INTERVIEW

Ed Moschitz über MAMA ILLEGAL

 

 

«Die Menschen befinden sich in der Tat in einem Dilemma. Bleiben sie dort, erreichen sie nichts, gehen sie weg,  gehen sie das Risiko ein, dass ihre Familie daran zerbricht. Wie sie auch tun, es ist falsch.» Ed Moschitz im Interview über seinen ersten Kino-Dokumentarfilm Mama Illegal.



Die ersten Bilder im Film stammen aus dem Jahr 2003, die letzten aus 2011. Hatten Sie damit gerechnet, dass dieser Film ein solches Langzeitprojekt sein würde oder ergab sich die Dauer aus der Thematik?
Ed Moschitz: Die Idee war, aus einem Fernsehprojekt, das ursprünglich zwei Reportagen umfasste, einen Kinofilm zu machen. Es war als Langzeitbeobachtung für ein, zwei Jahre geplant. Dass es sieben Jahre wurden, hat sich aus dem Prozess dieser Arbeit ergeben.

MAMA ILLEGAL ist Ihr erster Kinofilm nach langer Fernseherfahrung?
Ed Moschitz: Ich arbeite seit gut zehn Jahren in der Redaktion Am Schauplatz und habe an die hundert Fernsehreportagen gemacht, aber noch nie einen selbsttragenden Film ohne Kommentar- oder Off-Text.

Hat Sie die Beschäftigung mit dem Thema Migration nach Moldawien geführt oder war es die sich verschärfende politische und wirtschaftliche Lage des Landes, die Sie sich näher anschauen wollten?
Ed Moschitz: Es war viel banaler. Wir suchten vor ca. zehn Jahren ein Kindermädchen für unsere beiden kleinen Kinder. Nach mehreren Versuchen hörten wir von Freunden, die ein Kindermädchen hatten, das auch ihre Wohnung sauber machte, das war Aurica. Sie kam dann eines Tages zu uns. Ich hatte keine Ahnung, dass sie illegal in Österreich war, sie erzählte anfangs auch nichts. Wir wussten nur, dass sie mit mehreren Frauen in einer kleinen Wohnung lebte, putzte und auf Kinder aufpasste. Im Laufe der Zeit erfuhr ich von ihrer Geschichte: wie sie nach Österreich gekommen war und dass sie selbst zwei Kinder hatte. Es hat mich sehr bewegt zu erfahren, dass sie schon ein ganzes Jahr von ihren Kindern getrennt war während wir hier mit unseren wohl behüteten Kinder lebten, beide arbeiten gehen konnten und es nicht einmal schafften, unsere eigenen Kinder ausreichend zu betreuen oder unsere Wohnung in Ordnung zu halten und dazu Menschen brauchten, die illegal herkommen. Da begann ich mich für sie und ihre Lebensgeschichte zu interessieren. Als Aurica dann nach Hause fuhr, fragte ich, ob sie mich mitnehmen würde. Das war natürlich nicht ganz einfach, wenn sie nach zwei Jahren Abwesenheit mit einem fremden Mann, der eine Fernsehkamera und ein Team dabei hatte, ankam. Ich nahm dann ein Foto von meiner Familie mit und zeigte das ihrer Familie. Die Wiederbegegnung waren sehr bewegende Momente und gleichzeitig war es für mich sehr schockierend zu merken, dass diese beiden Menschen einander total entfremdet waren. Diese Frau hat keinen Anschluss mehr zu ihrer Familie gefunden, ihre Kinder waren groß geworden, ihr Mann hatte sich in eine Richtung entwickelt, wo sie nichts mehr steuern konnte. Die Probleme waren durch die finanzielle Situation etwas gelindert, es sind aber persönliche Probleme dazugekommen und ab diesem Moment ist die Familie zerbrochen. Dieses Erkennen, dass durch die Migration Familien zerbrechen, war für mich ein sehr entscheidender Moment ebenso wie die Erkenntnis, dass man selbst auch Teil dieses Migrationsproblems ist.

Moldawien ist ein kaum bekanntes Land. Wie sieht die Lebenssituation dort aus, dass so viele Menschen sich veranlasst sehen, illegale Migration als Ausweg zu wählen?
Ed Moschitz: Man kennt Moldawien kaum, auch wenn es an die EU-Außengrenze schließt und das Dorf, in dem ich gedreht habe, zwanzig Kilometer davon entfernt ist. Es hat 4 Mio Einwohner, wovon eine Mio das Land verlassen hat. Die meisten verlassen illegal das Land und sind auf Schlepper angewiesen. Die Zahl der Auswandernden wird immer größer, es waren am Anfang meiner Beobachtungen 1 Mio, jetzt sind es an die 1,5 Mio. Vor acht Jahren lagen die Preise für die Schlepper bei € 1.500.-, mittlerweile liegen sie bei € 5.000,-. Die EU versucht die Grenzen dicht zu machen, doch alle Maßnahmen erscheinen relativ erfolglos, weil die Schlepper und die illegale Wanderung stärker sind. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 80%, das durchschnittliche Einkommen bei €100,-, wobei die Preise in den Lebensmittelgeschäften nicht sehr von unseren entfernt sind. Es ist nur allzu verständlich, dass diese Menschen alles daran setzt, in eine bessere Welt zu kommen.

Ist es ein für die dortigen Verhältnisse typisches Phänomen, dass die Frauen in den Westen gehen?
Ed Moschitz: Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Frauen dort besonders stark sind und beinahe etwas wie ein Matriarchat herrscht. Die Männer sind eher schwach, resignieren, neigen zu Depressionen und zum Alkohol. Das liegt auch an der traditionellen Erziehung, die sehr auf das Mann-Sein, auf Erwerbsarbeit ausgerichtet ist. Mit Kindererziehung kommen sie gar nicht klar. Wenn die Frauen aber weg sind, fühlen sie sich sehr verlassen und alleine und sind meist sehr verzweifelt.

Mit welcher Zielsetzung gehen die Menschen weg: möglichst schnell viel Geld zu verdienen oder auch, um einen legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen, der in Zukunft ein Hin- und Herreisen erlaubt?
Ed Moschitz: Die meisten gehen zunächst mal weg, um Geld zu verdienen, damit sie sich und ihren Familien ein besseres Leben ermöglichen können. Das kann der Traum vom Haus im Dorf sein, ein Auto oder dass man mit den Kindern reisen kann. Diese Träume zerbrechen sehr oft, weil sie mit der Realität nicht Schritt halten, weil sie ausgewiesen werden, plötzlich Heimweh bekommen und feststellen, dass sie dem Leben in der Großstadt nicht gewachsen sind, nun aber den Schleppern € 5.000,- gezahlt und dafür einen Kredit aufgenommen haben. Es gibt die unterschiedlichsten Geschichten. Ich habe ursprünglich versucht, fünf Familien zu begleiten, bei zwei hat es dann gar nicht funktioniert, bei drei so halbwegs. Es war ja auch wichtig, da kontinuierlich dranzubleiben und zwar nicht nur bei den Frauen, was ja noch relativ einfach gewesen wäre, sondern auch bei den Familien dort. Wir brauchten das Einverständnis der Familien, hier und da zu filmen. Oft wussten wir dann mehr als die zurückgebliebene Familie in Moldawien, die mehr von uns wissen wollte ... das war manchmal nicht so einfach.

Wie nahmen die Dreharbeiten ihren Lauf?
Ed Moschitz: Die ersten Aufnahmen fanden mit Aurica in Wien statt, dann sind wir mit ihr zurück nach Moldawien und es sah anfangs so aus, als würde sich die Familie wieder einspielen. Umso schockierender war es, als ich drei Monate später durch Aurica vom Tod ihres Mannes erfuhr. Es klang zunächst nach einem Unfall, wir sind dann hingefahren und haben das Begräbnis gefilmt, weil mir wichtig war zu zeigen, was einem Menschen der weggeht, widerfahren kann. Es hat mich dann sehr betroffen gemacht, dort zu erfahren, dass Auricas Mann, Selbstmord begangen hat, weil er die Situation nicht mehr verkraftet hat.

Wie hat sich die Suche nach den weiteren Protagonistinnen gestaltet?
Ed Moschitz: Über Aurica und die Dorfbewohner gelangten wir auch an andere Frauen, die für einen bestimmte Zeit das Dorf verlassen haben.

Wie schwierig war es, Menschen, die sich illegal im Land aufhielten, vor die Kamera zu bekommen?
Ed Moschitz: Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie schwierig es ist, einen Menschen, der sich illegal in Österreich aufhält, dazu zu bewegen, auch nur etwas zu seinem Status zu sagen. Es ist relativ einfach, die Menschen danach, wenn sie ihren Aufenthalt legalisieren konnten, zum Reden zu bringen. Das bedurfte einer großen Vertrauensarbeit, kontinuierlich im Leben unserer Protagonisten dranzubleiben. Manchmal löste die Kamera allein so ein starkes Gefühl der Bedrohung aus, das es unmöglich war zu filmen. Man muss dieses Projekt als Prozess des ständigen Scheiterns und Wiederaufnehmens des Kontaktes betrachten. Keine der Frauen konnte mir zu Beginn zusichern, die kommenden sieben Jahre mit mir zu arbeiten. Das war unmöglich. Es war ein ständiger Prozess, der Zuwendung, Aufmerksamkeit, Vertrauensarbeit.

Wie oft sind Sie nach Moldawien gereist?
Ed Moschitz: Ich war acht- oder neunmal dort. Wenn ich ohne die Frauen dort war, musste es dennoch mit deren Einverständnis funktionieren. Die Ehepartner durften nicht gerade im Konflikt sein, da sie ja anrufen mussten, damit ich die Gespräche filmen konnte. Ich wollte, dass auch die Männer durch diesen Film ein Sprachrohr bekamen ? eine falsche Einschätzung meinerseits, denn die wollten eigentlich gar nichts sagen. Sie hatten eher die Haltung ? Was will der von uns? Unser Leid ist groß genug, dass es nicht noch medial sichtbar gemacht werden muss. Es hat gedauert, um ihnen klarzumachen, dass, solange geschwiegen wird, auch nichts getan werden kann. Dass es für ein Thema, solange es tabu ist, auch keine Lösung geben kann. Irgendwann war die Mauer ein bisschen überwunden, der Film behielt dennoch immer den Blick eines Westeuropäers auf die dortige Welt. Man kann noch so oft dort sein, noch so viel von diesen Menschen wissen, der Blick bleibt einer von außen.

Private Bilder in privaten Räumen fordern auch ein kleines Team. Wie hat es sich zusammengesetzt?
Ed Moschitz: Durch die lange Zeit, die ich an diesem Projekt arbeitete, musste ich mit mehreren Kameraleuten arbeiten. Idealteam war ein Frauenteam, das sich aus Sandra Merseburger als Kamerafrau, Lenka Mikulova für den Ton und einer Übersetzerin aus Moldawien zusammensetzte. Alle drei Frauen kamen aus Osteuropa, sie alle fanden einen sehr guten Zugang zu den Leuten und wurden von den Männern dort ziemlich unterschätzt, was mir die Arbeit wiederum leicht gemacht hat. Die ersten Dreharbeiten machte ich mit einem TV-Team vom ORF und dann gab es verschiedene Kameraleute. Es war aber leider unmöglich, über diesen langen Prozess, mit demselben Team durchzuarbeiten. Dadurch ist die Sprache des Filmes nicht ganz so homogen, wie man es sonst bei Filmen hat, wo mehrere Wochen am Stück gedreht wird.

Die Kamera ist in sehr privaten Momenten präsent. Wie sah es da anfangs mit der Akzeptanz der Kamera aus?
Ed Moschitz: Mir war wichtig, die Situation der Frauen so schonungslos wie möglich darzustellen. Das Leben der Leute ist sehr hart und in Wahrheit beschissen. Wir wissen so wenig darüber. Die Menschen, die sich bei uns illegal aufhalten, leben neben uns, parallel zu uns. Sie geben uns so viel und wir geben ihnen im Gegenzug so wenig ? bezahlen ihnen ein kleines Gehalt pro Stunde fürs Babysitten oder Zusammenräumen unserer Wohnung und in dem Moment, wo sie Zahnschmerzen bekommen, sind wir schon nicht mehr zuständig. Sie haben viele Pflichten und ganz wenige Rechte und unsere Gesellschaft profitiert von ihnen. Mir war wichtig, mit einer kleinen Kamera, diesen Menschen sehr nahe zu kommen und in ihre Welt zu blicken, weil wir so wenig davon wissen. Man kann natürlich nicht wochen- und monatelang mit Menschen arbeiten, wenn sie die Kamera nicht ertragen. Ein Stückweit hat die Kamera diesen Menschen auch geholfen, ein Stückweit war sie auch Hoffnung. Ich bin überzeugt, dass sie für Natasha eine große Hilfe war, sie hatte so unglaubliche Angst, zur Fremdenpolizei zu gehen. Ich hatte völlig unterschätzt, was dieser Moment emotional bedeutet, einem Polizisten gegenüberzusitzen.

In den Momenten, wo die Frauen zurückkommen, wird sehr deutlich, wie sie von ihrer alten Welt abgedriftet sind. Sie sehen zuerst den Schmutz und nicht mehr ihr Zuhause?
Ed Moschitz: Das kann ich ehrlich gesagt bis heute nicht verstehen. Die Frauen haben die Häuser mitgebaut, sie haben in dieser Welt gelebt, dass die Rückkehr für sie dann so schrecklich war, konnte ich nicht nachvollziehen. Ich kann es mir nur damit erklären, dass sie ständig damit beschäftigt waren, fremde Haushalte sauber zu halten, der Schmutz ihr Fokus geworden war. Die Hygienestandards sind dort am Land andere als hier in Wien. Ich glaube, die Frauen haben es auch als Schande erlebt, dass sie so lange weg gewesen waren, so viel gearbeitet hatten und letztendlich doch nicht mehr geschehen war. In ihrer Phantasie haben sie sich immer mit der Hoffnung getröstet, dass vieles besser wird. Ich glaube, dass sich die Frauen sehr lange mit Träumen aufrechthalten: mit dem Traum zurückzukommen, eine glückliche Familie, ein fertig gebautes Haus, endlich dieses schöne Leben zu haben und dann kommen sie zurück und es ist alles wie damals: der Geruch, die Stimmung. Die Kinder sind größer, der Mann ist älter, ihr Blick auf die Welt ein anderer, doch vieles ist wie früher und diese Welt ertragen sie nicht mehr, weil sie inzwischen eine schönere und bequemere Welt kennengelernt haben.

Es sind sehr starke Momente im Film, wo an diesen Details des Alltags, die Fragilität dieses ganzen Aufwandes, den diese Jahre des Alleinseins und des harten Arbeitens bedeutet haben, deutlich werden.
Ed Moschitz: Es sind die Augenblicke, wo die Träume zerbrechen. Es ist der Moment, wo sie realisieren, dass sie wieder dort sind, wo sie weggefahren sind und sich die Welt dort nur ein kleines Stückweit verbessert hat, aber nicht so weit, wie sie es zum Zeitpunkt des Weggehens erträumt hatten. Und sie erkennen auch, dass bestimmte Dinge nicht mehr so werden, wie sie waren. Die Kinder, wenn sie sieben Jahre ohne ihre Mutter aufwachsen müssen, haben schwer darunter gelitten. Wenn heranwachsende Mädchen als Ansprechpartner nur einen Vater und einen Großvater haben, dann ist das problematisch. Auch die Burschen brauchen eine weibliche Bezugsperson. Viele Männer haben dort auch ein Alkoholproblem, die Kinder machen dort einiges mit. Eine Lehrerin hat mir erzählt, dass viele Mädchen im Haushalt für die abwesende Mutter einspringen und sich um die Männer kümmern müssen.

Gab es Momente, wo Sie mit den Kindern sprechen konnten?
Ed Moschitz: Man muss sich vor Augen halten, dass die Kinder dort nicht gewohnt sind, sich zu artikulieren wie unsere jungen Menschen. Man spürt dort sehr stark auch die Lethargie, die Akzeptanz einer ausweglosen Situation. Es ist einfach so. Ich war ziemlich betroffen, als die Lehrerin in der Schulklasse uns offenbarte, dass hier kaum ein Kind war, das mit beiden Eltern groß wurde. In diesem Moment habe ich auch begriffen, dass es nicht ein kleines, regionales Problem ist, sondern dass es Gesamteuropa betrifft. Die Frauen gehen weg, weil sie für sich und ihre Familien keine andere Lösung sehen. Und es gibt bei uns einen großen Bedarf an Babysitterinnen und Haushälterinnen, die unsere Wohnungen in Schuss halten. Dabei gibt es Richter, Polizisten, Journalisten, die solche Menschen beschäftigt haben. Man muss dieses Tabuthema ansprechen, dass da eine ganze Generation junger Menschen traumatisiert ist. Es kann nicht sein, dass wir diese Menschen über Jahre hindurch benutzen und wir keine Lösungen für sie parat haben. Das eigentliche Problem ist, dass wir nicht darüber reden. In dem Moment, wo man das Thema größer aufbereiten kann und Verantwortliche in Europa dafür sensibilisiert werden, gibt es hoffentlich für einen Teil dieser Menschen eine Lösung.

Abgesehen von allen gesellschaftspolitischen Aspekten ist MAMA ILLEGAL auch ein Film über das Leben und das Vergehen der Zeit. Wäre Aurica daheim geblieben, dann würden wahrscheinlich ihre heranwachsenden Kinder um jeden Preis in den Westen streben.
Ed Moschitz: Da fällt auf, wie sich die Perspektive ändert. Die Kinder sagen, sie würden ihren Kindern dieses Schicksal nie antun. In dem Moment, wo sie älter werden und für sich selbst eine Lösung suchen müssen, wird ihnen keine andere Möglichkeit bleiben - sei es durch die Vorbildwirkung der Mutter, sei es angesichts der mangelnden Perspektiven ? als in den Westen zu gehen. Man stellt sich die Zukunft einfach besser vor, entwirft Pläne, das Leben zeigt es einem dann anders.

Es führt auch sehr deutlich vor Augen, dass diese Menschen in Wirklichkeit keine Wahl haben.
Ed Moschitz: Die Menschen befinden sich in der Tat in einem Dilemma. Bleiben sie dort, erreichen sie nichts, gehen sie weg, erweitern sie ihre Möglichkeiten und gehen gleichzeitig das Risiko ein, dass ihre Familie daran zerbricht. Wie sie auch tun, es ist falsch. Sie haben kaum die Möglichkeit, das „Richtige“ zu machen. In dem Moment, wo man dort geboren wird und nicht einer Elite angehört, hat man schon verloren. Es ist ein ständiger Überlebenskampf, der entweder dort im Land passiert, wo man vom politischen System ausgebeutet wird. Oder man geht sie weg und wird in einer anderen Form ausgebeutet. Es kommen die Schlepper auf den Plan, die ihnen € 5.000,- abnehmen und da hängt oft wiederum ein Kredit mit Wucherzinsen dran. Dann erwartet sie hier ein unwürdiges Dasein in einer vom Mietpreis her völlig überhöhten, überbelegten Substandardwohnung, wo sie für wenig Geld arbeiten müssen, um das meiste nach Hause zu schicken, damit die Familie es dort ein bisschen besser hat. Eigentlich ist es ein Teufelskreis. Das Tragische für mich, war die Feststellung, dass kaum eine Familie dieser Belastung der illegalen Wanderung standhält.

Durch die lange Drehzeit, hat die Montage sicherlich auch eine zentrale Rolle gespielt.
Ed Moschitz: In den sieben Jahren hat sich natürlich unheimlich viel Material gesammelt, ich denke, es waren an die 300 Stunden. Die Schwierigkeit lag darin, das Material so aufzubereiten, dass es auch erzählbar wird. Bedingt durch die wechselnden Kameraleute gab es auch unterschiedliche Kamerastile und es boten sich verschiedene Wege an, den Film zu erzählen. Unser Problem war, dass immer wieder Menschen mitten in den Dreharbeiten abgebrochen haben und sich nicht trauten zu erzählen. Die Geschichte musste in sich absolut schlüssig sein und auch ohne Kommentartext auskommen. Es war ein langer Prozess, der sich über fünf Monate erstreckt hat und ich hatte mit Alexandra Löwy eine unglaublich geduldige Mitarbeiterin, ich denke, wir haben einen dichten Kern herausgefiltert.

Sie sagten eingangs, dass es Ihnen sehr wichtig war, diesen Film ins Kino zu bringen, weil es ein anderes Publikum erschließt und auch andere Möglichkeiten des Erzählens bietet. Umgekehrt könnte man sagen, dass Sie über das Fernsehen ein viel größeres Publikum erreichen. Warum war Ihnen das Kino so wichtig?
Ed Moschitz: Das Fernsehen mag zwar ein größeres Publikum erreichen, es ist umgekehrt aber auch wieder national begrenzt. Man hat kaum eine Möglichkeit, mit dem Stoff über Österreich hinauszukommen und zum anderen erreicht man gerade eine bestimmte Publikumsschicht nicht. Ich glaube, dass das Kinopublikum ein besonders interessiertes Publikum ist, das bereit ist, über bestimmte Dinge nachzudenken. Deshalb war es mir wichtig, den Film anderen Seherschichten zugänglich zu machen. Und ich wollte diesem Film auch den Raum geben, beide Welten ausführlich darzustellen, die Erzählung epischer zu machen und mehrere Protagonistinnen einzuflechten. Übers Kino bekommt ein Film eine größere Bedeutung und wird international beachtet. Vielleicht kann der Film EU-weit Beachtung finden und vielleicht kann man so - das ist immer noch meine große Hoffnung – einen Anstoß liefern, um entwicklungspolitische Lösungen für diese Frauen, für dieses Dorf anzudenken, um über die Situation dieser Menschen nachzudenken und dahin führen, dass man, wenn man diese Leute beschäftigt, noch nicht zur Lösung der Probleme dieser Menschen beiträgt. Im Gegenteil.


Interview: Karin Schiefer
Februar 2012