INTERVIEW

Johannes Holzhausen über DAS GROSSE MUSEUM

 

... Gesammelt wurde immer mit dem Ziel einer Verdichtung – die Welt in einem Raum zusammenbringen und dort wiederum ein vollständiges Abbild von ihr liefern.»  Johannes Holzhausen, Gewinner des Caligari Preises 2014, über Das große Museum.

 

Das Museum ist ein Ort der Betrachtung und des Schauens. Wie ist die Idee entstanden, einen filmischen Blick auf einen Ort des Schauens zu werfen?

JOHANNES HOLZHAUSEN: Das hat einen inneren und einen äußeren Grund. Ich war biografisch durch sechs Jahre Kunstgeschichte-Studium vorbelastet, ehe ich auf die Filmakademie gewechselt habe. Die Liebe zur bildenden Kunst bleibt, vor allem deshalb, weil ich sowohl in der bildenden Kunst als auch im Kino jene tiefen und berührenden Erkenntnismomente erlebt habe. Ich habe als Jugendlicher Gemälde gesehen, wo ich den Eindruck hatte, die Welt neu zu entdecken. Solche Erlebnisse hatte ich auch im Kino. Man kommt aus dem Saal raus und etwas in der eigenen Wahrnehmung hat sich verändert. Das ist der innere Grund für meine Affinität zur bildenden Kunst.
Die Idee, im KHM zu drehen hat mich immer wieder beschäftigt, andererseits sträubte sich etwas in mir. Vielleicht der Gedanke, meine ehemaligen Studienkollegen als Kuratoren oder Sammlungsleiter dort anzutreffen. Als Sabine Haag die Direktion übernahm, hatte ich das Gefühl, dass sich da ein Raum öffnete. Ich habe mal höflichst angefragt, es kam zum ersten Treffen. Die Entscheidung, den Dreh zuzulassen war dann ein sehr schwerer Schritt für das Museum, denn das Endergebnis lag außerhalb seiner Kontrolle. Es war ein längeres Herantasten und Kennenlernen, auch bedingt durch die Recherche und die länger als erwartete Finanzierung. Meine erste Filmidee war, ein fiktives Museum zu zeigen – eine Mischung aus Kunst- und Naturhistorischem Museum, Medizinisch-pathologischer Sammlung. Constantin Wulff, der Co-Autor des Films, hat aber immer wieder argumentiert, dass ich Elemente der anderen Sammlungen auch im KHM finden würde und den Fokus auf dieses eine Museum gelenkt. Mein Interesse an der Grenze zwischen Kunst und Natur schlägt im Film dennoch durch, denn man bekommt sehr viele Naturobjekte zu sehen.


Wie haben Sie sich mit dieser weit verzweigten, komplexen Maschinerie des Kunsthistorischen Museums vertraut gemacht?

JOHANNES HOLZHAUSEN:Das Projekt konnte nur mit einem hohen Maß an Vertrauen funktionieren. Es bedeutete vor allem mit sehr vielen Menschen zu reden, und zwar in der Hierarchie der Organisation von oben nach unten, von der Generaldirektion über kaufmännische Geschäftsführung zu den Sammlungen, die sehr autonom sind und jederzeit trotz Erlaubnis der Direktion meinen Dreh hätten ablehnen können. Es war bei den Sammlungsdirektoren, bei den Kuratoren, bei den unterschiedlichen Abteilungen sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Ich habe Auf allen Meeren vorgeführt, einen Vortrag über mein Projekt gehalten. Bei Akademikern hat man das Problem, dass sie sehr selbstreflexiv sind und sich immer die Frage stellen, wie sie wirken. Das machte das Drehen nicht leicht. Abgesehen von ein paar Materialsicherungen, die ich gedreht habe, gingen der eigentlichen Dreharbeit eineinhalb Jahre an Recherche voran. Als dann wirklich die Kamera lief, war es dann relativ unkompliziert. Wir mussten uns nur noch absprechen, wann wir drehen würden. Prinzipiell war aber ein Grundvertrauen da.


Der Film macht in vielen Facetten das Unsichtbare im Räderwerk eines Museums sichtbar. Wie haben Sie diese vielen Bereiche erfasst und strukturiert?

JOHANNES HOLZHAUSEN: Erschwerend ist beim KHM, dass die verschiedenen Sammlungen auch geografisch nicht unter einem Dach sind. Es gibt die Neue Burg, die Schatzkammer, die Wagenburg in Schönbrunn, Ambras in Tirol und natürlich das Hauptgebäude. Dieser Komplikation haben wir uns entzogen, indem wir fiktiv den Eindruck herstellen, dass alles in einem Gebäude untergebracht ist. Es gibt nur zu Beginn den Schwenk von der Hofburg zum Hauptgebäude des KHM, damit ist es als zentraler Ort etabliert. Durch die Vielfalt der Orte bekommt der Komplex wiederum etwas Labyrinthartiges, das ich sehr mag. Es scheint unendlich viele Lager, Räume und Depots zu geben, die die unterschiedlichsten Dinge pflegen, bewachen, versorgen. Man bekommt das Gefühl, das hört nie auf.


Es gibt einen Film von Nicolas Philibert La ville Louvre, in dem er den Pariser Louvre portraitiert. Wie sehr steht einem so ein Film im Weg, wenn man einen Blick hat, der sich nicht so grundlegend unterscheidet?

JOHANNES HOLZHAUSEN: (lacht) Stimmt, das ist in der Tat nicht ganz einfach. Ich habe den Film Mitte der neunziger Jahre gesehen. Hab ihn mir dann nochmals bestellt, die DVD dann aber nie ausgepackt, weil es mir zu riskant war. Hätte ich angefangen, mich immer wieder gegenüber diesem Film abzugrenzen, wäre ich in Teufels Küche geraten. Es blieb mir also nur die nebulose Erinnerung an den Film, die immensen Dimensionen des Museums, Damenabsätze die am Parkettboden klappern.


Mein Eindruck ist der, dass in Ihrem Film vielmehr die Menschen im Mittelpunkt stehen. Der Mensch, der durch seine Tätigkeit das Museum zum Funktionieren bringt, der aber auch an diesem Ort des Konservierens, Restaurierens und Bewahrens für die Vergänglichkeit steht. Sehen Sie das ähnlich?

JOHANNES HOLZHAUSEN: Wir hatten schon in der Buchphase festgelegt, dass Kunstobjekte nur im Kontext mit Arbeit gezeigt werden. Es musste darüber geredet werden, damit hantiert werden...
Tabu waren Erklärungen zu einem Kunstwerk. Es ging klar um die Betrachtung eines sozialen Körpers. Da die Hauptaufgabe des Museums im Bewahren liegt, bewegen sich die Akteure im Film auf einer Ebene der Ewigkeit. Es ist der Anspruch des Museums und seiner Mitarbeiter, die Objekte, die ihnen anvertraut werden auf die nächste Generation übergehen zu lassen, ohne dass irgendetwas daran verändert, geschweige denn ein Schaden daran entstanden ist. Diese Form der Demut, dass das eigene Tun möglichst nicht sichtbar sein soll, ist ein sehr interessanter Punkt, den ich herausarbeiten wollte. Ich habe u.a auch Neil McGregor vom British Museum dazu befragt, der sagte „Ich bin stolz darauf, dass ich die Verantwortung von meinem Vorgänger übernehme und an meinen Nachfolger weitergeben werde.“ Das Vergängliche, das im Film auch über das gesellschaftliche Ereignis der Eröffnung der Kunstkammer erzählt wird, wo im Rahmen einer prunkvollen Veranstaltung die Spitzen des Staates präsent sind, wird kontrastiert durch die Dauerhaftigkeit, die die Kunstwerke in sich tragen. So verschieben sich die Dinge und bekommen eine andere Bedeutung. Das wollte ich zum Schwingen bringen, nicht durch explizites Erzählen, sondern es einfach spürbar machen.


Haben die Menschen, die in einem Museum arbeiten, eine ganz eigene Mentalität?

JOHANNES HOLZHAUSEN: Ja, unbedingt. Das ist ein ganz eigener Schlag. Es sind Menschen, die sich selber zurücknehmen, vor allem die Restauratoren. Sie sind am liebsten unter sich – Streitigkeiten, Liebesgeschichten ... all das läuft innerhalb der Museumsmauern ab. Das hat auch etwas Abgeschottetes. Manchmal hatte ich das Gefühl, auf einem Tanker zu sein, der aus der Zeit kommt und weiter in die Zeit fährt. Man schaut von den Museumsfenstern raus auf den Ring ins Treiben der Menschen und bekommt dabei auch ein Gefühl von Fern-Sein. Eine Kunsthistorikerin sagte einmal: „Wenn man Kurator wird, dann wird man in einen Bettelorden aufgenommen.“ Die Bezahlung ist schlecht, aber man bekommt die Schlüssel für die Vitrinen seines Bereichs, darf außerhalb der Öffnungszeiten das Museum betreten, darf die Objekte, wenn auch nur mit Handschuhen, in die Hand nehmen. Man hat schon eine minimale Form von Verfügungsgewalt, die vielleicht fiktiv ist und man ist den Dingen so nahe, wie man ihnen nur nahe sein kann.


Hantieren in seinen verschiedensten Variationen - transportieren, reinigen, untersuchen, halten, restaurieren – scheint ein sehr zentraler Aspekt zu sein.

JOHANNES HOLZHAUSEN: Das Hantieren, aber auch das Reden darüber. Wenn der Rubens-Spezialist kommt und mit der Restauratorin darüber spekuliert, von wem das Bild sein könnte, dann ist da ein Denkprozess im Gang. Was da in diesem Moment passiert, ist klassisches kunsthistorisches Arbeiten. Ich mag die Szene auch deshalb, weil die Situation noch mit einer Menge anderer Dinge aufgeladen ist – da ist der belgische Kunsthistoriker, der zu dick ist und schwitzt und um ihn stehen zwei junge Frauen, die von ihm als Spezialisten etwas zu Rubens erfahren wollen.


Szenen dieser Art gibt es im Film zahlreiche, die von einem sehr liebevollen und auch humorvollen Blick zeugen. Sie sind wahrscheinlich auch das Ergebnis sehr langen Beobachtens.

JOHANNES HOLZHAUSEN: Ja, der Humor ist mir besonders wichtig. Ich finde den Film ja lustig. Der Humor entsteht auf mehreren Ebenen. Manchmal direkt in einer Szene, wo es etwas zum Lachen, Kichern oder Lächeln gibt. Manchmal in der Montage, weil Dinge aufeinanderprallen und schließlich auch durch meine grundlegende Haltung, dass ich das ehrwürdige Haus nicht so ernst nehme. So toll die Objekte in diesem Museum sind, so bleiben sie doch Dinge. Es hat mir großen Spaß gemacht, in der Montage die Salierea mit dem Kasperl zu kombinieren. Der Schnitt hat sehr viel damit zu tun, wie auf unterschiedlichsten Ebenen der Mensch dargestellt wird. Da heben sich für einen kurzen Moment die Wertigkeiten zwischen Hochkunst, Pop und Kunst für Kinder auf. Mit dem Humor zieht auch eine kritische Distanz ein. Das Imperiale wird in seiner Größe und Macht etwas relativiert.


Interessant ist zu entdecken, wie sehr im Kunsthistorischen Museum, vielleicht mehr als im Louvre oder anderen vergleichbaren Museen, das Repräsentative, der Staat in einem Naheverhältnis zur Sammlung stehen.

JOHANNES HOLZHAUSEN: Mir ist es jedenfalls so begegnet, dass sehr viele Handlungsstränge auf die Repräsentation hinauslaufen oder gleich von ihr erzählen. Der Handlungsstrang mit dem Bundespräsidenten ist einer, der die Frage aufwirft, wie die Republik sich repräsentiert. Die Logo-Diskussion, die Eröffnungsfeier der Kunstkammer, all das ist repräsentativ.


Das Museum, v.a. ein so traditionsreiches wie das KHM gilt als Hüter und Bewahrer der Geschichte, der Vergangenheit, des kulturellen, im Falle des KHM auch des Habsburger Erbes, und steht immer wieder vor der Frage, wie es sein Auskommen mit der Gegenwart findet?
Wie haben Sie diese Auseinandersetzung und die Suche des Museums nach einer Positionierung in der Gegenwart erlebt?


JOHANNES HOLZHAUSEN: In der Recherche stößt man natürlich sehr schnell auf den Umstand, dass das KHM auch ein Verwahrer des Habsburgererbes und damit auch eine Schnittstelle zwischen Republik und Kaiserreich ist. Ich fand es interessant zu entdecken, wie sich das äußert. Die Restaurationsarbeiten in der Präsidentschaftskanzlei waren ein Glücksfall. Ich hab mich deshalb gleich darauf gestürzt, weil es mir in der Recherche bereits so stark bewusst geworden ist, dass wir da einen Ansatz suchen mussten.
Es arbeiten sehr kluge Leute im Museum, die sich dieser Erblast bewusst sind und damit sehr pragmatisch umgehen. Pragmatisch heißt in diesem Fall, „So ist das, wir können es nicht ändern. An manchen Stellen wiederum spürt man auch die Haltung „Ja, wir sind eben auch Staat“ durch. Da schlägt nicht das Habsburgische selbst durch, sondern das, was das Habsburgische darstellte – nämlich den großen Staat. Der Witz ist ja, dass das Marketingbüro da sehr Wesentliches beiträgt. Da kann man in den Sammlungen noch so sehr eine distanzierte und kritische Haltung dazu haben, wenn das Marketing-Büro sagt, das Wort „kaiserlich“ bringt 20% Besuchersteigerung, dann kommt „kaiserlich“ ins Logo.


Ein Paradoxon oder ein Zeichen der Zeit, dass sich in dieser Domäne das Marketing durchsetzt?

JOHANNES HOLZHAUSEN: Die Mitarbeiter des KHM stellen ja keine homogene Gruppe dar: Es gibt die Kunsthistoriker, die für die Objekte verantwortlich sind und die Ausstellungen machen. Dann gibt es die große andere Reichshälfte der kaufmännischen Abteilung. Die Marketingabteilung steht mit einem Bein in der wissenschaftlichen, mit dem anderen in der kaufmännischen Abteilung. Die Kunsthistoriker sind eher in einer Verteidigungshaltung. Man spürt das, wenn der Kunsthistoriker mit dem Werbefilmer redet, der immer wieder fragt, was hat denn das mit der Gegenwart, mit mir, mit den Menschen jetzt zu tun? Dann kommt als Entgegnung – „Die Vitrinen, die Luster ... sind eh zeitgenössisch.“ Sie müssen sich rechtfertigen. Damit haben sie schlechte Karten gegenüber der kaufmännischen Abteilung, die meint, dass es nur Menschen braucht, die die Objekte den Touristen erklären und das könne ja jeder Student. Das liegt an den unterschiedlichen Bildungswegen. In den Geisteswissenschaften wird nicht unterrichtet, wie man seine Interessen in einem feindlichen Umfeld durchsetzt. Das ist nicht unbedingt ein Manko, weil es den Vorteil hat, dass man Dinge auch von außen betrachten kann. Wenn man nicht verstrickt ist, behält man sich einen neutralen Blick und der wird von einem Wissenschaftler erwartet. Aber klassische Kunsthistoriker sind eine bedrohte Spezies. Es wird auch in der Szene im Dorotheum sehr deutlich, dass das Geld heute woanders ist und sich der Kunstmarkt in eine ganze andere Richtung bewegt. Die alte Kunst hat in diesen Wertigkeiten abgewirtschaftet. Heute kauft jemand, der viel Geld hat, Damien Hirst oder Jeff Koons. Luxusartikel gehen immer, auch in Krisenzeiten.


Der Film enthält mehrere zyklische Elemente: einerseits kommt es durch den Renovierungsprozess der Kunstkammer und die Restaurierung des Gemäldes aus der Präsidentschaftskanzlei zu einem Neubeginn inmitten des Prozesses des Erhaltens, mit der Pensionierung eines Mitarbeiters nimmt auch etwas ein Ende. Das Museum als Symbol des Konservierens erhält damit auch etwas Vitales.

JOHANNES HOLZHAUSEN: Das Prinzip des Zyklus kommt auch in meinen wenigen anderen Filme vor. In Auf allen Meeren schickt der alte Offizier, obwohl klar ist, dass alles den Bach hinunter geht, seinen Sohn noch auf die Marineschule, damit er den gleichen Blödsinn lernt. In Wen die Götter lieben gibt es das Motiv, wo ein Kind brandstiftet und damit die soziale Desolatheit fortsetzt, in der die Mutter aufgewachsen ist. Es schockiert und fasziniert mich immer wieder zugleich, wie sich über Generationen Werte und Vorstellungen fortpflanzen. In Das große Museum wird es dort spürbar, wo etwas anfängt oder jemand geht.


Was hat Sie zum lapidaren Titel Das große Museum bewogen?

JOHANNES HOLZHAUSEN: So sehr ich mit dem Film zufrieden bin, so wenig bin ich es mit dem Titel. Er kommt noch aus der alten Filmidee des fiktiven Museums und ist dann geblieben. Ich wollte ihn nochmals überdenken. Das war allerdings der kleine Nachteil des großen Vorteils, bei der Berlinale zu laufen: Es blieb keine Zeit mehr dafür. Ich glaube, dass er durch den Prolog in der Präsidentschaftskanzlei und den Schwenk über die Stadt dennoch seine Berechtigung hat. Das Museum steht nicht für sich allein. Das Museale, dem man in Wien an vielen Ecken und Enden begegnet, ist mitfixiert.


Die letzte Einstellung ist auf Peter Breughels Turm von Babel gerichtet. Warum haben Sie dieses Bild für den Abschluss gewählt?

JOHANNES HOLZHAUSEN: Ich wusste es selber nicht, aber eine Kunsthistorikerin hat es mir erklärt. Es erschien mir zunächst ein bisschen aufgesetzt, diese Ikone des Museums zu verwenden. Es war aber erst am Ende des Schnittprozesses klar, dass wir mit der Eröffnung der Kunstkammer den Film nicht abschließen konnten. Wir mussten in den Bereich der Ewigkeit und Vergänglichkeit zurück. Das geschah über Gesichter und Köpfe, weil da viel zum Schwingen kommt. Die Schlusseinstellungen zeigen Menschen, die vor langer Zeit gelebt haben und was von ihnen übrig geblieben ist. Die Zeitlichkeit verschiebt sich. Es gibt eine Fahrt über die Kinderköpfe aus der Antikensammlung. In der Gemäldegalerie haben wir experimentiert und mehrere Fahrten gemacht – über Rubens-Bilder, andere Breughel-Bilder. Immer Motive, die Gruppen zeigten, denn das war der Kontext, den wir auf alle Fälle brauchten. Das einzige Bild, wo unser Ansatz funktionierte, war der Turmbau von Babel. Das war beinahe unheimlich, weil in diesem Bild alles zusammenläuft. Es gab den König, das Volk, das sich in diesem Bauwerk einnistet, das Bauwerk, das gebaut und wieder abgebaut wird, das sich in einem permanenten Umbauprozess befindet. In diesem Bild hat sich alles summiert, was in den vorangegangenen 90 Minuten erzählt wurde. Das berührt mich immer noch sehr.


Sie werfen auch einen Gedanken des Unvollendeten in die letzten Bilder ihres eigenen Films.

JOHANNES HOLZHAUSEN: Die Kunsthistorikerin hat mir dann erklärt, dass der Turmbau im Gemälde für einen sozialen Körper steht, der in ständiger Veränderung begriffen ist. Es gibt kein Fertigwerden. Wenn man das Bild so betrachtet, wird der Film nochmals erzählt und es enthält auch diesen Kommentar auf die eigene Arbeit. Ein Ebenensprung in der Erzählung.


Ein Museum ist letztlich ein sehr metaphorischer Ort.

JOHANNES HOLZHAUSEN:
Es ist eine Metapher des Lebens. Ein Museum hat sehr viel mit einer Verdichtung zu tun. Museen und ihre Vorläufer, die Kunst- und Wunderkammern, entspringen der Idee, dass man sehenswerte Dinge sammelt und an einen Ort bringt: Exemplarisches, Außergewöhnliches, Großartiges. In der ursprünglichen Form waren in diese Sammlungen Natur- und Kunstgegenstände völlig durcheinander geworfen. Der Zahn eines Narwals galt als Naturwunder und war einem Gemälde von Breughel gleichrangig und -wertig und beides war entsprechend teuer. Gesammelt wurde immer mit dem Ziel einer Verdichtung. Ich will die Welt in einem Raum zusammenbringen und dort wiederum ein vollständiges Abbild von ihr liefern. Der verrückte Rudolf II. hat das in Prag bis zum Exzess betrieben, weil es ihm sein Reichtum erlaubte. Er hat alles, was er bekommen konnte, gesammelt und den Hradschin mit Automatenschiffen, Gemälden, Steinen, Tieren u.ä. vollgestopft. Eine Metapher auf die Welt, oder vielleicht auf die Hybris von uns Menschen.


Interview: Karin Schiefer
Februar 2014