Nach dem globalen Schwenk in die Ferne von Elsewhere hat Nikolaus Geyrhalter in seinem neuen Film eines der naheliegendsten Fakten unserer Existenz näher betrachtet. Unser Täglich Brot erzählt in einer imposanten Dramaturgie aus Bild und Ton, wie die "Produkte der Natur" den abstrahierten und rationalisierten
Gesetzen wirtschaftlicher Effizienz unterworfen sind, ehe es auf unseren täglichen Tellern landen.
Entrinnen gibt es keines mehr. Das Rind zappelt und bebt, sofern der Metallpanzer in den es gezwängt wurde, noch etwas Raum
für Bewegung zulässt. Ein Schuss, ein Dreh um neunzig Grad und die wohldurchdachte Maschine spuckt Sekunden später die leblose
Fleischmasse aufs Fließband der verarbeitenden Fabrik. Drastisch, nüchtern, kommentarlos. Tägliche Routine, Wirklichkeiten
industrieller Effizienz, ihre Exzesse und ihre Grenzen.
Nikolaus Geyrhalter hat in seinem neuen Film Unser Täglich Brot das komplexe System Nahrung in der unverrückbaren Geometrie
seiner Bilder erfasst, und mit seinem Cutter Wolfgang Widerhofer das dichte wie unkommentierte Relief einer industriellen
Welt entstehen lassen, das den Zuschauer in eine Reflexion mit seinem elementarsten Bedürfnis zwingt. Das "frische", organische
Produkt Lebensmittel als Endergebnis einer der Natur völlig entfremdeten und im Labor generierten Massenproduktionen definiert
die Reibungsflächen, auf denen sich die 92-minütige Arbeit bewegt, die ohne Kommentare und Interviews auskommt, und in oft
brutalen, oft surrealen, immer für sich selbst sprechenden Bildern und Tönen freie Assoziationsräume schafft.
Ursprünglich war Unser Täglich Brot als Film geplant, der über Interviews von den Menschen als funktionierende Rädchen in den Produktionsabläufen der Nahrungsmittelindustrie
erzählt, jedoch entpuppten sich sehr früh im Schnitt die Bilder als die Träger der Spannung. "Ich glaube," so Nikolaus Geyrhalter,
"dass wir so näher am Menschen dran sind. Wir schaffen im Kopf des Zuschauers ein Umfeld, durch das er sich mehr auf die Bilder
einlassen kann" und, so Wolfgang Widerhofer weiter, "es ist schon alles in den Bildern drinnen " die Arbeit, die Ausbeutung,
die Ermüdung, die Dimensionen."
Ohne Ausweg
Über zwei Jahre erstreckten sich die Dreharbeiten, deren Bogen sich von Spanien über Belgien und Dänemark bis Ungarn und Polen,
von Oliven und Tomaten, Fischen und Salz über Sonnenblumen und Spargel bis zu Schweinen, Hühnern und Rindern spannt, um ein
möglichst breites Spektrum an Betrieben ins Visier zu nehmen.
"Es sollte ja," so der Regisseur, "ein Film werden, wo kaum ein Ausweg bleibt. Es sollte die Gesamtheit des Systems dastehen,
dem man sich nicht entziehen kann, indem man sich sagt, dies oder jenes esse ich nicht mehr." Gut neunzig Minuten lang ist
der Zuschauer allein dem Sog einer Komposition aus Bildern und Tönen ausgesetzt, die ein Gedankenspiel zwischen Schockiertheit
und naiver Erkenntnis, Neugier und gespaltener Amüsiertheit auslöst, ohne je eine Erklärung anzudeuten.
"Ich finde es nicht gut," so Wolfgang Widerhofer, "wenn Interviews nur Mittel des Regisseurs werden, die etwas transportieren.
Es geht auch um die Erfahrung des Zuschauers, dass man sich ein bisschen verirrt und den Schutz verliert." Die riskante Entscheidung,
die Zuschauer nur den Bildern zu überlassen, hat sich gelohnt. "Das Publikum in Amsterdam," so Nikolaus Geyrhalter, "hat eine
Sehnsucht nach Filmen wie diesen spüren lassen. Wir legen auch großen Wert darauf, dass ein Kinoerlebnis auf einer sehr sauber
funktionierenden Technik basiert. Dann kann man sich auf die Inhalte voll einlassen."
Der erste Verkauf für Kino und Fernsehen, der noch in Amsterdam zum Abschluss kam, ging in die USA.
Karin Schiefer
© 2005