INTERVIEW

Sabine Derflinger über ihre Tatort-Episode Angezählt

 

...im Fernsehen wie im Film. Sabine Derflinger, die soeben mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde,  über ihren preisgekrönten Tatort Angezählt und das Arbeiten zwischen Kino und TV.


Mit dem Grimme-Preis haben Sie eine der renommiertesten Auszeichnungen erhalten, die für eine deutschsprachige TV-Produktion vergeben wird. Das Fernsehen scheint sie derzeit sehr zu beschäftigen. Was hat sich gewandelt in Ihrer Karriere?
Sabine Derflinger: Meine Arbeitsbedingungen haben sich grundlegend geändert. Ich weiß, wann ich drehen kann und ich kann kontinuierlich arbeiten. Ich habe weder Warte- noch Stehzeiten und kann mich dadurch auch weiterentwickeln. Natürlich möchte ich auch wieder Kinoprojekte machen, aber die aktuelle Arbeit fürs Fernsehen bedeutet, dass ich meinen Handlungsspielraum verbreitern, mit Schauspielern arbeiten, visuell verschiedene Dinge ausprobieren kann. Das Schlimmste für mich war in den letzten Jahren, warten zu müssen. Natürlich hat die Arbeit fürs Fernsehen die Seite, dass man schnell drehen muss und die Zeit begrenzt ist, etwas genauso zu machen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Möglichkeit der Kontinuität ist aber für mich toll. Und Begrenzungen erlebt man in allen Arbeitszusammenhängen.

Tut sich innerhalb der verschiedenen TV-Projekte, an denen Sie arbeiten, ein Fächer an Ausdrucksformen auf?
Sabine Derflinger: Bei Angezählt, dem Tatort, für den ich den Grimme-Preis bekommen habe, hatte ich einen erfreulichen Freiraum. Und das Format ist erprobt und bewährt. So wie bei Vier Frauen und ein Todesfall, für die ich drei Folgen gedreht habe. Das war ein spezielles Arbeiten, weil diese Serie seit zehn Jahren beim Publikum erprobt ist und seit zehn Jahren ein Ensemble spielt. Das hat einen Riesen-Spaß gemacht. Andere Formate wiederum sind enger begrenzt durch die Vorgaben und innerhalb dieses Rahmens muss man schauen, was möglich ist. Jetzt arbeite ich an einer neuen Serie, die Vorstadtweiber heißt und die eine Prime-Time-Serie für ARD und ORF sein soll. Da gilt es etwas Neues zu (er)finden – einen Stil, ein Ensemble. Dafür werde ich die ersten fünf Folgen, also die Hälfte der Staffel drehen. Im TV-Movie Himmel über Burma, das ich im Herbst drehen werde, bringt auch wieder neue Bedingungen: es ist ein historischer Stoff, der auf Englisch und nicht in Österreich gedreht wird.

Worum geht es in diesem Projekt?
Sabine Derflinger: Es geht um Inge Sargent, die 1932 in Kärnten geboren wurde und die als Studentin in den USA einen Burmesen kennenlernt. Nachdem sie ihn geheiratet hat und sie nach Burma zurückkehren, gibt er sich als Prinz eines Shan-Reiches zu erkennen. Sie lebte mit ihm, bis die politischen Umstände dieses Leben wieder zerstört haben. Es ist ein Biopic, in dem es um sie als Frau und um die Frage geht, ob sie ihren Mann, der verschleppt worden ist, suchen oder mit ihren Kindern das Land verlassen soll. Es war ursprünglich ein Kinoprojekt, ein Herz-Projekt der Dor-Film, das letztlich nicht zustande kam. Plötzlich ging es nun ganz schnell, der Sender sagte allerdings, dass er weniger ein Melodram als vielmehr ein Politdrama wolle, das mehr die politische Repression akzentuiert.

Macht es Spaß, etwas so Etabliertes wie einen Tatort zu drehen?
Sabine Derflinger: Ja, sehr. Das Schöne ist, dass es Figuren gibt. Das Genre schränkt manchmal auch ein, aber im Idealfall, wie es in Angezählt der Fall war, hatte ich Möglichkeiten, die über die Grenzen des Genres hinausgingen. Wenn man die Härte zeigen kann, mit der die Prostituierte von ihrem Zuhälter behandelt wird, dann finde ich das schon toll, wenn ähnliche Gewalt dann der Kommissarin widerfährt, dann bekommt das Genre noch einmal einen besonderen Kick. Einen Tatort zu machen, bedeutet eine erzählerische Klammer und ein Agreement zu respektieren und durch diese riesigen Einschaltquoten gibt es einen großen Diskurs.

Gibt es, wenn man Ihnen einen Tatort zur Regie anbietet, noch einen Dialog mit dem Drehbuchautor, oder ist das Buch bereits fertig?
Sabine Derflinger:  Das kommt aufs Projekt an. Bei Falsch verpackt gab es noch einen Dialog, bei Angezählt war es so, dass der Drehbuchautor Martin Ambrosch und ich gemeinsam mit der Redaktion vorab besprochen haben, worum es gehen sollte. Da war ich von der Idee her eingebunden. Beim deutschen Tatort gab es ein fertiges Buch. Die Krimi-Formate sind die letzte Bastion des Fernsehens. Es ist das Einzige, wo sehr viele Menschen noch gleichzeitig schauen und sich am nächsten Tag darüber besprechen. Da wird nun alles hineingepackt, von Action-Szenen bis zu Komödie. Das ist noch ein bisschen Fernsehen wie es früher war. Wie es sich weiterentwickelt, wird man sehen.

Ihr letzter Kinofilm Tag und Nacht spielt im Milieu der Prostitution, was haben Sie für Angezählt aus dieser Arbeit mitgenommen?
Sabine Derflinger: Als wir das Thema des Tatorts überlegten, bot es sich an, dass ich mein Wissen aus dieser Arbeit nutze, umso mehr, als Bibi eine Backstory hatte, die sie mit der jungen Prostituierten verband. In Tag und Nacht geht es um zwei junge Frauen, die das freiwillig machen, im Tatort wollte ich, dass es um Zwang geht. Ich habe mein Wissen aus der Recherche für Tag und Nacht und meine Erfahrung mitgenommen. Vielleicht hat es gerade deshalb so gut funktioniert.

In Ihren Filmen geht es immer wieder um Frauenthemen, um Arbeits- und Machtverhältnisse. Sind das die Themen, die Ihnen besonders wichtig sind, um mit Ihren Geschichten viele Menschen zu erreichen?
Sabine Derflinger: Es stimmt, dass Frauenthemen im Vordergrund standen, ich war dafür auch immer das Aushängeschild. Zur Zeit beschäftigt mich die Frauensache nicht mehr so. Ich verstehe auch Regisseurinnen wir Kathryn Bigelow, die zu ihrem Frausein nicht ständig befragt werden wollen. Ich habe so viele Facetten und daher Themen in mir, die möchte ich weiterentwickeln und habe dazu – lucky I am – auch die Möglichkeiten. Für einen Kinofilm muss die Story stimmen, es muss wert sein, dass es noch einmal erzählt wird. Bei Angezählt geht es ja nicht nur um Prostitution, sondern auch um einen Vatermord. Macht und Ohnmacht sind ein großes Thema, vielleicht wird aber der Blickwinkel darauf noch breiter.

Wie geht man als Autorenfilmerin damit um, dass man mit Figuren etwas erzählen muss, die bereits seit langem eingeführt sind. Wie lässt sich das Eigene mit dem Bestehenden verbinden?
Sabine Derflinger: Es ist gut, dass etwas da ist. Die Kommissare haben ihre Backstory, ihren Umgang miteinander, der sich auch weiterentwickelt, ihre Marotten, ihre Schwächen, ihre Familienverhältnisse. Beim ersten Mal macht es einen auch unsicher, weil man sich fragt, ob man eh alles weiß und berücksichtigt. Bei den weiteren Folgen hat es sich für mich als Vorteil erwiesen, dass schon alles da war. Ich hab für mich festgestellt, dass ich mir Schauspieler, die in anderen Filmen von anderen Kollegen inszeniert werden, mit Interesse anschaue, wenn aber die gleichen Schauspieler als gleiche Figuren von einem Kollegen inszeniert werden, dann sind die Unterschiede im Umgang mit ihnen für mich nur schwer auszuhalten. Das sind keine Qualitäts-, sondern Geschmacksfragen. Jeder hat seine eigene Handschrift und versucht das unterzubringen. Das ist gut so.

An welchen Rädchen drehen Sie da mehr bei diesen Figuren?
Sabine Derflinger: Ich will nicht sagen, dass ich psychologisch arbeite, aber sehr figurenzentriert. Es gibt für jedes Kleidungsstück, jede Frisur einen tieferen Grund. Bei mir hängt immer alles mit allem sehr zusammen.

Wohin bewegen sich Ihre Bestrebungen nach Veränderung?
Sabine Derflinger:  Vor mir liegen jetzt die Episoden der Vorstadtweiber, wo es um Frauen in Grinzing und Hietzing geht, die nach dem Shopping Prosecco trinken und sich über ihre Männer definieren, das wird etwas Komödiantisches. Ich hab schon bei Vier Frauen und ein Todesfall festgestellt, dass es mir einen Riesenspaß macht, etwas Lustiges zu drehen. Das Biopic, das ich im Herbst in Burma und Thailand drehen werde, ist ein Politdrama mit sehr viel Emotionen, ausnahmsweise mal mit einem Paar, das andere Probleme als ihre gegenseitigen Beziehungssorgen hat. Das finde ich besonders erfrischend. An Beziehungskonflikten hab ich mich abgearbeitet, vom Geschlechterkampf  habe ich zur Zeit genug. Es muss um Dinge gehen, die gesellschaftlich oder politisch von Bedeutung sind oder um größere Themen wie z.B. Schuld. Am Ende des Tages möchte ich sehr gerne große Filme machen.

Der Weg dorthin führt vielleicht über ein offenes Arbeiten sowohl fürs Kino als auch fürs Fernsehen?
Sabine Derflinger: Der Unterschied müsste gar nicht mehr so ausgeprägt sein. Die Abspielorte sind unterschiedlich. Amerikanische Filme werden inzwischen fürs Fernsehen produziert und kommen dann ins Kino. Da ist ja gerade vieles im Umbruch. Es war immer ein großer Wunsch von mir, dass meine Filme von möglichst vielen Menschen gesehen werden. Es war sehr frustrierend, so lange an einem Kino-Projekt zu arbeiten und dann auch noch darum kämpfen zu müssen, damit jemand ins Kino geht. Es kann dann jemand den Film mögen oder nicht, aber dass etwas, in dem so viel Zeit und Arbeit steckt, so im Nichts versiegt, das ist das Schlimmste. Ein Tatort hat 10 Mio Zuseher, das ist natürlich ein Anreiz. Eine zentrale Frage ist und bleibt vorerst, welche Freiräume sich Sender schaffen können, um ein anspruchsvolles und innovativeres Programm zu machen, das auch das Publikum erwartet. Natürlich will es auch mal unterhalten werden. Leicht muss ja nicht blöd sein. Und das Publikum will auf keinen Fall an der Nase herumgeführt werden. Ich fände es schön, wenn die Sender Strukturen schaffen, wo man etwas anderes als die ohnehin schon bewährten Formate entwickeln und produzieren kann. Es geht immer um Räume der Entwicklung, der Sorgfalt und Genauigkeit. Im Fernsehen wie im Film.

Was bedeutet der Grimme-Preis für Sie?
Sabine Derflinger: Im Arbeitsprozess war ich selbst überrascht, weil es mir sehr radikal erschien. Als ich eine erste Schnittversion gesehen habe, hab ich mir gesagt, „Da bin ich aber gespannt, ob das so gesendet wird.“ Es hat mir aber bis zum Schluss niemand etwas dreingeredet. Der Grimme-Preis ist für mich nun eine Bestätigung dafür, dass das, wo ich am freiesten arbeiten konnte, auch das beste Ergebnis bringt. Um kreativ arbeiten zu können, muss man diesen Raum haben – zusammen mit den anderen Kreativen.

Interview: Karin Schiefer
März 2014



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