Anfang Dezember brach Michael Glawogger zu einer einjährigen Reise um die Welt auf, die er als Film zurückbringen wird. Kurze
Interviews mit Michael Glawogger, Attila Boa (Kamera) und Mona Willi (Schnitt).
Michael Glawogger
Regie
Sie gehen in UNTITLED DER FILM OHNE NAMEN nicht einem bestimmten Thema nach, sondern offen auf die Welt zu. Geht es
auch darum, den Blick des Auges und den filmischen Blick so nahe wie möglich zusammenzuführen?
Michael Glawogger: Ja. Bei den anderen Filmen habe ich ganz anders gearbeitet. Ich habe lange recherchiert und dann relativ
kurz gedreht. Whores Glory habe ich in dreißig Tagen gedreht, hatte aber sehr lange Vorlaufzeiten, um Dinge kennenzulernen.
Sehr oft war es so, dass sich das, was ich in der Recherche ohne Kamera erlebt habe, in meiner Phantasie ausgebreitet hat
und war mir ein bisschen näher. Für diese Momente möchte ich diesmal die Kamera ein bisschen näher dabei haben. Ich denke,
diese Carte blanche ist vielleicht auch Gelegenheit für mich zu zeigen, was Filmkunst auch sein kann.
Wie präsent wird sie sein?
Michael Glawogger: Ich hab kein Verständnis für Fly-on-the-wall- Cinema. Ich will mich weder verstecken noch will
ich unsichtbar sein. Ein Kamerateam und die Welt treten in einen Dialog und die Leute merken, dass man da ist. Es ist eine
gestaltende Maßnahme mit einer Kamera oder einem Fotoapparat in der Hand Grüß Gott zu sagen.
Wie leer ist nun die Reisekarte wirklich? Eine vage Route steht ja fest, d.h. es muss Orte geben, die mit gewissen Erwartungen
besetzt sein müssen.
Michael Glawogger: Sie ist so leer wie möglich und so beschrieben wie notwendig. Manche Dinge müssen ganz einfach geplant
sein, da man in gewisse Länder nicht ohne Visum einreisen kann. Den schwierigsten Job wird Eva Cifrain haben, denn sie will
immer wissen, wo sie etwas organisieren soll und ich versuche stets die Auskunft zu verweigern. Sie bemüht sich dennoch, Visas
in Ländern bereit zu stellen, die gar keine Visas hergeben.
Warum haben Sie als einer Ihrer ersten Destinationen Kongo und Sierra Leone gewählt?
Michael Glawogger: Es hat den Grund, dass ich darüber nichts weiß, neugierig und auch ängstlich bin, was das betrifft. Eine
Mischung aus Neugier und Angst ist schon einmal ein kreativer Ansatz.
Ist die Angst auch ein Begleiter?
Michael Glawogger: Nein, nur dort. Das ist mir in der Tat ein bisschen unheimlich.
Es ist ein Aufbruch in totaler thematischer Freiheit, inwiefern fordert diese Freiheit auch ihre Zwänge ein?
Michael Glawogger: Ich gewinne den Eindruck, man braucht nur zu sagen, man habe etwas total Freies vor und schon wird nach
den Zwängen gegraben. Ich weiß nicht, wie sich alles entwickeln wird. Auch das wird Teil der Freiheit sein, nach einer gewissen
Zeit festzustellen, es zerfällt ja alles. Es wird viel zu viel. Möglicherweise stehe ich vor der Frage, ob ich lieber wo bleiben
oder die ganze Grundidee über den Haufen krempeln soll, weil mir bewusst wird, es ist unmöglich, ein Jahr lang um die Welt
zu fahren. Ich bin bereit, alles wieder zu verwerfen, sollte sich herausstellen, dass so kein Film zu machen ist. Das ist
wie bei einem Maler. Der hat auch Angst vor der weißen Leinwand und wenn er den ersten Farbklecks darauf setzt, muss er sie
vielleicht wegschmeißen und eine andere Leinwand hervorholen. Es bleibt eine Art von Freiheit, die es bei einem Filmprojekt
sonst nicht gibt.
Wie stark sollen die bereisten Orte im Film repräsentiert sein? Könnte es auch sein, dass euch ein Ort für sehr lange festhält?
Michael Glawogger: Nicht extrem lange, aber einige Wochen sind schon möglich. Der Film soll sich schon aus sehr vielen verschiedenen
Orten zusammensetzen. Es ist eine Fortsetzung des Ansatzes, meine Weltsicht auf der ganzen Welt zu überprüfen. Ich werde immer
gefragt, warum ich das nicht in einem kleineren Radius mache. Ich kann dazu nur sagen, mein ganzes Denken ist nicht eurozentriert.
Ich bin kein großer Freund des Wortes Globalisierung. Wenn es aber für etwas zutrifft, dann dafür, dass ich die Welt als Welt
begreife und sie deshalb nicht anhand Europas überprüfen kann und will. Es ist für mich ein Lebenskonzept zu reisen und zu
schauen, und ich hoffe, mit etwas zurückzukommen, woran ich selber noch nie gedacht habe. Ich habe selber wirklich keine,
womit ich zurückkommen werde, ich hoffe, dass es die nicht vorhandenen Erwartungen befriedigt und übertrifft.
Wird der Schnittmeisterin Mona Willi diesmal eine größere Rolle zukommen?
Michael Glawogger: Ich glaube nicht größer, da ich ohnehin nicht jemand bin, der im Schneideraum wohnt. Ich trenne mich gerne
von meinem Material, bevor ich es geschnitten neu erlebe. Sie war immer eine kreative Mitarbeiterin, sie ist jemand, der den
Film stark prägt.
Werden Sie im Verlauf der Reise dazwischen einen Blick darauf werden?
Michael Glawogger: Wenn sie mal kommt und mir was zeigt.
Mona Willi
Schnitt
Wie wird das gedreht Material nach Wien kommen?
Mona Willi: Es wird in hoher Auflösung auf sehr teuren Speicherkarten gedreht. Es wäre undenkbar, für das Filmmaterial von
einem Jahr Dreh entsprechend viele Karten zu haben. Die kann man nur in begrenzter Stückzahl mitnehmen. Es wird dann vorort
ein Backup erstellt, eine Kopie wird nach Wien geschickt, dort wird wiederum ein doppeltes Backup erstellt, das für technisch
einwandfrei erklärt werden muss und dann kann dem Filmteam das Ok gegeben werden, dass die Karten überschrieben werden dürfen.
Super 8-Materialien werden postalisch geschickt, entwickelt und abgetastet. Ich werde dann Filmmaterial bekommen, wann immer
sie die Möglichkeit haben, mir etwas zu schicken. Das wird manchmal regelmäßig funktionieren, manchmal gar nicht, weil Kurierboten
manche Orte dieser Welt einfach nicht erreichen.
Mit welcher Übereinkunft zwischen Regie und Schnitt geht ihr nun zur Abreise auseinander?
Mona Willi: Ich schneide das, was ich bekomme. Wir haben schon oft zusammengearbeitet. Immer wieder war es so, dass ich einmal
schaue, was ich in den Bildern sehe und baue eine erste Erzählung und von da an verfeinern wirs. Michael kommt in einem
Jahr dazu, ich werde aber auch Rohschnittsequenzen schicken. Auch fürs Team, damit sie ein Gefühl kriegen. Es ist jedenfalls
mein Plan, hin und wieder etwas zu schicken, vielleicht werde ich auch zwei-, drei Mal nachfahren und dort im Kino schauen.
Fühlen Sie eine größere kreative Verantwortung?
Mona Willi: Grundsätzlich ist es so, dass die Entstehung des Dokumentarfilms stärker im Schneideraum geschieht, selbst wenn
auch im Spielfilm die finale Erzählung erst im Schneideraum fixiert wird. Bei diesem Projekt wird das noch einmal stärker
sein, weil ich einmal ein Jahr lang alleine arbeite. Es ist eine sehr reizvolle Aufgabe und sehr herausfordernd, weil man
sehr anders überlegen und herangehen muss als gewöhnlich.
Wie würden Sie Michael Glawoggers Blick beschreiben?
Mona Willi: Offen. Er ist einer der ganz wenigen, die es in einem hohen Ausmaß dazu gebracht haben, ohne Vorurteile etwas
zu betrachten und in die Welt zu schauen. Das erlebe ich auch im Schneideraum so. Er reagiert immer auf das, was da ist. So
wird er das auch sehr gut meistern können. Ich denke, es gibt nicht viele Menschen, die das so können. Ich kann es bei mir
selber feststellen: Erwartungshaltungen, Vorstellungen und das bisschen Wissen, das man über die Welt hat, führen dann dazu,
dass man schon gewisse Bilder vor sich hat.
Attila Boa
Kamera
Wie findet man den Dialog mit den Menschen in dieser spontanen Kameraarbeit?
Attila Boa: Wenn man so ungeplant unterwegs ist, dann muss man auf die Leute zugehen und sie im Sturm erobern. In gewisser
Weise muss man sich möglichst schnell, in seine Protagonisten verlieben. Es wird eine ganz kurze und schnelle Beziehung sein.
Wenn wir etwas sehen, dann ist es für uns beide gleich klar, da ist etwas. Da haben wir ein ähnliches Gespür und ich hab auch
sehr viel gelernt, was Michael schaut. Für einen Kameramann ist Michael ein wunderbarer Regisseur, weil er Ideen für Bilder
mitbringt, er bringt schon Orte und Ideen und Momente. Er denkt sehr viel. Es ist nicht wie bei einem anderen Regisseur, der
Ideen hat, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Michael ist jemand, der schon in der Wirklichkeit spürt, dass da
etwas ist und dann kann man wirklich arbeiten.
Lehrt die Erfahrung, dass sich die Leute im Sturm erobern lassen?
Wir werden bei diesem Film die Zeit nicht haben, einen Monat rumzugehen, Menschen kennenzulernen und wochenlang mit den Leuten
zu sprechen, um ihnen auch Gelegenheit zu geben, uns kennenzulernen. Wir werden oft sehr schnell mit der Kamera auf Leute
zugehen und recht frech und offen klarmachen, dass wir jetzt was drehen wollen. Das geht meist sehr, sehr gut und schnell,
wenn man den Leuten die Chance gibt, klar zu lesen und zu verstehen, mit wem sie es zu tun haben und was wir wollen. Dieser
Film wird im Gegensatz zu den anderen Filmen sehr schnell gedreht werden. Wir werden etwas sehen, es wird uns gefallen, wir
werden anhalten und gleich mit der Kamera auf die Leute zugehen. Dann wird es sich in den ersten ein zwei Minuten oder gar
Sekunden entscheiden, ob die Leute akzeptieren, dass wir filmen. Wenn man dann zwei, drei Tage dreht und mit ihnen essen geht
und übers Leben spricht, erklärt, wer man ist und was man will, dann kann es eher wieder komplizierter werden. Dann fängt
die Arbeit an, die den Dokumentarfilm ausmacht, nämlich dass man eine Beziehung zu den Leuten aufbaut, um mit ihnen etwas
drehen zu können. Unter Umständen werden wir uns an dieser Stelle bedanken und weiterziehen. Es kann aber auch sein, dass
wir an vier, fünf Stellen ein Monat oder zwei bleiben und dort größere Dinge tun und der Film aus fünf oder sechs Episoden
besteht, für die wir doch ein Monat mit den Leuten zusammen geblieben sind.
Gibt es Themen, die eher Super 8-Themen sind und andere die eher für die Digitalkamera geeignet sind?
Attila Boa: Ich glaube nicht. Welches Mittel wir zum Drehen verwenden, wird sich bei der Arbeit zeigen. Wir haben ja
einen richtigen Malkasten dabei: eine große, gute digitale Kinokamera, eine Super 8-Kamera, eine ganz miserable Handy-Kamera,
dafür musste ich ein altes Handy mitnehmen, da die neuen Handys viel zu gute Bilder machen, eine billige Touristenkamera und
eine GoPro.
Interviews: Karin Schiefer
vom 3. Dezember 2013