Erwin Wagenhofers alarmierende Fragen und Antworten zum Woher und Wohin unserer täglichen Nahrung wurde in Toronto uraufgeführt
und überzeugte dort Publikum wie Käufer. Der kanadische World Sales Films Transit hat die Aufgabe übernommen, internationalen
Käufern, Appetit auf Hintergründiges zum Thema Essen zu machen.
Auf Wiens Müllhalden verschimmelt täglich die Menge Brot, die eine mittelgroße Stadt ernähren könnte. Der Weizen kommt
aus Indien, das Gemüse aus Spanien, der hiesige Mais wandert in die Fernwärme. Österreichische Bauern besitzen Gründe in Brasilien,
wo Soja angebaut wird, obwohl sich die Böden nicht dafür eignen. Afrikanische Bauern bleiben auf ihrem Gemüse sitzen, weil
sie vor der eigenen Tür von europäischen Importeuren mit Tiefstpreisen unterboten werden. Zu viele Ungereimtheiten, zu viele
haarsträubende Widersprüche, um sie am täglich gedeckten Tisch hinunterzuschlucken, ohne einige Fragen aufzuwerfen.
Erwin Wagenhofer hat für seinen Dokumentarfilm We Feed The World den Versuch unternommen, das Thema der Ernährung in ihren globalen Zusammenhängen zu beleuchten. "Will man", so der Regisseur,
"zu diesem Thema etwas machen, ohne sich auf Reizwörter wie Genmanipulation oder Pestizide draufzusetzen, dann muss man der
Frage nachgehen - was passiert da wirklich in Zeiten der Globalisierung. Beginnt man da hineinzublicken, dann tun sich
erstaunliche Dinge auf, welche Schurkerei da am Werk ist."
Neben einigen Landwirtschaftsbetrieben in Österreich hat der Filmemacher vier exemplarische Drehorte gewählt, die verdeutlichen,
welch komplexe Mechanismen hinter den scheinbar einfachsten Dingen des Lebens stecken: Spanien mit seiner größten Gewächshauslandschaft
der Welt, Rumänien und seine immensen Agrarflächen als Zukunftsmarkt für den weltgrößten Saatguthersteller Pioneer. Die Bretagne
als bald eine der letzten Regionen, wo es noch möglich ist, professionelle Fischerei auf individueller Basis zu betreiben,
Brasilien als Land der Hungersnot angesichts unerschöpflicher Ressourcen. Konzerne im Visier "Nach der ersten Spanienreise,"
so der Regisseur, "stand ich vor der Frage, in welche Stoßrichtung der Film gehen sollte. Wir hatten zwei Möglichkeiten -
entweder in Österreich eher klein herumzutun und bei den österreichischen Bauern nachzusehen, was da so falsch läuft, oder
hinauszugehen und die großen Konzerne ins Visier zu nehmen. Wir entschieden uns für Zweiteres und sagten uns von Anfang an,
wir gehen da selbst hinein. Wir gehen in die Betriebe, zu den großen Managern. Wir gehen zum Schmied und nicht zum Schmiedl."
Buch, Regie, Kamera und Schnitt erledigte Erwin Wagenhofer selbst, zu den Dreharbeiten zwischen März 2004 und April 2005 brach
er gemeinsam mit Regieassistentin Lisa Ganser auf.
Neben Bauern, Fischern, Agronomen kommen auch hochkarätige Manager zu Wort. Es war in behutsamer Vorarbeit nicht nur gelungen,
einen der Macher bei Saatguthersteller Pioneer zu manchmal recht persönlichen Kommentaren über die Aktionen des Konzerns in
Rumänien zu bewegen, sondern auch ein Interview mit dem General Manager von Nestlé International zu bekommen. Der Schweizer
Querdenker und UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung Jean Ziegler liefert dazwischen Reflexionen über
den aktuellen Stand der weltweiten Nahrungsversorgung, und bringt erschreckende Fakten auf einen recht einfachen Nenner. Anhalten
und den Kurs ändern scheint als Notwendigkeit auf der Hand zu liegen, müsste man nicht auch den beiden Top-Managern von Nestlé
International und Pioneer lauschen und feststellen, dass hier mehrere Züge in ganz andere Richtungen unterwegs sind.
Karin Schiefer (2005)