INTERVIEW

«Nirgendwo anders ist der Grat zwischen Erfolg und Scheitern ...

 

 

... so schmal und evident wie im Extremsport. Es haben mich nicht die Beweggründe von Extremsportlern interessiert, sondern  Fragen wie "Was sind manche Menschen bereit zu riskieren, um ihr Ziel zu erreichen?" Ein Gespräch mit Sascha Köllnreiter über ATTENTION – A LIFE IN EXTREMES.


War es in erster Linie die Frage nach den Motiven, warum sich ein Mensch bewusst Gefahr, Strapazen und Angst aussetzt und daraus große Genugtuung bezieht, der Sie in ATTENTION – A LIFE IN EXTREMES nachgehen wollten?
Sascha Köllnreitner: Es haben mich nicht die Beweggründe von Extremsportlern interessiert, sondern – ganz generell auch auf die Wirtschaftswelt umgemünzt – Fragen wie Was könnte Menschen erfolgreicher machen als andere? Was sind manche Menschen bereit zu riskieren, um ihr Ziel zu erreichen? Diese Fragen interessierten mich in Anbetracht der gesellschaftlichen Entwicklungen, die 2009/2010 ganz andere Ausmaße angenommen haben und nicht vordergründig unter dem Fokus des Extremsports. Im Zuge meiner Überlegungen stieß ich auf die Parallelwelt des Extremsports und dachte mir, dass nirgendwo anders der Grat zwischen Erfolg und Scheitern so schmal und evident ist, da man das Scheitern im Extremfall mit dem Tod bezahlt. Ich kam zum Schluss, dass sich die Fragestellungen, die mich beschäftigten, sehr gut vor dem Hintergrund des Extremsports erörtern ließen. Verbindungen, die sich auf unsere Wirtschaftswelt, auf unser tägliches Leben, auf unsere sozialen Strukturen übertragen lassen, liegen sehr nahe. Der Extremsport macht nur die Spitze des Eisbergs aus.

Haben Sie viele Extremsportler getroffen, ehe sich Halvor Angvik, Gerhard Gulewicz und Guillaume Néry als Protagonisten herauskristallisiert haben?
Sascha Köllnreitner: Ich habe vorab sehr viel recherchiert, mir dramaturgisch wie visuell eine Herangehensweise überlegt. Eine dreiteilige Erzählform erschien mir interessant, dazu boten sich die drei Elemente – Luft, Wasser, Erde – einfach an. Luft deshalb, weil ich Wingsuit-Jumping für den Sport halte, der am stärksten ins Extrem geht. Ich habe einzelne Themenkomplexe meiner Recherche den verschiedenen Elementen zugeordnet und relativ rasch drei Persönlichkeiten gefunden, die grundverschieden und sehr interessant waren. Getroffen habe ich nur sie.

Worin übertrifft Wingsuit-Jumping noch andere extreme Sportarten?
Sascha Köllnreitner: Man fliegt mit über 200 km/h entlang einer Felsklippe. Die Flüge dauern bis zu 1,5 Minuten, der Bruchteil einer Sekunde einer Fehlentscheidung kann über Leben und Tod entscheiden. Das verbindet sich mit dem zutiefst menschlichen Streben noch tiefer, schneller und noch näher an die Felswand heranzufliegen. Man beweist das größere Können, wenn man durch Schluchten oder an Bäumen sehr nahe heranfliegt. Das Risiko ist allerdings immens höher. Hier wird die „Sinnlosigkeit“ des Strebens so evident, denn was macht es schon aus, noch zehn Zentimeter näher an die Felswand heranzukommen?

Was vereinte diese drei Männer trotz ihrer unterschiedlichen Aktivitäten, um sie in den Mittelpunkt eines Dokumentarfilms zu stellen?
Sascha Köllnreitner: Es ist aufgegangen, was ich erhofft hatte – nämlich, dass alle drei in ihrer Unterschiedlichkeit durch einen wesentlichen Faktor vereint sind: die Tatsache, dass sie in ihrer Tätigkeit aufgehen. Sie betreiben ihren Sport aus vollster Leidenschaft, obwohl man nur wenig bis kein Geld damit verdienen kann und erleben dabei eine Erfüllung.

Alle drei Protagonisten stellen sich einem anderen Element. Jedes dieser Elemente hat filmisch andere Herausforderungen bereitet. Welche? Wie sind Sie an diese herangegangen?
Sascha Köllnreitner: Ich beginne mit der Luft: Es ist sehr viel mit GoPro-Kameras gedreht worden, die wir an den Springern montiert hatten. Wir haben auch Kameras an Stellen positioniert, die sie überflogen haben. Schwieriger wurde es dann vor allem im Lauterbrunnental, wo wir über Klettersteige mit dem schweren Equipment zu den Absprungstellen gelangen mussten. Die Springer waren sehr kooperativ, es verschieben sich halt manchmal die Wahrnehmungen. Für einen Dreh mit einem Kran stellten sie uns 10-15 Minuten Fußmarsch in Aussicht, das schien uns zu viert bewältigbar. Es stellte sich letztlich als halbstündiger, steiler Abstieg in einen Wald heraus, was unsere Pläne zunichte machte. Mit einem Helikopter wäre das natürlich einfach gewesen, das lag allerdings nicht innerhalb des Budgetrahmens. Das Land und der Radfahrer Gerhard Gulewicz waren sehr leicht mit der Kamera erfassbar. Wir haben Gerhard drei Mal beim Race Across America begleitet, zwei Mal nur der Kameramann und ich. Wir haben ihn über neun Tage hinweg 24 Stunden am Tag im Auto begleitet. Das bedeutete nicht mehr als zwei bis drei Stunden Schlaf, stets Unterwegs-Sein und Bereit-Stehen, wenn etwas war. Wir haben da auch unsere persönliche Grenze erreicht, wie man mit Dingen wie Schlafentzug umgeht und sind dadurch auch in manchen Aspekten Gerhards Leistung näher gekommen. Als ich nach knapp 40 Stunden müde im Auto saß und ein starkes Bedürfnis nach Schlaf verspürte, schaute ich beim Fenster raus und sah Gerhard bei 35° Hitze auf dem Fahrrad hecheln und es wurde mir bewusst, dass er noch gar nicht geschlafen hatte, weil er seine erste Schlafpause erst nach 40 Stunden eingeplant hatte. Da wurde mir erst klar, was es heißt, unter Schlafentzug Höchstleistung erbringen zu müssen. Es war auch für uns eine Herausforderung, mental wir körperlich neun Tage durchzuhalten. Beim Dreh unter Wasser haben wir sehr viel Guillaumes Frau, Julie Gautier, zu verdanken, die uns auch das Material ihres Kurzfilms, der atemberaubende Bilder enthält, zur Verfügung gestellt hat. Wir haben bei Apnoe-Weltmeisterschaften in Nizza und Calamata gedreht, Guillaume in Nizza, wo er lebt, begleitet und über und unter Wasser mit ihm gedreht. Die Tiefseeaufnahmen sind von Julie. Der „Wasser-Teil“ war für mich die am einfachsten zu lösende Aufgabe.

Sportaufnahmen in Extremsituationen bedürfen eines Kameramanns mit besonderer Erfahrung und Kompetenz. Wie haben Sie ihren Kameramann gefunden? Welche technischen Besonderheiten haben sich dabei gestellt?
Sascha Köllnreitner: Es braucht auf alle Fälle einen Kameramann, der leidensfähig ist (lacht). Man braucht einen Kameramann, der das große Ganze im Auge behalten kann und trotzdem in der Geschwindigkeit spontan auf dem Wasser oder in den Bergen, wo man sich zunächst einmal abseilen musste, noch schöne Bilder hinbekommt. Es braucht vor allem einen Kameramann, der die Ruhe bewahren kann.

Sportaufnahmen noch dazu von Extremsport bieten sehr spektakuläre Sujets, die sehr verlockend sind, mit denen man aber auch schnell im Genre des „Sportfilms“ landet. Wie heikel war die Gratwanderung, hier bei den Kinobildern zu bleiben?
Sascha Köllnreitner: Wir waren uns darüber einig, dass die Auflösung nie die eines klassischen Sportfilms sein darf. Wir sind mit der Kamera immer länger drangeblieben als es für einen Sportfilm notwendig gewesen wäre. Die „Abgrenzungsarbeit“ hat insgesamt aber weniger die Kameraarbeit betroffen als viel mehr die Montage. Da galt es, nicht der Versuchung zu erliegen, den Film collagenartig in Videoclip-Manier zu schneiden. Die Schnittarbeit mit Jörg Achatz war eine sehr lange Arbeit. Wir hatten viel Material, viele dramatische und spannende Geschichten, aber nur 90 Minuten, um sie unterzubringen.

Über welchen Zeitraum hinweg sind Filmbilder für das Projekt entstanden?
Sascha Köllnreitner: Es waren gut drei Jahre. Die ersten Bilder im Film entstanden im April 2011 mit Gerhard Gulewicz. Der Race Across America, der Ende Juni 2011 begann, hat sehr viel determiniert. Kamera und das weitere technische Equipment wurden im Zuge des Race Across America abgestimmt und wir haben mit dieser Ausstattung auch weitergearbeitet, was sich gottseidank als richtig erwiesen hat.

Auch wenn alle drei Protagonisten etwas vereint, so haben Sie sich dennoch mit drei grundverschiedenen Charakteren auseinandergesetzt. Wie haben Sie zu jedem einzelnen einen Zugang gefunden? Wir würden Sie die drei Protagonisten charakterisieren?
Sascha Köllnreitner: Sie waren alle drei ein Geschenk. Man kann ja nur recherchieren und hoffen, dass die Protagonisten das einbringen, was man sich erhofft. Sie haben alle drei Unglaubliches hergegeben. Sie einzeln zu charakterisieren, ist nicht leicht. Wir haben es eigentlich mit einem Boy-Band-Charakter zu tun. Gerhard Gulewicz würde ich als den „Beißer“ bezeichnen. Er ist jemand, der sich und seinen Körper über die Leistungsgrenzen schindet. Er ist der beinharte Bezwinger, was nicht heißt, dass er nicht über sich und sein Leben nachdenkt. Guillaume Néry würde ich eher als „Schöngeist“ betrachten. Bei ihm kommt im Film deshalb auch der mediale Aspekt stärker durch. Er hat seinen Sport in eine ästhetische Sphäre erhoben und ist dadurch erst medial erfolgreich geworden. Halvor Angvik ist der Freigeist unter den dreien. Er betreibt seinen Sport als einziger nicht professionell. Er steckt seine Freizeit und sein Verdientes in seine Leidenschaft. Er springt nicht nur des Kicks wegen. Er macht es, weil er dadurch ein Stück Freiheit erlangt, auch wenn es für nicht viel mehr als eine Minute ist.

Bei Gerhard Gulewicz wird es am deutlichsten, dass die Filmarbeit auch eine Komponente der Ungewissheit in sich trug. Welches Maß an Ungewissheit musste Ihr Regiekonzept einkalkulieren?
Sascha Köllnreitner: Ich musste natürlich stark hoffen, dass eintritt, was ich mir gewünscht und erwartet hatte. Dennoch muss ich sagen, ist das Konzept sehr gut aufgegangen. Manche Episoden waren ein Glücksfall und haben dem Film sehr gut getan. Im Großen und Ganzen konnten wir das Konzept durchziehen und es hat auch im Schnitt funktioniert. Der Ansatz war eine gute Mischung aus persönlicher, sehr emotionaler Story, wo wir hofften, dass gewisse Dinge passieren und in diesen Grundraster wollte ich Kommentare von Experten - Mitstreitern und  sportferneren Persönlichkeiten, die zum Thema aus psychologischer, medizinischer, soziologischer, philosophischer Sicht  etwas beitragen konnten – hineinweben. An dieser Struktur haben wir uns auch im Schnitt orientiert.

War es ihnen wichtig, unter den Gesprächspartnern auch die Sicht eines nahen Familienangehörigen zu haben?
Sascha Köllnreitner: In der Konzeption war mir das sehr wichtig, ich wollte vermeiden, dass nur die Sportler über sich selbst sprechen, weil ich nicht wusste, wie ehrlich und authentisch sie waren. Wir haben mit Familienmitgliedern von jedem der drei sehr gute Gespräche geführt. Im Schnitt hat sich dann gezeigt, dass es gar nicht so notwendig war. Besonders Gerhard Gulewicz war so offen und hat selbst so viel von sich gegeben, dass es keines Familienmitgliedes bedurfte, um das zu bestätigen. Bei Guillaume war es sehr naheliegend, weil er sehr eng mit seiner Frau zusammenarbeitet. Ich wollte die Athleten ja nicht nur als Athleten zeigen, sondern auch als Vater, als Bruder, als Sohn, sie als Menschen erfassen. Die Sorge um den Menschen, der sich solchen Risken aussetzt, spricht niemand wirklich aus, aber sie schwingt mit. Man muss auch bedenken, dass das, was wir sehen, sehr extrem und außerordentlich gefährlich wirkt, aber die Familie wird ja auch Schritt für Schritt an dieses Niveau herangetragen. Guillaume Néry hat damit begonnen, zehn Meter tief zu tauchen und hat sich langsam an die Rekordtiefen herangearbeitet.

Einen wichtigen Aspekt nehmen im Film auch diejenigen Personen ein, die  über das Phänomen des Extremsports reflektieren – Philosophen, Soziologen, Psychologen, Ärzte. Wie haben Sie in dieser Hinsicht ihre Gesprächspartner gefunden?  Was hat Sie in diesen Gesprächen am meisten überrascht?
Sascha Köllnreitner: Gefunden habe ich sie im Zuge meiner Recherche, die ja zunächst darin bestand, sportsoziologische und sportphilosophische Texte zu lesen. Da hat mich schon einmal erstaunt, wie viele Philosophen den Extremsport, der damals noch nicht so geheißen hat, herangezogen haben, um Parallelen in der Gesellschaft zu finden wie z.B. Heidegger oder Jaspers. Bei den Gesprächspartnern war interessant, dass sie im Kontext Extremsport auch ihre eigene Expertise einbrachten – sei es nun Konrad Paul Liessmann oder Raphaël Enthoven – und die Verbindung zu den gesellschaftlichen Themen nahtlos herstellen konnten, ohne dass je der Eindruck entstand, hier würde etwas an den Haaren herbeigezogen. Ihre Ansätze gingen uns im Laufe des Films nie verloren.

Welche Themen standen in diesen Gesprächen  im Vordergrund?
Sascha Köllnreitner: Das Todesthema war selbstverständlich ein Thema. Die Leistungssucht der Gesellschaft mehr als jene der Protagonisten stand vor allem im Gespräch mit Raphaël Enthoven oder Konrad Paul Liessmann im Vordergrund. Da ging es um Fragen – Wie gehen diese Charaktere  in der Gesellschaft auf? Was hat die Gesellschaft von diesen Extremsportlern? Warum werden sie als Heroenfiguren betrachtet? Warum brauchen wir immer noch Heroenfiguren? im Gespräch mit der Soziologin und ehemaligen Leichtathletin Ines Geipel, die das Leistungsstreben eines Systems auch am eigenen Leib erfahren hat, standen die Auswüchse der Leistungssucht im Mittelpunkt.

Welchen Einfluss nehmen die neuen Medien und die Möglichkeit, mit einfachen Mitteln, sich selbst über das Internet zu produzieren und zu publizieren?   
Sascha Köllnreitner: Das ist ein großes Thema. Besonders bei den Wingsuit-Fliegern, die praktisch alle mit Kamera ausgestattet sind. Dieser Umstand fördert natürlich das Streben, noch näher an den Felsen heranzufliegen, weil es jemand sehen könnte. Es wird nie zugegeben, aber das spielt bei vielen Unfällen natürlich mit. Man macht mit Kamera Dinge, die man ohne vielleicht nicht getan hätte. Das ist bei vielen Sportarten so. Aus soziologischer Sicht erklärt sich unsere Faszination, solche Dinge zu sehen, zum einen aus der Hyperintrusion, was bedeutet, dass die Athleten einer Tätigkeit nachgehen, in der sie voll und ganz aufgehen müssen, weil sie sonst mit fatalen Folgen scheitern würden. Das Publikum, das die Sekundär- oder Tertiärerfahrung mitbekommt, kann Tätigkeiten beiwohnen, die es selbst nicht wagen würde. Solche Videos erreichen auf YouTube innerhalb weniger Tage zig-Millionen Klicks. Es gibt unzählige Nachahmer, im Film ist das eher amüsant dargestellt, es hat natürlich einen ernsten Hintergrund. Mit Néry oder Angvik zeigen wir die Speerspitze, sie machen Videos, hinter denen eine unglaubliche Leistung und jahrelanges Training steckt. Daneben gibt es Leute, die sich gottseidank nicht ernsthaft verletzen, aber naiv versuchen, etwas zu imitieren.

Der Sieg über sich selbst scheint nur zum Teil den Kern der Motive der drei Protagonisten auszumachen. Die Wahrnehmung durch andere, das deutliche Sich-Abheben von den anderen und das Bedürfnis gesehen zu werden, schwingen hier ganz deutlich mit. Besonders Guillaume Néry gewinnt da eine sehr überraschende Facette im Film.
Sascha Köllnreitner: Beim Aspekt der Selbstüberwindung kommt auch die Verschiedenheit der drei Persönlichkeiten sehr deutlich zum Ausdruck. Gerhard Gulewicz muss sich selbst überwinden, die Schmerzgrenze überschreiten, sonst würde er den Tag nicht überstehen. Guillaume Néry hingegen sagt, du kannst weder dich selbst noch die Natur überwinden, du musst sie zulassen. Das sind zwei vollkommen konträre Ansätze von Extremsport. Guillaume spricht den Punkt an, wie wichtig es ihm ist, auch durch ein breites Publikum wahrgenommen zu werden. Das war ein sehr ehrlicher Satz von ihm, der mich zunächst auch überrascht hat. Viele Berühmtheiten behaupten ja, dass es ihnen nicht wichtig ist, berühmt zu sein, sondern tun es immer als einen Teil des gesamten Spiels ab. Guillaumes Satz war sehr aufrichtig und sympathisch. Er sagt, wenn er es nur für sich tun würde, was ja viele Sportler von sich behaupten, dann könnte er allein mit dem Boot aufs Meer hinausfahren, in die angestrebte Tiefe tauchen, wieder nach Hause fahren und es niemandem erzählen. Es wäre absurd, bei einer WM mitzumachen. Eingangs muss das Motiv intrinsisch sein, sonst könnte man sich den Gefahren nicht aussetzen. Gerade bei Guillaume, der einer der wenigen Apnoe-Taucher ist, der vom Tauchen leben kann, muss es so sein, dass er die Öffentlichkeit sucht. Bei den Wettkämpfen gibt es weder Zuschauer noch Preisgelder. Möglicherweise gibt es einige Sponsoren, wenn du Rekorde schaffst, das Medieninteresse hält aber nicht an. Insofern muss er sich anders positionieren. Durch ein Youtube-Video konnte er weltberühmt werden und er tritt inzwischen in Frankreich in TV-Sendungen mit enormen Einschaltquoten auf und hat auch ein Buch geschrieben. Er gewinnt dem Sport andere Aspekte ab und kann sie gut verkaufen. So bewegt er sich vom engen Rahmen des Strebens nach dem nächsten Tiefenrekord weg. Das ist ein interessanter Aspekt, dass es selbst im Höchstleistungssport nicht immer entscheidend ist, die Rekordgrenze auszureizen. Halvor Angvik macht seine Sprünge viel mehr für sich, findet aber auch Gefallen daran, wenn seine Videos 5 Mio Klicks erreichen. Er zieht sich aber auch gerade zurück, weil er die Tendenz, Immer näher an die Felsen heranzufliegen, für eine Entwicklung in die falsche Richtung hält.

Wie stehen die drei Protagonisten zum Thema Scheitern. Ist es ein Punkt, den sie lieber nicht ansprechen?
Sascha Köllnreitner: Ansprechen ja. Das Scheitern ist ein wichtiger Aspekt. Wir haben es ja auch beobachtet, ohne das Ende im Film zu verraten. Der Film zeigt auch, dass man trotz des Scheiterns in sportlicher Hinsicht, auf einer menschlichen Ebene gewinnen kann. Dass man an einer Niederlage wächst, klingt platt, ist aber eine Tatsache. Alle drei haben dem Scheitern gegenüber dieselbe Haltung wie alle Leistungssportler – sie sind zutiefst betrübt. Sie gehören zur Weltspitze und wenn sie ein sich gestecktes Ziel nicht erreichen, dann sind sie natürlich enttäuscht.

Wie sieht nun rückblickend Ihre Schlussfolgerung aus, die Sie aus der anfänglichen Fragestellung – Was macht manche Menschen erfolgreicher als andere? – gezogen haben?
Sascha Köllnreitner:  Das ist schwer, präzise zu beantworten. Denn inzwischen haben alle drei Protagonisten von ATTENTION – A LIFE IN EXTREMES große Ziele erreicht und aus dieser Position heraus lässt es sich leichter sagen, dass Erfolg allein nicht so wichtig ist, sondern dass die persönlichen und menschlichen Aspekte, die einem im Leben weiterbringen, mehr zählen. Es freut mich, dass der Film zeigt, dass man persönliche Erfüllung auch in einer Gesellschaft erreichen kann, die nur vom „Schneller, Stärker, Höher“ lebt. Das setzt aber voraus, dass sie Dinge tun, die noch keiner vor ihnen getan hat. Ich bin mir sicher, dass jemand, der unaufhörlich einem Ziel hinterherhechelt und nie seine gesteckten Ziele erreicht hat, nicht diese gelassene Haltung gegenüber dem Erfolg haben kann wie die drei Hauptfiguren des Films. Sie zeigen, dass es nicht das Erreichen der Spitzenleistung ist, was einem im Leben längerfristig befriedigt. Die Distanz zum Erfolg setzt allerdings voraus, dass man gewisse Dinge geschafft hat. Diese Ambivalenz schwingt im gesamten Film mit, wie unterschiedlich diese drei Persönlichkeiten auch sein mögen. Es gibt keine eindeutige und alleinige Antwort. Guillaume und Gerhard, die von ihrer Leidenschaft auch leben können, scheinen sehr privilegiert zu sein, andererseits müssen sie sich vor Augen halten, dass dies nicht ewig währen kann und das Alter ihnen Grenzen setzen wird. Da werden sie wieder vor neuen Herausforderungen stehen. Nicht-Stehenbleiben ist, denke ich, die Conclusio.


Interview: Karin Schiefer
Juli 2014