"Lapidar ist, glaube ich, ein gutes Wort, wie ich versucht habe, den Stil von Wolf Haas wieder zu erzählen. Unangestrengt,
so ein bisschen aus der Hüfte." Wolfgang Murnberger im Gespräch über Komm, süßer Tod
Haben Sie die Romane von Wolf Haas entdeckt und gesagt, den möchte ich unbedingt verfilmen oder kam jemand mit dem Vorschlag
auf Sie zu?
WOLFGANG MURNBERGER: Wenn man es genau nimmt, hat der Claus Philipp den Wolf Haas und mich zusammengeführt. Er sprach den Wolf Haas in einem Interview
für den Standard darauf an, dass die Romane eigentlich auch Filmstoff wären. Der Haas stimmte dem zu, wusste aber nicht, wer
in Österreich das verfilmen soll. Da kamen sie beide auf mich. Ich las zunächst alle Bücher. Mein erster Eindruck aber war,
die Bücher würden sich nicht verfilmen lassen. Mir gefiel der Schmäh, die literarische Qualität. Aber literarische Qualität
ist ja prinzipiell nichts Filmisches. Für ein Filmdrehbuch ist aber die Geschichte das Wichtigste. Ich traf mich also mit
Wolf Haas, sagte ihm wie gut ich das fand und schlug ihm vor, gemeinsam ein neues Drehbuch zu schreiben. Nur schrieb er damals
an Silentium, es hätte also zu lange gedauert, bis er Zeit gehabt hätte und außerdem fand er, er hätte ohnehin schon soviel
geschrieben, von dem man doch schon etwas verfilmen könnte. Ich sah es mir also nochmals an und fand, dass am ehesten Komm,
süßer Tod geeignet wäre, da es nicht so statisch ist wie die anderen. Dann setzte ich mich hin und schrieb ein Treatment,
das war eine Mörderhakn.
Inwiefern musste sich die Geschichte ändern?
WOLFGANG MURNBERGER: Ein Roman ist prinzipiell breiter angelegt als ein Filmstoff und hat meistens zu viele Figuren. Was im Roman noch immer geht
- die Frage "Wer ist der Mörder?" glaube ich, ist im Kino nicht sehr gängig. Die Leute wollen heute lieber dem Mörder beim
Morden zuschauen als dem Kommissar beim Aufklären. Es gab einige grundsätzliche Überlegungen: Wie reduziere ich die Figuren?
Wie verdichte ich die Handlung? Was lasse ich weg? Sehr bald habe ich auch gemerkt, dass der Brenner ein Gegenüber braucht,
eine Funktion, die im Roman der Erzähler erfüllt. Da der Brenner von der Figur her ein ziemlicher Anti-Held ist, wusste ich
sofort, ich brauche einen Mr. Watson, irgendjemanden, der den Brenner fordert, anstößt und nervt. Da habe ich die Figur vom
Berti ausgebaut zu so etwas, das den Brenner aus der Reserve lockt. Das Interessante an dem Projekt für Wolf Haas und mich
war, einen langsamen Helden durch einen doch relative schnell erzählten Film gehen zu lassen.
War es schwierig, den hohen sprachlichen Ansprüchen, die der Roman erfüllt, filmisch zu entsprechen und dem Autor in gewisser
Weise treu zu bleiben?
WOLFGANG MURNBERGER: Eines hab ich von Anfang an gesagt, dass ich nur versuchen kann, die literarische Qualität in eine Qualität der Filmsprache
irgendwie zu übertragen. Ich überlegte mir also, nicht ganz klassisch zu erzählen. Ich musste einen Weg finden, eine extremere
Filmsprache zu finden, aber nicht so extrem, dass man das Publikum rausreißt, sondern mit feineren Mitteln. Zum Beispiel eine
schlampig konzipierte Kameraführung, wenn z.B. der Brenner das Büro vom Junior verlässt, schwenkt die Kamera mit dem Brenner
mit, er steht auf und plötzlich fällt ihm noch was ein. Der Kameramann tut nun so, als wäre er ein Live-Kameramann, der glaubt,
der Brenner gehe wirklich raus und schwenkt zur Tür voraus, als merke er nicht, dass der Brenner stehen geblieben ist und
holt ihn erst verzögert wieder ein. Das ist ein Beispiel, wo wir so tun, als würde der Held, uns, die Macher, überraschen
mit dem, was er tut und wir stellen uns langsamer als wir in Wirklichkeit sind und tun so, als müssten wir ihn immer wieder
einholen.
Als Drehbuchautor firmiert neben Ihnen und Wolf Haas auch Josef Hader? Wer hat welchen Beitrag zum Drehbuch geleistet?
WOLFGANG MURNBERGER: Wir wollten eigentlich verhindern, das aufzusplitten. Man kann nicht sagen, der Josef hat hauptsächlich bei den Dialogen mitgeschrieben,
er hat sich auch in die Geschichte eingebracht, der Wolf Haas sowieso. Der schaute auch immer darauf, wie weit wir vom Roman
weggehen und lustigerweise hat der Josef am Ende wieder Sachen aus dem Roman reingeholt, die der Wolf Haas und ich schon gestrichen
hatten. Der Prozess war so, dass ich zuerst das Treatment geschrieben habe und dieses Gerüst steht noch immer. Dann schrieb
ich mit dem Wolf Haas eine Buchfassung. Während ich an einem Fernsehfilm drehte, arbeiteten Hader und Haas am Buch und vor
Drehbeginn gingen schließlich Josef und ich noch einmal über das Buch. Wir trafen uns immer wieder zu dritt, um konzeptionell
darüber zu sprechen, was noch zu tun ist, wirklich gearbeitet haben wir immer zu zweit.
Der Wolf Haas taucht sozusagen als unbeteiligter Beobachter in seiner Geschichte auf?
WOLFGANG MURNBERGER: Wichtig für mich ist die letzte Einstellung mit Wolf Haas, wo der Erzähler über seinem Gesicht zu erzählen beginnt. Die beiden,
der Erzähler und Wolf Haas, gehören zwar nicht zusammen, aber es entspricht dem genau das, was der Wolf Haas mit seinem Erzähler
macht, er ist eine erfundene Figur, die die Geschichten vom Brenner erzählt. Er ist ja auch nicht der Erzähler in seinen Romanen,
deswegen nahm ich auch nicht seine, sondern eine fremde Stimme. Das interessiert zwar nur 5% des Publikums, aber gerade auf
solche Dinge wollten wir nicht verzichten, weil genau das uns einen ungemeinen Spass machte an diesem Film. Diese 5% die der
Film anders als ein Mainstream-Film ist, das hat uns 100% interessiert. Sie haben in den letzten Jahren viel für das Fernsehen
gearbeitet und jetzt nach längerer Zeit wieder fürs Kino.
Wie unterschiedlich sind die Arbeitsbedingungen, wie sehr haben sie sich im Vergleich zu Ihrem letzten Kinofilm Ich gelobe
(1994) verändert?
WOLFGANG MURNBERGER: Die Arbeitsbedingungen werden immer schlechter, ist mein Gefühl. Man kann es nur mit mehr Erfahrung ausgleichen. Im Verhältnis
dazu, was dieses Buch war, hatte ich nie das Gefühl, jetzt mehr Geld oder Zeit als bei einem Fernsehfilm zur Verfügung zu
haben. Vom Erlebnis her war der Film anstrengender zu machen als ein Fernsehfilm. Im Fernsehen sind es halt andere Geschichten,
da gehen andauernd Leute bei Häusern raus und wieder rein und reden miteinander. Ich will mich aber in keiner Weise beschweren,
ich hatte sieben Wochen, normal ist sechs Wochen, also kann ich mich eigentlich glücklich schätzen, eine mehr gehabt zu haben.
In Wirklichkeit war ich nicht glücklich, denn sieben Wochen waren für diesen Stoff natürlich zu wenig. Ich versuchte halt,
aus dieser Not eine Tugend zu machen, indem ich auf die üblichen Special Effects verzichtete. Die erste Einstellung, wenn
das Auto verunglückt, ist typisch für den Film, das ist fast comicshaft. Wir hatten zwei Kameras, die stellten wir nebeneinander
auf, die zweite eigentlich nur als Sicherung. Dann hat der Willi Neuner einfach den Wagen da nach vor geschossen, ohne Zeitlupe
und das war's. Das entspricht auch dem Stil von Wolf Haas. Lapidar ist glaube ich ein gutes Wort, wie ich versucht habe, den
Stil von Haas wiederzuerzählen. Unangestrengt, so ein bisschen aus der Hüfte.
Wie schon in den ersten Filmen (z.B. Himmel oder Hölle), kann man feststellen, dass die Darsteller eine sehr authentische
Sprache, großteils sogar Dialekt sprechen. Ist die Sprache ein sehr wesentliches Element Ihrer Filme?
WOLFGANG MURNBERGER: Mir war das immer sehr wichtig, vor allem bei den ersten autobiografischen Filmen, wo es unmöglich war, Hochdeutsch zu sprechen,
da ich viel mit Laien arbeitete, damals ist das gar nicht zur Diskussion gestanden. Jetzt gab es natürlich eine Diskussion,
im Hinblick auf den deutschsprachigen Markt. Ich bin dem Josef Hader irrsinnig dankbar, denn er kann nur so reden, wie er
redet. Und wenn der Josef jetzt beginnen würde, hochdeutsch zu reden, dann wäre das, glaube ich, ein Schuss ins eigene Knie.
Da nun der Josef seine Sprache spricht, tun das auch die anderen. Beim Piefke fand ich die Besetzung vom Typ her sehr gelungen,
der gefiel mir für die Rolle sehr gut und so machte ich aus dem Binder den Piefke und es laufen auch ein paar Schmähs in diese
Richtung. Ich weiß nicht, ob die Deutschen den Satz "Die Deutschen sind immer die Mörder" sehr lieben werden, aber ein paar
politsche Unkorrektheiten gehören zu diesem Film.
Der Erzähler im Roman ist ja auch nicht immer politisch korrekt.
WOLFGANG MURNBERGER: Das ist ja auch ein bisschen der Schmäh, dass man sich das traut, politisch unkorrekt zu sein.
War Josef Hader eine Wunschbesetzung?
WOLFGANG MURNBERGER: Der Name war sehr früh da, als wir über den Brenner nachdachten. Der Josef war der erste, den wir fragten. Er las das Buch,
es gefiel ihm, er sagte aber auch, er würde sehr gerne auch noch ein wenig mitschreiben. Das machten wir auch gerne, denn
das brachte auch was für die Geschichte.
Wie sehen Sie den Brenner als Figur?
WOLFGANG MURNBERGER: Eine amerikanische Filmfirma würde sofort einmal denken, das geht nicht. Der ist keine Hauptfigur, der ist mieselsüchtig,
langsam und lethargisch. Er hat alle Eigenschaften, die ein Held nicht haben soll. Es gibt zwar einen Punkt im Film, als er
die Klara kennenlernt, wo man das Gefühl hat, jetzt taucht er aus seiner Midlife-Crisis auf, jetzt wird er aktiv. Ich hab
aber das Treatment schon so konzipiert, dass es einen Detektiv gibt, der am Fall nicht interessiert ist, dafür es einen Fall
gibt, der am Detektiv interessiert ist. Es ist alles so konstruiert, dass der Detektiv dem gar nicht auskommt, weil es rund
um ihn passiert und er notgedrungen anfängt, den Fall zu lösen, bevor er selber betroffen ist. Dass er am Schluss beim Showdown,
wo normalerweise der Held in der ersten Reihe steht, in der letzten Reihe ist, das gefällt mir wieder, denn das sieht man
nicht so oft. Das ist auch einer der Versuche, nicht zu klassisch zu erzählen. Ich wollte nicht alles so aalglatt machen und
nur auf Suspense und Action gehen.
Auch die Liebesgeschichte geht nicht so aus, wie es normalerweise dem Helden zustehen würde?
WOLFGANG MURNBERGER: Hätte er die Klara geheiratet, hätte das weder der Intention von Wolf Haas noch meiner entsprochen. Es ist immer gut, dass
die Liebesgeschichte schlecht ausgeht, wenn der Fall gelöst wird. Wäre der Fall nicht gelöst, dann dürfte er heiraten. Es
darf nicht immer alles gut ausgehen. Das ist der Unterschied zwischen Kino und Fernsehen.
Kino und Fernsehen scheinen einander in Ihrer Tätigkeit als Regisseur dennoch nicht auszuschließen?
WOLFGANG MURNBERGER: Es macht auch beides Spass, ich mache sowohl Kino als auch Fernsehen gern und es soll auch beides möglich sein. Ich weiß ja,
wenn ich mich darauf einlasse, dass ich dann eine Aufgabe erfüllen muss und das tu ich auch, so gut ich kann. Ich möchte ja
dann dort auf einem bestimmten Sendeplatz nicht die Leute schrecken, sondern versuchen, trotzdem die Geschichte gut und interessant
zu erzählen. Wenn man aber daran gehindert wird, wenigstens filmisch zu erzählen mit dem Argument, dass mit einer bestimmten
Einstellung der Fluss nicht bleibt und jemand wegschalten könnte, das ist dann mühsam. Der ORF war da aber immer ein sehr
guter Partner.
Wohin gehen die nächsten Pläne?
WOLFGANG MURNBERGER: Jetzt mache ich meinen ersten #||#Boy Meets Girl#||# im Februar, das habe ich noch nie gemacht. Es wird ein Fernsehspielfilm
für den ORF. Hainburg 1984, Demonstrantin verliebt sich in Gendarmen. Es ist eine Idee eines ORF Redakteurs, der mich fragte,
ob man daraus etwas machen könnte. Ich schrieb Exposé und Treatment, die gut ankamen und wenn alles gutgeht, drehen wir im
Februar.
Wann wird es den nächsten Murnberger im Kino geben?
WOLFGANG MURNBERGER: Ich hab seit Jahren Kinostoffe auf Dateien im Laptop. Das Problem war jetzt schon, dass ich sehr viel fürs Fernsehen gearbeitet
habe, auch, um Geld zu verdienen, so dass ich wenig zu diesen Stoffen gekommen bin. Aber ich weiß, dass Zeit den Stoffen alles
andere als schadet und insofern bin ich da gar nicht unglücklich, sondern eher zuversichtlich, dass die Wartezeit diesen Geschichten
eher gut tut.
Interview: Karin Schiefer
Dezember 2000