INTERVIEW

Gerlinde Seitner  im Gespräch

 

Seit 1. November 2011 hat der Filmfonds Wien eine neue Geschäftsführerin. Gerlinde Seitner übernahm nach 14-jähriger Tätigkeit im ÖFI, wo sie als stellvertretende Geschäftsführerin und Koordinatorin des MEDIA-Desks fungierte, die Leitung von Österreichs wichtigstem Regionalfonds. Ein Gespräch.


Sie waren lange in einer nationalen Förderung tätig und darüber hinaus für MEDIA, ein Förderprogramm der EU zuständig. Welche Prämissen und Prioritäten ändern sich nun für Sie im Tätigkeitsfeld Regionalfonds:
Gerlinde Seitner: Die vom Filmfonds Wien vergebene Förderung ist eine Standortförderung, d.h. ich muss Standortfragen in Zukunft viel stärker ins Kalkül ziehen. Ich muss darauf schauen, dass Wiener Filmschaffende, beschäftigt werden und an Projekten teilnehmen können, die tatsächlich in Wien entstehen. Wien muss - sei es auf der Leinwand, sei es im Produktionsprozess - vorkommen. Das war in einem österreichischen und auch europäischen Kontext einfacher zu handhaben. MEDIA vergibt keine Herstellungsförderung, dadurch waren Standortfragen da nie relevant. Jetzt steht der Standort Wien im Mittelpunkt. Wie Regionalförderung verlangt der Filmfonds Wien Wien-Effekte. Das ist bei nationalen Förderungen nicht der Fall. Hier habe ich einen Schalter bereits umgelegt. Aber da 90% des österreichischen Filmschaffens auf Wien konzentriert sind, kommt es da natürlich zu einer Schnittmenge mit den Tätigkeiten des ÖFI.

Wenn sich auch in der grundlegenden Aufgabenstellung des Filmfonds Wien nichts ändern wird, so bedeutet eine Veränderung in der Leitung doch eine leichte Bewegung in den Feineinstellungen. Wo wird diese stattfinden und welche großen Themen werden nun den Beginn ihrer Tätigkeit strukturieren?
Gerlinde Seitner: Wien ist eine Stadt mit einer großen kulturellen Vielfalt im weitesten Sinne und ich glaube, dass es sehr viele Wiener Geschichten gibt, die im Kino noch nicht erzählt sind. Im Fernsehen liegt das ein bisschen anders. Wenn man sich anschaut, was am deutschsprachigen Fernsehmarkt läuft, dann ist Wien als Drehort, als quasi ?handelnde Person?,  sehr präsent. Ich sehe eine meiner Aufgaben darin, Wien auch kinomäßig stärker zu verankern. Das kann auf einer internationalen Ebene geschehen - so könnte es wie jetzt z.B. im Rahmen der Viennale zu Treffen Produzenten kommen, wenn sie sich für Projekte mit Wien-Bezug interessieren. Aber in einem ersten Schritt möchte ich mich auf einer nationalen Ebene dafür einsetzen, dass z.B. in Kooperation mit dem Drehbuchforum Wien, ganz allgemein mit den AutorInnen mehr Dinge passieren. Im rot-grünen Umfeld der aktuellen Stadtregierung sind Migrationsthemen sehr relevant. In diesem Zusammenhang ist einiges an Vorarbeit bereits geschehen, ich denke z.B. an das Stoffentwicklungs-Programm Diverse Geschichten. Jetzt gilt es, einen nächsten Schritt zu gehen und Ideen und Stoffe in die Umsetzung führen. Mehr Wien im Kino ist auf alle Fälle ein großes Thema. Dann geht es mir auch im Sinne einer vereinfachten Verwaltung darum, wie man mit anderen Förderinstitutionen gemeinsame Fördergegenstände ähnlich definiert und gemeinsame Standards festlegt. In dieser Richtung ist vor allem eine Kooperation mit dem Filminstitut angesagt. Das ist eine Baustelle, die vielleicht für die breite Öffentlichkeit weniger interessant ist, umso mehr für die Filmschaffenden, wenn es weniger Formulare gibt und der gesamte Einreichprozess einfacher wird.

Wird sich aufgrund Ihrer langen Tätigkeit für das Filminstitut gleichsam natürlich eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen geben?
Gerlinde Seitner: Ja, das wird auch erwartet und das ist eine große Hoffnung, die im Raum steht. Ich war 14 Jahre im ÖFI, sieben Jahre davon als Stellvertreterin des Direktors und für MEDIA tätig. Es macht definitiv Sinn, in gewissen Bereichen, wo ÖFI und Filmfonds Wien gemeinsam agieren, auch gemeinsame Zielsetzungen zu verfolgen. Es gibt eine gemeinsame Schnittfläche, der Filmfonds bleibt allerdings eine regionale Förderung. Ich muss mir als Filmfonds gut anschauen, welche Projekte nur dann zustande kommen können, wenn alle Finanzierungspartner - OFI, Filmfonds und ORF - gleich mitziehen und mir gleichzeitig überlegen, was ich tun kann, um eigene Akzente zu setzen. Das ist ein Spannungsfeld, in dem es inhaltliche wie verwaltungstechnische Ansatzpunkte gibt. Da sich zur Zeit im ORF auch sehr viel tut, ist es in dieser Hinsicht ein sehr spannender Zeitpunkt, um den Filmfonds zu übernehmen, da sehr viel in Bewegung ist und das ist gut so.

Welche Bemühungen wird es dem ORF gegenüber als wichtigem Auftraggeber in der österreichischen Filmwirtschaft geben?
Gerlinde Seitner: Ich habe keinen Einfluss darauf, was der ORF als klassische Auftragsproduktion vergibt. Im Rahmen der Fernsehförderung des Filmfonds ist es eindeutig so, dass es einen starken Wien-Bezug geben muss und der ist auch erfüllt. Im Spielfilmbereich wird es sich weisen, wo die Prioritäten sind. Auf alle Fälle wird es nun sehr interessant zu sehen, wie ORF 3 aufgebaut ist und angenommen wird. Da soll ja auch mehr Platz für österreichische Filme geschaffen werden.

Wie groß ist das aktuelle Budget des Filmfonds Wien?
Gerlinde Seitner: Das Gesamtbudget des Filmfonds Wien beträgt 11,5 Mio Euro, im Bereich Fernsehen sind an die 2 Mio zu vergeben, im Bereich Kino sind es 8 Mio. Der Arbeitsschwerpunkt des Filmfonds Wien gilt dem Kino.

Wie schätzen Sie das aktuelle Potenzial im österreichischen Filmschaffen ein?
Gerlinde Seitner: Ich glaube, dass die letzten zwei Jahre einige sehr interessante Talente im Regie- und Drehbuchbereich hervorgebracht haben. Es gibt interessante neue Stimmen und es ist gut, dass sich etwas tut. Wenn man das letzte Jahr betrachtet, sind jene Filme, in die man hohe Erwartungen an den Kinokassen gesetzt hatte, nicht so gut gegangen, ich denke an Kottan oder 3faltig oder Furcht und Zittern. 2010 hat gezeigt, dass Filme, die in den letzten fünfzehn Jahren gut funktioniert haben, nicht mehr so gut gehen. Was funktionierte, waren Filme, wie z.B. Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott oder Der Knochenmann, die klar vor Augen führen, dass die Komödie sich verändert hat. Damit möchte ich mich auseinandersetzen. Bei den neuen Stimmen würde ich Der Räuber erwähnen, Lourdes bis zu einem gewissen Grad auch, Die Vaterlosen, Atmen. Das sind sehr gute Filme mit einer eigenen Handschrift, denen auch der schwierige Spagat zwischen enormem künstlerischem Anspruch und Kinounterhaltung gelingt.

Wo sehen Sie die besonderen Stärken im österreichischen Film?
Gerlinde Seitner: Eine der Stärken liegt im Dokumentarfilm. Da gibt es genügend Stimmen, die Filme funktionieren im Kino, sie funktionieren im Fernsehen. Hier sehe ich keinen Änderungsbedarf, aber natürlich ist mir daran gelegen, dieses Niveau zu halten. Da sich im letzten Jahr herausgestellt hat, dass die ?alten? Formeln nicht mehr greifen, sehe ich den Nachholbedarf im Bereich einer gehobenen und publikumswirksamen Unterhaltung.

Warum glauben Sie, greifen diese Formeln nicht mehr?
Gerlinde Seitner: Der Publikumsgeschmack hat sich verändert, irgendwann kennt das Publikum den Schmäh und verlangt nach etwas Neuem. Es hat eine Zeitlang ganz gut funktioniert, auf bewährte Rezepte zu setzen, das scheint jetzt ausgereizt zu sein. Und das ist ein spannender Moment. Ich weiß auch nicht, was nachkommen wird. Da wird sich jetzt ein Versuchsfeld auftun und ich glaube auch nicht, dass es so einfach nur ?eine Formel? geben kann. Bei gut geschriebenen und inszenierten Komödien wie Der Knochenmann oder Elfriede Ott, die auch noch mit Stars besetzt sind, kann ich mir vorstellen, dass die ein Potenzial an den Kinokassen haben. Jetzt heißt es mal, Dinge ausprobieren.

Welches Kino gilt es zu unterstützen?
Es geht mir um ein Kino, das Ansprüche erfüllt und das Publikum anspricht. Natürlich geht es immer um beides, aber angesichts des Umstands, dass es sich um Steuergelder handelt, müssen für das Publikum Filme gemacht werden, die es sehen will. Wenn man die Leute mit etwas Niederschwelligem die Scheu nimmt und für ein positives Kinoerlebnis sorgt, dann sind sie das nächste Mal vielleicht schon etwas experimentierfreudiger oder so begeistert, dass sie unbedingt den zweiten Teil sehen wollen. Sich von der Vielfalt im österreichischen Filmschaffen abzukehren, wäre absurd. Die Förderung hat auch einen wichtigen kulturpolitischen Auftrag, künstlerisch anspruchsvolle Filme tragen sehr viel zur Reputation österreichischer Kultur im Ausland bei. Aber es muss sich auch hier am Kinomarkt etwas für Menschen tun, die sich nicht die Filme anschauen wollen, die in Cannes, Venedig oder Berlin ausgezeichnet werden. Auch wenn Das weiße Band gerade vor Augen geführt hat, wie beides funktionieren kann. Dieser 150 Minuten lange Schwarzweißfilm-Film hat im Kino 100.000 Besucher geschafft hat und nun zuletzt im Fernsehen 750.000 Zuschauer erreicht. Ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig etwas im Vorfeld einzuschätzen ist und überraschen kann. Es handelt sich allerdings gewiss um einen idealtypischen Fall.

2011 war noch stärker als 2010 ein besonders erfolgreiches Nachwuchsjahr. Wird Ihnen der Nachwuchsfilm ein besonderes Anliegen sein?
Gerlinde Seitner: Natürlich, als Standort, wo eine Vielzahl junger Leute künstlerisch wie wirtschaftlich ausgebildet werden, muss ich mir darüber Gedanken machen, wie ich sie am Standort beschäftige und da auch halte. Über eines kann ich mich keinesfalls beklagen - dass der Standort Wien an einem Talentemangel leidet. Das ist eine gute Ausgangsposition. Andererseits muss ich auch danach trachten, dass die arrivierten FilmemacherInnen Gelegenheit erhalten, Dinge zu realisieren. Das ist keine leichte Aufgabe, umso weniger, als das Spektrum an interessanten FilmemacherInnen immer breiter geworden ist. Als Fördergeber am Standort muss ich auch für Strukturen sorgen, damit diese Menschen hier arbeiten können. Die besten Talente nützen mir nichts, wenn sie dann nach Deutschland gehen.

Werden Sie in der Projektauswahl mitbestimmen und eine Stimme in der Jury behalten?
Gerlinde Seitner: Vorerst ja und in der weiteren Folge werde ich mir das anschauen. Es hat beides seine Für und Wider. Ich würde es jetzt als seltsam empfinden, neu anzutreten und gleich meine Stimme abzugeben. Wenn ich das Gefühl bekomme, dass ich mehr Handlungsspielraum bekomme, indem ich meine Stimme abgebe, dann ist die Situation eine andere. Jetzt hielte ich es für das falsche Signal, neu eine Position einzunehmen und gleich meine Stimme abzugeben. Ich schließe es aber nicht für immer und ewig aus.

Die Kinobesucherzahlen sind tendenziell rückläufig, was auch auf einen Wandel in der Verwertung und den Vertriebskanälen zurückzuführen ist. Welche Rolle wird dieser Wandel in Ihren strategischen Überlegungen einnehmen.
Gerlinde Seitner: Ich glaube gar nicht, dass sich der durchschnittliche Kinogeher so stark verändert hat. Die KinobesucherInnen sind mit dieser Vielzahl an Filmen und der Schnelligkeit, mit der sie ausgewertet werden, überfordert. Vor zehn Jahren kamen im Jahr 250 Filme heraus, heute sind es 350. Überangebot überfordert, auch wenn es positiv ist, dass in einem großen Angebot für jeden etwas dabei ist. Die Umwälzungen in der Verwertung werden auf alle Fälle für mich auch ein Thema sein, weil ich davon überzeugt bin, dass Kino ein Ort bleiben muss, wo Film erlebt wird. Den Red-Carpet-Effekt wird immer nur das Kino zu bieten haben. Da kann keine DVD, kein direkt auf den Fernseher geladener Film mithalten. Es wird sich die Frage stellen, ob alle Filme ins Kino wollen oder müssen. Es wird Kinos geben, die andere Abspielmodelle entwickeln. Der klassische Kinofilm braucht auch einen Kinoeinsatz. Ich glaube nicht, dass sich das Grundmodell so enorm verändern wird. Rundherum wird sich einiges ändern, das Verwertungsspektrum wird sich erweitern. Die Veränderungen passieren an den äußeren Rändern, im Kern wird das Kino bleiben. Der soziale Aspekt des Kinogehens wird erhalten bleiben. Ein Problem sehe allerdings darin, dass die vom Filmfonds geförderten Filme oft sehr stark geblockt ins Kino kommen und die Filme einander im Weg stehen. Ich glaube, es würde Sinn machen, dass drei ähnlich gelagerte Filme nicht an einem Wochenende verheizt werden. Da hat niemand etwas davon. Ich kann da niemandem Vorschriften machen, hoffe aber, zu einer Bewusstseinsbildung beitragen zu können.

Wird es mit den anderen Regionalförderungen eine Zusammenarbeit geben?
Gerlinde Seitner: Hier ist ähnlich wie mit dem ÖFI eine verstärkte Zusammenarbeit geplant. Das Besondere dabei ist, dass in den verschiedenen Fonds die Strukturen so unterschiedlich sind, dass es, obwohl es sich um die kleineren Beträge handelt, die Arbeit größer sein wird. Das ÖFI hat schon Schritte gesetzt und eine Broschüre zur Filmförderung in Österreich herausgegeben, die Förderentscheidungen aus allen Förderungen zusammenzufasst. Das ist schon eine Erleichterung für die Antragsteller. Kundenfreundlichkeit ist ein Thema, darüber hinaus geht es natürlich auch um Transparenz, da wir hier die Verantwortung für öffentliche Gelder tragen. Es findet jährlich eine Tagung der Länderförderungen statt, wo es einen Austausch gibt. Es gibt jetzt auch eine gemeinsame Domaine, die nun bespielt werden muss. In einem ersten Schritt wollen wir das ganz niederschwellig angehen und zunächst einen Überblick über die Förderergebnisse geben. Als größtem Regionalfonds kommt dem Filmfonds Wien natürlich eine initiative Funktion zu. In den Bundesländern sind die Beträge nicht so hoch. Der Rechnungshof moniert zurecht, dass es zuviele Anlaufstellen gibt, andererseits sind die Beträge nicht so groß, als dass die Einsparungspotentiale von Bedeutung wären. Eine kleine Förderung, die ein paar 100.000,- Euro zur Verfügung hat, ist effizienter, wenn es die Gelder autonom vergibt und autonom abrechnet, als es mit einem großen, gemeinsamen Apparat abzustimmen.
 

Der Filmfonds Wien ist Mitglied eines europäischen Netzwerkes von Regionalfonds, Cineregio. Wie wichtig ist Ihnen die Vernetzung über die österreichischen Grenzen hinaus?
Gerlinde Seitner: Es ist immer gut, in einem Verbund zu sein, um zu sehen wie andere gewisse Dinge tun, um nicht ständig das Rad neu erfinden zu müssen. Mir ist das Thema der staatlichen Förderung im Konflikt mit den europäischen Wettbewerbsbestimmungen ein besonderes Anliegen. Diesen Part habe ich schon im Filminstitut betreut und da möchte ich mich auf regionaler Ebene sehr stark einbringen, zumal ja die ?Kinomitteilung?, jene Verordnung die auf europäischer Ebene den Rahmen der erlaubten öffentlichen Förderung im Filmbereich festlegt, momentan revidiert wird. Ab 2013 soll ein neues Regelwerk stehen, wo die Kriterien für die staatlichen Beihilfen über die Herstellung hinaus auch für Projektentwicklung, Verwertung, Digitalisierung festgelegt werden. Durch den Zusammenschluss von Förderungen einerseits auf nationaler, andererseits auf regionaler Ebene hat man hier ganz andere Möglichkeiten der Einflussnahme, weil die Stimmen der Regionalförderer gehört werden.
Was können Sie aus der MEDIA-Erfahrung in die jetzige Tätigkeit mitnehmen?
Gerlinde Seitner: Das Adressbuch und die Telefonnummern. Ich weiß, wen ich wo anrufen kann, wenn ich etwas wissen will und viele, die jetzt eine Frage zu Wien haben, wissen nun, dass sie mich anrufen können. Ich kenne natürlich nicht nur über das MEDIA-Netzwerk sehr viele Leute, sondern auch über das ÖFI-Netzwerk. Die Förderformen waren auf ein EU-Programm adaptiert. MEDIA funktioniert auf einer supranationalen Ebene, Entscheidungen werden anonymisiert und in Papierform getroffen, hier erfolgen Entscheidungen diskursiv mit Menschen in einer Jury. Von der Abwicklung ist nichts umzulegen, aber der Grundgedanke der Fernsehförderung, wie sie beim Filmfonds Wien existiert, beruht ja auf Ideen, die MEDIA zuerst in den Raum gestellt hat: nämlich die Förderung der unabhängigen Produktion, die Regelung, dass Produktionsfirmen nach einem gewissen Zeitraum ihre Rechte zurückbekommen können, um sie selber weiter zu verwerten und in der Kinoförderung, dass z.B. die Förderung der Kinosäle sehr stark an die Programmierung geknüpft wird. MEDIA hat auch schon vor zwanzig Jahren seinen Schwerpunkt auf Projektentwicklung gesetzt. Damals war nationale Filmförderung in erster Linie Herstellungsförderung und angeregt dadurch begannen auch die nationalen Förderer mehr Gewicht auf Stoffentwicklung zu setzen.

Wie lässt sich der Standort Wien im benachbarten europäischen Kontext positionieren?
Gerlinde Seitner: Wien hat im Gegensatz zu Prag oder Budapest nicht diese klassische Studioinfrastruktur für den Kinospielfilm. Wien liegt weder in einem Niedriglohnland noch in einem High-End-Bereich, was die Löhne betrifft. In Paris oder London zu drehen ist signifikant teurer. Dass der Standort keine Studiostruktur zu erhalten hat, bedeutet vielleicht eine Schwäche, aber eine Stärke zugleich, weil sich nicht alles darum dreht, ein Studio am Leben zu erhalten. Die Mittel können direkt dem Filmschaffen zugute kommen. Die Stärke des Standorts Wien sehe ich vor allem darin, dass hier ein reges, vielfältiges und talentiertes Filmschaffen existiert. Es gibt hier nicht nur interessante Regiepersönlichkeiten, Wien hat erstklassige Kameraleute, Set-Designer. Die kreative Infrastruktur ist ausgezeichnet.

Sollen auch vermehrt größere internationale Koproduktionen nach Wien gebracht werden?
Gerlinde Seitner: Das lässt sich schwer generell beantworten, das kann man nur projektbezogen beantworten. Es wird sich da in Anbetracht der Budgetmittel eher nur um europäische Produktionen handeln, das würde sich auch mit einer meiner Prämissen von ?Mehr Wien? auf der Leinwand decken. Wenn sich hier Möglichkeiten schaffen lassen, dann heißt die Antwort ?Ja? und bei Koproduktionen ist es mir auch wichtig, dass Filmschaffende aus dem Standort Gelegenheit erhalten, sich international zu qualifizieren und dass es zu einem Know-how-Transfer kommen kann. Da lassen sich aber keine Gesetzmäßigkeiten aufstellen, die auf alle Projekte zutreffen. Mittelabfluss vom Standort kann nicht die Norm sein. Es geht darum, von Außen Dinge herzuholen und die nicht das Potenzial verpuffen zu lassen.

Wir führen dieses Gespräch nun wenige Tage vor Ihrem Amtsantritt. Wie würden Sie die Herausforderung, die vor Ihnen steht, beschreiben?
Gerlinde Seitner: Für die ersten zwei Wochen habe ich mir ganz pragmatisch vorgenommen, einen Kassasturz zu machen und zu fragen ?Was steht an??, ?Was kommt auf mich zu?? Ich werde mir einen Überblick verschaffen über Projekte, die offen sind. Gewisse Dinge habe ich schon im Zuge der Übergabe erledigt, manche noch nicht. Das Jahr zu Ende führen und das neue in Angriff nehmen. Dass ich meine Tätigkeit so kurz vor Jahresende aufnehme, ist ein Vor- und ein Nachteil. Ich habe keinen Fördertermin abzuwickeln, außer im Fernsehbereich. Dadurch kann ich die Zeit wiederum gut nutzen, um abzustecken, wo der Filmfonds nun steht.

Wenn Sie sich nun einige Jahre in die Zukunft projizieren, wie hätten Sie gerne, dass die Handschrift Gerlinde Seitner umschrieben wird.
Gerlinde Seitner: Mehr Geschichten, die Wien und was diese Stadt darstellt, im Kino erzählen. Ein Filmfonds Wien, der in den Überlegungen zum Medienstandort Wien eine Stimme hat, die auch gehört wird, zum einen in Richtung der Aktivitäten, die in St. Marx im Gange sind, zum anderen, dass der Filmfonds Wien seiner Satzung entsprechend, der Ansprechpartner für Film in Wien ist. Und drittens schlanke und schlagkräftige Verwaltungsstrukturen für einen gut verwalteten, effizienten Fonds.

 

Interview: Karin Schiefer

Oktober 2011