... damit die anderen mit einem zufrieden sind. Die Erwartungen, die von außen kommen, sind aber ein Fass ohne Boden. Elisabeth Scharang im Gespräch über KICK OUT YOUR BOSS.
Ich möchte eingangs zwei Fragen aufgreifen, die Sie in KICK OUT YOUR BOSS einem Ihrer Gesprächspartner in Graz stellen: Wie
muss Arbeit sein, damit Sie sie als gut empfinden, und wann macht sie Sinn?
Elisabeth Scharang: Arbeit ist gut für mich, wenn ich gerne aufstehe, gerne hingehe, wenn ich mit Leuten zu tun habe, die
ich mag und schätze, wenn durchs Miteinander mehr entsteht, als dem einzelnen von uns möglich wäre. So habe ich jetzt gerade
die Dreharbeiten von JACK erlebt. Ich wusste gar nicht, welchen Schatz ich mir durch die Arbeit an KICK OUT YOUR BOSS gesammelt
hatte, den ich da nun einfließen lassen konnte. Ich war nach diesen sechs Wochen Dreh nie müde, sondern unheimlich kraftvoll.
Das war sehr schön. Vor drei Jahren hatte ich große Zweifel, ob ich mit dem Filmemachen weitermachen wollte. Ich hatte den
Eindruck gewonnen, einen Spielfilm zu drehen, sei für einen Menschen viel zu viel. Als Regisseurin ist man sehr einsam, auch
wenn man mit tollen Leuten zusammenarbeitet; jeder hat seine Teams und als Regisseurin navigiert man dazwischen. Außerdem
schwebt immer die Erfolgsfrage über einem, die Kriterien dafür haben andere festgelegt. Irgendwann habe ich mal versucht,
Erfolg für mich selber zu definieren und auch meine Vorstellungen, wie ich gerne beim Film arbeiten möchte. Für JACK habe
ich mir die Leute zusammengesucht, jeder und jede einzelne war nicht nur Wunschkandidat, es war ein Arbeiten, das ich mit
dem Segeln auf einer Welle vergleichen würde. Das macht wirklich glücklich. Es entstand etwas durch unser gemeinsames Tun
und ich hab mir nie Gedanken gemacht, was die anderen Leute darüber denken werden. Die Momente, wo etwas entstanden ist, waren
so befriedigend, das war es ganz einfach.
Damit schließt sich gleich die Frage nach dem Sinn an?
Elisabeth Scharang: Was den Sinn betrifft, kann ich nur das wiederholen, was ein Student bei einer Podiumsdiskussion in Graz
auf die Frage, warum er studiert und warum er einmal arbeiten gehen wolle, gesagt hat: Ich möchte eine Arbeit machen,
mit der ich der Welt, in der ich lebe, etwas zurückgebe. Das kann sehr vielfältig sein. Wir sitzen hier im Café Wild
und warum komme ich so gerne hier her? Weil hier Leute arbeiten, die mir das Gefühl geben, dass ich willkommen bin. Das macht
für die Leute, die hier arbeiten, Sinn und für mich auch. Arbeit kann vieles heißen etwas herstellen, es kann ein Service
sein oder etwas weitergeben. Es soll ein Austausch stattfinden, der diese Welt im besten Falle besser oder schöner oder lustiger
macht.
Was hat Sie für diese Frage sensibilisiert, die Grundstruktur der gängigen Arbeitsverhältnisse in Frage zu stellen? Haben
Sie ein weit verbreitetes Unbehagen in der Luft verspürt?
Elisabeth Scharang: In meiner eigenen Luft gespürt? (lacht) Es war schon ein eigenes Nicht-Wohlfühlen in meiner Situation.
Und ich habe um mich herum viele begabte Menschen gesehen, die gerne Dinge tun würden oder andere, denen es nicht so gut geht,
weil es immer zuviel ist, weil sie immer müde sind, weil sie schmerzlich Anerkennung vermissen. Das war der Anstoß zu sagen,
ich halte nach Menschen Ausschau, die sich auf eine andere Art dazu Gedanken gemacht haben oder spannende Wege gegangen sind.
Ein Interview mit Ricardo Semler lieferte einen weiteren Anstoß. Er beschrieb Sachen, die für mich wie Schlaraffenland klangen.
Und ich wollte herausfinden, ob es Schlaraffenland tatsächlich gibt.
Sie haben die Entscheidung getroffen, positive Beispiele von Leuten und Firmen zu zeigen, die den Übergang zu unkonventionellen
Arbeitsformen bereits geschafft haben und nicht das Unbehagen zu thematisieren.
Elisabeth Scharang: Ich mag selbst diese Filme nicht mehr sehen, die gut resümieren, was man ohnehin schon spürt. Dasselbe
gilt für mich für die Zeitung. Ich bleibe dort hängen, wo Menschen eigene Gedanken fassen und etwas aus ihrer Welt erzählen.
Ich brauche keine Zusammenfassung dessen, was nicht gut läuft, in der Auslassung dessen, was sehr gut läuft. Das bringt eine
Schieflage. Ich frage mich, wer Interesse daran hat, dass so viele Menschen schlecht drauf sind. Da sind wir beim Thema Angst.
Für viele Systeme macht es Sinn, dass die Leute Angst haben. Angst, die Miete nicht bezahlen zu können, Angst davor, wie es
weitergeht. Dann bewegt man sich nicht mehr. Ich habe bewusst entschieden, einen Film über Menschen zu machen, die mich weiterbringen.
Ich wollte einen positiven Austausch und auch einen eigenen Film, aus dem ich gut gelaunt rausgehe. Das war ja bisher nicht
immer so. Ich werde immer wieder gefragt, warum ich mich mit Menschen wie Heinrich Gross, Franz Fuchs oder Jack Unterweger
beschäftige. Die stehen ja immer für ein Gesellschaftsbild.
KICK OUT YOUR BOSS beruht auf drei Beispielen, die in Räumen entstanden sind, denen unterschiedliche Wirtschaftssysteme zugrunde
liegen: Brasilien - Serbien - Österreich, der Schritt in die Eigenverantwortung kostet überall einen anderen Preis. Wollten
Sie auch zeigen, wie diese Schritte in die Selbstbestimmung unter verschiedenen Rahmenbedingungen funktionieren?
Elisabeth Scharang: Sobald sich eine Struktur ergeben hat, vermutet man gerne ein System dahinter. Ricardo Semler war für
mich ein Ausgangspunkt, weiters unternahmen zwei Radio-KollegInnen eine große Balkanreise, sie erzählten von dieser Pharmafabrik
in Serbien. Was mich dort so beeindruckte, war die Bereitschaft, sich über sieben Jahre für einen Arbeitsplatz in einen Arbeitskampf
zu werfen. Verstehen konnte ich es erst nach unserem zweiten Besuch, dass es da eine Tradition aus der Tito-Ära gab, wo die
ArbeitnehmerInnen immer auch an der eigenen Firma mitbeteiligt waren und ihr Selbstverständnis als Arbeiter und Arbeiterinnen
daher ein ganz anderes ist. Als die Fabrik privatisiert werden sollte, wurde ihnen bewusst, dass das nicht rechtens sein konnte,
weil sie als Teilhaber nicht ausgebootet werden konnten. Als weiteres Beispiel wollte ich ein urbanes Umfeld und Menschen
zwischen 20 und Anfang 30, die im Netzwerk arbeiten. Da ich eine große Affinität zu Graz habe, war der Weg zu En Garde ein
sehr kurzer.
Dass sich die Menschen so stark über ihre Arbeit definieren, scheint eher ein Phänomen unserer Zeit. Haben Sie im Zuge der
Recherche auch herausgefunden, seit wann Menschen sich so sehr über ihre Arbeit definieren?
Elisabeth Scharang: Da müsste man mit einem Historiker reden. Ich habe viel darüber nachgedacht, was wir über die Nachkriegsgenerationen
mitbekommen haben. In der Ära Kreisky war der Wohlstandsbegriff sehr stark mit der Frage, was man sich leisten kann, verbunden.
Ich war ja so ein Kreisky-Kind und als solches in der Schule politisch sehr aktiv. Die Dokumentation NORMALE ZEITEN,
die ich 2000 über diese Zeit gemacht habe, war insofern eine Enttäuschung für mich, als sich herausstellte, dass der Wohlstandsbegriff
dieser Zeit auf einer rein materiellen Ebene basierte. Nach etwas anderem wurde nicht gefragt. Es begeistert mich immer noch,
was damals passiert ist. Durch die Bildungsoffensive hat sich durchaus im Bewusstsein der Menschen etwas geändert und Bildung
ist für alle zugänglich geworden. Ein Arbeitsplatz galt als essenzieller Wert und in der Politik wurde Vollbeschäftigung über
alles gestellt. Es wäre schön gewesen, hätte man damals auch andere Fragen gestellt und das Leben unter einem ganzheitlichen
Ansatz betrachtet. Die Frage, was es noch braucht, damit man ein ganzer Mensch ist und es einem gut geht. Jetzt zahlen wir
den Preis dafür. Wenn diese Frage nie im Raum steht, dann dauert es sehr lange, bis man beginnt, sie sich selber zu stellen.
Ich brauchte sehr lange, um mich zu fragen Was brauchst du eigentlich, damit es dir gut geht? Das ist nicht leicht
zu beantworten. Ich wäre gerne in der Schule mit Fragen konfrontiert worden wie Was brauchst du, damit du gut
lernen kannst?, damit du gerne in die Schule gehst?, damit es dir gut geht? Das wurde nie gefragt.
Damit sind wir an einem Punkt, der im Film stark mitschwingt: Die Kritik an bestehenden, verhärteten Arbeitsstrukturen geht
mit einer Kritik am Bildungssystem einher einem Schulsystem, das kein ganzheitliches Denken, kein Fördern der individuellen
Stärken berücksichtigt.
Elisabeth Scharang: Ricardo Semler bringt das im Film ganz präzise auf den Punkt. Er wirft die Frage auf, für wen die Schule
so gebaut ist, wie sie jetzt ist. Nicht für die Kinder. Sie ist gebaut für die Institutionen, für die Arbeitswelt. Man baut
Kinder so zurecht, dass sie später in einem System funktionieren und die erwarteten Leistungen erbringen. Dann kommen sie
raus und dann will das System sie gar nicht, denn plötzlich heißt es, uns fehlen die jungen Leute, die eigenverantwortlich
sind, die von sich aus etwas entscheiden können. Man legt es auf ein Mittelmaß an und wundert sich dann über das Ergebnis.
Eine Schule zu machen, die für die Bedürfnisse von Kindern ist, bedeutet auch anzuerkennen, dass es nicht nur ein Bedürfnis
gibt. Das ist auch am Arbeitsmarkt so. Die Vielfalt ist wichtig. Es gibt Menschen, die etwas mehr Struktur brauchen, andere
wollen Eigenständigkeit. Dem gerecht zu werden, muss auch in einem Betrieb möglich sein. Die Bedürfnisse ändern sich im Leben.
Man entwickelt sich anders. und in der Schule muss es ähnlich sein. Nicht alle Kinder wollen und brauchen dasselbe.
Der Film führt vor Augen, wie sehr wir uns in festgefahrenen Spuren bewegen und trotz starker Umwälzung der Rahmenbedingungen
an Systemen festhalten, die für andere Voraussetzungen geschaffen waren.
Elisabeth Scharang: Wir sind unglaublich tolle Wesen, die so viel können und sehen und wenn es dann darum geht, den Kurs,
der schon so lange in eine Richtung führt, etwas zu korrigieren, dann entpuppt sich das als große Schwierigkeit. Je wendiger
man ist, desto leichter ist es. Mario Rampitsch, der Gründer von En Garde, der im Film zu Wort kommt, hatte eine Idee: Zunächst
waren sie zu dritt, dann 30 und dann stellte er fest, dass er nicht ein so großes Team managen wollte, fühlte sich aber verantwortlich.
Im Laufe unserer Brasilien-Reise und unserer Begegnung mit Ricardo Semler ist ihm viel bewusst geworden. Inzwischen ist er
aus En Garde ganz ausgestiegen und ist gerade dabei, in einem kleinen Ort in der Südsteiermark Projekte zu entwickeln, dort
seine Erfahrungen einzubringen und weiterzugehen. Uns wurde eingetrichtert Wenn du etwas anfängst, dann musst
du es auch durchziehen. Das ist für viele so belastend. Mir den Erfolgsdruck zu nehmen, hat meine Arbeit extrem bereichert.
Es geht vielen so: Man tut Dinge, damit die anderen mit einem zufrieden sind. Die Erwartungen, die von außen kommen, sind
aber ein Fass ohne Boden. Wichtig ist aber das, wo ich tatsächlich einen Erfolg verspüre und zufrieden und nicht leer nach
Hause gehe?
Wie funktionierte die Annäherung an die Firmenstrukturen mit der Kamera, v.a. dort, wo wenig Zeit zur Verfügung stand, um
sich ein Bild machen zu können?
Elisabeth Scharang: Ich mache im Dokumentarfilm selber Kamera, wissend, dass das Ergebnis mit einer ganz tollen Kamerafrau
ein anderes wäre. Umgekehrt bekomme ich durch diese Direktheit von den Menschen Dinge, die außer mir niemand einfangen kann,
weil es so unmittelbar und so schnell ist. Zeitliche Einschränkungen kenne ich nicht. Ich schnappe meine Kamera, die ohnehin
zu Hause liegt, ich habe einen Tonmann, mit dem ich zusammenlebe. Und ich arbeite mit Maria Motter, die in Graz lebt und für
mich immer recherchiert. Es ist beinahe ein Familienbetrieb. Serbien erreicht man mit dem Auto, die Kosten dort sind nicht
sehr hoch. Wenn ich drehe, dann ist die Zeit sehr intensiv. Oft wusste ich nach zwei, drei Tagen, dass ich genug Material
gesammelt hatte, auch wenn fünf Tage eingeplant waren. Die Leute wohnen in der Nähe voneinander, sie haben Zeit. Jedesmal,
wenn wir wiederkamen, wurden wir sehr erfreut empfangen. Sie haben ja öfter Journalistenbesuche erlebt, nie aber ist jemand
wieder gekommen und hat versucht, über längere Zeit zu verfolgen, wie es dort weiterging. In Brasilien hatten wir weniger
Zeit, dennoch war es auch dort so, dass so viel vorhanden war. Nach wenigen Tagen hatte ich das Gefühl, schon zwei Wochen
gedreht zu haben. Ich gehöre nicht zu den Filmemachern, die wie mit dem Staubsauger Material sammeln. Ich weiß im Drehen schon
immer recht genau, was gut verwendbar ist. Da hilft mir meine Spielfilmerfahrung sehr.
Ricardo Semler ist die zentrale Figur in KICK OUT YOUR BOSS. Wie verlief die Begegnung mit ihm?
Elisabeth Scharang: Es hat sich als dramaturgisch sehr gut erwiesen, dass wir Ricardo Semler erst am Schluss getroffen haben.
Wir haben zuerst die Fabrik und die Büros besucht und ich habe auch mit seiner Frau geredet, was ihn sehr befremdet
hat. Ein Gespräch, das leider keinen Platz im Film gefunden hat. Ricardo Semler gibt kaum Interviews. Wenn man bei Semco um
ein Interview anfragt, gibt es keine Pressestelle, sondern dort filtert ein von ihm sehr geschätzter Journalist die Anfragen.
Semler ist sehr wenig in der Öffentlichkeit, reist kaum noch, nachdem er das etliche Jahre getan hat. Umso mehr hat uns dieser
Gesprächstermin bedeutet. Und ich glaube, das beruhte auf Gegenseitigkeit. Was er alles getan und erreicht hat, war mir ja
bekannt. Es hat mich viel stärker beeindruckt, jemandem gegenüber zu sitzen, der in seinem Leben auch viele Fehler gemacht
hat. Er hat im Aufbau von Semco viel zu viel gearbeitet, eine Ehe in den Sand gesetzt und hat sich aber immer wieder adaptiert
und gefragt, was er aus den Fehlern lernen kann. Auch in der Firma. Genau darum geht es. Seit zehn Jahren geht er nicht mehr
in die Fabrik, weil ihn dort keiner braucht, er hat noch einmal eine Familie gegründet und steckt seine Energie nun in die
Schulprojekte und in die Schaffung von Arbeitsplätzen in dem Tal, wo er mit seiner Familie lebt. Die Lumiar-Schule, die vom
Kleinkinderalter bis 15 reicht, beruht auf einem System, das mit Lehrern und Experten funktioniert. Die Lehrer sind eher die
Begleiter der Schüler, die sich um deren Bedürfnisse kümmern, die aber nicht immer unterrichten. Inhalte kommen in großem
Umfang von den Experten. Das funktioniert richtig gut.
KICK OUT YOUR BOSS wurde als crossmediales Projekt angelegt. Was hat sich da bereits im Prozess der Filmproduktion an Interaktion
getan?
Elisabeth Scharang: Wir haben schon vor Drehbeginn eine Plattform gegründet. Das hat sich gerade bei diesem Thema als sehr
konstruktiv erwiesen, weil ein Film immer nur ein Ausschnitt von dem ist, was man im Zuge der Arbeit über ein Thema erfasst.
Es hat mich beim Drehen sehr befreit, zu wissen, hier gab es ohne zeitliches Limit einen Raum für Dinge, die mir wichtig waren.
So konnte ich mich für diese drei Beispiele entscheiden, von den vielen anderen Dingen, die es auch noch gibt, kann ich auch
über die Plattform weitererzählen. Wir überlegten lange, welche Art von Plattform es sein sollte. Zunächst war es eine Informationsplattform,
doch darum, so stellte sich schnell heraus, ging es gar nicht. Es ging zunächst darum, dass unsere Erfahrungen während der
Dreharbeiten einflossen und letztendlich ging es um die Geschichten, die jeder Mensch einbringen kann. Wir wollen keine Vorbilder
zeigen, sondern wir wollen uns mit jemandem hinsetzen und ein paar Fragen stellen: Warum machst du das, was du machst? Wie
stehst du zum Geldverdienen? Was stresst dich? Was macht dich froh? Wo wolltest du mal hin? Wo bist du jetzt? Ist das gut,
wo du jetzt bist? Über diese wenigen Parameter ins Gespräch zu kommen, ist eine schöne Beschäftigung auf Reisen und nehme
auch immer Geschichten mit. Man schenkt sich da gegenseitig etwas. Ich hatte noch nie eine solche Freiheit, wie auf dieser
Plattform. Die Leute, die dafür schreiben, sind extrem selbstverantwortlich. Inhalt und Länge stehen jedem frei. Wir
haben über Förderung ein kleines Budget, von dem ich hoffe, dass wir es wieder aufstocken können. Die Honorare legt jeder
nach Aufwand selber fest.
Wenn man sich Ricardo Semler so anschaut, dann kommt man nicht um den Gedanken herum, dass man sich den Ausstieg auch leisten
können muss. Für die Arbeiter in Serbien war der Einsatz enorm, den der Kampf für die Autonomie gekostet hat.
Elisabeth Scharang: Ich sehe es nicht als Ausstieg. Viele Leute glauben, wenn sie etwas verändern wollen, dann müssen sie
aussteigen und davor fürchten sie sich und das zurecht. Es geht darum, eine Balance zu finden zwischen einer Arbeit,
die bezahlt wird, die nicht bezahlt wird und einem Sozialleben. All diese Dinge können eine Bewegung auslösen, die etwas anderes
eröffnet, mit dem sich ein Teil des Lebensunterhalts verdienen lässt. Allein schon diese Verlagerung kann unheimlich viel
verändern. Die Veränderung muss im Kleinen beginnen mit dem Versuch, aus der Spezialisierung herauszukommen. Wenn ich mich
60 Stunden pro Woche in ein Ding stürze, dann bleibt für nichts mehr Zeit. Dann kann sich nichts mehr tun. Reduzieren und
im Kleinen Dinge angehen, die man immer schon tun wollte, ohne zu große unmittelbare Erwartungen darauf zu setzen. Etwas eine
Chance geben, im besten Fall mit anderen gemeinsam. Ich glaube, es geht von einem aus und dann infiziert man sein Umfeld.
Menschen lassen sich sehr gerne infizieren.
Interview: Karin Schiefer
November 2014