen und es ist ja nicht so, dass die gesamte Tschechoslowakei aus Plattenbauten
bestanden hat. Es gab K&K Architektur, es wurde im Krieg nicht so viel zerstört. Außerdem wurde zwischen der Ersten und Zweiten
Republik total viel gebaut. Ich kann der sozialistischen Architektur zwar viel abgewinnen, aber ich habe bewusst den alten
Glanz gewählt, auch um zu zeigen, dass es sich um eine Welt handelt, die nicht so weit von unserer ist, durch die nur eine
Grenze gezogen worden ist. Wir haben viele Hotels angeschaut, letztlich im Kurort Sliač in einem Hotel gedreht, das ein Prestigeprojekt
der Ersten Republik war. Mit dem Dorf war es tatsächlich etwas schwieriger. Wir haben schließlich ein Dorf gefunden, wo alles
so war, als wäre die Zeit stehen geblieben. Brádno liegt inmitten von einem dichten Wald, nur zwei Häuser waren noch bewohnt.
Absolute Stille. Und eine barocke Kirche umgeben von Sumpfgebiet. Der Ort war so filmisch und mysteriös. Die Bedingungen für
das Team waren aber schwierig. Auch wegen der Bären, die zu der Jahreszeit nicht weit weg von uns, unterwegs waren. Wir hatten
immer zwei Jäger mit am Set.
Perla ist Malerin. Sie zeigen die Bilder, aber auch die Arbeit, die Handgriffe im Atelier. Für die Bilder haben Sie Werke
Ihrer Mutter gewählt. Warum?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Perlas künstlerische Arbeit war anfangs ein zentraler Bestandteil des Films, der langsam in den Hintergrund gerückt ist,
weil der innere Konflikt immer stärker wurde. Ich liebe es, wenn bei der Darstellung von Arbeit die physische Komponente sichtbar
ist. Für Perla war mir auch wichtig, sie in einer völlig anderen Welt zu zeigen. In ihrem Atelier ist sie ganz allein und
kann machen, was sie will, und sie kann in Wien eine ganz andere Art von Bildern malen, die in der ČSSR zensiert worden wären.
Die Auswahl der Bilder war eine lange Reise. Zuerst mussten wir entscheiden, aus welcher Periode wir die Bilder von meiner
Mutter ausleihen wollten und aus den frühen neunziger Jahren gab es nicht mehr so viel. Für mich war es naheliegend, Bilder
meiner Mutter zu verwenden, da ich die Figur anfangs ganz nah an ihr angelegt hatte; im Laufe der Zeit hat sich das stark
verändert. Die Resilienz und auch das Harte, das kommt von meiner Mutter, aber auch von vielen anderen Frauen aus meiner Familie.
Und irgendwann kam auch ich dazu, was ich mir lange nicht eingestehen wollte. Es war mir auch deshalb wichtig, dass die Bilder
meiner Mutter drinnen sind, weil sie die Ausdruckskraft und die Farbintensität haben, die zu Perla passen. Perla würde keine
zarten Aquarelle oder präzise Skizzen malen. Es musste pastös und kräftig sein.
Etwas beinahe Albtraumhaftes, Irreales bekommt der Film gegen Ende, wenn Perla in ihrem Dorf ist und in einen erschreckend
patriarchalen Brauch verwickelt wird. Was hat es mit diesem Brauch auf sich? Welche erzählerische Funktion haben diese Szenen
im Dorf?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Es ist ein Brauch, der am Ostermontag stattfindet. Die Frauen werden von den Männern mit Wasser angeschüttet oder – je ländlicher
die Region ist – , in den Fluss oder in gefüllte Badewannen, die in den Höfen stehen, getaucht. Es ist ein unfassbar patriarchaler
Brauch. Die Frauen werden nass gemacht und dann noch mit Ruten gepeitscht – die Idee dahinter ist, dass die Frauen durch diese
Prozedur, das ganze Jahr über frisch und gesund bleiben. Früher hat niemand hinterfragt, wie übergriffig das eigentlich ist.
Ich hab das als Kind in einem Dorf nahe der ukrainischen Grenze miterlebt. Es hat sich mir so eingeprägt, weil man aus dem
ganzen Dorf immer wieder Schreie gehört hat und dann wieder Stille. Ich fand das beängstigend, aber auch aufregend, es hat
mich auch nie losgelassen. Im Film beginnt es auch mit einer scherzhaften Note, man weiß nicht so recht, in welche Richtung
es geht, es war mir aber wichtig, dass es nach und nach eine Horrorkomponente annimmt. Es geht um Perlas inneren Horror, dass
sie wieder gegen ihren Willen von Männern überwältigt wird.
Rebeka Poláková ist eine slowakische Schauspielerin. Wie haben Sie sie für die Hauptrolle entdeckt? Welche Anforderungen stellte
diese Rolle?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Ich hatte bei Perla keine konkrete Vorstellung, was ihr Aussehen betrifft. Ich war völlig offen und habe nach einer sehr
wandelbaren Schauspielerin gesucht. Man sollte lange nicht wissen, wer diese Frau wirklich ist. Rebeka hat diesen Anspruch
auf fast gruselige Weise erfüllt. Sie sieht immer wieder anders aus, hat eine tolle Präsenz und Genauigkeit, ohne dass man
sie je ganz zuordnen kann. Sie hat etwas Geheimnisvolles. PERLA war aus mehreren Gründen eine Herausforderung, weil sie vom
Theater kommt und nicht Deutsch spricht. Sie musste Deutsch phonetisch lernen, was unglaublich gut funktioniert hat. Und sie
musste sich auf eine Figur einlassen, der viel Schmerzhaftes widerfährt. Wir haben oft darüber gesprochen, wie gern wir mehr
von Perlas Resilienz hätten, mehr von ihrer Stärke, wenn auch sie an Wahnsinn grenzt.
Was war Ihnen bei der Besetzung der Rolle von Julia wichtig?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Diese Besetzung ist Martina Poel zu verdanken, die das Kindercasting gemacht und Carmen sehr gut gecoacht hat. Martina hat
eine sehr intuitive Kommunikationsebene aufgebaut. Wir haben Carmen Diego ein erstes Mal gecastet und ein halbes Jahr später
nochmals, dann war die Entscheidung klar. Ich achte weniger auf Ähnlichkeit im Aussehen als vielmehr auf die Energie, die
kompatibel sein muss. Carmen hatte diese neugierige, freche Art, die klar macht, dass sie Perlas Tochter ist. Egal wie sehr
ich meine Mutter in meiner Jugend kritisiert habe und Probleme mit ihr hatte, ich bin ihre Tochter. Man nimmt viel an und
kopiert das Verhalten der nächsten Bezugsperson. Im besten Fall versucht man sich ein bisschen zu ändern. Und so musste es
auch bei den beiden sein.
Sie haben selbst Ihre frühe Kindheit in der ČSSR erlebt. Was hat es für Sie bedeutet, in diese Zeit, in diese Sprache zu tauchen
und im Land Ihrer frühen Kindheit zu drehen?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Die Sprache war weniger das Problem, viel mehr waren es die doch sehr persönlichen Wurzeln der Geschichte. Wenn ich etwas
will – da bin ich Perla nicht unähnlich – , dann denke ich im ersten Moment wenig darüber nach, ob mir etwas Angst macht.
Ich mach‘s einfach, auch weil ich sehr stur bin. Ich habe anfangs nicht darüber nachgedacht, wie persönlich diese Geschichte
ist. Sie basiert ja doch auf den vielen Frauen meiner Familie. Ich habe mich oft gefragt, warum ich so leichtsinnig war, ein
so persönliches Thema zu wählen. Aber es hatte auch eine Art kathartische Wirkung. Die Recherchefahrten habe ich sehr genossen,
weil dieser Teil der Slowakei für mich Kindheit ist – Kindheit, Familie, schöne, tiefe Gefühle, die meine ersten Lebensjahre
geprägt haben. Alles, was darüber hinausging, war für mich komplett neu. Es sind viele Fragen aufgekommen, gerade im Szenenbild
oder bei den Props: Es war für österreichische Teammitglieder immer wieder unglaublich, welche Dinge es nicht gegeben hat,
die in Österreich selbstverständlich waren. Geschenkspapier z.B. Es gab eine Sorte, vielleicht drei Muster, das war’s und
es hat gedauert, bis wir das aufgetrieben hatten. Hanuš Polak war mein Regieassistent, der erfreulicherweise auch Tschechisch
spricht. Für ihn war es auch eine Reise in die Vergangenheit seiner Herkunft und eine Form von Aufarbeitung seiner eigenen
Flucht als Kind. Mein Slowakisch ist nicht perfekt, ich konnte aber sehr schnell hin und her switchen. Im Team haben wir sehr
darauf geachtet, dass sich keine Lager bilden und wir ein geschlossenes Team bleiben.
Welche Wahrnehmungen haben Sie auf beiden Seiten über das jeweilige andere Land gemacht? Wie schätzen Sie aktuell die Sichtweisen
der jeweiligen Länder aufeinander ein?
ALEXANDRA MAKAROVÁ: Die Slowakei ist seit 2004 bei der EU. Meine Hoffnungen waren positiver als die Realität. Es sind auf beiden Seiten Vorurteile
da und ich weiß nicht, wie man sie beseitigen kann. Ich wünschte es gäbe ein größeres Miteinander, denn die junge Generation
beschäftigt sich mit denselben Themen wie die Jugend in Österreich. Es hat so viele Dinge jenseits der Grenze nicht gegeben,
über die man in Österreich nie nachgedacht hat. Ich bin 1985 geboren und hab das nicht hardcore mitbekommen, sondern vieles
aus Erzählungen erfahren. Ich wollte, dass man das Land und seine Kultur lieben lernt. Es war ja nicht so, dass die Menschen
in der ČSSR jeden Tag vor Leid geweint haben, sie hatten ihre Familien, ihren Sinn im Leben und vielleicht hatten die Menschen
auf beiden Seiten sehr ähnliche Träume. Die Vorurteile waren da, nicht dass sie sich konkret äußerten, aber es schwang immer
mit. Ich finde, wir sind uns nicht so unähnlich. Slowak:innen und Tschech:innen haben sehr viel Humor und das liebe ich. Das
ist es was ich auch so am Wiener Schmäh liebe, er kann so finster und doch so voller Lebensmut sein. Egal wie schwer es ist,
weitermachen und den Humor nicht verlieren.
Interview: Karin Schiefer
Jänner 2025