«Der Film ist ein Roadmovie, das im Moment unserer Reise entstanden ist.» Nikolaus Geyrhalter und Wolfgang Widerhofer über
7915, Nikolaus Geyrhalters neuen Dokumentarfilm, der den Spuren der Motorrallye nach Dakar gefolgt ist.
Die Rallye zwischen Paris und Dakar ging in den siebziger Jahren zum ersten Mal über die Bühne, 2008 wurde die Rallye aus
Sicherheitsgründen abgesagt, die Fertigstellung von 7915 KM fällt sehr wahrscheinlich mit dem Ende der Rallye zusammen. Welche
Rolle hat sie überhaupt für die Entwicklung dieses Filmprojektes gespielt?
Nikolaus Geyrhalter: Die Rallye selbst startet ja schon lange nicht mehr in Paris, sie heißt auch nicht mehr Paris-Dakar,
sondern nur mehr Dakar-Rallye. Die Anfangsbilder von 7915 KM stammen von der Pressekonferenz in Paris, wo die Strecke vor
Sponsoren und Medienleuten präsentiert worden ist. Das Autorennen hat uns einen passenden roten Faden geliefert, ohne den
es sehr schwierig wäre, einen Film in Afrika zu drehen, der nicht der Gefahr der Beliebigkeit erliegt. Durch den Streckenverlauf
der Rallye ist ein sauberer Schnitt vorgegeben, dem man genau folgt. Man gerät nicht in Versuchung, spektakulären Klischeebildern
aufzusitzen, sondern wir mussten mit dem auskommen, was an einer ganz zufälligen Strecke passierte. Das ist mitunter nicht
sehr viel. Umgekehrt kommt gerade dadurch die Ruhe in den Film, die der Wirklichkeit entspricht. Denn Afrika besteht nicht
nur aus Wüstenlandschaften und hungernden Menschen, sondern ganz im Gegenteil ? darum ging es auch und dafür war diese Strecke
ideal ?man konnte auf dieser Strecke immer ganz gut über das Verhältnis zwischen Europa und Afrika reden, was für mich der
eigentliche Inhalt des Films ist.
Auf der einen Seite High-Tech kombiniert mit der Unproduktivität eines Autorennens, auf der anderen Seite eine Sphäre, die
von Armut oder sehr einfacher Lebensweise geprägt ist. Die Rallye trägt eine sehr kolonialistische Konnotation war
die Rallye der Anlass, diese beiden Welten übereinanderzulegen?
Nikolaus Geyrhalter: Die beiden Welten liegen schon durch die Rallye selbst übereinander. Von Seiten der Rallye ist es auf
jeden Fall eine Form von Kolonialismus, aber im Grunde genommen ist es das bis zu einem gewissen Grad auch unsererseits. Unsere
Arbeit als Filmteam geschieht eben nur mit einer anderen Absicht. Wenn man nicht weiß, dass wir einen Film drehen und ein
ehrliches Interesse haben, dann wirken wir auf den ersten blick nicht viel anders als die Rallye-Leute. Der Gegensatz, der
anfangs in der Pressekonferenz sichtbar und später nur noch spürbar ist, brauchten wir nicht mehr aufzubauen, weil er von
Anfang an den Film begleitet. Die Rallye wird ja im Laufe des Filmes sehr bald uninteressant, da es ja um völlig andere Dinge
geht. Wenn sie später nochmals anklingt, ist sie fast schon ein Fremdkörper.
Warum wurde sehr früh schon entschieden, auf die Rallye-Bilder gänzlich zu verzichten?
Wolfgang Widerhofer: Das war eigentlich ziemlich spät in der Schnittphase. Wir haben die Rallye die ganze Zeit mitgenommen.
Es hat sich aber als schwierig erwiesen, zunächst die Perspektive der Rallye einzunehmen und plötzlich zu den Leuten an der
Straße zu wechseln. Sie erzählen dann, was man eigentlich schon gesehen hat. Uns war es wichtiger, dass die Leute die erste
Quelle sind und von der Rallye erzählen. Wir interessieren uns nicht allzu sehr für die Autos. Man betritt Afrika und ist
ab diesem Zeitpunkt der Rallye auch schon hinterher. Wir unternehmen nie den Versuch, bei diesem Spektakel mitzumachen. Die
Vorstellungen und Bilder davon sind durch die Pressekonferenz in Paris am Anfang des Films bereits alle da.
Nikolaus Geyrhalter: Ursprünglich wollten wir mit der Rallye anfangen und die Bilder der Pressekonferenz waren eher zu Recherchezwecken
gedreht. Dass es jetzt umgekehrt ist und die für die Pressekonferenz produzierten Bilder den Film eröffnen macht einen schönen
Bogen zu den produzierten Bildern in der Schlusssequenz des Filmes.
Die Streckenführung der Rallye ist jedes Jahr eine andere, wie konntet ihr euch vorbereiten?
Nikolaus Geyrhalter: Wir sind einige Jahre vor den Dreharbeiten einen Teil der damaligen Strecke in Marokko abgefahren, weil
wir für uns wissen wollten, ob wir die Roadbooks lesen können und ob die Strecke für Laien wie uns befahrbar ist. Das hatte
sich als problemlos herausgestellt. Es ist sehr hart, diese Strecke in der Geschwindigkeit und mit der Übermüdung der Rallye-Profis
zu bewältigen, aber wenn man sich Zeit nimmt, dann geht das. Die Strecke besteht ja bis auf wenige Abschnitte, wo es durch
die Dünen geht, aus vorhandenen kleinen Wegen zwischen den Dörfern, die nachher etwas anders ausschauen als vorher. Für die
Dreharbeiten hatten wir wieder eine neue, uns unbekannte Strecke vor uns, das war auch das Schöne daran. Der Film ist ein
Roadmovie, das im Moment unserer Reise entstanden ist. Eigentlich war nur die Art des Diskurses und das Verschieben der inhaltlichen
Ebenen weg von der Rallye zu allgemeineren Themen vorgeplant.
Unsere Vorbereitung hat sich auf technische Aspekte konzentriert, um so ausgerüstet zu sein, dass wir die Strecke befahren
können, ohne dabei zu verhungern. Wir brauchten in gewisser Weise eine Expeditionsausrüstung, dabei darf man sich allerdings
nur auf das Notwendige konzentrieren, sonst wird man selber Teil so einer Maschinerie. Inhaltlich waren mir einige Subthemen
klar es ging mir darum, das hegemoniale Machtverhältnis zwischen Europa und Afrika nie explizit anzusprechen, sondern
an kleinen Details aufgehängt, deutlich zu machen. Welche Bilder voneinander entstehen durch die Medien? Welches Bild bleibt
in den Gedanken über, wenn eine Rallye durchgefahren ist? Was erzählen die Afrikaner, die es nach Europa geschafft haben,
ihren Familien daheim? Ein Grundthema waren die gegenseitige Vorstellungen voneinander und gleichzeitig wird, auch wenn es
nie klar ausgesprochen wird, eine koloniale Vergangenheit und eine gehörige Schuld unsererseits deutlich.
In welchem Abstand zur tatsächlichen Rallye war das Drehteam unterwegs?
Nikolaus Geyrhalter: Wir haben gedreht, als die Rallye von Malage nach Marokko übergesetzt hat. Wir haben das erste Biwak
der Rallye in Marokko gefilmt und auch den ersten Rallye-Abschnitt gedreht. Dann wurde der Abstand immer größer, und wir waren
noch immer in Marokko, als die Rallye in Dakar schon entschieden war. Wir haben für die Strecke vier Monate gebraucht, die
Rallye braucht dafür etwa zwei Wochen. Es war ja auch Teil des Konzeptes, dass der zeitliche Abstand immer größer wird. Genauso
wie sich die Reifenspuren immer weiter verwischen, bewegt sich auch der Film in eine ganz andere Richtung.
Wie haben sich dann die Orte ergeben, wo ihr Halt gemacht und gedreht habt?
Nikolaus Geyrhalter: Wir haben grob durchgerechnet, wie viel Zeit wir zur Verfügung haben und wie weit wir in einer Woche
kommen müssen. Dann ist spontan entschieden worden, je nachdem, ob wir auf Interviewpartner getroffen sind, die uns interessant
erschienen. Oft waren es auch logistische Haltepunkte, wenn wir zum Beispiel in einer Stadt geblieben sind, um Lebensmittel
zu kaufen, um zu tanken oder die Autos zu reparieren. Im Grunde genommen waren wir komplett frei. Das einzige, was fixiert
war, war der Zeitpunkt, wann wir die Landesgrenzen passieren mussten, weil wir in jedem Land ein lokales Team hatten, das
natürlich für einen gewissen Zeitraum gebucht war. Manchmal haben wir uns auf einer Strecke von 50 km verzettelt, dann haben
wir wiederum 200 oder 1.000 km abgekürzt. Entscheidend war, die Geschichten über alle Länder und Regionen einigermaßen gleichmäßig
zu verteilen.
Der Film beginnt und endet mit «Sekundärbildern» - der Rallye-Promotion auf der Leinwand bzw. Bildern von Flüchtlingen, die über einen Radarschirm übertragen werden. Im Film
begegnen wir einem Filmvorführer, das Fernsehen wird mehrmals thematisiert - insgesamt ist 7915 KM auch eine Reflexion über
das produzierte Bild.
Wolfgang Widerhofer: Das ist der Rahmen, in dem der Film stattfindet. Es gibt zwei Klischees von Afrika: Abenteuer und Exotik
auf der einen Seite und die Angst auf der anderen Seite - von Aids bis zu den Flüchtlingen. Das sind die Bilder in unseren
Köpfen produzierte Bilder. Wer produziert die Bilder und wie? Sprichwörtlich zwischen diesen Fremdbildern etabliert
sich der Versuch, in dieser Art des Reiseessays langsam und episodisch zu schauen, Tempo herauszunehmen und andere Bilder
zu finden. Es ist eine Entscheidung, wie man es aufnimmt und diese Entscheidung heißt «Genaues Schauen» und «Verlangsamen»
wie Nikolaus es in jedem Film macht. In diesem Fall ist die Haltung zu den Protagonisten eine Haltung der Langsamkeit. Das
ist zunächst das Entscheidende.
Wie fiel letztlich die Entscheidung für einen sehr nüchternen Titel, der auch Rallye-Kontext völlig ausklammert?
Nikolaus Geyrhalter: Wir haben sehr lange über sehr viele Titel nachgedacht. Alle hatten Vor- und Nachteile. Ich finde, dass
dieser Titel durchaus einen Kontext hat. Er ist offen genug, um interessant zu sein und eine so präzise Kilometerbezeichnung
ist auch Hinweis dafür, dass es um eine bestimmte Strecke geht und man nicht einfach spazieren fährt. Irgendwann hatte ich
das Gefühl, dass 7915 KM der geradlinigste Titel ist, derjenige, der am besten mit der Erzählung korrespondiert, wo eine genaue
Kilometerangabe jeden Grenzübergang markiert. Und wenn dann am Ende «7915 km - Dakar» erscheint, dann ist man im Film auch
wirklich angekommen. Der Titel unterstützt die Erzählung, er hilft der Orientierung und er ist ein Zeichen von Genauigkeit.
Ich halte es auch für interessant, dass es auf den ersten Blick nach einer großen Distanz klingt und wenn man dann aber kurz
nachdenkt, dann wird einem klar, dass es gar nicht weit ist. 7000 km, das ist eigentlich um die Ecke. Deshalb mag ich diesen
Titel so gerne, weil er eine Ambivalenz zwischen Distanz und großer Nähe ausspielt. Man ist immer verleitet, das Andere, das
Exotische zu sehen und zu entdecken. Wir aber suchen nicht das Fremde, sondern die Ähnlichkeit und die Nähe und begegnen uns
immer auf Augenhöhe.
Ein weiterer Aspekt, der mir sehr präsent scheint, ist das Thema Maschine und Technik. Das Fehlen von Technik, die Koexistenz
von hoch entwickelter Technik und einfachsten Mitteln im dortigen Alltag, die Destruktivität, das Versagen der Technik...
Nikolaus Geyrhalter: Ich sehe es nicht unbedingt als ein Fehlen von Technik, es ist eher so, dass unsere Technik nicht automatisch
überall erwünscht und passend ist. So, wie der Nomade erzählt, gibt es genug Nomadenzelte mit Fernseher, man kann es also
haben, wenn man will, aber er z.B. braucht es nicht. Viele haben auch ihre Handys, aber vielleicht wollen sie gerade nicht
abheben. Der Umgang mit Technik und die Art, ob und wie man sich ihr unterwirft, ist auch eine Frage der Einstellung.
Wolfgang Widerhofer: Ich finde es auch wichtig, dass gerade durch Dinge wie Handys das Ganze mehr Nähe zu uns gewinnt. Es
sind eben keine verklärten, exotischen Orte, wo die Leute vorindustriell leben. Technologie ist etwas, das alle verwenden.
GPS wird von den Europäern ebenso wie auf den Flüchtlingsbooten verwendet. Diese Spannungen gibt es über die ganze Strecke
hinweg.
Nikolaus Geyrhalter: ... wobei genau genommen die Rallyefahrer im Rennen kein GPS verwenden dürfen. Sie haben Roadbooks, anhand
derer sie die Strecke finden müssen.
Dennoch könnte das ganze Rundherum um die Rallye nicht ohne GPS-Logistik zustande kommen.
Hast du durch die Arbeit mit dem Material in der Montage auch den Eindruck gewonnen, dass die Ähnlichkeiten stärker zu Tage
treten als die Kontraste?
Wolfgang Widerhofer: Ich habe ohnehin das Gefühl, dass die Menschen, wo auch immer sie leben, im Grunde nicht so unterschiedlich
sind. Ich glaube in diesem Film gibt es beides das Fremde, Dinge, die wir nicht verstehen und Dinge, die uns sehr ähnlich
sind. Ich wollte, dass es sich die Waage hält. Es gibt Dinge, die nur leise angespielt werden, auch was die Kulturen
betrifft. Wir sehen in einem Dorf in Mali einen Marabu, der ein Interview gibt. Was er im Alltag genau tut, kennen wir aus
unserer Kultur nicht und das wird uns auch nicht zugänglich. Ich finde es schön, dass der Film es dabei belässt, ihm als kleine
Episode Raum bereit hält und dann weitergeht, weil er weitergehen muss und nicht alles erklären kann. Ich hatte ungefähr 150
Stunden Material und es ging in meiner Arbeit darum, von Episode zu Episode vorwärtszukommen, die Wahl der Interviewpartner
ergab sich aus der Chronologie der Ereignisse. Irgendwann nimmt man die Rallye raus, weil sie nicht mehr interessant ist und
versucht andere Themen aufzunehmen, bis sich wieder etwas Neues auftut. Es war immer klar, dass sich der Film verwandeln wird,
dass es zwei Filme sind. Es beginnt als Rallyefilm, zerstäubt sich in den Spuren, und langsam aus den Geschichten der Afrikaner
entsteht ein zweiter Film.
Ein wiederkehrendes Thema im Film sind die Kinder, warum wird ihnen ein so wichtiger Platz eingeräumt?
Wolfgang Widerhofer: Es geht einerseits um eine nächste Generation und andererseits spiegelt sich in den Kindern, in den Bildern,
die sie von Europa sehen und in ihrer Nähe, die sie zu Europa haben, auch sehr stark das wechselseitige Verhältnis wider.
Bei der Szene, wo die Kinder mit den Reifen spielen, denke ich an diese Bubenträume, die später Erwachsene mit großen Maschinen
durch die Wüste und den Kontinent rasen lassen.
Es soll sich im Film nicht alles selbst erklären, aber die Kinder sind sehr entscheidend. Es geht im Film immer wieder um
Kinder - um Kinder, die weggehen oder die zurückbleiben, weil die Eltern im Ausland arbeiten. Was passiert mit der nächsten
Generation? das ist ein Thema, das besonders in den ärmeren Weltgegenden ein sehr großes ist. Es gibt dort sehr viele Kinder,
die nicht unbedingt ideologisch aufwachsen, jedoch ganz andere Werte haben, wo man gar nicht weiß, in welche Richtung das
gehen wird.
Weg von allen politischen und sozialen Motiven, habt ihr im Zuge der Dreharbeiten auch fast 8000 km Landschaft durchfahren,
wie erfasst man diese Landschaft in ihrer Vielfalt?
Nikolaus Geyrhalter: Afrika ist natürlich für jeden, der fotografiert, eine Falle. Es ist sehr verführerisch und lädt ein,
"schöne" Bilder zu machen, umso mehr, als ich mich bei 7915 KM für ein Cinemascope-Format entschieden hatte. Um «diese Gefahr»
zu bannen, haben wir Streckenbilder in ihrem sich verändernden landschaftlichen Kontext gedreht, die "schön" sind, aber gleichzeitig
durch die Reifenspuren in der Zentralperspektive gebrochen. Ich mag diese Bilder sehr gerne, trotzdem bleibt immer die Strecke
im Mittelpunkt - mit breiten Spuren, weniger breiten Spuren, manchmal ist sie von den Spuren zerstört, manchmal gar nicht.
Das haben wir beim Dreh als roten Faden durchgezogen, ansonsten gibt es so gut wie keine Landschaftsbilder. Wo immer Landschaft
vorkommt, zieht sich ein Weg durch. So ist es uns, glaube ich, gelungen, nicht in die Falle zu tappen. Für Cinemascope habe
ich mich deshalb entschieden, weil die Landschaft es vorgegeben hat. Der Film ist anders nicht vorstellbar. Cinemascope ist
kein so großes Ding, es ist einfach ein anderes Bildformat und ich bin über diese Entscheidung sehr froh.
Der Schluss ist eigentlich ein Epilog, der einen klaren Schnitt setzt und doch eine Klammer zum Anfang spannt.
Nikolaus Geyrhalter: Ich wollte immer, dass der Film so endet. Wir wussten, dass Europa in Dakar Überwachungsflugzeuge stationiert
hat, um die Flüchtlinge am Weiterkommen zu hindern. Dakar ist eine der Regionen, aus der viele Flüchtlingsboote weggehen.
Man behauptet, durch diese Kontrollflüge Leben zu retten, indem die Boote gleich wieder abgefangen werden, de facto geht es
aber darum, dass den Flüchtlingen die Chance auf ein Asylverfahren genommen wird, das ihnen nur zusteht, sobald sie europäisches
Gewässer erreicht haben. Wenn die Flüchtlinge erst gar nicht so weit kommen, dann erspart sich Europa damit sehr viel Aufwand.
Daß diese Praxis menschenrechtswidrig ist, scheint Europa nicht zu stören.
Wolfgang Widerhofer: Dakar ist außerdem historisch vorbelastet, durch den Sklavenhandel. Von hier sind Schiffe mit hundertausenden
von Sklaven über den Atlantik weggegangen.
Nikolaus Geyrhalter: Man sieht auf dem Monitor im Flugzeug genau jene Bilder, die man aus dem Fernsehen kennt, aber man bekommt
auch vor Augen geführt, mit welchem Ungleichgewicht der Methoden gekämpft wird. Zu diesem Zeitpunkt des Filmes sind die Bilder
mit ganz anderen Geschichten besetzt. Es sind nicht mehr nur anonyme Flüchtlinge, sondern man versteht viel, viel mehr, warum
die Leute es auf sich nehmen, ihr Leben zu riskieren.
Wolfgang Widerhofer: Ich finde, dass diese Klammer alles wieder nach Europa zurückspielt, am Ende wird Europa wieder kritisch
befragt. Man tritt aus dem afrikanischen Kontext heraus und nimmt wie zu Beginn mit dem Video-Clip der Rallye wieder die Maschinen-Perspektive
der Europäer ein. Ich finde es ganz gut, dass die Frage wieder in die andere Richtung zurück geht und darauf abzielt, was
macht Europa eigentlich die ganze Zeit? In diesem Sinn ist der Film eine Parallelmontage von zwei Haltungen - der Blick von
Europa auf Afrika und gleichzeitig eine afrikanische Wirklichkeit, die zurückschaut. Ich finde es sehr wichtig, dass der Film
hier eine moralische Position einnimmt.
Nikolaus Geyrhalter: Wo wendet Europa wirklich viel Geld auf? Um mit einer Rallye Afrika zu durchqueren und dann immense Mittel
in Kontrollflüge zu stecken, die Leute, die nach Europa kommen wollen, weil sie dort ein besseres Leben erwarten, wieder abfangen
und an der Emigration hindern. Europa scheint diese Abschottung für sein Selbstverständnis zu brauchen, ich weiß nicht, wovor
wir uns fürchten. Der Aufwand, mit dem Europa sich schützt ist maßlos, das Frontex-Programm ist in Straßburg gerade wieder
mit noch höheren Mitteln dotiert worden. Das sind Dinge, über die man durch diesen Film reflektieren kann und soll.
Interview: Karin Schiefer
2008