«Bei der Polizeiaktion Operation Spring wurden in wenigen Tagen an die 100 Afrikaner unter dem Verdacht, Mitglieder einer
international agierenden Nigerianischen Drogenmafia zu sein, festgenommen. Es war die größte kriminalpolizeiliche Aktion seit
1945 und es war der erste Einsatz des Großen Lauschangriffs.» Angelika Schuster und Tristan Sindelgruber nahmen dieses Justizverfahren
der letzten Jahre unter die Lupe.
Im Mai 1999 starb Markus Omofuma und wenige Wochen später kam es zur Operation Spring. Welches Ziel und welche Vorgangsweise
stecken hinter dem Begriff?
TRISTAN SINDELGRUBER: Bei der Polizeiaktion Operation Spring wurden in wenigen Tagen an die 100 Afrikaner unter dem Verdacht, Mitglieder einer international agierenden Nigerianischen
Drogenmafia zu sein, festgenommen. Es war die größte kriminalpolizeiliche Aktion seit 1945 und es war der erste Einsatz des
Großen Lauschangriffs. Es hatte schon zuvor Polizeiaktionen gegen Afrikaner gegeben, die im Verdacht standen, etwas mit Drogen
zu tun zu haben, aber keine Aktion in dieser Größe. Bei der Operation Spring wurde vom Innenministerium explizit darauf hingewiesen, dass es darum gegangen sei, die führenden Köpfe zu verhaften. Danach
gab es dann vermehrt derartige Aktionen. Interessant war, wenn man sich die Pressekonferenzen der Polizei bzw. die Medienberichterstattung
anschaut, hieß es nach jeder neuen Aktion "jetzt sind wir auch an die Hintermänner gelangt". D.h. jeweils im Nachhinein betrachtet
legt das den Schluss nahe, dass das zuvor offensichtlich nicht der Fall war.
Unter welchem Verdacht erfolgten die Verhaftungen?
ANGELIKA SCHUSTER: Die Afrikaner wurden nicht nur unter dem Vorwurf angeklagt mit Drogen zu handeln, sondern darüber hinaus Mitglieder der Organisierten
Kriminalität zu sein. Sie hätten versucht, Einfluss auf die österreichische Politik zu nehmen und die Demonstrationen nach
dem Tod von Marcus Omofuma sowie die damalige Kritik am Umgang der Polizei mit Schwarzen bewusst inszeniert. Die Solidarität,
die es damals mit Afrikanern in der Folge des Todes von Marcus Omofuma gegeben hat, ist bei diesem Vorwurf rasch verstummt.
Die zwei mutmaßlichen Bosse, die in den Medien als die führenden Köpfe der Organisation dargestellt wurden, sind der Justiz
aber im Verlauf der Prozesse etwas abhanden gekommen sind. Charles O. war einer der Mitorganisatoren der Demonstrationen nach
Omofumas Tod, er ist bei der Operation Spring als einer der Hauptbosse verhaftet worden. Er ist zu zehn Monaten bedingt wegen
Geldwäsche, nicht jedoch als Boss der Organisation verurteilt worden, das ist bei der Verurteilung gar nicht mehr erwähnt
worden. Beim zweiten "Boss", Emmanuel C., der im Film vorkommt, hat die Justiz nach fünfeinhalb Jahren noch immer nicht zu
einem rechtskräftigen Urteil gefunden.
TRISTAN SINDELGRUBER: Was damals gelungen ist, ist das Zerschlagen einer schwarzen Zivilgesellschaft, die begonnen hatte, sich öffentlich zu äußern.
Das Feindbild – Schwarz ist gleich Drogendealer – hat sich gefestigt und es ist recht elegant durch die Hintertür gelungen,
von neuen gesetzlichen Möglichkeiten - Großer Lauschangriff, anonymisierte Zeugen der Anklage - Gebrauch zu machen, ohne großer
Kritik ausgesetzt zu sein.
Wann entstand das erste Treatment zum Film?
ANGELIKA SCHUSTER: Im Sommer 2002. Wir entwickelten es dann über einen längeren Zeitraum weiter, von der eigentlichen Grundstruktur blieb es
aber gleich. Wir konzentrierten uns auf die neuen Ermittlungsmethoden, auf deren Ergebnissen die Hauptbeweismittel gegen die
Angeklagten basierten.
TRISTAN SINDELGRUBER: Operation Spring hatte ja alle Beteiligten – Polizei und Gericht – vor eine völlig neue Situation gestellt. Wie wird ein neues Gesetz umgesetzt
und wie bleiben Grundrechte gewahrt ? das mitzuverfolgen, fand ich spannend.
Ein politisch brisantes Thema bedeutet zunächst einen enormen Rechercheaufwand. Wie seid ihr da herangegangen?
ANGELIKA SCHUSTER: Wir konnten auf umfassende Zeitungsrecherchen und auf schriftliche Berichte von Prozessbeobachter/innen zurückgreifen. Ich
hatte das Glück, bei Eurodoc Script einen Workshop zu machen. Einer der ersten Ratschläge war, uns ins österreichische Gesetz
zu vertiefen, um zu sehen, was ist eigentlich vorgesehen, was nicht. Und vor allem, was war bei den Operation Spring-Prozessen anders, als bei anderen Drogenprozessen. Es hat sich rasch herauskristallisiert, dass wir uns auf die neuen Ermittlungsmethoden
konzentrieren - wie sind sie durchgeführt worden, wie ist die Justiz damit umgegangen. Dafür haben wir sehr intensiv in Akten
und Gesetzen recherchiert, mit Leuten von allen Seiten Kontakt aufgenommen, die in die damaligen Ereignisse involviert waren.
TRISTAN SINDELGRUBER: Unser Konzept war, nur mit den direkt Beteiligten zu reden, nicht mit den Pressesprechern. Das hätte einen Filter bedeutet,
sie argumentieren naturgemäß anders und sind auch nicht ins Detail eingearbeitet. Bei der Polizei ist uns das leider nicht
gelungen, die zuständige Sondereinheit wollte nicht mit uns reden. Von den zuständigen Richtern des Straflandesgerichts in
Wien, die wir angesprochen bzw. angeschrieben haben, war zuerst auch keiner bereit. Dann hatten wir jedoch das Glück, dass
einer der Richter in Pension ging und mit ihm war es dann möglich. Darüberhinaus kommt im Film eine Frau vor, die bei einem
der Operation Spring-Prozesse Schöffin war. Die Prozesse sind öffentlich zugänglich, Aufzeichnungen sind natürlich streng verboten. Bei den Anwälten
ist es so, dass vorher mit den jeweiligen Mandanten geklärt werden muß, ob wir in ihren Akt Einsicht nehmen dürfen. Das war
aufwändig, da viele von ihnen noch im Gefängnis waren, verstreut über Österreich.
Wie wurden die Anwälte ausgewählt?
ANGELIKA SCHUSTER: Der Grund, weshalb wir mit diesen beiden Anwälten arbeiteten, war der, dass sie die letzten noch offenen Fälle vertreten haben.
Alle anderen waren schon verurteilt. Und dass die Prozesse in beiden Fällen Wendungen genommen haben, die Fragen aufwerfen,
die im Nachhinein betrachtet für die gesamten Operation Spring-Fälle von Interesse sind. Bei Rechtsanwalt Binder, dem Anwalt von Emmanuel C., entstand z.B. die Situation, dass ein anonymer
Zeuge seine ursprünglichen belastenden Aussagen wieder zurückgezogen hat und der Fall zum dritten Mal neu aufgerollt wurde.
Der zweite Fall ist auch neu aufgerollt worden.
Der Film hat einerseits durch Eurodoc und andererseits durch die Finanzierung von Sundance sowohl finanziell als auch inhaltlich
eine Unterstützung erhalten. Wie kam es zu diesen Kooperationen.
TRISTAN SINDELGRUBER: Operation Spring ist der erste von Sundance geförderte österreichische Dokumentarfilm, worauf wir sehr stolz sind. Sundanceund Media haben
uns zu einem Zeitpunkt unterstützt, als es uns nicht gelungen ist, die Projektentwicklung in Österreich auszufinanzieren.
Wir sind ursprünglich voller Euphorie an das Projekt herangegangen, bei Festivals hört man immer wieder, es wäre wünschenswert,
wenn vermehrt Filme mit politischen Themen gemacht würden. Wir erhielten beim ersten Anlauf beim BKA die Zusage für die Entwicklung.
Beim Filmfonds Wien gab es zwei Absagen, und da die Zusagen in Österreich bedingt sind, hingen wir in der Luft. Zum Jahreswechsel
2002/03 waren wir schon ziemlich ernüchtert und wir hatten uns auch Deadlines gesetzt, obwohl wir diesen Film unbedingt machen
wollten. Wir arbeiten zu zweit und haben nicht mehrere Projekte, wo wir sagen können, wenn eines nicht klappt, arbeiten wir
halt am anderen. Das war eine existentielle Geschichte. In dieser Pattsituation begann ich dann zu recherchieren wie vergleichbare
Filme ihre Finanzierung zustande gebracht haben. Abseits von Österreich ist es meist noch schwieriger, Geld aufzustellen.
Ich bin auf den Soros-Fonds gestoßen und fand im Internet heraus, dass es den so nicht mehr gab, das Geld aber zu Sundance
fließt. Dort gibt es eine Abteilung für Entwicklung und Produktion von Dokumentarfilmen. Wir schickten unser Paket ein, gottseidank
war alles zweisprachig entwickelt, und Monate später erfuhren wir, als wir während der Diagonale 2003, unsere Mails checkten,
dass wir 15.000 Dollar bekommen würden. So kam es zum Kontakt mit Sundance, der bis jetzt gut hält: es ist unstressig, unkompliziert,
hilfreich, eine sehr herzliche Beziehung. Damit hatten wir plötzlich eine nationale und mit Media zwei internationale Förderungen.
Von da an konnten wir endlich konzentriert und in bezahlter Weise an der Entwicklung arbeiten, haben im Herbst für die Herstellung
eingereicht - Filmfonds und ORF - und es ist bei beiden Stellen durchgegangen. Das war im Herbst 2003.
ANGELIKA SCHUSTER: Eurodoc-Script ist ein Programm für Dokumentarfilmschaffende, wo ca. über ein halbes Jahr ein Treatment entwickelt wird. Es
war gut, dass ich dieses Drehbuch - ein Fall, der einen nationalen Kontext hat, aber international gültig ist - in einem professionellen
internationalen Kontext entwickeln konnte. Ich konnte meine Arbeit auf einem Level anfangen, wo viele Dinge nicht mehr in
Frage gestellt wurden. Die Universalität des Themas war in diesem Rahmen sofort klar und es ging nur noch darum, ein gutes
Treatment zu entwickeln. In jeder Gruppe waren vier oder fünf Regisseur/innen aus verschiedenen Ländern, zwischen den Treffen
mussten wir eine Weiterentwicklung abliefern. Die Treffen selbst waren sehr intensiv und konstruktiv. Es hat sehr viel gebracht,
weil ich in einer Gruppe war, die mir ein konstruktives und kritisches Feedback gegeben hat. Es war gleich klar, dass es bei
Operation Spring um ein Menschenrechtsthema geht, das für die Gesellschaft insgesamt von Bedeutung ist - das Recht auf ein faires Verfahren.
Der Vorteil an einer internationalen Entwicklung ist außerdem, dass man sofort eine Außensicht dabei hat und eine Reflexion
stattfindet. Das gibt eine gewisse Sicherheit, gerade beim Dokumentarfilm, wo man ohnehin nicht weiß, wohin die Reise wirklich
gehen wird, wenn die Kamera läuft.
Wann begannen die Dreharbeiten?
TRISTAN SINDELGRUBER: Definitiv los ging es mit den Dreharbeiten im Jänner 2004, sie dauerten dann bis November 2004. Wir hatten das Glück, noch
einen laufenden Prozess mitverfolgen zu können. Das hat zwar einige Überlegungen über den Haufen geworfen, aber es war natürlich
auch eine Chance, das letzte Verfahren noch beobachten zu können.
ANGELIKA SCHUSTER: Das Interessante bei diesem letzten Verfahren ist, dass Beweisführungen, die bei anderen Verurteilungen relativ reibungslos
über die Bühne gegangen sind, jetzt in Frage gestellt werden. Es ist z.B. erstmals ein neuer Dolmetscher hinzugezogen worden,
der überwachte Gespräche aus dem Großen Lauschangriff teilweise ganz anders übersetzt hat als der erste Dolmetscher, der sowohl
bei diesem Verfahren, als auch zu allen anderen Operation Spring-Verfahren hinzugezogen wurde. Und diese Übersetzungen des
ersten Dolmetschers waren in vielen Fällen wesentlich für eine Verurteilung.
Das Thema spricht einen sehr bedenklichen Umgang mit der Wahrheit an, als Dokumentarfilmer wart ihr jedoch ebenso mit der
Frage - wie gehe ich mit der Wahrheit um - konfrontiert.
TRISTAN SINDELGRUBER: Die Frage nach der Wahrheit gleitet immer sehr rasch in eine Frage nach Schuld und nicht Schuld. Wir waren nicht daran interessiert,
individuelle Schuld oder Unschuld herauszufinden. Wir wollten nachschauen, was die Polizei und die Justiz veranlasst hat,
zu ihren Schlussfolgerungen zu kommen und welche Verbindungen es zwischen den Fällen gibt. Welche Beweise hat es gegeben,
wie schauen die Urteile aus. Unser Prinzip war, uns das in Ruhe anzuschauen, und durch den Film zur Diskussion zu stellen.
Es stellt sich nicht nur die Frage nach der Wahrheit in den einzelnen Fällen, sondern auch die nach der Objektivität in eurer
Darstellung der Vorgänge. Die Polizei könnte behaupten, ihr nehmt einen Standpunkt ein.
TRISTAN SINDELGRUBER: Das ist auch legitim. Es wäre sicher spannend gewesen, wenn wir das im Film gemeinsam hätten erörtern können. Nichts ist für
uns mehr erwünscht als eine konstruktive Diskussion jetzt im Nachhinein. Was im Film auch rüberkommen soll, ist der Faktor
Zeit. Wie lange dauert ein Verfahren, wie lange ein Verhandlungstag. Das betrifft alle Positionen im Verfahren, ob Anwälte,
Staatsanwälte, Richter, Schöffen. Es gab bei einem Prozess den Punkt der völligen Erschöpfung und Ermattung, man hat als Zuhörer
im Saal das Gefühl, es geht nicht mehr um Recht oder Gerechtigkeit, sondern um etwas anderes Menschliches, das Bedürfnis,
einfach zu einem Ende zu gelangen. Ein Aspekt, der für mich dort eigentlich nichts verloren hat. Dazu kommt, dass es sich
um Angeklagte handelt, die mit der Sprache nichts anzufangen wissen, Dolmetscher übersetzten oft nicht das Ganze, was Angeklagte
sagen bzw. was über sie gesagt wird, das ist manchmal sehr verkürzt. Es gibt noch eine Reihe weiterer Problemfelder, wie z.B.
Sprache, Schicht- und Milieuunterschiede.
Welche Diskussion soll dieser Film in Gang setzen?
TRISTAN SINDELGRUBER: Ich hätte schon gerne, dass neben der Frage, ob o.k. war, was im Rahmen der Operation Spring passiert ist auch die Frage gestellt wird, ob es überhaupt o.k. ist, wie ein komplexer Strafrechtsprozess bei uns abläuft.
Stimmen die Rahmenbedingungen für alle Beteiligten, um faire Verfahren zu gewährleisten. Sind nicht alle überlastet? Es waren
im Fall der Operation Spring-Prozesse ja zu Beginn nicht einmal die technischen Voraussetzungen gegeben, um die Beweismittel vorzuführen. Wenn etwas eingeführt
wird, dann muss es vom Gesetzgeber bis zu Ende gedacht werden und ich muss Waffengleichheit bis zur Urteilsverkündung schaffen,
das war zumindest in den Anfangsjahren – wurde uns von mehreren Seiten gesagt – nicht der Fall.
ANGELIKA SCHUSTER: Beim letzten noch offenen Operation Spring-Prozess hat sich herausgestellt, dass eigentlich nicht ganz klar ist, wie dieser Große Lauschangriff wirklich ausgeführt
wurde: Wer wurde tatsächlich akustisch aufgenommen, die Mikrofone waren ja getrennt von der Videokamera und hatten eine viel
größere Reichweite. Man hört irgendjemanden im Lokal, da man die Mundbewegungen auf den Videos nicht erkennen kann, weiß man
nicht, wer eigentlich spricht bzw. ob eine der Stimmen die man hört überhaupt zu einer der Personen gehört, die man auf dem
Video sieht. Es erfolgte, so wurde uns gesagt, z.B. auch keine Synchronisierung von Sommer- und Winterzeit. Bei einer Verhandlung
musste der Richter unterbrechen, weil er selber sagte, dass er sich nicht mehr auskennt. Die Einführung und der Umgang mit
derartigen Ermittlungsmethoden sollte von einer Gesellschaft eigentlich wesentlich kritischer beobachtet werden. Warum ist
das bei uns nicht der Fall?!
Mit Spiegelgrund und Operation Spring habt ihr zwei heikle Themen aufgegriffen, die die Zivilgesellschaft in Österreich betreffen.
Als Dokumentarfilmer habt ihr euch in einer gewissen Richtung definiert?
ANGELIKA SCHUSTER: Es sind immer Themen, die die Gesellschaft in der wir leben, prägen und diese Themen wollen wir zur Diskussion stellen.
TRISTAN SINDELGRUBER:Ich halte es für ein großes Privileg, dass man diese Filme machen kann, vergesse aber nicht, wie mühselig es ist, einen Film
durchzubringen und zu finanzieren. Ich sehe das sehr pragmatisch, es steckt viel öffentliches Geld drinnen und ich finde,
dass es so sehr sinnvoll verwendet ist.
Interview: Karin Schiefer (2005)