FEATURE

IM BAZAR DER GESCHLECHTER von Sudabeh Mortezai

 

Ausgangspunkt für Sudabeh Mortezais zweiten Dokumentarfilm  Im Bazar der Geschlechter war die Zeitehe, ein der iranischen Gesellschaft eigenes Modell, das neben der offiziellen Ehe Beziehungen zwischen Mann und Frau legalisiert.



Es kann im heutigen Iran auch einem Mullah passieren, dass er unter Beobachtung und dabei ganz schön aus der Fassung gerät. Nicht weil ihm die Polizei auf den Fersen ist, wie man vielleicht  vermuten würde. Es sind vier junge Damen, die im Restaurant zwei Tische weiter sitzen und lachend, scherzend und Shisha rauchend den alleine speisenden Geistlichen ins Visier genommen haben, bis er verlegen aufsteht und in die Kamera ruft „Sie können doch nicht alles filmen!“
Doch davon war die Regisseurin in Wirklichkeit meilenweit entfernt. „Wer lässt sich filmen?“ war vielmehr die Frage, die sich Sudabeh Mortezai in einer langen Recherchephase für ihren zweiten Dokumentarfilm über die aktuelle iranische Gesellschaft, Im Bazar der Geschlechter, vielfach stellen musste, denn sie berührte ein Tabu. Ausgangspunkt ihres Projekts war die Zeitehe, ein der iranischen Gesellschaft eigenes Modell, das neben der offiziellen Ehe Beziehungen zwischen Mann und Frau legalisiert. Die Zeitehe zeichnet sich dadurch aus, dass an offizieller Stelle die begrenzte Dauer einer Verbindung und die Höhe des Brautgeldes festgelegt wird. Für Männer eine Möglichkeit, weitere außereheliche Verbindungen zu führen, für geschiedene oder verwitwete Frauen ohne erhebliches Einkommen, oft die einzige Möglichkeit, ihre Existenz zu sichern. „Die ursprüngliche Idee dahinter“, so Sudabeh Mortezai, „war es, die Prostitution zu legalisieren, was bis zu einem gewissen Grad noch immer der Fall ist. Der andere Aspekt geht viel tiefer: die Zeitehe ermöglicht freie Sexualität für Frauen und das ist auch der Grund für ihre Tabuisierung.“ In ihrem Film entpuppt sich das Phänomen der Zeitehe rasch nur als Auslöser für eine viel tiefgreifendere Bestandsaufnahme darüber, wie die staatliche Kontrolle der Sexualmoral fundamentalen Einfluss auf das Befinden einer ganzen Gesellschaft ausübt „Ich wollte mir“,  so die Filmemacherin, „über die Sexualität anschauen, wie die Wechselwirkung zwischen öffentlicher Kontrolle und Privatsphäre funktioniert. Im Iran herrscht zur Zeit eine Phase der Verwirrung, wo alte Wertvorstellungen gefallen sind und sich noch keine neuen etabliert haben. “ Im Bazar der Geschlechter zeigt eine Gesellschaft im Umbruch mit ihren oft erschreckend archaischen Fundamenten, aber auch Schlupflöchern und Freiräumen, die die junge Generation nach und nach einfordert. (ks)