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Michael Glawogger: Bildersuche rund um die Welt

 

 

Michael Glawogger hat am 3. Dezember die Reise in sein neues Filmprojekt angetreten. Inhalt: unbestimmt. Richtung: unbekannt. Ziel: ungewiss. Mit einem dreiköpfigen Team bereist der Filmemacher einmal mehr die Welt, ohne ein Konzept im Gepäck zu haben, ohne sich von einem Thema leiten zu lassen. Denn, anstelle nach Bildern zu suchen, will er sich dieses Mal von ihnen finden lassen.


„Für so etwas bekommst du keinen einzigen Cent“, war eine Reaktion, die Michael Glawogger nicht nur einmal zu hören bekam, wenn er versuchte, für sein neues Projekt Überzeugungsarbeit zu leisten. UNTITLED – DER FILM OHNE NAMEN hätte schon aus formalen Gründen an der Finanzierung scheitern können, denn für das Projekt ohne Titel und ohne vorab umrissenen Inhalt gab es zunächst einmal keine adäquaten Einreichformulare. Dass hier ein Projekt in vielerlei Hinsicht die Konventionen sprengt, stand von Beginn an fest. Keine Themen, keine Reiserouten. Ein Filmemacher begibt sich als unbeschriebenes Blatt in die Welt und bringt zurück, was diese zu geben bereit ist.


Der anfänglichen, beinahe automatischen Skepsis gegenüber dieser Carte blanche wichen bei Produzenten wie Förderern nach einer gewissen Nachdenkphase letztlich Neugier und Interesse. Nun steht die mehrheitlich österreichische Koproduktion zwischen der Lotus-Film und der deutschen Razor Film mit einem Etat von € 1,9 Mio in seiner Startphase. Am 3. Dezember lud Michael Glawogger in seinen Pittener Garten, um sich gemeinsam mit seinem Kameramann Attila Boa, Tonmann Manuel Siebert und dem Regieassistenten Boris Mitic zu verabschieden. Ein Jahr lang wird das Team nun in der Welt unterwegs sein und Begegnungen und Beobachtungen mit der Kamera einfangen, die sich am Weg auftun. Mehr als einige Wochen am selben Ort zu verweilen, ist nicht geplant. „Der Film soll sich“, so der Filmemacher, „ aus sehr vielen verschiedenen Orten zusammensetzen. Es ist ein weiterer Versuch, meine Weltsicht auf der ganzen Welt zu überprüfen. Ich bin kein großer Freund des Wortes Globalisierung. Wenn es aber für etwas zutrifft, dann dafür, wie ich die Welt als Welt begreife und sie deshalb nicht nur in Europa überprüfen will und kann“. Der Aufbruch erfolgte in Richtung Süden, doch wie die Route verlaufen soll, darüber hält sich der Regisseur, sofern er sie für sich selbst schon festgelegt hat, möglichst bedeckt. Spontane Richtungsänderungen sind Teil des Vorhabens. Eine Verbindung zum Backoffice in der Wiener Lotus-Film via Satellitentelefon muss bestehen bleiben: Eva Cifrain steht dort vor der gewichtigen Aufgabe, die fünf Reisepässe, mit denen jeder der Weltreisenden ausgestattet wurde, optimal an diversen Botschaften einzusetzen, um zeitgerechte und reibungslose Grenzübertritte zu ermöglichen. Unterwegs ist das Team auf vier Rädern: ein VW T4, Baujahr 1993 wurde reisefit gemacht und soll in einer frühen Phase der Reise den afrikanischen Kontinent bis an seine Südspitze bewältigen. Unberechenbare Länder wie Kongo und Sierra Leone sind dabei auch vorgesehen. Der Grund: „Eine Mischung,“ so der Filmemacher, „aus Neugier und Angst. Das ist per se bereits ein kreativer Ansatz.“


Anders als sonst gibt es diesmal keine Zeit für wochenlange Recherche, Vorgespräche, gegenseitiges Kennenlernen für Protagonisten und Team. „Wenn man so ungeplant unterwegs ist“, so Attila Boa, „dann muss man die Leute im Sturm erobern. Dieser Film wird sehr schnell gedreht werden. Wir werden etwas sehen, es wird uns gefallen, wir werden anhalten und gleich mit der Kamera auf die Leute zugehen. Michael ist jemand, der schon in der Wirklichkeit spürt, dass da was ist.“ Im Gepäck gibt es dafür, wie der Kameramann selbst sagt, einen ganzen Malkasten: eine große digitale Kamera, eine für Super 8, eine schlechte Handy-Kamera, eine billige Touristenkamera, GoPro, Fotoapparate etc. Sofern internationale Kurierdienste zur Verfügung stehen, wird – sehr wahrscheinlich in unregelmäßigem Rhythmus – das Bildmaterial nach Wien übermittelt, wo Mona Willi, Schnittmeisterin zahlreicher Glawogger-Filme, aus den hereinkommenden Bildern eine erste Erzählung bauen wird.


„Diese Carte blanche“, so Michael Glawogger, „ist für mich auch eine Gelegenheit zu zeigen, was Filmkunst auch sein kann. Es bedeutet mir sehr viel, weil es für mich ein Lebenskonzept ist zu reisen und zu schauen und mit etwas zurückzukommen, woran ich selbst noch nie gedacht habe. Ich habe keine Ahnung, womit ich zurückkommen werde, ich hoffe, dass es die nicht vorhandenen Erwartungen übertrifft“. (ks)